Wenn man Leute auf der Straße ansprechen würde und sie fragen würde, was sie zum Thema "der/die/das" wissen, dann wären die meisten Antworten aller Wahrscheinlichkeit nach folgende: „Das ist der bestimmte Artikel.“ „Na, `n Artikel ist das…ja, und `n Relativpronomen.“ „Da kann man was näher mit bestimmen.“ Im Grunde hätten diese Leute mit ihren Aussagen nicht Unrecht, da der/die/das (im Folgenden auch der oder der-Pronomen) durchaus sowohl als Artikel als auch als Relativpronomen zum Einsatz kommen kann. Was viele aber vergessen – und diese Tatsache verleiht der vorliegenden Arbeit mehr oder minder ihre Daseinsberechtigung – ist, dass der, vor allem in Gesprächen, auch als Demonstrativum und als Demonstrativpronomen verwendet wird. Würde man die angesprochenen Passanten nun wiederum auf diese Tatsache aufmerksam machen und im Zuge dessen eventuell einige Beispiele präsentieren, so dürfte man mit folgender Reaktion rechnen: „Ja, Sie haben Recht! Aber ist das nicht total unhöflich, wenn man das so gebraucht?“ Ist es das? Zumindest wird dem der/die/das-Demonstrativpronomen eine spezielle Eigenschaft zugeschrieben, welche es insbesondere von dem formal sehr ähnlichen Personalpronomen der dritten Person abgrenzt: „Die Demonstrativpronomina dienen wie das Personalpronomen der 3. Person zur allgemeinen Bezeichnung des Besprochenen. Sie unterscheiden sich vom Personalpronomen jedoch durch ihren Hinweischarakter“ (Helbig/Buscha 2001: 113). Durch diese sprachliche „Zeigefunktion“ mag der in dem einen oder anderen Fall einen unhöflichen Eindruck machen. Vor allem, wenn man damit auf Personen referiert oder es eventuell im Kontext einer abfällig gemeinten Äußerung zu finden ist. Allerdings bleibt fraglich, ob das Demonstrativpronomen in letzteren Situationen tatsächlich semantisch zur negativen Referenz beiträgt oder ob es lediglich eine verweisende Funktion erfüllt. Auf den Höflichkeitsaspekt sowie die Funktionsweise des der/die/das-Pronomens werde ich in Kapitel 2.3.2 noch näher eingehen. Was hingegen als sicher erachtet wird, ist die hohe Frequenz von der in umgangssprachlichen Unterhaltungen:
[I]m umgangssprachlichen Bereich kommen der-Pronomina wirklich am häufigsten vor; hier treten sie in echte „Konkurrenz“ zu den er/sie/es-Pronomina. Daher rührt sehr wahrscheinlich auch das Vorurteil des „falschen Sprachgebrauchs“, was wohl zutreffender mit dem Urteil „nicht gehobenes Register“ bezeichnet würde. (Bethke 1990: 73) [Hervorhebungen im Original]
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
2. der/die/das vs. dieser/diese/dieses
2.1. Arbeitsdefinitionen
2.2. der/die/das als Pronomen
2.2.1. Konstitution und Flexion
2.2.2. Funktionsweise und Semantik
2.3. dieser/diese/dieses als Pronomen
2.3.1. Konstitution und Flexion
2.3.2. Funktionsweise und Semantik
3. Gesprächsanalyse
3.1. Vorstellung der Korpora
3.2. Nähesprachliche Belege
3.3. Distanzsprachliche Belege
4. Fazit
5. Literaturverzeichnis
1. Einleitung
Wenn man Leute auf der Straße ansprechen würde und sie fragen würde, was sie zum Thema der/die/das wissen, dann wären die meisten Antworten aller Wahrscheinlichkeit nach folgende: „Das ist der bestimmte Artikel.“ „Na, `n Artikel ist das…ja, und `n Relativpronomen.“ „Da kann man was näher mit bestimmen.“ Im Grunde hätten diese Leute mit ihren Aussagen nicht Unrecht, da der/die/das (im Folgenden auch der oder der -Pronomen) durchaus sowohl als Artikel als auch als Relativpronomen zum Einsatz kommen kann. Was viele aber vergessen – und diese Tatsache verleiht der vorliegenden Arbeit mehr oder minder ihre Daseinsberechtigung – ist, dass der, vor allem in Gesprächen, auch als Demonstrativum und als Demonstrativpronomen verwendet wird. Würde man die angesprochenen Passanten nun wiederum auf diese Tatsache aufmerksam machen und im Zuge dessen eventuell einige Beispiele präsentieren, so dürfte man mit folgender Reaktion rechnen: „Ja, Sie haben Recht! Aber ist das nicht total unhöflich, wenn man das so gebraucht?“ Ist es das? Zumindest wird dem der/die/das -Demonstrativpronomen eine spezielle Eigenschaft zugeschrieben, welche es insbesondere von dem formal sehr ähnlichen Personalpronomen der dritten Person abgrenzt: „Die Demonstrativpronomina dienen wie das Personalpronomen der 3. Person zur allgemeinen Bezeichnung des Besprochenen. Sie unterscheiden sich vom Personalpronomen jedoch durch ihren Hinweischarakter“ (Helbig/Buscha 2001: 113). Durch diese sprachliche „Zeigefunktion“ mag der in dem einen oder anderen Fall einen unhöflichen Eindruck machen. Vor allem, wenn man damit auf Personen referiert oder es eventuell im Kontext einer abfällig gemeinten Äußerung zu finden ist. Allerdings bleibt fraglich, ob das Demonstrativpronomen in letzteren Situationen tatsächlich semantisch zur negativen Referenz beiträgt oder ob es lediglich eine verweisende Funktion erfüllt. Auf den Höflichkeitsaspekt sowie die Funktionsweise des der/die/das -Pronomens werde ich in Kapitel 2.3.2 noch näher eingehen. Was hingegen als sicher erachtet wird, ist die hohe Frequenz von der in umgangssprachlichen Unterhaltungen:
[I]m umgangssprachlichen Bereich kommen der -Pronomina wirklich am häufigsten vor; hier treten sie in echte „Konkurrenz“ zu den er/sie/es -Pronomina. Daher rührt sehr wahrscheinlich auch das Vorurteil des „falschen Sprachgebrauchs“, was wohl zutreffender mit dem Urteil „nicht gehobenes Register“ bezeichnet würde. (Bethke 1990: 73) [Hervorhebungen im Original]
Die Verwendung von der in derartigen Konversationen kann zusätzlich durch eine Zeigegeste unterstützt werden, um die Explizitheit der Referenz zu steigern: „Auch durch Gestik und Mimik (↑1982, 2000) kann der Sprecher einen bestimmten Gegenstand identifizieren: Der Baum (da) ist krank. Das Haus (dort) möchte ich kaufen“ (Duden-Grammatik 2009: 285). Auch wenn das der -Pronomen in diesem Beispiel aus der Duden-Grammatik als Artikelwort[1] (oder auch Demonstrativum[2] ) Anwendung findet, sind ähnlich funktionierende Aussagen aus dem alltäglichen Sprachgebrauch denkbar, die eine Verwendung von der als Demonstrativpronomen unter Zuhilfenahme einer Zeigegeste vorsehen. Vergleicht man den Gebrauch von der/die/das hinsichtlich der Unterstützung durch eine Geste nun mit selbigem Gebrauch des Demonstrativpronomens dieser/diese/dieses (im Folgenden auch dieser oder dies -Pronomen), so muss man konstatieren, dass auch dieser „sehr häufig durch eine Zeigegeste“ manifestiert wird (Ahrenholz 2007: 180). Für mich stellt sich daher die Frage: Inwiefern kann zwischen den Demonstrativpronomina der und dieser bezüglich ihrer Verweisfunktion in Gesprächen unterschieden werden? Eigentlich müsste dieser, die Opposition von er und der vorausgesetzt, schon alleine aufgrund des Mehrs an orthographischem Material gegenüber dem der -Pronomen eine Zeigegeste weniger notwendig machen. Wenn man so argumentiert, müsste weiterhin gelten, dass das Merkmal dies - in dieser stärker zeigend ist als das Merkmal d - in der. Insofern wäre der Gebrauch des Demonstrativpronomens dieser stilistisch höher anzusiedeln als der Gebrauch von der, da das Verweisen, welcher Art auch immer, mit dem dies -Pronomen schlicht „sprachlicher“ wäre als dies mit dem der -Pronomen der Fall wäre. Mit dem Adjektiv „sprachlicher“ meine ich hier eine Steigerung der Explizitheit einer Pronominalisierung oder eines Verweises, die durch den Einsatz eines sprachlichen Mittels erreicht wird. Wenn dem so wäre, müsste das Pronomen dieser in distanzsprachlichen Gesprächen, welche üblicherweise einen hohen sprachlichen Stil aufweisen, deutlich häufiger vorkommen als in Konversationen der Nähesprache. Die logische Konsequenz aus dieser Folgerung wäre dann, dass in nähesprachlichen Transkripten dieser nur noch äußerst selten vorzufinden wäre und stattdessen das der -Pronomen in den Vordergrund rücken würde. Diese Problematik wird das Hauptaugenmerk der vorliegenden Arbeit darstellen. Zunächst möchte ich im Verlauf von Kapitel 2 die formalen sowie die funktionalen Differenzen der beiden Demonstrativpronomina der/die/das und dieser/diese/dieses darlegen. Dabei werden einige wichtige Forschungsergebnisse zu diesem Thema miteinbezogen werden. Außerdem werde ich die soeben vorgestellte Argumentation durch die theoretischen Grundlagen weiter unterstützen. In Kapitel 3 folgt dann der analytische Teil der Arbeit. Hier möchte ich sowohl einige nähesprachliche als auch einige distanzsprachliche Konversationen betrachten und diese auf die vorgestellte Fragestellung hin untersuchen. Dabei wird von Bedeutung sein, inwieweit sich die Diskrepanz hinsichtlich der Verwendung der beiden Pronomina tatsächlich im Sprachgebrauch niederschlägt und welche Ursachen den unterschiedlichen Vorgehensweisen zugrunde liegen. Abschließend möchte ich in Kapitel 4 ein Fazit ziehen.
2. der/die/das vs.dieser/diese/dieses
2.1. Arbeitsdefinitionen
Wenn es um die Kategorisierung sowie Bezeichnung der Wörter der/die/das und dieser/diese/dieses im grammatischen System geht, bedienen sich die deutschen Grammatik-Autoren unterschiedlichster Systematiken und Terminologien. Hier soll vor allem die Klärung der Begriffe Demonstrativum und Demonstrativpronomen im Mittelpunkt stehen sowie die Frage, inwiefern sich der und dieser im Rahmen dieser Begrifflichkeiten einordnen lassen. Im Grunde drängt sich eine Vermutung bezüglich der beiden genannten Termini geradezu auf: Während der Terminus Demonstrativum ein einfaches Nomen per se darstellt, welches zudem durch seinen lateinischen Wortursprung einen gewissen semantischen Spielraum eröffnet, handelt es sich bei dem Begriff Demonstrativpronomen um ein Kompositum, dessen Bedeutung durch die Zusammensetzung der Morpheme eine etwas engere Determinierung erfährt. So oder so ähnlich wird in den meisten deutschen Grammatiken eine Einordung von der und dieser vorgenommen. Im Handbuch der deutschen Grammatik von Elke Hentschel und Harald Weydt werden die beiden Opponenten zu den Demonstrativa gezählt, allerdings muss man auch anmerken, dass die Autoren begrifflich nicht zwischen Demonstrativpronomen und Demonstrativ (oder Demonstrativum) unterscheiden. Letzteres wird hier lediglich als Kurzform für ersteres angeführt (vgl. Hentschel/Weydt 2003: 245). Das Autoren-Team der Duden-Grammatik dagegen nimmt eine deutliche Begriffstrennung vor, indem es zumindest die diversen funktionalen Einsatzgebiete von der/die/das unter dem Hauptpunkt Demonstrativ zusammenfasst:
Wenn der/die/das zeigende (ana- oder katadeiktische) Funktion hat, wird es als demonstratives Artikelwort betrachtet. Bei rein phorischer Funktion (↑1818) bestimmt man es als definiten Artikel (↑383-400). […] Außerdem kann der/die/das als Demonstrativpronomen auftreten […]. (2009: 281) [Hervorhebungen im Original]
Die diversen Ausprägungen und Funktionen eines Demonstrativs vorausgesetzt, ist im weiteren Verlauf der Duden-Grammatik alleinig vom „Demonstrativ dieser“ die Rede (2009: 286) [Hervorhebung im Original]. Ähnlich geht Harald Weinrich in seiner Textgrammatik der deutschen Sprache vor. Obwohl dieser eine funktionale, textgrammatische Herangehensweise bevorzugt und sowohl der als auch dieser hinsichtlich ihrer Funktionen im Text näher betrachtet, werden auch hier terminologische Differenzierungen vorgenommen. Allerdings bezeichnet Weinrich das der -Pronomen als rhematisches Pronomen, während lediglich das dies -Pronomen als Demonstrativ-Pronomen gilt und als Unterkategorie eines Demonstrativs anzusehen ist (vgl. Weinrich 2007: 380ff.). Das heißt, dass auch hier – wenn auch nur dieser betreffend – eine Bündelung von diversen Funktionen unter dem Begriff Demonstrativ anzutreffen ist. Eine weitaus weniger starke Differenzierung findet man in der Einführung in die Grammatik der deutschen Gegenwartssprache von Sommerfeldt und Starke. Im Gegensatz zu Weinrichs Ansatz werden hier die unterschiedlichsten Vorkommen und funktionalen Spielarten von der/die/das und dieser/diese/dieses unter dem Sammelbegriff Demonstrativpronomen gebündelt:
Zum Formenbestand der Demonstrativpronomen gehören: - der, die, das, - dieser, diese, dieses (weist auf Näherliegendes hin); - jener, jene, jenes (weist auf Fernerliegendes hin) […] Demonstrativpronomen können substantivisch und adjektivisch gebraucht werden; dabei weisen sie entweder zurück oder voraus […]. (Sommerfeldt/Starke 1988: 155f.) [Hervorhebungen im Original]
Damit werden der und dieser lediglich hinsichtlich ihrer lokalen Komponente unterschieden. Beide gehören aber dennoch zu den Demonstrativpronomina, was die Einordnung von Sommerfeldt und Starke ähnlich der von Hentschel und Weydt erscheinen lässt. Weinrichs Textgrammatik sowie die Duden-Grammatik verfolgen da andere Strategien. Eine gänzlich andersartige Terminologie bei der Systematisierung von der und dieser wendet Ulrich Engel in seiner Kurzen Grammatik der deutschen Sprache an, indem er die beiden als definite Determinative bezeichnet, die sowohl autonom als auch attributiv auftreten können (vgl. Engel 2002: 117ff.). Im Falle eines autonomen Auftretens würde man die Determinative der und dieser als Pronomen bezeichnen. Insofern kommt Engels Herangehensweise jener der Duden-Grammatik nahe, da diese ebenfalls diverse funktionale Ausprägungen in einem Begriff vereint: Während bei Engel vom Determinativ die Rede ist, sprechen die Duden -Autoren vom Demonstrativ. Für den weiteren Fortgang dieser Arbeit ist es von Bedeutung, dass der/die/das und dieser/diese/dieses ausschließlich als Demonstrativpronomina bezeichnet werden sollen. Es soll weder das Auftreten von der und dieser als Artikelwort behandelt werden, noch möchte ich auf eine mögliche adjektivische Gebrauchsweise eingehen. Der und dieser werden daher alleinig pronominal betrachtet werden, sollen also gemäß dem originären Wortsinn eines Pronomens als Stellvertreter eines Nomens oder als Referenz jeglicher Art gelten und des Weiteren als solche analysiert werden. Diese Tatsache hat konsequenterweise zur Folge, dass lediglich derartige pronominale Formen im Analyseteil der vorliegenden Arbeit von Belang sein werden und auch nur als solche in die Erhebung – sei diese qualitativer oder quantitativer Natur – eingehen werden. Auf die Formen und Funktionen sowie die Semantik von der/die/das und dieser/diese/dieses in deren Eigenschaft als Pronomen möchte ich in den folgenden Kapiteln 2.2 und 2.3 zu sprechen kommen.
[...]
[1] vgl. Duden-Grammatik 2009
[2] vgl. Hentschel/Weydt 2003