Das maere „der turnei von dem zers“ polarisiert seine Rezipienten aufgrund seiner Direktheit bei der Beschreibung der erotischen und sexuellen Inhalte. So wird beispielsweise die Kastrationshandlung ohne Umschreibungen oder Zensuren thematisiert. Wie bei vielen anderen mittelalterlichen Texten, muss der Leser das Abtrennen des Geschlechtsorgans vom Körper der männlichen Hauptfigur ganz wörtlich nehmen, was auf eine Leserschaft, die größtenteils neuere deutsche Literatur konsumiert, zunächst irritierend, aber auch interesseweckend wirken kann. Dieser inhaltlich-stilistischen Besonderheit ist es geschuldet, dass der Penis ganz ohne Körper agieren und Funktionen innerhalb des maere übernehmen kann. Im Laufe des maere macht sich der zagel verschiedene Eigenschaften und Funktionen zu eigen und wird zu einer selbstständigen und von anderen Figuren unabhängigen Person. Besonders interessant ist es deshalb, die Figur des zagel aus diskursanalytischer Sicht zu analysieren. Folgende Überlegungen sollen
Gegenstand meiner Arbeit sein: Ich werde untersuchen, ob dem maere „der turnei von dem zers“ auf struktureller Ebene spezialdiskursive Bestandteile zugrundeliegen und ob man den Text als
interdiskursiv betrachten kann. Auf der inhaltlichen Ebene werde ich prüfen, ob die Figur des zagel innerhalb der verschiedenen Spezialdiskurse in die er eingebunden ist, jeweils unterschiedliche Eigenschaften aufweist und, ob er seine Rollenfunktionen wechselt. Ziel ist es die Eigenschaften und Funktionen des zagel spezifischen Spezialdiskursen die im Text thematisiert werden zuzuordnen.
Gliederung
1. Einleitende Bemerkungen
2. Diskurs, Spezialdiskurs und Interdiskurs
2.1. Definition Diskurs
2.2. Definition Spezialdiskurs
2.3. Definition Interdiskurs und Dispositiv
2.4. Literatur als interdiskursives Phänomen
3. „ Der turnei von dem zers “ als interdiskursiver Text
3.1. Spezialdiskurs minne
3.2. Spezialdiskurs riterschaft
3.3. Spezialdiskurs arzatie
3.4. Spezialdiskurs klonster
3.5. Spezialdiskurs hof
4. Der zagel und seine Funktion innerhalb der Spezialdiskurse
4.1. Der zagel und minne
4.2. Der zagel und riterschaft
4.3. Der zagel und arzatie
4.4. Der zagel und Kloster
5. Abschließende Bemerkungen
6. Literaturverzeichnis
1. Einleitende Bemerkungen
Das maere „ der turnei von dem zers “ polarisiert seine Rezipienten aufgrund seiner Direktheit bei der Beschreibung der erotischen und sexuellen Inhalte. So wird beispielsweise die Kastrationshandlung ohne Umschreibungen oder Zensuren thematisiert. Wie bei vielen anderen mittelalterlichen Texten, muss der Leser das Abtrennen des Geschlechtsorgans vom Körper der männlichen Hauptfigur ganz wörtlich nehmen, was auf eine Leserschaft, die größtenteils neuere deutsche Literatur konsumiert, zunächst irritierend, aber auch interesseweckend wirken kann. Dieser inhaltlich-stilistischen Besonderheit ist es geschuldet, dass der Penis ganz ohne Körper agieren und Funktionen innerhalb des maere übernehmen kann. Im Laufe des maere macht sich der zagel verschiedene Eigenschaften und Funktionen zu eigen und wird zu einer selbstständigen und von anderen Figuren unabhängigen Person. Besonders interessant ist es deshalb, die Figur des zagel aus einer diskursanalytischen Sicht zu analysieren. Folgende Überlegungen sollen Gegenstand meiner Arbeit sein:
Ich werde untersuchen, ob dem maere „ der turnei von dem zers “ auf struktureller Ebene spezialdiskursive Bestandteile zugrundeliegen und ob man den Text als interdiskursiv betrachten kann. Auf der inhaltlichen Ebene werde ich prüfen, ob die Figur des zagel innerhalb der verschiedenen Spezialdiskurse in die er eingebunden ist, jeweils unterschiedliche Eigenschaften aufweist und, ob er seine Rollenfunktionen wechselt. Ziel ist es die Eigenschaften und Funktionen des zagel spezifischen Spezialdiskursen die im Text thematisiert werden zuzuordnen.
Zu Beginn der vorliegenden Arbeit werden die grundlegenden Begrifflichkeiten Diskurs, Interdiskurs und Spezialdiskurs definiert, um diese anschließend adäquat auf den Primärtext anwenden zu können.
2. Diskurs, Spezialdiskurs und Interdiskurs
Obwohl sich viele verschiedene Literaturwissenschaftler die Diskursanalyse und ihre Definition zur Aufgabe gemacht haben, bleibt der wohl wichigste Vertreter Michel Foucault. Er legte mit seinen philosophischen Grundlagentexten das Fundament für unser heutiges Verständnis für das Phänomen „Diskurs“ und für die daraufaufbauenden Überlegungen. Die Interdiskursanalyse von Jürgen Link findet ihre geistige Verwurzelung ebenfalls in den Grundlagewerken von Foucault. Allerdings ist es mir im Rahmen dieser Arbeit nicht möglich, Foucaults Theorien intensiver zu rezipieren. Ich beschränke mich deshalb nur auf einen Verweis zu Foucault und werde die Definitionen der Schlüsselbegriffe unter der Zuhilfenahme der Aufsätze von Jürgen Link, beziehungsweise Jürgen Link und Ursula Link-Heer und der Examensarbeit von Jesse Nies ermitteln.
2.1. Definition Diskurs
Der Diskurs ist eines der wenigen Phänomene, dessen Begrifflichkeit man einerseits sehr weit und andererseits sehr eng begreifen kann. Befragt man das Reallexikon der deutschen Literatur1, oder das Metzler Literatur Lexikon, nach dem Lemma 'Diskurs', so wird deutlich, dass diese Begriffsklärungen für das Arbeiten innerhalb der konzeptionellen Literaturwissenschaft noch nicht ausreichen. Das RLW nennt als die am weitesten gefasste Bestimmung von Diskurs:
„ Abfolge des Redens, der Rede oder der schriftlichen Ä ußerung [...] wie man 'von der einen Sache zur anderen kommt' 2
Gemeint sind hier Äußerungen im weiten Sinn. Darüberhinaus beinhaltet der Diskurs aber auch den theoretischen Entstehungsprozess von Wissen, da mit „Sache“ wohl Ergebnisse von Denkprozessen gemeint sind. Das Zitat umreißt den Urgedanken von Diskurs, ist aber im Rahmen unserer Ausführungen noch nicht zielführend genug.
Das Metzler Literatur Lexikon beschreibt den Diskurs als,
„ sich ergehen (über einen bestimmten Gegenstand),[...] methodisch aufgebaute Abhandlung (Erörterung)über ein bestimmtes Thema[...] oder Sammlung solcher Abhandlungen “ 3
In dieser Definition wird nicht nur der „Methodencharakter“ von Diskurs betont, sondern auch, dass ein Diskurs die „Sammlung“ von „Abhandlungen“ ist, die zu einem „bestimmten Thema“ gehören. In diesem Punkt geht das Metzler Literatur Lexikon zwar über das RLW hinaus, für unsere Arbeit ist es jedoch von Notwendigkeit den Diskursbegriff noch enger einzugrenzen. Link und Link-Heer beziehen sich auf Foucault, der den Diskurs als „Gesamtheit der Äußerungen“ bezeichnet und führen weiter aus, dass die Sprecherinstanzen dabei nicht bloß linguistisch, sondern gerade auch in ihren Subjektivitätsstrukturen und -effekten von transindividuellen Regelungen und Regeln bestimmt würden.4 In Ihrem Aufsatz nennen sie außerdem folgende Aspekte, die den Diskursbegriff von Foucault definieren, da der Diskurs lediglich die sprachlich-schriftliche Seite von einer speziellen Wissensproduktion sei. Diese heißt „diskursive Praxis“ und besteht aus „ Institutionen, Verfahren der Wissenssammlung und -verarbeitung, autoritativen Sprechern bzw. Autoren, Regelungen der Versprachlichung, Verschriftlichung, Medialisierung. “ 5
Durch das Aufweisen dieser Faktoren lassen sich gesellschaftliche Strukturen als „diskursive Praktiken“ betiteln und sie sind Vorraussetzung, um einen Diskurs zu bestimmen. Ein Diskurs muss folglich Institutionen aufweisen, Wissen sammeln und verarbeiten, mit Autorität ausgestattete und auf ihr beruhende Sprecher haben, das Wissen muss unter Zuhilfenahme von Medien versprachlicht, verschriftlicht und schließlich verbreitet werden. Institutionen6 sind auf eine längere Zeit angelegte
1) I. meint eine soziale Verhaltensweise oder Norm (wie z. B. die I. »Ehe«);
2) I. meint konkrete, materielle, zweckgerichtete Einrichtungen (wie z. B. das Parlament, das Amt des Bundeskanzlers, die öffentliche Verwaltung, die Parteien)
3) I. meint abstrakte, immaterielle, zweckgerichtete Einrichtungen (wie z. B. das GG, die demokratische Mehrheitsregel).“
Aus: Schubert, Klaus/Martina Klein: Das Politiklexikon. Begriffe, Fakten, Zusammenhänge. Bonn: 2011. S. 203.
Einrichtungen. Deshalb ist auch ein Diskurs, der durch Institutionen legitimiert ist, nicht kurzzeitig sondern zeitlich stabil. Unter Versprachlichung und Medialisierung fällt modern gedacht auch Theatralisierung und technische Realisierungen (wie Filme, Hörspiel, Radio), was aber aufgrund des Forschungsbereiches der Mediävistik vernachlässigt werden kann.
2.2. Definition Spezialdiskurs
Der bereits dargestellte Diskursbegriff bildet die Grundlage für Links interdiskursive Literaturanalyse. Dabei grenzt er die Begriffichkeiten Spezialdiskurs und Interdiskurs von einander ab.
Der Spezialdiskurs verkörpert die gemeinsamen diskursiven Regelungen innerhalb eines Diskurs-Ensambles. Link und Link-Heer bezeichnen jede historisch- spezifische „diskursive Formation“ im Sinne Foucaults als „Spezialdiskurs“.7 Jesse Nies schreibt in ihrer Examensarbeit, dass Spezialdiskurse auf ein eng eingegrenztes Themengebiet beschränkt sind. Sie umfassen nur Aussagen zu diesem speziellen Themengebiet und beinhalten daher auch nur Wissen zu diesen speziellen Themen.8 Hieraus lässt sich folgern, dass die Spezialdiskurse, auch im Hinblick auf ihre Rezeptionsreichweite, durch die Grenzen des speziellen Themengebiets beschränkt sind.
2.3. Definition Interdiskurs und Dispositiv
Link versteht den Interdiskurs als die,
„ Gesamtheit diskursiver Elemente [ … ] die nicht diskursspezifisch [ … ], sondern mehreren Diskursen gemeinsam sind[...]. Diese Elemente können materialer [ … ], formaler [ … ] sowie pragmatischer Art sein “ 9
Um den Begriff Interdiskurs definieren zu können, benötigen Link und Link-Heer die Begrifflichkeit des Spezialdiskurses. Für sie sind alle interferierenden, koppelnden Querbeziehungen zwischen mehreren Spezialdiskursen „interdiskursiv“. Hierzu gehören beispielsweise alle Elemente, Relationen und Verfahren, die gleichzeitig mehrere Spezialdiskurse charakterisieren.10 Der Interdiskurs ist im Gegensatz zum Spezialdiskurs nicht explizit geregelt und systematisiert. Was dem Umstand geschuldet ist, dass Interdiskurse zwar intentionell aber nicht zwingend systematisch vernetzt sind. Im Gegensatz zu den Spezialdiskursen sind die Interdiskurse thematisch nicht eingegrenzt.
Laut Jesse Nies besteht Ihre Funktion darin, die Spezialdiskurse in vereinfachter Form in sich aufzunehmen und zu verarbeiten.11
Davon abzugrenzen ist das „Dispositiv“, bei dem jeweils mehrere Spezialdiskurse mit mehreren nicht-diskursiven Praktiken „vernetzt“ sind.12 Mit „nicht-diskursiven Praktiken“ sind soziale Praktiken und Institutionen gemeint.
2.4. Literatur als interdiskursives Phänomen
Interdiskursivität ist durchaus ein alltägliches Phänomen. Der bloße Dialog zwischen zwei Individuen, die in unterschiedliche Spezialdiskurse eingebunden sind, kann einen Interdiskurs darstellen, da beide Dialogpartner Teile ihres Wissen mit in das Gespräch bringen und es aufeinander abstimmen.
Wichtig für unsere Arbeit, aber nicht weniger alltagsnah, ist die Frage in wie weit man Literatur als Interdiskurs verstehen kann.
Link und Link-Heer führen diesbezüglich in Ihrem Aufsatz aus, dass
„ [a]uf der Basis der in allen modernen Kulturen zu beobachtenden spontanen Interdiskursivit ä t [ … ] institutionalisierte Interdiskurse entstehen [können]. Deren kulturelle Funktion liegt eben in der [ … ] Reintegration [ … ] des in den Spezialdiskursen [ … ] zerstreuten Wissens. [ … ] heute w ä re vorallem der Interdiskurs der Massenmedien zu nennen. Zu diesen gesonderten Interdiskursen ist [ … ] auch die moderne Literatur zu z ä hlen “ 13
Folglich stellt Literatur für Link und Link-Heer einen Interdiskurs dar. Als Begründung kann man anführen, dass sich literarische Werke Material aus anderen Bereichen aneignen und transformieren. Sie integrieren Wissen aus unterschiedlichen Spezialdiskursen und transformieren es je nach Bedarf. Wie unter Punkt 2.3. beschrieben, integrieren Interdiskurse Spezialdiskurse.
[...]
1 Folgend abgekürzt mit 'RLW'.
2 Fohrmann, Jürgen: s.v. Diskurs. In: Reallexikon der deutschen Literatur, Bd.1. Hrsg. von Georg
Braungardt/ Fricke, Harald / Grubmüller, Klaus / Müller, Jan-Dirk / Vollhardt, Friedrich / Weimar, Klaus. Berlin/ New York:1997-2003. S. 369.
3 Reske, Dr. Hans Friedrich: s.v. Diskurs. In: Metzler Literatur Lexikon. Stichwörter zur Weltliteratur. Hrsg. von Günther Schweikle und Schweikle, Irmgard. Stuttgart: 1984. S.99.
4 Link, Jürgen/ Link-Heer, Ursula: Diskurs/Interdiskurs und Literaturanalyse. In: Zeitschrift für Literaturwissenschaft und Linguistik (Heft77). Hrsg. von Helmut Kreuzer, Göttingen: 1990. S. 89.
5 Ebd. S. 90.
6 „Eine Institution ist ein politisch-soziologischer Begriff für stabile, auf Dauer angelegte Einrichtungen zur Regelung, Herstellung oder Durchführung bestimmter Zwecke. Im Einzelnen kann der Begriff unterschiedliche Bedeutungen haben:
7 Link, Link-Heer: Diskurs/Interdiskurs und Literaturanalyse. S. 93.
8 Nies, Jesse: Diskurs, Interdiskurs und Literatur. -Foucaults Machttheorie als Interpretationsmodell am Beispiel von Elfriede Jelineks 'Die Klavierspielerin' und Thomas Meineckes 'Tomboy'. S.21.
9 Link, Jürgen: Elementare Literatur und generative Diskursanalyse. München: 1983. S.16.
10 Link, Link-Heer: Diskurs/Interdiskurs und Literaturanalyse. S. 92.
11 Nies, Jesse: Diskurs, Interdiskurs und Literatur- Foucaults Machttheorie als Interpretationsmodell am Beispiel von Elfriede Jelineks „Die Klavierspielerin“ und Thomas Meineckes „Tomboy“, München: 2005. S. 21.
12 Link, Link-Heer: Diskurs/Interdiskurs und Literaturanalyse. S. 92.
13 Ebd. S. 93.