"Der Rundfunk ist aus einem Distributionsapparat in einen Kommunikationsapparat zu verwandeln. Der Rundfunk wäre der denkbar großartigste Kommunikationsapparat des öffentlichen Lebens, ein ungeheures Kanalsystem, d.h., er würde es, wenn er es verstünde, nicht nur auszusenden, sondern auch zu empfangen, also den Zuhörer nicht nur hören, sondern auch sprechen zu machen und ihn nicht zu isolieren, sondern ihn in Beziehung zu setzen. Der Rundfunk müßte demnach aus dem Lieferantentum herausgehen und den Hörer als Lieferanten organisieren." (Brecht 1967 [1932]; zitiert nach Roesler/Stiegler 2005: 219)
Diese Überlegungen bezüglich des Potenzials von Rundfunk, den Hörer aktiv in die Produktion von Inhalten einzubinden, damit der Hörer auch über das Radio kommunizieren kann, um in Gespräche und Debatten einbezogen zu werden, stellte Bertolt Brecht bereits vor 80 Jahren. Er erkannte in dieser damals neuen Form der öffentlichen Kommunikation ungeahnte Möglichkeiten, dem Normalbürger in gesellschaftliche Fragestellungen einzubeziehen, statt ihn lediglich mit Inhalten zu versorgen. Heute wissen wir, dass diese Vor-stellungen utopisch waren und diese Form der Integration des Bürgers lediglich in Bürgerradios mit recht geringer Reichweite realisiert wurde. Heute wissen wir aber auch, dass sich die Medien seitdem enorm gewandelt haben und es mit dem Internet mittlerweile ein Medium gibt, mit dessen Hilfe Normalbürger mit weit weniger Aufwand ihre Positionen und Ansichten der Öffentlichkeit vermitteln können. Mit der Verbreitung digitaler Medien und der weltweiten Vernetzung durch das Internet bis hin zur Entwicklung der Sozialen Medien waren vor allem am Anhang Hoffnungen verbunden, die der Vorstellung Brechts sehr nahe kamen. Vom „Abbau von Informationsungleichheiten und der Belebung von demokratischer Diskurse“ (Schmidt 2012: 4) und von der Annahme „das Internet erweitere und erneure die politische Bildung“ (Emmer/Vowe 2004: 192) war die Rede, ebenso davon, dass die Verbreitung des Web in der Lage wäre „den Dialog der Bürger untereinander zu fördern […]. Es sollte dadurch eine Mobilisierung bislang unterrepräsentierter oder nicht engagierter Bevölkerungsteile erreich[t werden], die sich online in politische Prozesse einbringen können“ (Schmidt 2006: 140).
Inhaltsverzeichnis
1 Einleitung
2 Medienwandel und Kommunikationswandel
2.1 Mediatisierung im digitalen Zeitalter
2.2 Vom WWW zum Web 2.0 – neue Möglichkeiten der Partizipation
3 (Gegen-)Öffentlichkeitswandel
3.1 Normatives Idealbild und Arenamodell von Öffentlichkeit im Wandel
3.2 Gegenöffentlichkeit und Partizipation im Wandel
4 Diskussion der Möglichkeiten und Grenzen der Beteilung an kritischer Öffentlichkeit im Web 2.0
4.1 Unabgeschlossenheit des Publikums
4.2 Offenheit gegenüber Themen und Meinungen
4.3 Gleichheit der Teilnehmer
4.4 Diskursivität
4.5 Fallbeispiel 1: BILDblog
4.6 Fallbeispiel 2: Protestbewegung gegen das Bauprojekt Stuttgart 21 auf Facebook und Twitter
5 Fazit
6 Quellen
1 Einleitung
"Der Rundfunk ist aus einem Distributionsapparat in einen Kommunikationsapparat zu verwandeln. Der Rundfunk wäre der denkbar großartigste Kommunikationsapparat des öffentlichen Lebens, ein ungeheures Kanalsystem, d.h., er würde es, wenn er es verstünde, nicht nur auszusenden, sondern auch zu empfangen, also den Zuhörer nicht nur hören, sondern auch sprechen zu machen und ihn nicht zu isolieren, sondern ihn in Beziehung zu setzen. Der Rundfunk müßte demnach aus dem Lieferantentum herausgehen und den Hörer als Lieferanten organisieren." (Brecht 1967 [1932]; zitiert nach Roesler/Stiegler 2005: 219)
Diese Überlegungen bezüglich des Potenzials von Rundfunk, den Hörer aktiv in die Produktion von Inhalten einzubinden, damit der Hörer auch über das Radio kommunizieren kann, um in Gespräche und Debatten einbezogen zu werden, stellte Bertolt Brecht bereits vor 80 Jahren. Er erkannte in dieser damals neuen Form der öffentlichen Kommunikation ungeahnte Möglichkeiten, dem Normalbürger in gesellschaftliche Fragestellungen einzubeziehen, statt ihn lediglich mit Inhalten zu versorgen. Heute wissen wir, dass diese Vorstellungen utopisch waren und diese Form der Integration des Bürgers lediglich in Bürgerradios mit recht geringer Reichweite realisiert wurde. Heute wissen wir aber auch, dass sich die Medien seitdem enorm gewandelt haben und es mit dem Internet mittlerweile ein Medium gibt, mit dessen Hilfe Normalbürger mit weit weniger Aufwand ihre Positionen und Ansichten der Öffentlichkeit vermitteln können. Mit der Verbreitung digitaler Medien und der weltweiten Vernetzung durch das Internet bis hin zur Entwicklung der Sozialen Medien waren vor allem am Anhang Hoffnungen verbunden, die der Vorstellung Brechts sehr nahe kamen. Vom „Abbau von Informationsungleichheiten und der Belebung von demokratischer Diskurse“ (Schmidt 2012: 4) und von der Annahme „das Internet erweitere und erneure die politische Bildung“ (Emmer/Vowe 2004: 192) war die Rede, ebenso davon, dass die Verbreitung des Web in der Lage wäre „den Dialog der Bürger untereinander zu fördern […]. Es sollte dadurch eine Mobilisierung bislang unterrepräsentierter oder nicht engagierter Bevölkerungsteile erreich[t werden], die sich online in politische Prozesse einbringen können“ (Schmidt 2006: 140). Heutzutage sind die Meinungen über das Potenzial des Internets die Bürgerbeteiligung am öffentlichen Austausch zu begünstigen differenzierter, da diese signifikanten Dynamiken in der Teilnahme an öffentlichen Diskursen ausgeblieben sind (vgl. Emmer/Vowe 2004: 191 f.; Kretschmer/Werner 2012: 4 f.).
Fest steht, dass sich unsere Mediennutzung mit dem Medienwandel verändert hat, denn heute nutzen wir Plattformen, wie Facebook und YouTube oder betreiben eigene Blogs , auf denen wir Inhalte veröffentlichen, die wir selbst produziert haben oder von denen wir meinen, dass sie der Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden sollten (vgl. Van de Donk et al. 2003: xiii). Und wenn wir nicht selbst Meinungsbeiträge publizieren, dann informieren wir uns über die Beiträge, die andere im Web 2.0 zugänglich gemacht haben. Natürlich macht dies nicht jeder im Internet und wenn doch, dann vielleicht nicht regelmäßig. Trotzdem können wir über das Internet sehr einfach eigene Beiträge verbreiten und haben dadurch auch die Gelegenheit Themen anzusprechen und Standpunkte zu äußern, die in den klassischen Massenmedien nicht vorkommen, wodurch sich kritische Gegenöffentlichkeiten in der Netzwelt bilden. Im Kern hat die „fortschreitende Digitalisierung der Gesellschaft […] zu Veränderungen der Teilhabemöglichkeiten und zu einem neuen Selbstverständnis im Kommunikations- und Interaktionsverhalten [geführt]“ (Roleff 2012: 15). Dies ist Grund genug, sich mit der Frage auseinanderzusetzen, welche Möglichkeiten Normalbürger denn überhaupt haben, sich an kritischen Öffentlichkeiten zu beteiligen und so an der Meinungsbildung teilzuhaben und welche Hürden es dabei aber auch selbst im Web 2.0 noch gibt. In diesem Zusammenhang müssen ebenfalls die Fragen geklärt werden, wie der Medienwandel sich auf das kommunikative Verhalten der Bürger, auf die Öffentlichkeit und auf die Bildung und Existenz von Gegenöffentlichkeit ausgewirkt hat.
Um diese Fragen zu beantworten werden zunächst theoretische Vorüberlegungen bezüglich der Mediatisierung gemacht, bei der es hier um den medialen Wandel hin zur Digitalisierung und die damit verbundenen Folgen für die Mediennutzung und das kommunikative Verhalten gehen soll (2.1). Um den Medienwandel zu konkretisieren wird dann ein Überblick über die Entwicklungen des Internets von einem Informationsmedium zu einem Interaktionsmedium gegeben, um die neuen Möglichkeiten des Austausches und der Vernetzung vorzustellen (2.2). Im darauffolgenden Kapitel wird die theoretische Rahmung abgeschlossen durch die Einführung in die theoretischen Entwürfe von Öffentlichkeit von Jürgen Habermas sowie Jürgen Gerhards und Friedhelm Neidhardt sowie den Wandel von Gegenöffentlichkeit im digitalen Zeitalter (3). Konkret soll es um Habermas’ Anforderungen an Öffentlichkeit sowie Gerhards und Neidhardts Funktionen von Öffentlichkeit gehen. Diese Anforderungen bilden dann auch das Gerüst für die Diskussion der Möglichkeiten und Grenzen der Partizipation an Gegenöffentlichkeiten im Web 2.0. Anhand dieser soll analysiert werden, welche Chancen zur Teilnahme die Bürger haben und wo aber auch die Grenzen darin liegen, sich am kritischen Diskurs zu beteiligen und zur Meinungsbildung beizutragen.
2 Medienwandel und Kommunikationswandel
Welcher Normalbürger hätte sich vor zehn Jahren vorstellen können, dass er über eine einzige Plattform im Internet mit all seinen Freunden als auch mit allen möglichen anderen Menschen auf der Welt verknüpft sein könnte, um sich mit ihnen auszutauschen? Natürlich gab es damals schon Chatrooms im Internet, aber die Bekanntschaften dort waren meist kurzlebig, ebenso wie die Gespräche. Heute hat jeder Internetnutzer die Möglichkeit, sich ein permanentes Profil auf Community-Plattformen wie Facebook oder Google+ anzulegen und mit Menschen auf der ganzen Welt in Verbindung zu treten, um Freundschaften zu pflegen, Kontakte zu knüpfen oder Interessen nachzugehen. Unvorstellbar war damals wahrscheinlich auch, dass der technische Fortschritt es Internetnutzern so einfach machen würde, seine Meinung zu allen möglichen Themen zu publizieren und praktisch für alle anderen Nutzer zugänglich zu machen. Damals wurden Foren oder Gästebücher auf themenspezifischen Websites benutzt oder Weblogs (Blogs), eine Art „Tagebuch“ mit mehr oder weniger regelmäßigen Einträgen der Seitenbetreibenden, eingerichtet, um Meinungen auszutauschen. Heute werden in viel größeren Netzwerken, die speziell dafür entwickelt wurden, Standpunkte kundgetan. Der Mikroblogging-Dienst Twitter bietet den Nutzern die Möglichkeit, in 140 Zeichen seiner Community zu vermelden, was sie bewegt und auf dem eigenen Profil oder sogenannten „Gefällt mir“-Seiten auf Facebook kann man einer mehr oder weniger großen Masse mitteilen, was man für wichtig hält. Kretschmer und Werner (2012) fassen zusammen: „Die Digitalisierung der Gesellschaft ist erst 20 Jahre alt, hat unseren Alltag jedoch grundlegend verändert […] Sie (die Internetnutzer, A. d. V.) beziehen dort Informationen, haben soziale Kontakte und mischen sich ein“ (3).
Nicht nur, dass die Reichweite und die Vernetzung dieser Seiten immer weiter steigt, auch die Möglichkeiten sich auszudrücken werden immer umfassender. Man kann andere Webseiten und somit andere Meinungen durch „Hyperlinks“ einbinden oder unterschiedliche Formen von Medien wie Bilder oder Audio- und Videodateien verwenden und so die Art und Weise der Ausdrucksweise variieren. Das bedeutet auch, dass nicht mehr nur die Massenmedien die Möglichkeit haben, für die Bürger relevante Themen zu bestimmen (Agenda Setting) und nach ihrem Ermessen zu vermitteln (Framing), sondern die Internetnutzer haben auch abseits der Themen und Meinungen in den Massenmedien die Möglichkeit sich an ein breites Publikum zu wenden und ihre Positionen zu die für sie relevanten Angelegenheiten darzustellen, sodass alternative öffentliche Diskurse entstehen können. Es vollzieht sich also ein Wandel der technischen Möglichkeiten medial zu kommunizieren und dies hat zur Folge, dass sich Menschen diese Innovationen für ihre Zwecke nutzen. Die Theorie, die diese Zusammenhänge von Medien- sowie Kommunikations- und Sozialwandel erfasst, wird in der Wissenschaft „Mediatisierung“ genannt und soll im Folgenden als theoretische Grundlage erläutert werden, um die Partizipation an Gegenöffentlichkeiten im Web 2.0 besser zu verstehen. Zudem soll danach erläutert werden, wie genau sich die Nutzungsmöglichkeiten verändert haben, bevor der theoretische Rahmen durch eine Einführung in die Begriffe der Öffentlichkeit und Gegenöffentlichkeit sowie deren Wandel abgerundet wird.
2.1 Mediatisierung im digitalen Zeitalter
Um die Relevanz des Themas meiner Arbeit zu untestreichen, möchte ich nun zunächst einen Überblick über die Mediatisierungstheorie geben, da dies wichtig ist, um zu verstehen, wie sich die Möglichkeiten der Partizipation an alternativen öffentlichen Diskursen im Web 2.0 entwickeln und wie und warum diese genutzt werden bzw. warum nicht. Der Begriff wurde im Wesentlichen vom Kommunikationswissenschaftler Friedrich Krotz geprägt, ist allerdings auch von einer Reihe anderer Wissenschaftler behandelt worden (vgl. Schulz 2004; Couldry 2008; Lundby 2009; Hjarvard 2008; Hepp/Krotz 2012: 7-22). Es geht mir allerdings nicht darum, die Mediatisierungsdiskussion nachzuzeichnen, sondern mich auf den Kern dieses Konzepts zu stützen und mich dafür auf den Entwurf von Krotz zu konzentrieren. Mediatisierung umfasst Vorgänge des Medienwandels und wie diese im Zusammenhang mit dem „kommunikativen Handeln“ (Krotz 2007: 12) der Menschen stehen, die Medien nutzen. Dieses kommunikative Handeln – basierend auf der „Theorie des kommunikativen Handeln“ von Jürgen Habermas (vgl. Wimmer 2007: 71/76 f. zitiert nach Habermas 1988a [1981]) – ist der Ansatzpunkt des Mediatisierungskonzeptes, da Kommunikation für Menschen eine Notwendigkeit darstellt, um ihre soziale Realität zu erzeugen und Beziehungen zu anderen Menschen aufzubauen und zu erhalten (vgl. Krotz 2007: 11 ff.). Das Konzept hat also die Absicht „soziale und kulturelle Konsequenzen aus den sich wandelnden Bedingungen für Kommunikation zu begreifen, die durch die Medienentwicklung zustande kommen“ (Krotz 2009: 28). Die Betonung liegt dabei darauf, dass es sich hier nicht um einen einseitigen Prozess handelt, bei dem die Medien die Kommunikationshandlungen bestimmen, sondern Folgen medialer Veränderungen und Verbreitungen davon abhängig sind, wie Nutzer sie aneignen und sich darüber verständigen, sodass wir hier von Wechselbeziehungen zwischen Wandel der Medien und Veränderungen von Kommunikation, Gesellschaft, Kultur und Alltag sprechen müssen (vgl. Krotz 2009: 24).
Mediatisierung ist jedoch keineswegs ein abgeschlossener Vorgang, sondern wird von Krotz als „Metaprozess“ verstanden (ähnlich Prozessen wie Globalisierung), weil es weder einen klaren Anfangs- oder Endpunkt noch räumliche und zeitliche Begrenzung für mediale Entwicklungen und deren Folgen gibt (vgl. Krotz 2009: 24 und Krotz 2007: 11 f.). Das bedeutet also, dass die heute zunehmend im digitalen Bereich stattfindende Kommunikation nicht an einen festen zeitlichen Rahmen oder Ort gebunden ist und sich zukünftige Konsequenzen aus dem Medienwandel nicht vorhersehen lassen (ebd.). Mediatisierungsvorgänge sind natürlich keine Erscheinung, die erst mit dem digitalen Zeitalter kam, sondern waren schon mit der Erfindung der Schrift zu beobachten. Im Laufe der Zeit haben sich drei Formen der mediatisierten Kommunikation herausgebildet, die man mediatisierungstheoretisch unterscheiden kann: die mediale, interpersonale Kommunikation (z. B. Telefon, Chat), die Kommunikation mit Medien im Sinne von Rezeption allgemein adressierter Inhalte (z. B. Fernsehen, Radio hören, Websites lesen) und die interaktive Kommunikation (z. B. mit Computern). Diese drei Formen werden danach unterschieden, mit wem oder was kommuniziert wird, sind aber alle im Prinzip Abwandlungen oder Weiterentwicklungen der „Face-to-Face-Kommunikation“ (Krotz 2007: 16 f. und 2009: 24). Der Medienwandel bezüglich der Ausbreitung digitaler Technologien hat sich auf all diese Formen der Kommunikation ausgewirkt, wenn man bedenkt, dass Nachrichten heute online gelesen werden, man über den Computer oder das Handy auf viele verschiedene Arten mit anderen Menschen kommunizieren kann oder es immer neue Computerspiele gibt. Das digitale Zeitalter ist dadurch gekennzeichnet, dass die Menschen immer mehr Angebote zur Mediennutzung bekommen und die Kommunikation durch Medien dadurch immer präsenter wird (vgl. Bieber 2012: 3). So kann man mittlerweile jederzeit im Internet Sendungen „on demand“ in Mediatheken sehen oder mit dem Smartphone E-Mails abrufen. Alte Medien werden dabei nicht durch neue ersetzt, sondern spielen parallel im Alltag eine Rolle (Fernseher, Internet, Handy). (Krotz 2007: 12f.) Das Medienrepertoire wird somit immer größer, was wiederum auch bedeutet, dass Menschen mehr Möglichkeiten haben, Medien zu nutzen, um sich bei der Partizipation an alternativen Öffentlichkeiten zu beteiligen. Mediatisierung hat also auch Folgen für die Bildung und das Bestehen von Gegenöffentlichkeiten im Web 2.0, abhängig davon, wie die technischen Innovationen angeeignet werden. Dies ist der zentrale Gegenstand dieser Arbeit. Wie genau sich die Internetkommunikation hin zu den sozialen Medien gewandelt hat, soll nun zusammengefasst werden.
2.2 Vom WWW zum Web 2.0 – neue Möglichkeiten der Partizipation
Der Beginn des Internets reicht in die 60er Jahre zurück, als während des Kalten Krieges in den USA ein Kommunikationssystem geschaffen werden sollte, in dem Universitäten und Forschungsinstitutionen miteinander in Verbindung bleiben könnten. Das Internet, wie wir es kennen, entstand allerdings erst in den 1990er Jahre, als das World Wide Web (WWW) entwickelt wurde, denn erst dadurch wurde „die hypertextuelle Verknüpfung verschiedener, dezentral gespeicherter Inhalte (Text, Bild, Ton)“ für den Nutzer in einem Browser, also einer Benutzeroberfläche, möglich (Historisches Lexikon der Schweiz 2011). Die Inhalte des WWW wurden in seinen Anfangszeiten von wenigen Produzenten zur Verfügung gestellt, während die Nutzer es in erster Linie zur Informationsbeschaffung verwendeten oder Tätigkeiten des Alltags ins das Internet zu verlegten (Nachrichten lesen, Informationen über Suchmaschinen finden, Online-Shopping oder E-Mails) (vgl. Schmidt 2012: 3).
In den frühen 2000er Jahren begann allerdings die Entstehung einer „Reihe interaktiver und kollaborativer Elemente des Internets“ (Bücker-Gärtner 2010: 74), die es den Nutzern nicht nur erlaubten, als Konsument aufzutreten, sondern selbst Inhalte zu produzieren und zu distribuieren („User Generated Content“) sowie mit anderen Personen über das Internet zu kommunizieren. Die Bezeichnung Web 2.0 in Anlehnung an die Bezeichnung weiterentwickelter Softwareversionen macht sich schnell breit, während sich neue Arten der digitalen Kommunikation den Weg bahnten (ebd.). „Das Internet der Gegenwart ist kein reines Abruf- und Transaktionsmedium mehr, sondern bietet die Infrastruktur für ‚soziale Medien’, die Partizipation und Teilhabe erleichtern“, fasst Schmidt die Funktion „neuer Medien“ zusammen (Schmidt 2012: 4). Der Begriff der „sozialen Medien“ („Social Media“), taucht zunehmend im Zusammenhang mit dem Web 2.0 auf und löst ihn wohlmöglich sogar irgendwann ab. Diesen Begriff definieren Andreas Kaplan und Michael Haenlein (2010) als „eine Gruppe von Internetanwendungen, die auf den technologischen und ideologischen Grundlagen des Web 2.0 aufbauen und die Herstellung und den Austausch von User Generated Content ermöglichen“ (59 ff.). Die Möglichkeiten der digitalen interaktiven Kommunikation, die den Nutzern im Web 2.0 zur Verfügung stehen, teilen sie in sechs Gruppen ein: Kollektivprojekte (z. B. Wikipedia, Indymedia), Blogs (z. B. BILDblog) und Mikroblogs (z. B. Twitter), Content Communities (z. B. YouTube, Flickr), soziale Netzwerke (Facebook, VZ-Netzwerke), Massively multiplayer online role-playing game (z. B. World of Warcraft) und Multi User Virtual Environments (z. B. Second Life) (ebd.). Sicher sind dies nicht alle Möglichkeiten, am Austausch von Inhalten im Internet teilzuhaben[1]. Hinzu kommt, dass sich die Möglichkeiten auch laufend weiterentwickeln und ändern. Diese Einteilung gibt jedoch einen umfassenden Überblick über die wichtigsten Bestandteile des Web 2.0. Für diese Arbeit sind dabei vor allem die Blogs, Mikroblogs und sozialen Netzwerke interessant, da diese in den Fallbeispielen noch einmal genauer untersucht werden. Besondere Merkmale der verschiedenen Arten sich im Web 2.0 zu artikulieren sind die Hypertextualität (andere Quellen oder weiterführende Inhalte können über Hyperlinks sehr einfach verbunden werden), die Multimedialität (Texte, Bilder, Audio- und Videodateien können kombiniert kommuniziert werden) und die Interaktivität (wechselseitiger Austausch zwischen Produzenten und Rezipienten z. B. durch Kommentieren in Weblogs), sodass die Kommunikation im Web 2.0 durch ihre Vielschichtigkeit dem Nutzer ein Gros an Gestaltungsmöglichkeiten der eigenen Partizipation bietet.
Bevor ich in dieser Arbeit darauf eingehe, welche Möglichkeiten Internutzer haben, sich an Gegenöffentlichkeiten zu beteiligen und welche Schwierigkeiten es dabei gibt, muss zunächst geklärt werden, was unter Öffentlichkeit und Gegenöffentlichkeit sowie Partizipation zu verstehen ist. Dabei werde ich auch erläutern, inwiefern sich diese Konzepte durch den bereits erläuterten medialen Wandel verändern. Dies dient dann als Basis um die Chancen und Grenzen der Beteiligung am öffentlichen Diskurs zu diskutieren. Als grundlegende Beschreibung von Öffentlichkeit werde ich mich die normative Vorstellung von Öffentlichkeit nach Jürgen Habermas umreißen, da im Zusammenhang mit der zunehmenden Durchsetzung sozialer Medien eine Annäherung an dieses Konzept vielerorts erwartet oder prophezeit wurde (vgl. Schmidt 2012: 4). Zudem werde ich mich dem „Arenamodell der Öffentlichkeit“ von Gerhards und Neidhardt bedienen, mit dem sie Orte beschreiben, an denen sich öffentliche Meinungsbildung ereignet und in denen es Akteure mit verschiedenen Rollen gibt sowie unterschiedliche Prozesse stattfinden. Schließlich werde ich einen Einblick geben, was in der Wissenschaft unter Gegenöffentlichkeit und Partizipation in diesem Kontext verstanden wird, da dies im Mittelpunkt der Arbeit steht.
[...]
[1] Zu nennen wären hier beispielsweise noch die Bereitstellung von Audiodateien in Form von Podcasts oder die schon sehr lange existierende Form des digitalen Meinungsaustauschs in Internetforen.