Mit Sicherheit hat sich ein jeder schon einmal gefragt, woher dieser oder jener Ortsname aus seiner Heimat stammt. Manch einer fragt es sich nur im Stillen und ein anderer versucht seine Fragen anhand von Literatur zu beantworten. Seit den 70er Jahren des letzten Jahrhunderts beschäftigen sich vermehrt Forschergruppen mit dem Thema der Namensforschung- und Bedeutung.
Die vorliegende Arbeit soll einen kurzen Einblick in das Gebiet der slawischen Ortsnamenforschung anhand von Beispielen aus dem Thüringer Raum geben und aufzeigen, wie schwierig es oftmals sein kann, den ursprünglichen Namen einer Siedlung oder Stadt herauszufinden, wenn diese bereits über einen längeren Zeitraum besteht und mehrere Wandel in der Schreibweise durchlebt hat. Dabei muss man unbedingt beachten, dass es kaum gesicherte Angaben zur Entstehungsgeschichte gibt und viele Interpretationen lediglich auf den Übersetzungen oder Namensableitungen basieren.
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
2. Bildungsmuster slawischer Ortsnamen im Thüringer Raum
2.1. Ortsnamen aus slawischen Vollnamen mit dem Suffix ,,-j“ und ,,-ici“
2.2. Ortsnamen aus slawischen Kurznamen mit dem Suffix ,,-j-“, ,,-ici“, ,,-ov“ und „-in“
2.3. PluralischeslawischeBewohnernamen(Tätigkeitsnamen)
2.4. slawischeBewohnernamenmitEndungauf„-jane“
2.5. mit slawischen Sachwörtern gebildete Ortsnamen mit dem Suffix „-ica“ 7 und „-ina“
2.6. slawische Einzelnamen
2.7. sorbische Personennamen mit deutschem Ortsnamen-Grundwort
2.8. deutschesLehnwortmitsorbischemOrtsnamen-Suffix
2.9. deutscheOrtsnamenfürsorbischeSiedlungen
3. Zusammenfassung
4. Literaturangaben
1. Einleitung
Mit Sicherheit hat sich einjeder schon einmal gefragt, woher dieser oderjener Ortsname aus seiner Heimat stammt. Manch einer fragt es sich nur im Stillen und ein anderer versucht seine Fragen anhand von Literatur zu beantworten. Seit den 70er Jahren des letzten Jahrhunderts beschäftigen sich vermehrt Forschergruppen mit dem Thema der Namensforschung- und Bedeutung.
Die vorliegende Arbeit soll einen kurzen Einblick in das Gebiet der slawischen Ortsnamenforschung anhand von Beispielen aus dem Thüringer Raum geben und aufzeigen, wie schwierig es oftmals sein kann, den ursprünglichen Namen einer Siedlung oder Stadt herauszufinden, wenn diese bereits über einen längeren Zeitraum besteht und mehrere Wandel in der Schreibweise durchlebt hat. Dabei muss man unbedingt beachten, dass es kaum gesicherte Angaben zur Entstehungsgeschichte gibt und viele Interpretationen lediglich auf den Übersetzungen oder Namensableitungen basieren.
Einen wichtigen und bedeutenden Schritt in der Slawenforschung tat der deutsche Historiker und Professor für mittelalterliche Geschichte Wolfgang Hermann Fritze. Er begründete im Jahr 1976 an der Freien Universität Berlin die interdisziplinäre Arbeitsgruppe „Germania Slavica“. Nach seinem Tod wurde das Projekt 1996-2007 vom „Geisteswissenschaftlichen Zentrum“ der Universität Leipzig unter Förderung der DFG weitergeführt. Die Arbeitsgruppe beschäftigte sich mit Fragestellungen zum mittelalterlichen Landesausbau zu deutschem Recht in Ostmitteleuropa und definierte den Begriff „Germania Slavica“ als „Vorgang der Akkulturation und Transformation im Laufe des hochmittelalterlichen Landesausbaus“.[1] Geprägt wurde der Begriff jedoch bereits von Walter Schlesinger 1961, der einen Gegenbegriff zur „Germania Romana“[2] suchte, welcher die deutsche Sprach- und Ortsnamenentwicklung unter Einwirkung slawischer Einflüsse bezeichnen sollte.[3] Etwa zeitgleich mit Wolfgang Fritze beschäftigte sich der Linguist Ernst Eichler als Mitglied der sächsischen Akademie der Wissenschaften zu Leipzig mit der slawischen bzw. sorbischen Namenforschung.[4] Bis heute wurden 41 Bände der Reihe „Deutsch-Slawische Forschung zur Namenkunde und Siedlungsgeschichte“ (kurz: DSF) herausgegeben.
Anhand der Vielzahl heutiger deutsch-slawischer Ortsnamen im ostdeutschen Raum kann recht gut die Ausdehnung der slawischen oder sorbischen Sprache erkannt werden. Waren die Namen der Orte einmal festgelegt, so blieben sie häufig in ihrer Basis bestehen.[5] Selbst als infolge der Ausweitung deutscher Herrschaft im 12. und 13. Jhd. die slawische Sprache zurückgedrängt wurde, blieben die Ortsnamen, mit Veränderungen in der Schreibweise, weitestgehend erhalten.[6] Ob das Miteinander von Deutschen und Slawen überwiegend friedlich oder kriegerisch ablief, davon ist in den Quellen wenig bekannt. Da es aber zahlreiche Ortsnamen auf deutschem Gebiet gibt, die slawischen Ursprungs sind und nicht geändert wurden, ist ein friedliches Zusammenleben durchaus anzunehmen. Warum auch sollte ein Zusammentreffen verschiedener Kulturen immer zu gewaltsamen Auseinandersetzungen führen, zumal es genug fruchtbares Land gab und man Technologien und Wissen tauschen konnte? In der Hochphase des Landesausbaus wurden großflächig geplante Neusiedlungen mit Ackerflächen angelegt und slawische Vorsiedlungen häufig eingegliedert. Dörfer, die vor allem slawisch geprägt waren, kennzeichnete Wolfgang Fritze als sogenannte „villae slavicales“, also slawische Städte/Landgüter.[7] Wurde ein deutsches Dorf neben einem slawischen gegründet, so konnte es auch zu einer Übernahme des Namens kommen. Da Siedlungen oftmals naturräumliche (Toponyme) oder personenbezogene (Anthroponyme/Eponyme) Bezeichnungen trugen, kam es nicht selten vor, dass das Nachbardorf den gleichen Namen trug. Um Verwechslungen vorzubeugen, setzte man Präfixe wie „Deutsch-“, „Wendisch-/Windischen-“, „Groß-“, „Klein-“, „Ober-“ oder „Unter-“ davor.[8] Mancherorts sind die Siedlungen nicht mehr klar ethnisch abzugrenzen, was an den sogenannten slawischdeutschen Mischnamen liegt. Bei derartigen Benennungen fand wohl durch (Ver)-Hörensagen und fehlende Rechtschreibregeln ab 1400 eine Transformation über mehrere Jahrhunderte statt, sodass es heute nicht leicht fällt, den ursprünglichen Wortlaut und die Namensbedeutung der jeweiligen Wohnstätte zu ergründen.[9] Einen weiteren „onomastischen Stolperstein“ findet man zum Beispiel in der Lausitz, wo sich die slawische (bzw. sorbische) Sprache noch teilweise erhalten hat.[10] Dort kam es vor, dass ehemals deutsche Ortsnamen ins Sorbische übersetzt wurden und man nun „Gefahr läuft“ eine urslawische Siedlung anzunehmen.[11] Nach Ernst Eichler gab es einige slawische Dialekte im deutschen Sprachraum. Neben dem Sorbischen existierte wohl bis 1700 noch das Altpolabische, welches Einfluss auf die Namensgebung hatte. Stämme mit diesem Dialekt sollen bereits im 7. Jhd. in deutsches Gebiet eingewandert sein und die Namenslandschaft geprägt haben.[12] Große Bedeutung misst Eichler den Gewässernamen (Hydronymen) zu, da die „wichtigsten und längsten Flüsse des Raumes (wie Elbe, Oder, Havel, Elster [...]) keine slawischen Namen [tragen], sondern aus vorslawischer Zeit [stammen].“ Diese sollen von der ansässigen, germanischen Bevölkerung einst benannt und an die slawischen Einwanderer weitergegeben worden sein, wodurch wohl Angleichungen an den slawischen Dialekt erfolgten.[13]
2. Bildungsmuster slawischer Ortsnamen im Thüringer Raum
Ivan Lutterer schreibt im Sammelband von Teodolius Witkowskis „Forschungen zur slawischen und deutschen Namenkunde“ kurz und verallgemeinernd, dass „toponymische Suffixe [...] aus appellativischen Suffixen hervorgegangen [sind]“.[14] Das bedeutet vereinfacht, dass aus verschiedenen Sach-, Gattungs-, und Personenbezeichnungen die heutigen Ortsnamen entstanden. Die häufigsten Endungen im tschechischen Raum sind „-ic“, „-ov, „-in“, „-ovice“, „-ovici“, „-nik“, „-sk“, „-icha“ und „-sko“. Dabei steht „-sko“ für Wüstungen oder aus Wüstungen wieder errichtete Dörfer und „-ov/-ovici/-ici“ für besitzanzeigende oder eine Bevölkerung bezeichnende Siedlungen. Diese Endungen wurden u.a. verwendet, um die Siedlung nach der Zugehörigkeit der Leute zu einer Person zu benennen („Der Ort der Leute/Familie des ...“). Trägt manch ein Ort statt einem „-ovice“ ein „-ov“ im Namen, kann es auch ein Hinweis auf ein noch vorhandenes oder einst dagewesenen Kloster sein. Dieses andere Wortbildungsmodell soll im tschechischen eine höhere Stellung der Stadt oder Siedlung anzeigen. Eine Garantie, dass diese Regel immer gilt, gibt esjedoch nicht.[15] Im Grunde haben slawische Ortsnamen das gleiche Bildungsmuster bzw. den gleichen Hintergrund wie im Deutschen. Benennungen nach naturräumlichen oder personellen Gegebenheiten sind bei beiden üblich. Der Unterschied ist aber, dass im Deutschen eher Wortverbindungen (Komposita) und im Slawischen vorwiegend Ableitungen (Derivate) gebildet werden wie z. B. für Bewohnernamen „Dresdjane“ = Dresden, mit der Bedeutung: „Leute, die im Wald wohnen“ oder bei „Droganici“ = Leute (Familie) des Drogan.[16] Heinz Rosenkranz, der seine Dialektforschungen auf den Thüringer Raum bezog, beschrieb in seiner 1982 publizierten Monographie „Ortsnamen des Bezirks Gera“ rund 18 verschiedene Bildungsmuster bzw. Wortendungen, die auf slawische oder deutsch-slawische Besiedlung im Raum Gera hindeuten. Als Gründe für die Besiedlung des Landstriches um Gera fuhrt er das frühindustrielle Streben nach Bodenschätzen und Bergbächen als neue Energiequellen an, da weiter östlich bereits Landschaften wüst gefallen sind aufgrund von starker Nutzung der Anbauflächen und Thüringen wegen seiner Topographie Erwerbsmöglichkeiten wie Mühlen, Eisenhämmer und Kupferhütten bietet. Neue, landwirtschaftliche Siedlungen sind daher fast nur durch Gründung von Arbeitersiedlungen auf bereits erschlossenem Land entstanden. Diese sindjedoch meistens keine selbstständigen Gemeinden geworden.[17] Als Indiz für die sorbische Besiedlung nennt Heinz Rosenkranz die Tatsache, dass etwa % der Ortsnamen um Gera slawischer Herkunft sind. Zumeist bestehen die Sachwörter aus Fluss- und Flurnamen gebildeten, sowie auf Waldrodung schließende Ortsnamen, was klar belegt, dass die Sorben erheblich am Landesausbau beteiligt gewesen sein müssen.[18] Dabei bemerkt er, dass die Deutung dieser Namen oftmals schwierig ist, da viele Ortsbezeichnungen nach altsorbischer Mundart geschrieben sind und das Altsorbische weniger gut bekannt bzw. schlecht überliefert ist. Die obersorbische Mundart im Kreis Gera ist bspw. nur noch durch einzelne Orts- und Personennamen nachweisbar. Vor Beginn des 14. Jhd. war Sorbisch noch Gerichtssprache im Leipziger und Altenburger Raum, danach verlieren sich die Quellen.[19] Eine Ursache kann die wachsende Ablehnung der Sorben gewesen sein. Etwa ab der Mitte des 14. Jhd. gibt es wohl Hinweise auf gesetzliche Diskriminierung der außerhalb von deutschen Städten lebenden, slawischen Bevölkerung. Verschiedene Zünfte begannen für die Aufnahme besondere Kriterien zu fordern, wie z. B. den Nachweis einer deutschen Volkszugehörigkeit. Natürlich ist es möglich, dass die ablehnende Haltung den „Wyndischen Lueten“[20] gegenüber schon vorher bestand, doch akzeptierte man mancherorts wohl einander, da der Landesaus- und Aufbau im Vordergrund stand.[21]
Bei der schriftlichen Aufzeichnung der Orte entstanden typische Probleme zwischen Kulturen, die ein zum Teil völlig anderes Lautsystem haben. Deutsche Schreiber nahmen sorbische Ortsbezeichnungen so auf, wie sie sie verstanden und mit ihrem vorhandenen Alphabet erfassen konnten. Es war daher wohl unvermeidlich, dass Schreibfehler entstanden und Orte ihre eigentliche Sinnbezeichnung verloren.
[...]
[1] Internetpräsenz der GWZO: http://www.uni-leipzig.de/~gwzo/index.php7ItemidH088 [Abruf: 01.03.2013].
[2] Anmerk.: dem durch romanische Sprachen geprägten Teil Deutschlands.
[3] Internetpräsenz der SAEBI: http://saebi.isgv.de/biografie/WalterSchlesinger%281908-1984%29 [Abruf: 01.03.2013].
[4] Internetpräsenz der SAW Leipzig: http://www.saw-leipzig.de/mitglieder/eichlere [Abruf: 01.03.2013].
[5] Joachim Herrmann (Hrsg.), Die Slawen in Deutschland (1985), S. 1.
[6] Winfried Schich, Slawen und Deutsche im Gebiet der Germania Slavica. In: Joachim Herrmann (Hrsg.), Die Slawen in Deutschland (1985), S. 404.
[7] Winfried Schich, Slawen und Deutsche im Gebiet der Germania Slavica. In: Joachim Herrmann (Hrsg.), Die Slawen in Deutschland (1985), S. 407.
[8] Ebd., S. 407.
[9] Heinz Rosenkranz, Ortsnamen des Bezirkes Gera (1982), S. 47.
[10] Ernst Eichler (Hrsg.), Ergebnisse der Namenforschung im deutsch-slawischen Berührungsgebiet (1982), S.11.
[11] Winfried Schich, Slawen und Deutsche im Gebiet der Germania Slavica. In: Joachim Herrmann (Hrsg.), Die Slawen in Deutschland (1985), S. 407-408.
[12] Ernst Eichler (Hrsg.), Ergebnisse der Namenforschung im deutsch-slawischen Berührungsgebiet (1982), S. 1112
[13] Ernst Eichler (Hrsg.), Ergebnisse der Namenforschung im deutsch-slawischen Berührungsgebiet (1982), S. 1213 sowie: Ernst Eichler, Teodolius Witkowski, Einwanderung und Wohnsitze der slawischen Stämme in Mitteleuropa. In: Joachim Herrmann (Hrsg.), Die Slawen in Deutschland (1985), S. 11-12.
[14] Ivan Lutterer, Zur Entwicklung der Bildungstypen slawischer Ortsnamen. In: Teodolius Witkowski (Hrsg.), Forschungen zur slawischen und deutschen Namenkunde (1971), S. 8.
[15] Ebd., S. 10.
[16] InternetpräsenzvonOnomastik.com: http://www.onomastik.com/onslawischeortsnamen.php [Abruf: 01.03.2013]. Heinz Rosenkranz, Ortsnamen des Bezirkes Gera (1982), S. 54.
[17] Heinz Rosenkranz, Ortsnamen des Bezirkes Gera (1982), S. 44.
[18] Ebd., S. 48.
[19] Ebd., S. 47.
[20] Ebd., S. 47.
[21] Winfried Schich, Slawen und Deutsche im Gebiet der Germania Slavica. In: Joachim Herrmann (Hrsg.), Die Slawen in Deutschland (1985), S. 410.