Zwischen Franz Kafka und seinem Vater herrschten viele Differenzen. In dieser Facharbeit werden Parallelen zwischen der Familie Kafka und der Familie Samsa aufgestellt und belegt, dass Kafka Gregor Samsa als Metapher für sich selbst als ungeliebten Sohn erschaffen hat. Aber was genau war das Problem, das diesen Konflikt zwischen Kafka und seinem Vater verursachte, und inwiefern tritt es in der Verwandlung auf? Und vor allem, was hebt Kafkas Erzählung hervor und macht sie noch heute so interessant und aktuell? Hier sollen diese Fragen also alle beantwortet werden. Dabei werden zuerst die Figuren der Familie aufgestellt und die Einstellungen und Beziehungen der Einzelnen zueinander und vor allem zwischen Gregor und dem Vater herausgearbeitet. Dann werden die Parallelen zwischen Kafka und Samsa anhand des Briefes an den Vater belegt, und es wird versucht, das eigentliche Problem, das zwischen Franz Kafka und seinem Vater existierte, zu erfassen.
Diese Facharbeit bietet einen kleiner Versuch, in die Phantasiewelt von Franz Kafka einzutauchen und sie zu verstehen.
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
2. Der Vater Sohn-Konflikt in der Verwandlung
2.1. Die Entstehung der Verwandlung
2.2. Die Figuren und ihre Bedeutung für Gregors Vaterproblem
2.2.1. Gregor, der Käfer als Metapher für den unakzeptierten Sohn
2.2.2. Der übermächtige Vater
2.2.3. Die treulose Schwester
2.2.4. Die ohnmächtige Mutter
2.2.5. Fazit
3. Die Spiegelung des Vater-Sohn Konflikts der Verwandlung im Brief an den Vater
4. Schlussbemerkung
5. Literaturverzeichnis
1. Einleitung
Zwischen Franz Kafka und seinem Vater herrschten viele Differenzen. In dieser Facharbeit werden Parallelen zwischen der Familie Kafka und der Familie Samsa aufgestellt und belegt, dass Kafka Gregor Samsa als Metapher für sich selbst als ungeliebten Sohn erschaffen hat. Aber was genau war das Problem, das diesen Konflikt zwischen Kafka und seinem Vater verursachte, und inwiefern tritt es in der Verwandlung auf? Und vor allem, was hebt Kafkas Erzählung hervor und macht sie noch heute so interessant und aktuell? Hier sollen diese Fragen also alle beantwortet werden.
Dabei werden zuerst die Figuren der Familie aufgestellt und die Einstellungen und Beziehungen der Einzelnen zueinander und vor allem zwischen Gregor und dem Vater herausgearbeitet. Dann werden die Parallelen zwischen Kafka und Samsa anhand des Briefes an den Vater belegt, und es wird versucht, das eigentliche Problem, das zwischen Franz Kafka und seinem Vater existierte, zu erfassen.
Diese Facharbeit bietet einen kleiner Versuch, in die Phantasiewelt von Franz Kafka einzutauchen und sie zu verstehen.
2. Der Vater-Sohn Konflikt in der Verwandlung
2.1. Die Entstehung der Verwandlung
Am 17. November 1912 schreibt Kafka an seine Verlobte Felice Bauer: „ Ich werde [ … ] heute [ … ] eine kleine Geschichte niederschreiben, die mir in dem Jammer im Bett eingefallen ist. “ 1
Mit dieser kleinen Geschichte ist Die Verwandlung gemeint, die er selber in einem weiteren Brief an Felice als ekelhaft bezeichnet hat und die er in drei Wochen vollendet hat.2
Franz Kafka ist zu diesem Zeitpunkt 29 Jahre alt und seine „ ermüdende, monotone Büroarbeit als Versicherungsangestellter und die Abhängigkeit von den Eltern, die für seine schriftstellerische Tätigkeit kein Verständnis aufbringen, rufen in ihm beständig Gefühle [ … ] der Unzufriedenheit mit seinem Leben hervor. “ 3
Die Ausgeburt dieser Unzufriedenheit ist das Ungeziefer Gregor Samsa, dessen tragisches Schicksal drei Jahre später im Oktoberheft der expressionistischen Zeitschrift Die weißen Blätter veröffentlicht wird.4
Das rätselhafte Insekt wollte Kafka nicht gezeichnet haben, so ist auf dem Deckblatt der Erstausgabe in Buchform von 1915 ein Mann abgebildet, der sein Gesicht mit seinen Händen bedeckt und mit dem Rücken zur Tür steht.5
2. 2. Die Figuren und ihre Bedeutung für Gregors Vaterproblem
2.2.1. Gregor der Käfer als Metapher für den unakzeptierten Sohns
Gregor, der Schuldträger, der Belastbare, der die Existenz seiner Familie vollständig trägt, findet sich eines Morgens in der Gestalt eines ungeheuren Ungeziefers wieder:
„ Als Gregor Samsa eines Morgens aus unruhigen Träumen erwachte, fand er sich in seinem Bett zu einem ungeheuren Ungeziefer verwandelt. “ (V, S.56)6. Anstatt entsetzt auf seine körperliche Veränderung zu reagieren, nimmt er diese relativ gelassen hin, während er sich Sorgen über die Verspätung im Beruf macht (vgl. V, S.57), den er zwar nicht liebt, aber für seine Familie ausübt, um die Schulden des Vaters abzutragen.
„ Wenn ich mich nicht wegen meinen Eltern zurückhielte, ich hätte längst gekündigt, ich wäre vor den Chef hin getreten und hätte ihm meine Meinung von Grund des Herzens aus gesagt. Vom Pult hätte er fallen müssen. “ (V, S.58)
Er ist ein abhängiger Angestellter, der trotz seiner harten Arbeit bloß die Liebe seiner Schwester bekommt (Vgl. V, S.75) und nach der Intention der Eltern ohne die Möglichkeit der eigenen Verwirklichung lebt.
Die plötzliche Verwandlung lähmt Gregor geradezu und lässt ihn in seinem Zimmer eingesperrt wie ein Tier und sowohl von der Gesellschaft als auch von der eigenen Familie isoliert vor sich hinvegetieren. Nur zur Schwester hat er insofern Kontakt, als dass sie sich wenigstens anfangs liebevoll um ihn bemüht: „ Gregor, brauchst du etwas? “ (V, S. 58) Gregor entdeckt schnell seine neuen Vorlieben, wie zum Beispiel die neue Vorliebe für „ halbverfaultes Gemüse “ oder „ ein(en) Käse, den Gregor vor zwei Tagen für ungenießbar erklärt hat “ (V, S.72), oder das Verkriechen unter das Kanapee (Vgl. S.71), Außerdem entdeckt er an sich neue körperliche Eigenschaften, wie zum Beispiel den „ starken Kiefer “ (V, S.65) und die vielen keinen Beinchen:
„ [Gregor] fiel aber sofort, nach einem Halt suchend, mit einem kleinen Schrei auf seine vielen kleinen Beinchen nieder. Kaum war das geschehen, fühlte er zum erstenmal an diesem Morgen ein körperliches Wohlbehagen; die Beinchen hatten festen Boden unter sich; sie gehorchten vollkommen, wie er zu seiner Freude merkte [ … ] und schon glaubte er, die endgültige Besserung alles Leids stehe unmittelbar bevor. “ (V, S.68)
Gregor findet in seiner Einsamkeit neue Freuden, die sich von den alten Zeitvertreiben wie das Studieren des Fahrplans und Laubsägearbeiten (Vgl. V, S.63) unterscheiden. Er liebt es über Wände und Decken seines Zimmers zu kriechen und klebrige Spuren zu ziehen (Vgl. V, S.78-79), oder er schaut aus dem Fenster. (Vgl. V, S.76)
Die neuen Eigenschaften ersetzten allerdings seine alten, sodass Gregor nicht nur den aufrechten Gang, sondern auch das Sehvermögen (Vgl. V, S.77) und die Sprache, die durch ein „ nicht zu unterdrückendes, schmerzendes Piepsen “ (V, S.58) ersetzt wird, einbüßen muss. Gerade die Unmöglichkeit der Kommunikation macht es der Familie und Gregor schwer sich zu verständigen und wirft sie noch mehr auseinander.
Gregors Versuche aus seinem Zimmer auszubrechen scheitern eben auch aus diesem Grund. Zur gewünschten Übereinkunft mit dem Vater kann es so auch deshalb nicht kommen, weil die Familie nicht glaubt, dass Gregor sie überhaupt versteht (Vgl. V, S.95), und so wird er immer nur gewalttätig in sein Zimmer zurück gescheucht.
Gregor ist ein Gefangener in einer Welt, in die er nicht länger passt. Ob es also nun die Traurigkeit über das einsame Leben, die Unzufriedenheit über die Vernachlässigung der Pflege seines Zimmers (Vgl. V, S.88), die schmerzende Wunde vom Apfel, der in seinem Rücken verfault, (Vgl. V, S. 96) oder die Appetitlosigkeit angesichts der ihm dargebotenen Speisen (Vgl. V, S.87) ist, Gregor hört auf zu essen und sehnt sich nach einer ihm fremden Nahrung. (Vgl. V, S.92)
Diese Nahrung, nach der er sich sehnt, ist die Musik, das Violinenspiel seiner Schwester, und so stellt er sich die Frage: „ War er ein Tier, da ihn Musik so ergriff? “ (V, S.92) Eine rhetorische Frage, denn die Kunst ist das, was einen menschlich macht, und doch ist es die Nahrung, die er erst in Gestalt des Käfers zu brauchen scheint, und er erkennt erst jetzt den Sinn der Kunst.
Das Erlebnis mit der Musik, die schnell wieder verklingt, und den Reaktionen der Familie, die ihn loswerden will, lässt Gregor realisieren, dass ein Leben in dieser Welt für ihn bloß schlecht ist. Und so stirbt er kraftlos und völlig abgemagert, aber „ an seine Familie dachte er mit Rührung und Liebe zurück. “ (V, S.96)
Nun lässt sich die These aufstellen, dass Kafka in dem ungeliebten Käfer Gregor sich selbst verkörpert. Er benutzt Gregor als Metapher für den Sohn, der die Kunst liebt und vom Vater nicht geliebt wird. Diesen biographischen Bezug wird die anstehende Untersuchung des Briefes an den Vater beweisen. Zunächst sollen aber die weiteren Familienmitglieder beleuchtet werden.
2.2.2 Der übermächtige Vater
Der Vater macht im Laufe der Geschichte eine große Verwandlung durch. Er hat die „ letzten fünf Jahre nichts gearbeitet “ (V, S.76) und trug meistens bloß einen Schlafrock und saß auf seinem Lehnstuhl und hatte dabei „ viel Fett angesetzt “ . (V, S.76)
Die Verwandlung des Vaters veranlasst Gregor zu der Frage: „ War das noch der Vater? “ (V, S.83), denn dieser tritt nun als machtvoller, geradezu übermächtiger Opponent Gregors und als Autoritätsperson der Familie auf:
„ Nun aber war er recht gut aufgerichtet; in eine straffe blaue Uniform mit Goldknöpfen gekleidet, wie sie Diener der Bankinstitute tragen [ … ], unter den buschigen Augenbrauen drang der Blick der schwarzen Augen frisch und aufmerksam hervor; das sonst zerzauste weiße Haar war zu einer peinlich genauen, leuchtenden Scheitelfrisur niedergekämmt. “ (V, S. 86)
Gegenüber Gregor sieht der Vater „ nur die gr öß te Strenge für angebracht “ (V, S.84) und geht so bei Gregors Versuchen auszubrechen immer gewaltsam gegen diesen vor. Er stößt „ Zischlaute “ aus wie „ ein Wilder “ (V, S.69) und scheucht Gregor nicht nur zurück in sein Zimmer, sondern verletzt ihn dabei auch. Es bleibt dabei nicht bloß bei einer am Türrahmen wundgeriebenen Flanke (Vgl. V, S.69), bei Gregors zweitem Ausbruch wirft der Vater ihm einen Apfel in den Rücken, der eine langsam zum Tode führende Wunde verursacht:
„ Aus der Obstschale auf der Kredenz hatte er sich die Taschen gefüllt und warf nun [ … ] Apfel für Apfel. [ … ] Ein schwach geworfener Apfel streifte Gregors Rücken [ … ]. Ein ihm sofort nachfliegender drang dagegen förmlich in Gregors Rücken ein. “ (V, S. 84)
Der Vater ist Gregor in aller Hinsicht überlegen und Gregor hat ihm gegenüber keine Macht: „ [ … ] denn während der Vater einen Schritt machte, mußte er eine Unzahl von Bewegungen ausführen “ (V, S.84). So ist es ihm nicht einmal möglich, dem Vater zu entkommen.
[...]
1 Kafka, Franz: Briefe an Felice und andere Korrespondenz aus der Verlobungszeit. Hg. von Erich Heller und Jürgen Born. Fischer Taschenbuch Verlag. Frankfurt am Main 1976. S.102.
2 Vgl. Pfeiffer, Joachim: Franz Kafka. Die Verwandlung/ Brief an den Vater. Hg. von Michael Bogdal und Clemens Kammler. Oldenbourg Schulbuch Verlag. München 19981. S.28f.
3 Ebd., S.29.
4 Vgl. Ebd., S.27.
5 Vgl. Binder, Hartmut: Franz Kafka. C.H. Beck Verlag. München 2009. S.137.
6 Das Kürzel V mit Seitenzahlen bezieht sich auf: Kafka, Franz: Die Verwandlung. In: Kafka, Franz: Sämtliche Erzählungen. Hg. von Paul Raabe. Fischer Taschenbuch Verlag. Frankfurt am Main 198218. S.56-100.