Untersucht wurde das Rehabilitationsverhalten von 9410 Karzinompatienten, welche bei der Allgemeinen Ortskrankenkasse Mettmann zwischen 1987 und 1996 versichert waren. Es handelt sich dabei sowohl um selbstversicherte als auch familienversicherte Mitglieder. Die Patienten wurden in vier Karzinomtypgruppen eingeteilt: Patienten mit Mammakarzinom, Karzinomen der oberen und unteren Luftwege (kurz „HNO“), Unterleibskarzinom oder Magen-Darm-Karzinom. Insgesamt zeigte die Geschlechterverteilung bei allen Rehapatienten ein Verhältnis von 2:1 mit doppelt so viel Männern als Frauen. Die Befunde zeigen, daß unter den männlichen Patienten die Tendenz, eine Rehabilitation in Anspruch zu nehmen, über die Altersgruppen sehr uneinheitlich ausgeprägt ist. In der untersten Altersgruppe ist sie deutlich schwächer als in der folgenden Altersgruppe der 40 bis 55- jährigen; hier ist die Tendenz am größten.
Weiterhin konnte gezeigt werden, daß die Unterschiede in der Inanspruchnahme von Rehaleistungen über die verschiedenen Krankheitsgruppen im betrachteten Zeitraum sich nicht sehr deutlich unterscheiden.
Auch eine schichtenspezifische Inanspruchnahme von Rehamassnahmen ließ sich nicht nachweisen in der betrachteten Population.
Dahingegen ließ sich die Tendenz aufzeigen, daß die Inanspruchnahme von Rehabilitationsmassnahmen, mit der Zahl der stationären Voraufenthalte in einem Krankenhaus der Akutversorgung zunimmt. Dies betrifft bei den Männern die Patienten mit Magen-Darm- und die mit HNO-Karzinomen. Bei den Frauen zeigt sich diese Tendenz nicht.
Zudem wurde das Rückkehrverhalten in das Berufsleben bei Rehabilitanden und Nicht-Rehabilitanden untersucht. Betrachtet wurden dabei zwei Patientengruppen: Patienten mit Krebserkrankungen (insgesamt 9410 Patienten) und Patienten mit Myokardinfarkt (insgesamt 6258 Patienten). Es konnte gezeigt werden, daß in beiden Gruppen signifikant mehr Patienten in das Berufsleben zurückkehrten, wenn eine rehabilitative Maßnahmen durchgeführt wurde. Zudem zeigte sich, daß in beiden Gruppen nach einer Rehabilitation mehr Männer als Frauen in das Berufsleben zurückkehrten.
Ein signifikanter Unterschied zwischen den sozioökonomischen Gruppen bezüglich der Rückkehr ins Berufsleben ließ sich nur bei den Karzinompatienten zeigen, nicht bei Infarktpatienten: es kehrten weniger ungelernte Arbeiter und weniger einfache Angestellte in das Berufsleben zurück als erwartet. Dafür kehrten signifikant mehr Facharbeiter in das Berufsleben zurück.
Inhaltsverzeichnis
Vorwort
Einleitung
Methoden
Ergebnisse
Diskussion
Zusammenfassung
Literaturverzeichnis
Vorwort
Die medizinische Rehabilitation in Deutschland ist ein noch ziemlich junges Glied in der Versorgungskette des deutschen Gesundheitssystems, das sich erst im letzten Drittel des vergangenen Jahrhunderts nach und nach hat etablieren können.
Der Unterbereich der onkologischen Rehabilitation hat seine Entwicklung aus der langjährig kurmedizinisch geprägten Position zum professionellen Rehabilitationszweig sogar erst Mitte der 90er Jahre des letzten Jahrhunderts begonnen. Infolgedessen ist die Anzahl anwendungsbezogener Studien zur stationären onkologischen Rehabilitation noch limitiert und es besteht ein hoher Forschungsbedarf zur Ermittlung von Aussagen zur Qualität und zum Erfolg der durchgeführten Maßnahmen.
Aus diesem Grund findet sich ein zwar wachsender, jedoch im Vergleich zu anderen Rehabilitationsbereichen noch sehr eingeschränkter Literaturhintergrund, weswegen sich zu einigen der hier untersuchten Fragestellungen keine Vergleichsdaten in der gesichteten Literatur finden ließen.
Einleitung
Unter der medizinischen Rehabilitation allgemein versteht man die Behandlung sowohl Kranker als auch Genesender und Behinderter um mit Hilfe spezieller Mittel und Maßnahmen im Sinne der Sekundär- und Tertiärprävention vorhandene oder absehbare gesundheitliche Schädigungen zu verringern und Restfunktionen zu verbessern (1). Im letzten Drittel des vergangenen Jahrhunderts hat sich die medizinische Rehabilitation in Deutschland zu einem festen Glied in der Versorgungskette des deutschen Gesundheitssystems entwickelt. Seit den 80er Jahren unterliegt sie einem Modifikationsprozess mit dem Ziel einer zunehmenden Professionalisierung durch Qualitätsüberprüfungs- und Qualitätssicherungs-programme, welche durch einen zunehmenden Austausch zwischen Rehabilitationseinrichtungen und überweisenden Ärzten möglich wurde (2). Zwischen den Indikationsbereichen gab es jedoch über die Jahre hinweg wesentliche Fokussierungsunterschiede. So wurde in den quantitativ stärker repräsentierten Rehabilitationsbereichen wie Kardiologie, Orthopädie und Neurologie der Rehabilitationsschwerpunkt auf die Sicherung der Erwerbsfähigkeit gesetzt, während im Bereich der Onkologie eher eine Wiederherstellung der körperlichen Leistungsfähigkeit (bei zum großen Teil auch palliativen Patienten) und die Stabilisierung der psychosozialen Situation im Vordergrund standen, ohne daß auf den Erhalt der Erwerbsfähigkeit ein wesentliches Augenmerk gesetzt wurde (3). Diese Besonderheit trägt dazu bei, daß die onkologische Rehabilitation sich in einem Spannungsfeld zwischen Bedürfnissen seitens der Patienten und Zuständigkeiten seitens der Kostenträger befindet, welche letztgenannte bei Patienten mit nur noch sehr eingeschränkter Erwerbsperspektive in Frage stellen (4).
Die onkologische Rehabilitation mußte sich erst aus ihrer kurmedizinisch geprägten Position heraus- und in ihre heute spezifisch profilierte Position hineinentwickeln. Anfang der 90er Jahre des letzten Jahrhunderts haben Koch und Weis (5) in einer Stellungnahme zur „Krebsrehabilitation in Deutschland“ einige Kritikpunkte formuliert, welche sich sowohl auf inhaltliche als auch strukturelle Gegebenheiten der Rehabilitation von Krebspatienten in dieser Zeit bezogen. Wenige Jahre später publizierte der Verband der Rentenversicherungsträger in Deutschland (VDR) eine „Expertise zur Krebsrehabilitation in Deutschland“ (6). Diese umfasst eine Analyse aller inhaltlichen und strukturellen Aspekte der medizinischen Rehabilitation. Dabei kommt auch zum Ausdruck, daß aufgrund sehr weniger anwendungsbezogener Studien zur stationären onkologischen Rehabilitation, keine Aussagen zur Qualität und zum Erfolg der durchgeführten Maßnahmen getroffen werden können. Dadurch wird der Forschungsbedarf im Bereich der onkologischen Rehabilitation unterstrichen.
Das aktuelle Zustandsbild des Versorgungsbereiches der medizinischen Rehabilitation wurde wesentlich zum einen von dieser Analyse, zum anderen von verschiedenen Projekten zur Qualitätssicherung beeinflußt (7).
Für den Unterbereich der onkologischen Rehabilitation haben sich in der Arbeitsgemeinschaft Rehabilitation, Nachsorge und Sozialmedizin (ARNS) der Deutschen Krebsgesellschaft rehabilitationsmedizinisch tätige Hämatologen, internistische Onkologen sowie onkologisch orientierte Vertreter anderer Fachbereiche organisiert und Leitlinien und Qualitätskriterien für die Rehabilitation onkologischer Patienten erarbeitet (8). Der Bereich der onkologischen Rehabilitationsforschung erfuhr während dieser Zeit sowohl über die Kostenträger der Rehabilitation (z.B. BfA, VDR) durch Mitglieder der ARNS, als auch durch individuelle Projekte einen wesentlichen Antrieb. Insgesamt wurden zwischen 1990 und 2002 über zwanzig Studien zur Evaluation der onkologischen Rehabilitation durchgeführt (9-27). Die früheren Studien konnten zeigen, daß die Lebensqualität onkologischer Patienten im Verlauf einer stationären Nachsorge, gemessen an Parametern des körperlichen und des psychischen Zustandes (somatische Beschwerden bzw. psychische Befindlichkeit) statistisch signifikant besser wird. Teichmann konnte 2002 zeigen, daß onkologische Rehabilitationsmaßnahmen besonders auf dem somatischen und psychosozialen Gebiet bei onkologischen Patienten einen signifikant verbesserten Effekt erbrachten (28). Auf Bundesebene werden seit 1998 im Rahmen des zwischen dem VDR (Verband der Rentenversicherungsträger in Deutschland) und dem Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) initiierten Reha-Forschungsverbundes wissenschaftliche Fragestellungen zum Thema der onkologischen Rehabilitation in Deutschland verfolgt. Primäres Ziel ist dabei eine weitere Optimierung der Struktur- und Prozessqualität der Rehabilitation krebskranker Patienten.
Folglich ist in diesem Zusammenhang die Analyse des Rehabilitationsverhaltens von onkologischen Patienten von Interesse.
Neben dem Management somatischer und psychischer Probleme sieht sich die Rehabilitation onkologischer Patienten auch mit dem sozialen Problem der beruflichen Wiedereingliederung konfrontiert. Therapienebenwirkungen, Fatigue-syndrom oder psychosomatische Langzeitfolgen der Krebserkrankung führen dazu, daß nur ein Teil der Patienten nach Ende einer Therapie in das Berufsleben zurückkehrt (29). Daher stellt die berufliche Wiedereingliederung ein weiteres Ziel der onkologischen Rehabilitation dar und somit einen weiteren Bereich mit Forschungsbedarf. In einzelnen Studien wurden, zum Teil krankheitsspezifisch, Qualität und Effizienz onkologischer Rehabilitationsmaßnahmen hinsichtlich der Möglichkeiten einer beruflichen Wiedereingliederung untersucht (30-32). Spelten et al gelang es, eine prädiktive Funktion dem Fatigue-Level bei der Rückkehr in das Arbeitsleben nachzuweisen (33). Sie identifizierten weiterhin im Rahmen ihrer Metaanalyse Faktoren, welche die berufliche Wiedereingliederung von Karzinompatienten negativ beeinflussen: dazu zählten ein nicht-supportives Arbeitsumfeld, handwerkliche Tätigkeit und Tumoren des Hals-Nasen-Ohren-Bereiches (34). Syrjala et al beobachteten in ihrer Studie über Genesungsschritte bei hämato-onkologischen Patienten mit Zustand nach hämatopoietischer Stammzelltransplantation, daß die physische Genesung wesentlich früher eintritt als die psychische bzw. berufliche Genesung (35). Eine vollständige Genesung zeigte sich in ihrem Patientenkollektiv erst nach 3 bis 5 Jahren. Alle Autorengruppen kommen dabei zu dem Schluß, daß die berufliche Wiedereingliederung neben psychischer Stabilisierung und funktioneller Wiederherstellung als wesentliches Ziel der onkologischen Rehabilitation mit angestrebt werden sollte.
Im Unterschied zur onkologischen Rehabilitation, sind kardiologische Rehabilitationsprogramme in Deutschland bereits seit den 70er Jahren des vergangenen Jahrhunderts etabliert. Bezüglich der beruflichen Wiedereingliederung kardiologischer Patienten nach Durchführung rehabilitativer Maßnahmen nach einem kardialen Ereignis wurden bereits mehrere Untersuchungen durchgeführt. So konnten Mittag et al drei Variablen identifizieren, welche bei 85% der Probanden einen prädiktiven Charakter bezüglich der beruflichen Wiedereingliederung zu besitzen schienen: neben dem Alter des Patienten spielten die Gefühle des Patienten hinsichtlich seiner kardialen Einschränkung eine Rolle, ebenso wie die Ansicht des behandelnden Arztes, inwiefern der Patient aufgrund der gesamten gesundheitlichen Verfassung in der Ausübung der beruflichen Tätigkeit behindert wird (36). Medizinisch-klinische Variablen wie z.B. Herzinsuffizienz-Stadium spielten eine untergeordnete Rolle.
Die Rolle soziodemographischer Faktoren als Prädiktor für eine berufliche Wiedereingliederung wird bei kardiologischen Patienten anders bewertet als bei Krebspatienten: Während Muller-Nordhorn et al soziodemographischen Faktoren eine prädiktive Rolle bei der beruflichen Wiedereingliederung kardiologischer Patienten zuschreiben (37), sehen Spelten et al keinen Einfluß dieser Faktoren auf die berufliche Wiedereingliederung von Krebspatienten (34).
Vor diesem Kontext ist neben der Analyse des Rehabilitationsverhaltens onkologischer Patienten auch die vergleichende Analyse der Rückkehrhäufigkeit in das Berufsleben bei kardiologischen Patienten und Krebspatienten von Interesse.
Mit Hilfe von anonymisierten Daten von insgesamt >416 000 Versicherungsnehmern der Allgemeinen Ortskrankenkasse Mettmann, welche zwischen 1987 und 1996 versichert waren, untersuchten wir das Rehabilitationsverhalten von onkologischen Patienten innerhalb dieser Versichertengruppe und führten vergleichende Analysen durch bezüglich der Frage nach beruflicher Wiedereingliederung nach Anwendung von Rehamaßnahmen bei kardiologischen Patienten und Krebspatienten. Die dabei von uns erarbeiteten Analysen bezogen sich auf folgende Fragestellungen:
I.1 Inanspruchnahme von Rehamassnahmen in Abhängigkeit vom Alter
I.2 Gibt es geschlechtsspezifische Unterschiede bei der Rehainanspruchnahme?
I.3 Inanspruchnahme von Rehamassnahmen in Abhängigkeit von der Art der Erkrankung nach Trennung in Männer und Frauen
I.4 Inanspruchnahme von Rehamassnahmen nach sozialer Statusposition, operationalisiert nach beruflicher Statusposition, entweder der eigenen oder klassifiziert nach den Hauptversicherten
I.5 Inanspruchnahme von Rehaleistungen in Abhängigkeit von der Akutversorgung, jeweils unter Kontrolle des Alters
II.1 Besteht ein Unterschied zwischen kardiologischen und onkologischen Patienten bezüglich der Anzahl der Berufsrückkehrer nach Durchführung rehabilitativer Maßnahmen?
II.2 Besteht ein Unterschied zwischen kardiologischen und onkologischen Patienten bezüglich des Geschlechtes der Berufsrückkehrer nach Durchführung rehabilitativer Maßnahmen?
II.3 Besteht ein Unterschied zwischen kardiologischen und onkologischen Patienten bezüglich des sozioökonomischen Status der Berufsrückkehrer nach Durchführung rehabilitativer Maßnahmen?
II.4 Besteht ein Unterschied zwischen kardiologischen und onkologischen Patienten bezüglich Geschlecht und sozioökonomischem Status der Berufsrückkehrer nach Durchführung rehabilitativer Maßnahmen?
Methoden
Datensatz
Der Datensatz von insgesamt >416 000 anonymisierten Versichertendaten aus dem Zeitraum zwischen 1986 bis 1995 wurde uns freundlicherweise von der Allgemeinen Ortskrankenkasse Mettmann zur Verfügung gestellt. Neben versicherungstechnischen Daten beinhaltet er auch demographische Angaben wie Alter und Geschlecht sowie sozioökonomische und medizinischen Daten.
Der Datensatz umfaßt Rentner und Nicht-Rentner, sowie neben selbständig Versicherten auch familienversicherte Angehörige. In dieser Versichertenpopulation waren die meisten im Bereich der Produktionsindustrie beschäftigt, so daß die niedrigeren sozioökonomischen Klassen überrepräsentiert waren, im Verhältnis zu den relativ weniger vertretenen Personen aus den oberen sozioökonomischen Schichten.
Patientenauswahl
Im ersten Teil der Arbeit wählten wir von den insgesamt 9410 Patienten (entsprechend 2,3 % aller Versicherten), welche wegen einer malignen Erkrankung stationär aufgenommen wurden, im Beobachtungszeitraum von 1986 bis 1995 aufgrund der relativ geringen einzelnen Häufigkeiten, nur die vier am häufigsten vertretenen und nach ICD-9 verschlüsselten Diagnosegruppen (ICD-Nr 140-149 + 160-169, 150-159, 170-175, 180-184) aus und faßten sie unter den grob orientierenden Begriffen „Mammakarzinom“ (170-179), „Unterleibskarzinom“ (180-184), „HNO-Karzinom“ (140-149 + 160-169) und „Magen-Darm-Karzinom“ (150-159) zusammen. Es muß bemerkt werden, daß auf diese Weise die Karzinome der oberen und unteren Luftwege aus Gründen der Praktikabilität zusammengefaßt wurden. Nach Gruppen aufgeteilt lagen uns dabei Daten von folgenden Patientenzahlen vor: in der Gruppe der HNO-Ca Patienten Daten von insgesamt 254 Patienten, in der Gruppe der Mamma-Ca Patienten Daten von 1052 Patienten, in der Gruppe der Magen-Darm-Ca-Patienten von insgesamt 1476 Patienten und in der Gruppe der Unterleib-Ca Patienten Daten von 360 Patienten. Das ergab zusammengefaßt einen reduzierten Datensatz von 3142 Malignompatienten (Tab. 1). Dieser Datensatz wurde weiter aufgeteilt nach Diagnosegruppe, Rentenstatus und Rehabiltationsinanspruchnahme. Die Anzahl der Patienten über die in den jeweiligen Teilbereichen Daten vorlagen sind in Tab. 1 übersichtlich aufgestellt.
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