Vorphilosophisch und intuitiv haben wir alle das Gefühl bzw. glauben zu wissen, dass wir in gewissen Fällen über uns selbst sprechen können, ohne dass jemand anderer die Kapazität hat, uns darin zu widersprechen. Was gewisse Dinge angeht, die uns selbst betreffen, haben wir eine besondere Autorität, die andere nicht haben. Wir denken, dass wir Aussagen über uns machen können, von deren Richtigkeit wir unmittelbar wissen, ohne dass uns dabei Fehler unterlaufen können. Und da wir diese Wahrheiten unmittelbar kennen, heisst das: zu gewissen Einsichten und Wahrheiten, die uns selbst betreffen, haben wir, weil sie uns betreffen, einen privilegierten Zugang. Das heisst: nicht nur können uns andere, die über uns in der 3. Person sprechen, nicht eines Irrtums bezüglich dieser Aussagen überführen; auch wir selbst können uns nie eines Fehlers überführen – da uns Fehler in diesen gewissen Fällen gar nicht unterlaufen können. Gewisse Aussagen, die wir mit der Autorität der ersten Person machen, sind somit immun gegen Irrtum.
Diese Irrtumsimmunität in ‚ich’-Aussagen ist das Schlüsselthema von Sydney Shoemakers Aufsatz ‚Selbstbezug und Selbstbewusstsein’ (engl.: ‚Self-reference and self-awareness‘) aus dem Jahre 1968. Ich werde in dieser Arbeit zu untersuchen versuchen, wie Shoemaker diesen Begriff bzw. dieses Konzept behandelt, und was er zu seiner Verteidigung vorbringt.
Dazu werde ich im ersten Teil herauszufinden versuchen, in welchen Fällen (in allen ‚ich’-Aussagen oder nur in einigen?) laut Shoemaker Immunität gegen Irrtum vorliegt, und worauf sich diese Irrtumsimmunität erstreckt – was also in solchen Sätzen fehlerfrei behauptet werden kann.
Die Interpretation dieser Resultate werde ich im zweiten Teil der Arbeit zu leisten versuchen, wo ich – ausgehend von den Antworten des ersten Teils – untersuchen werde, welche Bedingungen überhaupt erfüllt sein müssen, um zu solchen ‚ich’-Aussagen zu gelangen, von denen laut Shoemaker behauptet werden kann, sie genössen prinzipiell Immunität gegen Irrtum. Dabei werde ich dann auch auf den Status der verwandten Themen des ‚privilegierten Zugangs’ und der ‚Unkorrigierbarkeit’ innerhalb der Theorie Shoemakers eingehen.
Eine persönliche Bemerkung: Shoemakers Text präsentiert sich auf den ersten Blick als leicht verständlich, doch dieser erste Eindruck weicht sehr bald der Einsicht, dass wir es hier mit einer sehr komplexen Abhandlung zu tun haben.
Inhalt
Verzeichnis
0. Einleitung
1. Irrtumsimmunität bei ‚ich’-Referenz
1.1 Sätze in der ersten Person und Irrtumsimmunität
1.2. Prädikations- vs. Identifikationsirrtümer
1.2.1. Objektgebrauch
1.2.2. Subjektgebrauch
1.3. Identifikationsfreie ‚ich’-Referenz
1.4. Wissen ohne Identifikation
2. Zwischenbilanz
2.1. Fragen, die sich stellen
2.2. Erweiterte Suche
3. Irrtumsimmunität bei Selbstzuschreibung von Prädikaten
3.1. Was sind P*-Prädikate?
3.2. Versuch einer Antwort
3.3. Privilegierter Zugang
4. Fazit
0. Einleitung
Vorphilosophisch und intuitiv haben wir alle das Gefühl bzw. glauben zu wissen, dass wir in gewissen Fällen über uns selbst sprechen können, ohne dass jemand anderer die Kapazität hat, uns darin zu widersprechen. Was gewisse Dinge angeht, die uns selbst betreffen, haben wir eine besondere Autorität, die andere nicht haben. Wir denken, dass wir Aussagen über uns machen können, von deren Richtigkeit wir unmittelbar wissen, ohne dass uns dabei Fehler unterlaufen können. Und da wir diese Wahrheiten unmittelbar kennen, heisst das: zu gewissen Einsichten und Wahrheiten, die uns selbst betreffen, haben wir, weil sie uns betreffen, einen privilegierten Zugang. Das heisst: nicht nur können uns andere, die über uns in der 3. Person sprechen, nicht eines Irrtums bezüglich dieser Aussagen überführen; auch wir selbst können uns nie eines Fehlers überführen – da uns Fehler in diesen gewissen Fällen gar nicht unterlaufen können. Gewisse Aussagen, die wir mit der Autorität der ersten Person machen, sind somit immun gegen Irrtum.
Diese Irrtumsimmunität in ‚ich’-Aussagen ist das Schlüsselthema von Sydney Shoemakers Aufsatz ‚Selbstbezug und Selbstbewusstsein’ (engl.: ‚Self-reference and self-awareness‘) aus dem Jahre 1968. Ich werde in dieser Arbeit zu untersuchen versuchen, wie Shoemaker diesen Begriff bzw. dieses Konzept behandelt, und was er zu seiner Verteidigung vorbringt.
Dazu werde ich im ersten Teil herauszufinden versuchen, in welchen Fällen (in allen ‚ich’-Aussagen oder nur in einigen?) laut Shoemaker Immunität gegen Irrtum vorliegt, und worauf sich diese Irrtumsimmunität erstreckt – was also in solchen Sätzen fehlerfrei behauptet werden kann.
Die Interpretation dieser Resultate werde ich im zweiten Teil der Arbeit zu leisten versuchen, wo ich – ausgehend von den Antworten des ersten Teils – untersuchen werde, welche Bedingungen überhaupt erfüllt sein müssen, um zu solchen ‚ich’-Aussagen zu gelangen, von denen laut Shoemaker behauptet werden kann, sie genössen prinzipiell Immunität gegen Irrtum. Dabei werde ich dann auch auf den Status der verwandten Themen des ‚privilegierten Zugangs’ und der ‚Unkorrigierbarkeit’ innerhalb der Theorie Shoemakers eingehen.
Eine persönliche Bemerkung: Shoemakers Text präsentiert sich auf den ersten Blick als leicht verständlich, doch dieser erste Eindruck weicht sehr bald der Einsicht, dass wir es hier mit einer sehr komplexen Abhandlung zu tun haben. Es werden sehr viele Begriffe und Konzepte auf engstem Raum behandelt, kurz angesprochen und wieder fallengelassen, ohne dass diese Übergänge angekündigt oder sonst wie vom Autor eigens markiert würden. Manchmal scheint sich die Richtung einer Argumentation ganz umzukehren. Da ich versucht habe, der Argumentation Shoemakers chronologisch zu folgen, haben sich diese Wendungen auch auf diese Arbeit niedergeschlagen; wobei natürlich möglich ist, dass die Verwirrung über gewisse Argumentationsverläufe nur meinem mangelnden Verständnis geschuldet ist.
Ich habe für die Arbeit an Shoemakers Aufsatz die deutsche Übersetzung von Christiane Goldmann[1] benutzt, erschienen im Sammelband Analytische Theorien des Selbstbewusstseins, herausgegeben von Manfred Frank. Zur Klärung gewisser Sachverhalte habe ich mich ausserdem auf das Buch Selbstbewusstsein im Spiegel der analytischen Philosophie von Petra Krüger gestützt.
1. Irrtumsimmunität bei ‚ich’-Referenz
1.1 Sätze in der ersten Person und Irrtumsimmunität
Wann und in welchen Fällen ist ein Satz, der das Pronomen der 1. Person enthält, immun gegen einen Irrtum? Und wenn es diese Klasse von Aussagen in der ersten Person gibt, die gegen Irrtümer gefeit sind: gegen welche Art von Irrtum sind sie gefeit?
Wir können auf die Antwort, die Shoemaker in seinem Aufsatz darauf gibt, kommen, indem wir uns in einer ersten Übersicht ansehen, in welcher Klasse solcher Sätze diese Irrtumsimmunität in keiner Art und Weise gegeben ist .. Denn es ist schnell klar: Nicht jede Aussage, in der das Wort ‚ich’ (bzw. ‚mein’, ‚mich’, mir’ etc.) vorkommt, ist, nur weil ich sie mache – und so in irgendeiner Form über mich selbst spreche – gegen einen Irrtum immun. Wenn ich zum Beispiel sage: ‚Ich sehe einen Kanarienvogel’ kann ich mich bezüglich des Objektes ‚Kanarienvogel’ irren (ich sehe eine andere Art Vogel), was die Aussage falsch macht. In diesem Fall scheint etwas mit der Identifikation des Objektes nicht geklappt zu haben.
Wie steht es um Fälle, in denen ich mich selbst identifiziere? Wenn ich zum Beispiel ein Foto sehe, auf dem ich mich in einer Menge von Menschen wiederzuerkennen glaube, und sage: ‚Das bin ich’? Auch in diesem Fall kann ich mich offenbar irren. Der, auf den ich gedeutet habe, sah mir nur ähnlich. Und das heisst: ich habe mich falsch identifiziert. Auch diese Art von Aussage ist nicht immun gegen Irrtümer.
Wenn es hier also um Irrtumsimmunität in ‚ich’-Aussagen geht, kann diese Art von Aussagen nicht gemeint sein; im ersten Beispiel geht es nicht um Selbstidentifikation, was Fehlidentifikation ohnehin möglich macht; im zweiten Beispiel liegt zwar ein Fall von Selbstidentifikation vor (hier geht es um mich selbst) – die Möglichkeit der Fehlidentifikation ist aber dennoch gegeben.
Was bleibt noch, wenn ich in Behauptungssätzen in der 1. Person sowohl Objekt-Identifikationsirrtümer als auch Selbstidentifikationsirrtümer begehen kann? Shoemaker antwortet, dass es trotz dieser Möglichkeiten sehr wohl a) eine Klasse von ‚ich’-Sätzen gibt, die b) vor einer Art von Irrtum gefeit sind.
Wir sehen: Im 1. Teil seines Aufsatzes, wo er sich diesen Sätzen widmet, wird sich Shoemaker gleich zweifach einschränken: Nicht alle Sätze, die von ‚mir’ handeln sind immun gegen Irrtümer – und diejenigen ‚ich’-Sätze, die als Kandidaten für Irrtumsimmunität in Frage kommen, sind (so sieht es im ersten Teil des Aufsatzes wenigstens noch aus) nicht als ganze Aussagen tel quel vor Irrtum gefeit bzw. wahr, sobald sie ein Sprecher ausspricht (oder vielleicht besser: sie selbst für richtig hält!), sondern nur in einer gewissen Hinsicht !
Welche Untergruppe von ‚ich’-Sätzen sind nun aber gegen welche Art von Irrtum immun und wie klassifiziert Shoemaker diese Sätze?
Zunächst zu den entsprechenden Untergruppen: Diejenigen ‚ich’-Sätze, die vor einer Art Irrtum in jedem Falle geschützt sind, nennt Shoemaker – und er folgt hier Wittgenstein[2] - Sätze in denen ‚ich’ „als Subjekt gebraucht“[3] wird. Irrtum hingegen ist immer dann möglich, wenn ‚ich’ im Objektgebrauch vorkommt. Im Folgenden werde ich Beispiele sowohl für den Objekt- als auch für den Subjektgebrauch vorstellen, also zunächst rein deskriptiv vorgehen. Dabei werden wir auf die Frage stossen, wie sich der Objekt- vom Subjektgebrauch unterscheidet. Diese Frage wird auch eine Frage der Terminologie sein: weshalb nennt Shoemaker bzw. Wittgenstein diese postulierten verschiedenen Verwendungsweisen von ‚ich’ überhaupt ‚Subjekt-‚ bzw. ‚Objekt’gebrauch?
1.2.Prädikationsirrtümer vs. Identifikationsirrtümer im Objekt- bzw. Subjektgebrauch von ‚ich’
1.2.1. Objektgebrauch
Zunächst zum sogenannten ‚Objektgebrauch’. Als Beispiele für den Objektgebrauch von ‚ich’ bringt Shoemaker u.a. die Sätze ‚ Mein Arm ist gebrochen ’ und ‚ Ich blute ’[4]. (Das sind nicht die einzigen Beispiele, aber um die Logik des Argumentes zu demonstrieren, genügen sie. Ich bespreche aber beide, da sie bezüglich der Worte ‚ich’ und ‚mein’ differieren.) Da die Sätze als Beispiele für den Objektgebrauch von ‚ich’ (bzw. im ersten Beispiel ‚mein’) fungieren, können sie, laut Shoemaker, keine Immunität vor Irrtümern aufweisen. Warum nun sind diese Sätze grundsätzlich gegen keine Art von Irrtum absolut immun? Anders gefragt: welche Arten von Irrtum kann ich, wenn ich diese Sätze benutze, machen?
Wenn ich sage: ‚Mein Arm ist gebrochen’, kann ich mich 1. bezüglich der Richtigkeit des Prädikates ‚ist gebrochen’ irren. Mein Arm schmerzt nur, ist aber gar nicht gebrochen – d.h.: ich kann das Prädikat ‚ist gebrochen’ meinem Arm fälschlicherweise beilegen.
Ausserdem kann mich – und hier wird es interessanter, da wir nun zu den Begriffen der 1. Person, in diesem Falle ‚mein’, kommen – bezüglich der Identifizierung dieses Armes als des meinigen irren. Ich blicke auf einen abgewinkelten Arm, der neben mir liegt, und denke fälschlich, dass es meiner ist; tatsächlich ist es der gebrochene Arm meines (Bett-?)Nachbarn. (Zugegeben, das Beispiel ist etwas unwahrscheinlich, wie die meisten der hier zitierten Beispiele, aber dennoch nicht logisch ausgeschlossen). Was das Pronomen der 1. Person (‚mein’) betrifft, bin ich in diesem Beispiel also nicht grundsätzlich vor einem Irrtum geschützt; ein Identifikationsirrtum bezüglich ‚mein’ ist nicht ausgeschlossen.
Ich denke, es ist hier nützlich, die kategoriale Unterscheidung bezüglich der Arten der eben beschriebenen Irrtümer zu treffen, eine Unterscheidung, die Shoemaker zwar in seinem Text andeutet, aber nie explizit macht: Es ist dies – und hier folge ich Krüger, die die Unterscheidung im Kapitel über Wittgensteins Unterscheidung von Objekt- bzw. Subjektgebrauch von ‚ich’ einführt - die Unterscheidung zwischen ‚ Prädikationsirrtümern ’ und ‚ Identifikationsirrtümern ’.[5]
Im eben besprochenen Satzbeispiel ‚Mein Arm ist gebrochen’ sind, wie wir gesehen haben, beide Arten von Irrtümern möglich. Allerdings wurde nicht das Wort ‚ich’, sondern ‚mein’ verwendet. Die Irrtumsanfälligkeit bezüglich der Identifizierung könnte also auch in der Verwendung eines von ‚ich’ abgeleiteten Possessivpronomens liegen.
Das weitere Beispiel ‚Ich blute’ hingegen ist ein ‚reiner’ ‚ich’-Satz. Doch man sieht schnell, dass auch hier sowohl ein Prädikationsirrtum wie auch ein Identifikationsirrtum vorliegen kann, d.h. ich kann mich bezüglich des Prädikates ‚bluten’ irren (niemand blutet) wie auch bezüglich der Identifikation von ‚ich’. Der erste Fall (niemand blutet) ist zwar etwas schwieriger zu konstruieren als der zweite (nicht ich blute), denkbar ist er allerdings. Man könnte zum Beispiel annehmen, dass ich nach einem heftigen Zusammenprall mit einem anderen Menschen, eine Flüssigkeit auf meiner Stirn wahrnehme – ich denke es ist Blut, obgleich es nur Schweiss ist (abgesondert durch den grossen Schock des Zusammenpralls, oder so…). Dies ist also der mögliche Prädikationsirrtum, den ich in diesem Falle machen kann; ich lege mir irrtümlicherweise ein Prädikat bei. Der Identifikationsirrtum bezüglich ‚ich’, gegen den ich klarerweise auch in diesem Falle nicht gesichert bin, könnte so entstehen: nach besagtem Zusammenprall läuft mir tatsächlich Blut über die Stirn in die Augen, mein Kopf schmerzt und ich denke: Ich blute. In Wahrheit blutet derjenige, mit dem ich zusammengeprallt bin, es ist sein Blut, das mir über die Stirn läuft.
[...]
[1] Frank, Manfred (Hrsg.): Analytische Theorien des Selbstbewusstseins; Frankfurt a.M., 1994. S.738.
[2] Shoemaker, Syidney: ‚Selbstbezug und Selbstbewusstsein’, in: Frank, Manfred: Analytische Theorien des Selbstbewusstseins; Frankfurt a.M., 1994. (S. 43 – 59). S.44f.
[3] Ebd. S. 44.
[4] Ebd. S. 44f.
[5] Krüger, Petra: Selbstbewusstsein im Spiegel der analytischen Philosophie; Aachen, Mainz, 2000. S. 133.