Als Reaktion auf die Finanzkrise müssen sich Ratingagenturen in Europa künftig strengeren Regeln unterwerfen. Unter anderem sollen sie für Fehleinschätzungen leichter zur Verantwortung gezogen werden können. Zu negative Ratingurteile können u.U. zu Nachteilen der bewerteten Emittenten etwa in ihrer Kreditwürdigkeit führen. Das Werk untersucht, ob und inwieweit die bewerteten Emittenten in solchen Fällen Ansprüche gegen Ratingagenturen geltend machen können.
Inhaltsverzeichnis
Literaturverzeichnis
A. Rechtsschutz gegen Götter?
B. Das Ratingwesen
I. Begriffsbestimmung
II. Das Ratingverfahren
III. Das Rating als Marktzugangsvoraussetzung
C. Prozessuale Haftungsvoraussetzungen
D. Vertragliche Haftung
I. Der Ratingvertrag
II. Die Pflichtverletzung der Ratingagentur
1. Anknüpfung an die Richtigkeit des Ratingergebnisses
2. Anknüpfung an die Vertretbarkeit des Ratingergebnisses
3. Anknüpfung an das Ratingverfahren
4. Zwischenergebnis
III. Weitere Anspruchsvoraussetzungen
IV. Ergebnis
E. Deliktsrechtliche Haftung
I. Anspruch aus § 824 I BGB
1. Rating als Tatsachenbehauptung
2. Weitere Anspruchsvoraussetzungen
3. Ergebnis
II. Anspruch aus § 826 BGB
III. Anspruch aus § 823 BGB
F. Zivilrechtliche Haftung auf europäischer Ebene
G. Das Beweisproblem
H. Zusammenfassung der Thesen
I. Götterdämmerung?
Literaturverzeichnis
Die Haftung von Ratingagenturen gegenüber den bewerteten Emittenten
A. Rechtsschutz gegen Götter?
„Das Revolutionäre, das die Neuzeit von historischer Vergangenheit trennt, ist die Vorstellung der Risikosteuerung, der Gedanke, dass die Zukunft nicht bloß den Launen der Götter entspringt... ."[1] Mit der Optimierung des Risikomanagements ging die Schaffung neuer Götter einher, die über das Wohl und Wehe von Unternehmen, ja ganzer Staaten, entscheiden. Die Rede ist von Ratingagenturen.
Die Weltwirtschaftskrise der 1930er Jahre ließ die Ratingidee in den USA aufblühen.[2] Die ökonomische Funktion des Ratings liegt im Ausgleich der Informationsasymmetrie zwischen Kapitalnehmer und Kapitalgeber.[3] Die durch Risikoerkennung geschaffene Markttransparenz galt als Schlüssel zur Stabilisierung der Finanzmarktarchitektur. Seit dem Zusammenbruch eben dieser wurden Ratingagenturen als Mitverantwortliche für die jüngste Finanzkrise an den Pranger gestellt.[4] Falsche Annahmen, mangelnde Durchdringung kompliziert strukturierter Finanzprodukte sowie personelle Engpässe führten zu Bewertungsfehlern.[5] So mancher Ratinganalyst hoffte „reich und pensioniert zu sein, bevor das Kartenhaus zusammenbricht"[6]. Das Vertrauen der Finanzmarktakteure in den deus ex machina, der lange Zeit als unfehlbar galt, schwindet.[7]
Zugleich stellt sich die Frage nach der Verantwortung. Ein Paradigmenwechsel zeichnet sich ab. Während die Regulierung der Ratingagenturen durch zivilrechtliche Haftung lange unterbelichtet war, erklärte auf nationaler Ebene das OLG Frankfurt a.M. in einer vom BGH bestätigten Entscheidung eine Klage gegen die Ratingagentur Standard & Poor's immerhin für zulässig.[8] Auch der europäische Gesetzgeber scheint sich im Lichte der kartellrechtlichen Vorbildwirkung auf dem Gebiet des Finanzmarktrechts der Chance der privatrechtlichen Normdurchsetzung Gewahr zu werden.[9] Die zivilrechtliche Haftung soll zu einer Säule des bisher aufsichtsrechtlichen Ordnungsrahmens etabliert werden.[10]
Ziel der Arbeit ist, nach der Beleuchtung des nationalen Haftungsregimes und der europarechtlichen Haftungsnorm, eine Bewertung der Effizienz des Rechtsschutzes für fehlerhaft bewertete Emittenten. Ist die zivilrechtliche Haftung bei der Regulierung von Ratingagenturen eine scharfe Waffe oder vielmehr ein zahnloser Papiertiger?
B. Das Ratingwesen
I. Begriffsbestimmung
Gegenstand der Arbeit ist das „Credit rating"[11]. Je nach Ratingobjekt handelt es sich um ein Emissions- oder ein Emittentenrating. Bei Emissionsratings wird die relative Wahrscheinlichkeit versprechensgemäßer Erfüllung von Zahlungsverpflichtungen aus handelbaren Schuldverschreibungen beurteilt[12], bei Emittentenratings ist insbesondere die Wahrscheinlichkeit einer Insolvenz zu ermitteln[13]. Weiter ist zu differenzieren zwischen beauftragten und unbeauftragten Ratings.[14] Zur Vereinfachung der Terminologie wird in der folgenden Darstellung auf das Unternehmensrating abgestellt.
II. Das Ratingverfahren
Im Ratingverfahren werden quantitative Unternehmensdaten aus der Bilanz- und Finanzanalyse sowie die Bewertung qualitativer Faktoren, wie Management und Strategie, durch ein Analystenteam kanalisiert und mittels eines wissenschaftlichen, mathematischen Rechenmodells zusammengeballt.[15] Letzteres ist ein gut gehütetes Betriebsgeheimnis der Ratingagentur. Ein Ratingkomitee trifft in geheimer Abstimmung eine Entscheidung über das Endrating.[16] Destillat des komplexen Verfahrens ist schließlich die Komprimierung aller für die Bewertung der Bonität eines Unternehmens maßgeblichen Faktoren zu einem einzigen Ratingsymbol, dass sich typischerweise aus einer Buchstabenkombination von AAA bis D zusammensetzt.[17] Das Kürzel beschreibt das relative Ausfallrisiko.[18]
III. Das Rating als Marktzugangsvoraussetzung
Das Rating ist als „Aushängeschild"[19] Bedingung für eine erfolgsversprechende Emission. Institutionelle Anleger sind, teils von Rechts wegen, teils aus freiwilliger Selbstverpflichtung, bei ihren Investitionsentscheidungen an Mindestratings gebunden.[20] Mit Basel II gewann das Rating als Maßstab für die Bestimmung des regulatorischen Eigenkapitals von Banken weiter an Relevanz.[21] Mit der Indienstnahme von Ratings übertrug der Gesetzgeber Ratingagenturen als privaten Akteuren eine quasi hoheitliche Wächter- und Gestaltungsfunktion. Automatische rechtliche Konsequenzen zieht das Rating nicht nur im Aufsichtsrecht nach sich: Über Einfallstore wie Trigger-Klauseln[22] wirken Ratings auf privatrechtliche Vertragsbeziehungen ein. So gleicht deren Schädigungspotential einer „nuclear bomb"[23]. Zugleich sind Unternehmen aufgrund der oligopolistischen Stellung[24] der drei großen US-amerikanischen Ratingagenturen auf diese angewiesen, selbst wenn sie deren Ratings nicht gerecht finden.[25] Vor diesem Hintergrund stellt sich die Frage, welche Ansprüche ein Emittent bei einem objektiv zu negativen Rating geltend machen kann.
C. Prozessuale Haftungsvoraussetzungen
Angesichts der Internationalität des Ratingmarktes sind im Vorfeld die prozessualen Haftungsvoraussetzungen zu prüfen. Ausländische Ratingagenturen operieren zwar im Regelfall über inländische Tochtergesellschaften.[26] Letzteren obliegt der Vertragsabschluss und die Pflege der Kundenbeziehung.[27]
Wurde das Rating aber von der ausländischen Muttergesellschaft erstellt, ist zu klären, vor welchem Gericht Haftungsansprüche geltend gemacht werden können. Die internationale Zuständigkeit deutscher Gerichte[28] ist jedenfalls nach § 23 1 Alt. 1 ZPO begründet,[29] sofern keine Gerichtsstandsvereinbarung getroffen wurde.
Weiter stellt sich die Frage nach dem anwendbaren Recht. Fehlt im Ratingvertrag eine Rechtswahlklausel gemäß Art. 3 I 1 Rom I-VO, kann je nach Einordnung des Ratingvertrages[30] gemäß Art. 4 I lit. b) bzw. Art. 4 II i.V.m. 19 II Rom I-VO von der Anwendbarkeit deutschen Rechts ausgegangen werden. Bei außervertraglichen Ansprüchen ist vorbehaltlich anderweitiger Rechtswahl nach Art. 14 I Rom II-VO im Grundsatz nach Art. 4 I Rom II-VO deutsches Recht maßgeblich, soweit der Schaden in Deutschland eingetreten ist.
D. Vertragliche Haftung
I. Der Ratingvertrag
Anstoß für das Ratingverfahren ist meist ein Ratingvertrag zwischen Ratingagentur und Emittent, der eine Senkung seiner Kapitalkosten forciert.[31] Die Rechtsnatur des Ratingvertrags ist mangels gesetzlicher Definition umstritten. Das Spektrum der vertretenen Meinungen reicht von der Einordnung als Geschäftsbesorgungsvertrag, Dienstvertrag oder Werkvertrag bis hin zur Qualifikation als Vertrag sui generis.[32]
Gegen einen Geschäftsbesorgungsvertrag nach § 675 I BGB spricht die systematische Nähe zum Auftragsrecht. Das aus §§ 675 I, 665 BGB resultierende Weisungsrecht steht der Rolle der Ratingagenturen als neutrale Instanz diametral entgegen.[33]
Die Ratingagentur schuldet nicht das Ratingverfahren als Tätigkeit, so dass ein Dienstvertrag nach § 611 BGB ausgeschlossen werden kann.[34] Auch bei Folgeratings steht nicht die laufende Überwachungstätigkeit, sondern das abschließende Ratingergebnis im Vordergrund.[35]
Die Erfolgsbezogenheit der Leistung spricht für die Einordnung als Werkvertrag gemäß § 631 BGB.[36] Auch das dem Rating immanente Dreiecksverhältnis zwischen Emittent, Anleger und Ratingagentur lässt eine Parallele zur Gutachtertätigkeit zu[37], die in das Werkvertragsrecht führt[38]. Ein berechtigter Einwand liegt in der Publizierungfreiheit der Ratingagenturen, hat doch grundsätzlich der Werkunternehmer dem Besteller das Werk zu verschaffen.[39] Steht die Publikation unter dem Vorbehalt der Zustimmung des Emittenten, wird ihm die erforderliche Rechtsinhaberschaft zuteil.[40]
Ist die Agentur hingegen in der Veröffentlichung des Ratings frei, fehlt es an der Verfügungsmacht des Bestellers über das Werk.[41] Dann liegt ein Vertrag sui generis nach § 311 I BGB mit werkvertraglichen Elementen vor.[42] Maßgeblich ist folglich, was die Parteien im Einzelfall vereinbaren.[43] Nach der Schwerpunkttheorie ist auch bei Vorliegen eines atypischen Vertrags das Werksvertragsrecht heranzuziehen, so dass eine Entscheidung dahingestellt bleiben kann.[44]
II. Die Pflichtverletzung der Ratingagentur
Ein zu negatives Rating hat Vermögenseinbußen in Form erhöhter Kapitalbeschaffungskosten sowie negativer Auswirkungen auf Reputation und Geschäftsbeziehungen zur Folge.[45] Im Interesse des Emittenten liegt weniger die Befriedigung des Erfüllungsinteresses als der Ersatz des Mangelfolgeschadens, der sich nach § 634 Nr. 4, 280 I 1 BGB richtet.[46] Voraussetzung für einen Schadensersatzanspruch ist die Verletzung der Pflicht zur mangelfreien Ratingerstellung gemäß § 633 I BGB durch die Ratingagentur. Es stellt sich die Frage, wann ein Rating mangelhaft ist. Entscheidende Weichenstellung ist die Bestimmung der vertraglich geschuldeten Beschaffenheit des Ratings. In der Praxis lassen Ratingverträge positive Beschaffenheitsvereinbarungen gemäß § 633 II 1 BGB vermissen.[47] Weder wollen Ratingagenturen ihre Verhaltenskodizes als verbindliche Leistungsbeschreibung verstanden wissen[48], noch ist gesetzlich geregelt, wann ein Rating fehlerhaft ist. Abzustellen ist somit auf den, dem Ratingvertrag nach § 633 II 2 Nr. 1 BGB konkludent zugrunde gelegten Verwendungszweck. Das Rating soll als Medium der Finanzkommunikation der Kapitalaufnahme des Emittenten auf dem Kapitalmarkt dienen.[49] Dieses Ziel erfüllen keineswegs nur Bestnoten. Die Informationsfunktion erfüllt das Rating nur insoweit, als Investoren auf den Informationsgehalt des Ratings vertrauen und dieses ihrer Anlageentscheidung zugrunde legen.[50] Ein Rating wird deshalb nicht lediglich nur bei offenkundiger Fehlerhaftigkeit[51] oder Willkür[52] ungeeignet sein. Vielmehr bedarf es der Festsetzung von Mindeststandards, deren Einhaltung der Adressat eines Ratings voraussetzt und bei deren Unterschreitung die Verwendungseignung zu verneinen ist. Woran dabei anzuknüpfen ist, ist Gegenstand kontroverser Diskussionen.
1. Anknüpfung an die Richtigkeit des Ratingergebnisses
Denkbar wäre darauf abzustellen, ob sich die ermittelte Ausfallwahrscheinlichkeit bewahrheitet. Eine Divergenz zwischen Rating und Realität deutet jedoch nicht zwangsläufig auf einen Fehler der Ratingagentur hin[53], kann diese auch auf makroökonomische Schocks zurückzuführen sein. Haftungsrechtlich kann es nur auf die Beurteilung des Ratings im Zeitpunkt der Veröffentlichung ankommen.[54] Andernfalls würde das allgemeine Investitionsrisiko auf die Ratingagentur übergewälzt.[55] Das Ratingurteil ist wegen des Prognosecharakters ex ante nicht ohne weiteres der Dichotomie richtig oder falsch zugänglich.[56]
2. Anknüpfung an die Vertretbarkeit des Ratingergebnisses
Völlige Freiheit bei der Beurteilung liefe der Funktion des Ratings als objektivierter Maßstab für die Sicherheit einer Anlage zuwider. Die aus der eingeschränkten Überprüfbarkeit resultierende Problematik ähnelt derjenigen der Unternehmensbewertung im Rahmen von § 305 AktG.[57] Im Ertragswertverfahren wird der Wert nach dem zukünftigen Erfolg des Unternehmens bestimmt.[58] Wie bei Ratings soll diese eine von der subjektiven Einzelmeinung unabhängige Bewertung darstellen. Dem Prognosecharakter wird mit einem Spielraum vertretbarer, gerichtlich überprüfbarer Annahmen begegnet.[59]
Eingeschränkt ist die gerichtliche Kontrolle auch bei Bewertungen der Stiftung Warentest. Der Beurteilungsspielraum endet, wenn die „aus den durchgeführten Untersuchungen gezogenen Schlüsse als nicht mehr vertretbar („diskutabel") erscheinen"[60]. Ratings dienen wie Warentests der Markttransparenz, so dass die für Warentests etablierten Maßstäbe überwiegend unkritisch übertragen werden.[61]
Wie bei den vergleichbaren Konstellationen wird es auch beim Rating ein einzig richtiges Ergebnis nicht geben, wohl aber eine Reihe fairer Bewertungen.[62] Das Ratingergebnis an sich ist inhaltlich nur begrenzt überprüfbar. Es muss im Einzelfall anhand der zugrunde gelegten Tatsachen nachvollziehbar und in Fachkreisen schlüssig erscheinen.[63] Wird bei Warentests zugunsten des Verbraucherschutzes ein weiter Ermessensspielraum eingeräumt, ist dieser bei Ratings aufgrund der ihnen innewohnenden Gefahr für hohe Unternehmenswerte zu schmälern. Ob der faktischen Autorität der Agenturen und des Ungleichgewichts der Informationskanäle ist es dem Unternehmen kaum möglich sich argumentativ zu verteidigen.
3. Anknüpfung an das Ratingverfahren
Kehrseite der nur bedingten inhaltlichen Kontrolle ist das Abstellen auf einen lege artis durchgeführten Ratingprozess. Einigkeit besteht in den generalklauselartigen Kardinalpflichten: Objektivität, Neutralität, Sachkunde.[64] Bislang fehlt es an deren Konkretisierung.[65] Ausgewählte Anknüpfungspunkte für die Herausbildung verbindlicher Leitlinien sollen im Folgenden untersucht werden.
a) Rechtsprechung zu Warentests
Angesichts der ähnlichen Interessenslage werden überwiegend die von der Rechtsprechung für Warentests entwickelten Grundsätze, insbesondere das Gebot der Objektivität, Neutralität und Sachkunde[66], herangezogen.[67] Im Gegensatz zur Stiftung Warentest als staatliche Einrichtung für Verbraucheraufklärung[68] sind Ratingagenturen gewinnorientierte, private Unternehmen. Aus deren Eigentümerstrukturen und Vergütungsmodelle[69] resultieren potentielle Interessenskonflikte. Anstatt einzelner Produkte prüfen Ratingagenturen ganze Unternehmen und Staaten. Die Untersuchungsobjekte sind komplexer, das Marktbeeinflussungspotential umso größer.[70] Während Ratingagenturen ihre Methoden als Geschäftsgeheimnis verhüllen, arbeitet Stiftung Warentest transparent. An Ratingagenturen sind aufgrund ihres besonderen Expertenwissens höhere Anforderungen zu stellen. Eine umfängliche Übertragung der Warentestrechtsprechung ist abzulehnen.[71]
b) Kernpflichten von Finanzanalysten
Indes fragt sich, ob die gleichartigen Kernpflichten für Finanzanalysten nach § 34b I 1 WpHG übertragbar sind.[72] Aufgrund der Ausstrahlungswirkung der aufsichtsrechtlichen Regelung[73] auf das Zivilrecht könnte diese bei der Auslegung vertraglicher Pflichten herangezogen werden.[74] Ratingagenturen publizieren keine direkten Anlageempfehlungen, teils wird aber eine Subsumtion unter § 34b I 1 WpHG wegen des indirekten Empfehlungscharakters der Ratings erwogen.[75] Eine indirekte Empfehlung liegt bereits in der Aussage über die zukünftige Kursentwicklung.[76] Ratings wirken insbesondere für an Mindestratings gebundene Investoren faktisch wie Kauf-, Halte- und Verkaufsempfehlungen.[77] Der Ratingagentur wird es aber an der Absicht fehlen, offensichtlich ein bestimmtes Anlageverhalten suggerieren zu wollen.[78] Das Rating trifft nur eine Aussage über das relative Ausfallrisiko, welches neben weiteren Faktoren wie Laufzeit und Zins nur ein Kriterium einer Investitionsentscheidung darstellt.[79] Ratings sind somit nicht als Anlageempfehlung zu qualifizieren.[80] Die anlegerschützende Funktion der Norm[81] und die vergleichbare Stellung der Ratingagenturen als professionelle Marktinformanten sprechen für eine analoge Anwendung.[82] § 34b I WpHG dient der Umsetzung von Art. 6 V der Marktmissbrauchsrichtlinie.[83] Ratingagenturen sind nach dem Willen des europäischen Gesetzgebers aus deren Anwendungsbereich ausgeschlossen[84], so dass bei der gebotenen richtlinienkonformen Auslegung eine Analogie an der Planwidrigkeit der Regelungslücke scheitert.
c) Materielle Vorgaben im Aufsichtsrecht
Möglicherweise ist zur Konkretisierung der Verhaltenspflichten auf die materiellen Vorgaben der Ratingverordnung zurückzugreifen.[85] Der Anwendungsbereich der Regelungen ist nach Art. 2 I, Art. 4 I RatingVO auf in der Europäischen Union ansässige Ratingagenturen beschränkt, die aufgrund der Verwendung ihrer Ratings für regulatorische Zwecke registriert sind.[86] Der Verzicht auf eine allgemeine Registrierungspflicht spricht gegen eine Verallgemeinerung der ohnehin weitgehend nur organisationsbezogenen Pflichten. Weiter verweist der europäische Gesetzgeber für Fragen der zivilrechtlichen Haftung ausdrücklich auf die nationalen Rechtsordnungen.[87] Letztlich erlaubt auch das sich in Aufsichtsmaßnahmen und Geldbußen erschöpfende Sanktionssystem[88] die systematische Erwägung, dass Verstöße zivilrechtlich nicht von Bedeutung sind.[89] Aus dem gleichen Gesichtspunkt scheidet eine Anknüpfung an nationales Aufsichtsrecht wie §§ 52, 53 SolvVO aus.
d) Empfehlungen der IOSCO
Die International Organization of Securities Commissions (IOSCO) erarbeitete Grundprinzipien für die Tätigkeit von Ratingagenturen, die im Code of Conduct Fundamentals for Credit Rating Agencies (IOSCO-Ko- dex) mündeten.[90] Die Verhaltensregeln des Regelwerks umfassen die Sicherung der Qualität der Ratinganalysen, der Unabhängigkeit der Ratingagenturen, die Vermeidung von Interessenskonflikten sowie Verantwortung gegenüber Anleger und Emittenten.[91] Aufgrund der Bandbreite gilt der Kodex als für das Ratingwesen maßgeblicher Standard.[92]
Auf den internationalen Wertpapiermärkten gilt die IOSCO zwar als maßgeblicher Standardsetzer.[93] Mangels Rechtsetzungsbefugnis sind deren Kodizes jedoch rechtlich nicht bindend.[94] Eine Verletzung des IOSCO- Kodex begründet keine unmittelbaren Ansprüche.
e) Stellungnahme
Der Stellenwert von Ratings gleicht Testaten von Wirtschaftsprüfern.[95]
Ratings wie Jahresabschlüsse sind wegen subjektiver Entscheidungskomponenten keine reinen mathematischen Fakten. Wie bei Ratinganalysten werden die Pflichten der Wirtschaftsprüfer zu gewissenhafter und unparteiischer Abschlussprüfung aus § 323 I 1 HGB sowie § 43 WPO gesetzlich nicht weiter konkretisiert. Dies ist der Vielschichtigkeit der Tätigkeit geschuldet. Starre gesetzliche Vorgaben würden der erforderlichen Flexibilität und der Entwicklung neuer Prüfungsgrundsätze zuwider laufen.[96] Gleiches gilt im Ratingwesen. Auf dem Gebiet der Wirtschaftsprüfung trägt das privatrechtlich organisierte Institut der Wirtschaftsprüfer (IDW) mit seinen Verlautbarungen, die die Berufsauffassung der Wirtschaftsprüfer abbilden, maßgeblich zur Konkretisierung der Kernpflichten bei.[97] Die Prüfungsstandards sind zwar keine Rechtsnormen,[98] dienen in Regressfallen den Gerichten aber zur Orientierung und wirken so in der Regel faktisch als Mindestanforderungen.[99] Denkbar wäre auch im Ratingwesen auf branchenübliche Ratingstandards und deren faktischen Normbefolgungsdruck abzustellen. Das prominenteste Regelwerk ist der IOSCO-Kodex. Dieser wurde meist in die agentureigenen Verhaltenskodizes implementiert[100] und wird weitgehend eingehalten[101]. Der Kodex kann folglich als allgemein anerkannte Abbildung der Berufsordnung von Ratinganalysten qualifiziert werden. Vereinzelt wird moniert, dass dessen comply or explain - Ansatz sowie der hohe Abstraktionsgrad der Vorschriften zu breite Umsetzungsspielräume eröffnen.[102] Gerade dies ermöglicht eine Anpassung der Verhaltensregeln an agenturspezifische Eigenheiten und die Flexibilität, der es in der schnelllebigen Finanzbranche mit immer neuen Produkten bedarf. Wird keine konkrete Ratingmethode vorgegeben, fördert dies die Entwicklung innovativer Ratingmethoden und gleichsam den auf dem Ratingmarkt so dringend erforderlichen Wettbewerb. Der globalen Struktur des Ratingmarktes ist, nicht zuletzt wegen der „besonderen Mobilität des Kapitals"[103], mit international anerkannten Regelungen zu begegnen. Wie die IDW-Prüfungsstandards könnte der IOSCO-Kodex folglich als Richtschnur für die Konkretisierung der ratingspezifischen Kernpflichten fungieren.
f) Konkretisierung der Kernpflichten durch den IOSCO-Kodex
Nach dem IOSCO-Kodex bedeutet Objektivität das Bemühen um eine wirklichkeitsgetreue Abbildung der Bonität des Emittenten.[104] Die Agentur muss alle Faktoren berücksichtigen, die für die Bestimmung des Ausfallrisikos relevant sind.[105] Sie hat eine auf historischen Erfahrungswerten basierende, strenge und systematische Ratingmethode anzuwenden.[106] Dem Rating ist eine ausreichende Datenbasis zugrunde zu legen.[107] Neutralität erfordert die Wahrung der politischen und wirtschaftlichen Unabhängigkeit bei der Ratingerstellung.[108] Die Analysten müssen über die erforderliche Sachkunde verfügen,[109] im Besonderen bei strukturierten Finanzprodukten.[110] Unbeschadet schützenswerter Geschäftsgeheimnisse ist die angewandte Ratingmethode in Grundzügen offen zu legen, so dass das Rating im Wesentlichen nachvollzogen werden kann.[111]
[...]
[1] Bernstein, Wider die Götter, S. 9.
[2] Reidenbach, Aktienanalysten und Ratingagenturen, S. 276.
[3] Vgl. Möllers, JZ 2009, 861, 861.
[4] Haar, NZG 2010, 1281, 1281 m.w.N.
[5] Brieger, Ratingagenturen, S. 85 ff.
[6] SEC, Summary Report, S. 12, Fn. 8.
[7] Vgl. Jobst/Kapoor, WM 2013, 680, 680.
[8] BGH NJW 2013, 386 f.; Däubler, NJW 2013, 282, 282.
[9] Grundlegend Poelzig, ZVglRWiss 110 (2011), 395, 403 ff.
[10] Art. 35a der noch nicht in Kraft getretenen Verordnung zur Änderung der VO 2009/1060/EG v. 16.9.2009, („ÄnderungsVO"), abrufbar unter: http://register. consilium.europa.eu/pdf/de/12/pe00/pe00070-re01.de12.pdf (letzter Abruf: 01.06.2013).
[11] Fischer, Rating, S. 8.
[12] Kumpan, in: FS Hopt, S. 2157, 2159.
[13] Gleißner, in: Everling, Rating Analyst, S. 391, 392.
[14] Blickle, Ratingagenturen, S. 7.
[15] Zu den einzelnen Faktoren s. Grunwald/Grunwald, Bonitätsanalyse, S. 155 ff.
[16] Hiß/Nagel, Ratingagenturen, S. 43.
[17] Zur Notation s. Fey, in: Beck'sches Steuer- und Bilanzrechtslexikon, Rating, Rn. 5.
[18] Tönningsen, ZBB 2011, 460, 461.
[19] Kirchhof, in: Ebke/Seagon/Blatz, Finanzmarktkrise, S. 73, 80.
[20] Vgl. v. Schweinitz, WM 2008, 953, 953.
[21] Richter, Ratings zur Regulierung, S. 29 ff.
[22] Schneider, in: FS Hellwig, S. 329, 330.
[23] Cross/Prentice, Law and Corporate Finance, S. 41.
[24] Wagner, in: FS Blaurock, S. 467, 469.
[25] Vgl. BT-Drucks. 15/2815, S. 3.
[26] Wildmoser/Schiffer/Langoth, RIW 2009, 657, 661.
[27] Krämer, in: Hadding/Hopt/Schimansky, Bankrechtstag 1994, S. 3, 11.
[28] Heinrich, in: Musielak, ZPO, § 23 Rn. 1.
[29] BGH NJW 2013, 386 f.; Däubler, NJW 2013, 282, 282. Bei einer europäischen Ratingagentur richtet sich die Bestimmung des Gerichtsstands nach der EuGVVO.
[30] S. Teil D.I.
[31] Blaurock, ZGR 2007, 603, 604.
[32] Ausführlich Arntz, BKR 2012, 89, 90 m.w.N.
[33] Ebenso Hennrichs, in: FS Hadding, S. 875, 879.
[34] Statt vieler Mühl, Rating, S. 58.
[35] A.A. Eisen, Ratingagenturen, S. 220.
[36] Bauer, Ratingagenturen, S. 25.
[37] Schaub/Schaub, ZIP 2013, 656, 662.
[38] BGHZ 67, 1, 4.
[39] Stemper, Rating, S. 143 f. m.w.N.
[40] Lemke, Ratingwesen, S. 29 m.w.N.
[41] Deipenbrock, BB 2003, 1849, 1851.
[42] Peters, Ratingagenturen, S. 78.
[43] Ebenso Plück/Kühn, in: Achleitner/Everling, Rechtsfragen im Rating, S. 239, 241.
[44] Vgl. Witte/Hrubesch, ZIP 2004, 1346, 1349 m.w.N.
[45] Zur Finanzierungslast s. Großfeld, ZVglRWiss 101(2002), 387, 388.
[46] Ebenso Vetter, WM 2004, 1701, 1706.
[47] Eisen, Ratingagenturen, S. 226.
[48] Beispielhaft Moody's Investors Service, Code of Conduct, S. 2.
[49] Lemke, Ratingwesen, S. 34.
[50] Vgl. Grundmann/Renner, JZ 2013, 379, 383; ebenso Eisen, Ratingagenturen, S. 227.
[51] So aber Thiele, Rating, S. 37.
[52] So aber Lemke, Ratingwesen, S. 35.
[53] Hennrichs, in: FS Hadding, S. 875, 881.
[54] Krämer, in: Achleitner/Everling, Handbuch Ratingpraxis, S. 699, 702 m.w.N.
[55] Lampe, Ratingagenturen, S. 96.
[56] Sasdi, in: Sander/Deuber, Europäische Staatsschuldenkrise, S. 68, 72; A.A. Ebenroth/Daum, WM 1992, Sonderbeilage Nr. 5, 1, 8.
[57] Schuler, Ratingagenturen, S. 178, Fn. 993.
[58] Koppensteiner, in: Zöllner/Noack, AktG, § 305 Rn. 68; IDW S 1 i.d.F. 2008, Rn. 7.
[59] Emmerich, in: Emmerich/Habersack, AktienG, § 305 Rn. 53.
[60] BGHZ 65, 325, 335; BGH NJW 1997, 2593, 2594.
[61] Vgl. Kumpan, in: FS Hopt, S. 2157, 2170 m.w.N; s. Teil D.II.3.a).
[62] So auch Hennrichs, in: FS Hadding, S. 875, 880 f.
[63] Oellinger, Rating, S. 146.
[64] Anstatt vieler Meyer, Externes Rating, S. 81 m.w.N.
[65] Schuler, Ratingagenturen, S. 177.
[66] BGHZ 65, 325, 334; BGH NJW 1987, 2222, 2223; BGH NJW 1997, 2593, 2594.
[67] KG Berlin, WM 2006, 1432, 1433; anstatt vieler Peters, Ratingagenturen, S. 65 ff.
[68] § 2 I der Satzung von Stiftung Warentest.
[69] Zum Issuer-Pays-Modell s. Lerch, BKR 2010, 402, 405.
[70] Ebenso Mühl, Rating, S. 82.
[71] So auch Oellinger, in: Achleitner/Everling, Rechtsfragen im Rating, S. 358, 363f.
[72] Vgl. Leyens, in: Baum/Hellgardt, Wirtschaftsrecht, S. 423, 449 m.w.N.
[73] Vgl. Fett, in: Schwark/Zimmer, Kapitalmarktrecht, § 34b Rn. 49.
[74] Schuler, Ratingagenturen, S. 183 f. m.w.N.
[75] Holzborn/Israel, WM 2004, 1948, 1955; Buck-Heeb, Kapitalmarktrecht, Rn. 607.
[76] Schreiben der BaFin zur Auslegung einzelner Begriffe der §§ 31 II 4, 34b WpHG vom 21.12.2007, Ziff. 2b).
[77] Eisen, Ratingagenturen, S. 162.
[78] Vgl. Koller, in: Assmann/Schneider, WpHG, § 34b Rn. 6.
[79] Vgl. Fleischer, Gutachten F, S. 140.
[80] Schaub/Schaub, ZIP 2013, 656, 660 m.w.N.
[81] Fuchs, in: Fuchs, WpHG, § 34b Rn. 2.
[82] Befürwortend Krämer, in: Hadding/Hopt/Schimansky, Bankrechtstag 1994, S. 15.
[83] Ohne Anhaltspunkte für eine überschießende Umsetzung der RL 2003/6/EG sowie der RL 2003/125/EG BT-Drucks. 15/3174, S. 38.
[84] EwGNr. 10 der RL 2003/125/EG v. 22.12.2013, ABl. EU Nr. L 339.
[85] Insbesondere Art. 6-12 der VO 2009/1060/EG v. 16.9.2009, ABl.EG Nr. L 302, geändert durch VO 2011/513/EU v. 11.5.2011, ABl.EU Nr. L 145 („RatingVO").
[86] Faktisch ist die Beschränkung aufgrund des Gewichts der institutionellen Anleger ohne Bedeutung.
[87] EwG Nr. 69 der VO 2009/1060/EG.
[88] Vgl. Art. 20, Art. 24, Art. 36a der VO 2011/513/EU.
[89] Ebenso Lenenbach, Kapitalmarktrecht, Rn. 13.596.
[90] Kruse, in: Achleitner/Everling, Rechtsfragen im Rating, S. 3, 5 f.
[91] IOSCO-Kodex, S. 3.
[92] Vgl. CESR's Second Report, S. 3.
[93] Blaurock, JZ 2012, 226, 229.
[94] Habersack, ZHR 169 (2005), 185, 193.
[95] So auch Witte/Hrubesch, ZIP 2004, 1346, 1353.
[96] Ebke, in: MüKo HGB, § 323 Rn. 26 m.w.N.
[97] Marten/ Quick, Wirtschaftsprüfung, S. 71.
[98] Weimann, in: Matschke/Hering, Finanzwirtschaft, S. 42.
[99] Hopt/Merkt, in: Hopt/Merkt/Roth, HGB, § 323 Rn. 1; Ebke, in: MüKo HGB, § 323 Rn. 32 m.w.N.; a.A. Habersack/Schürnbrand, in: Staub, HGB, § 323 Rn. 13.
[100] Beispielhaft Fitch Ratings, Code of Conduct, S. 15.
[101] Vgl. CESR's Report, S. 4.
[102] Stemper, Rating, S. 156 f.; Deipenbrock, WM 2009, 1165, 1166.
[103] Reimer, GPR 2011, 217, 217.
[104] Vasella, Ratingagenturen, S. 157.
[105] 1.1 IOSCO-Kodex.
[106] 1.2 IOSCO-Kodex.
[107] 1.1, Art. 1.7 IOSCO-Kodex.
[108] 2.1, Art. 2.3 IOSCO-Kodex.
[109] 1.4, 1.7 IOSCO-Kodex.
[110] 1.7-3 IOSCO-Kodex.
[111] 3.5, 3.6 IOSCO-Kodex.