Es stellte sich mir, ob der beobachteten zögerlichen Entwicklung im deutschen
Bildungssystem in Richtung einer gemeinsamen Beschulung behinderter und
nicht behinderter Kinder und dem damit verbundenen schwierigen Verhältnis zur
heterogenen Gestaltung der Schülerschaft, immer mehr die Frage, welche Gründe
angeführt werden können, um dieses soziologische Phänomen zu erklären. Einige
andere Länder scheinen keine Problematik in Vielfalt zu sehen und haben sie für
sich als Gewinn, oder zumindest als annehmbares Miteinander, entdeckt und
beurteilen die Ignoranz gegenüber natürlicher Vielfalt als befremdlich. Auch
Domisch und Klein bestätigen: „Die Kanadier erklärten, [...], bei Ihnen dürfe der
Staat Menschen aufgrund ihrer Herkunft, Religion oder Rasse nicht
diskriminieren – auch wenn man dies in Deutschland vielleicht immer noch für
selbstverständlich erachte“ (Domisch, Klein 2011, S. 176). Gibt es abseits der
finanzpolitischen Diskussion in Bezug auf Inklusion und Integration noch weitere
Aspekte, die Gründe liefern, eine Gesellschaft der Vielfalt zu verhindern (vgl.
Speck 2011, S. 49 und Cloerkes 2001, S. 204-207, Muth 2012)? Und das, obwohl
Dörner bezüglich der Finanzierung sicher ist, dass inklusive Beschulung lediglich
in der Übergangsphase kostspielig werde (Körner 2011, S. 56).
Liegt die Schwierigkeit in der Akzeptanz der Behinderung als eine
Andersartigkeit, oder ist diese (vielleicht subjektiv) empfundene exkludierende
Gesellschaftsstruktur eine nachweisbare und die gesellschaftliche Teilhabe
tatsächlich nur ein unerfüllbarer visionärer Wunsch? Gibt es vielleicht Beispiele,
die (strukturelle) Alternativen zum deutschen Förderschulsystem darstellen?
Dieser Thematik möchte ich mich in meiner Arbeit, unter anderem mittels der
Beantwortung dieser Fragen widmen und dabei vorrangig auf die Betrachtung aus
Sicht von Menschen mit einer geistigen Behinderung eingehen. Zuerst werde ich
die UN-Menschenrechtskonvention für die Rechte behinderter Menschen
betrachten. Hier werde ich mich an die Schattenübersetzung des Netzwerks
Artikel 3 e.V. halten, die 2009 eine korrigierte Fassung der zwischen
Liechtenstein, Österreich, Deutschland und der Schweiz abgestimmten
Übersetzung zur Verfügung stellt. Anschließend Erving Goffmans
sozialkonstruktivistischen Ansatz vorstellen und das Etablierten-Außenseiter-
Modell von Norbert Elias und John L. Scotson erläutern. [...]
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
2. UN-Menschenrechtskonvention für die Rechte behinderter Menschen und die Motivation zur Formulierung dieser speziellen Vereinbarung
2.1 Intention und Ziel der UN-Menschrechtskonvention für die Rechte behinderter Menschen
2.2 Die UN-Meschenrechtskonvention für die Rechte behinderte Menschen und die Folgen für Bildungsinstitutionen in der BRD
2.3 Die UN-Menschenrechtskonvention für die Rechte behinderter Menschen und die Bilanz für die Bundesrepublik Deutschland bezüglich der Bildung
3 . Sozialkonstruktivistischer Ansatz nach Erving Goffman
3.1 Stigma, Stigmatisierung und mögliche Folgen
3.2 Theaterstückvergleich nach Goffman
4. Das Etablierten-Außenseiter-Modell von Norbert Elias und John L. Scotson
4.1 Differenzierung der Wohngebiete
4.2 Begründung für den Ausschluss
5. Definitionsmöglichkeiten (geistige) Behinderung
5.1 Geistige Behinderung als Diagnose
5.2 Geistige Behinderung und der Zugang zu Bildungsinstitutionen
5.3 Stigmatisierter Außenseiter durch geistige Behinderung
6. Menschenrecht Inklusion und die Macht der Institutionen
6.1 Schule als Basis einer inklusiven Gesellschaft
6.2 Pädagogik der Vielfalt als Gewinn
6.2.1 Nationales Beispiel gelungener Inklusion im Bildungssystem
6.2.2 Internationales Beispiel gelungener Inklusion im Bildungssystem
7. Bedeutung der Stigmatheorie für die Umsetzung der
UN-Menschenrechtskonvention für die Rechte behinderter Menschen
8. Bedeutung des Etablierten-Außenseiter-Modells für die Umsetzung der UN-Menschenrechtskonvention für die Rechte behinderter Menschen
9. Fazit und Prognose
Tabellenverzeichnis
Tab.1:Inklusion im Lebenslauf S.6
Tab.2:Entwicklung inklusiver Beschulung innerhalb 10 Jahre in der BRD S.14
Tab.3:Intelligenzquotient und Alterseinstufung S.29
Abbildungsverzeichnis
Abb.1:Bildungswesen in der Bundesrepublik Deutschland S.31
1. Einleitung
Es stellte sich mir, ob der beobachteten zögerlichen Entwicklung im deutschen Bildungssystem in Richtung einer gemeinsamen Beschulung behinderter und nicht behinderter Kinder und dem damit verbundenen schwierigen Verhältnis zur heterogenen Gestaltung der Schülerschaft, immer mehr die Frage, welche Gründe angeführt werden können, um dieses soziologische Phänomen zu erklären. Einige andere Länder scheinen keine Problematik in Vielfalt zu sehen und haben sie für sich als Gewinn, oder zumindest als annehmbares Miteinander, entdeckt und beurteilen die Ignoranz gegenüber natürlicher Vielfalt als befremdlich. Auch Domisch und Klein bestätigen: „Die Kanadier erklärten, [...], bei Ihnen dürfe der Staat Menschen aufgrund ihrer Herkunft, Religion oder Rasse nicht diskriminieren – auch wenn man dies in Deutschland vielleicht immer noch für selbstverständlich erachte“ (Domisch, Klein 2011, S. 176). Gibt es abseits der finanzpolitischen Diskussion in Bezug auf Inklusion und Integration noch weitere Aspekte, die Gründe liefern, eine Gesellschaft der Vielfalt zu verhindern (vgl. Speck 2011, S. 49 und Cloerkes 2001, S. 204-207, Muth 2012)? Und das, obwohl Dörner bezüglich der Finanzierung sicher ist, dass inklusive Beschulung lediglich in der Übergangsphase kostspielig werde (Körner 2011, S. 56).
Liegt die Schwierigkeit in der Akzeptanz der Behinderung als eine Andersartigkeit, oder ist diese (vielleicht subjektiv) empfundene exkludierende Gesellschaftsstruktur eine nachweisbare und die gesellschaftliche Teilhabe tatsächlich nur ein unerfüllbarer visionärer Wunsch? Gibt es vielleicht Beispiele, die (strukturelle) Alternativen zum deutschen Förderschulsystem darstellen?
Dieser Thematik möchte ich mich in meiner Arbeit, unter anderem mittels der Beantwortung dieser Fragen widmen und dabei vorrangig auf die Betrachtung aus Sicht von Menschen mit einer geistigen Behinderung eingehen. Zuerst werde ich die UN-Menschenrechtskonvention für die Rechte behinderter Menschen betrachten. Hier werde ich mich an die Schattenübersetzung des Netzwerks Artikel 3 e.V. halten, die 2009 eine korrigierte Fassung der zwischen Liechtenstein, Österreich, Deutschland und der Schweiz abgestimmten Übersetzung zur Verfügung stellt. Anschließend Erving Goffmans sozialkonstruktivistischen Ansatz vorstellen und das Etablierten-Außenseiter-Modell von Norbert Elias und John L. Scotson erläutern. Folgend werde ich auf den Ausdruck der geistigen Behinderung eingehen, um mich danach der Inklusion zu widmen - unter besonderer Betrachtung des Bildungssystems in Deutschland - und Beispiele gelungener schulischer Inklusion beleuchten. Darauf folgt die Überlegung, in welcher Weise sich die vorgestellten Konzepte eignen, die Umsetzung der UN-Menschenrechtskonvention für die Rechte behinderter Menschen zu erklären. Abschließen möchte ich mit einem Resümee.
Formal werde ich mich in meiner Arbeit auf die Bezeichnung eines Geschlechts beschränken, auch, wenn ich beide Geschlechter damit einschließe.
2. UN-Menschenrechtskonvention für die Rechte behinderter Menschen und die Motivation zur Formulierung dieser speziellen Vereinbarung
Bei der UN-Menschenrechtskonvention für die Rechte behinderter Menschen, die ich in meiner Arbeit im Fließtext auch als Behindertenrechtskonvention und in der Quellenangabe als BRK (laut Abkürzungsverzeichnis zum internationalen und regionalen Menschenschutz des Deutschen Instituts für Menschenrechte - kurz DIM) bezeichnen werde, handelt es sich um eine Vereinbarung der Vereinten Nationen, die, nachdem die Generalversammlung der UNO am 13.12.2006 eine Resolution (61/106) formuliert hatte, am 03.05.2008 in Kraft getreten ist (vgl. DIM 2012a). Dieses Übereinkommen basiert auf den Grundsätzen der Menschenrechte, die bereits am 10. Dezember 1948 formuliert wurden und für alle Mitgliedsstaaten ab dem Zeitpunkt der Unterzeichnung am 13.12.2006 gültig sind (vgl. Kultusministerium NRW 1995, S. 174).
Im Unterschied zu verschiedenen anderen Erklärungen der Vereinten Nationen sind Konventionen internationale Abkommen und bezüglich des Völkerrechts für alle unterzeichnenden Nationen bindend (vgl. DIM 2012b).
Diese speziell für die Rechte behinderter Menschen konzipierte Konvention manifestiert sich anhand der in Art. 3 deklarierten Grundsätze, die sich
[...] die Achtung der dem Menschen innewohnenden Würde, seiner Autonomie, einschließlich der Freiheit, eigene Entscheidungen zu treffen, sowie seiner Selbstbestimmung […] die Nichtdiskriminierung; […] die volle und wirksame Teilhabe an der Gesellschaft und Einbeziehung in die Gesellschaft [...] die Achtung vor der Unterschiedlichkeit von Menschen mit Behinderungen und die Akzeptanz dieser Menschen als Teil der menschlichen Vielfalt und der Menschlichkeit; […] die Chancengleichheit; […] die Barrierefreiheit […] die Gleichberechtigung von Mann und Frau; […] die Achtung vor den sich entwickelnden Fähigkeiten von Kindern mit Behinderungen und die Achtung ihres Rechts auf Wahrung ihrer Identität zur Aufgabe gemacht hat (BRK 2009, Art. 3, S. 5).
Die Vereinbarungen der Konvention erstreckt sich über alle Lebensbereiche und die gesamte Lebensdauer eines Menschen. Dies kann – nach Hillenbrand – wie folgt dargestellt werden:
Tab.1: Inklusion im Lebenslauf (Hillenbrand 2011, S. 10)
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Die Unverhältnismäßigkeit bezüglich der Summe von mehr als einer Milliarde Menschen, die weltweit mit einer Behinderung leben (bzw. 10% der Gesamtbevölkerung) und der gegenübergestellten Anzahl von lediglich etwa 40 Staaten (ca. 20%), die bindende Festlegungen fixiert haben, die diese Menschen rechtlich schützen, war für die Vereinten Nationen Motivation, sich dieser Gruppe anzunehmen und für sich die Verfassung einer optional weltweit gültigen
Vereinbarung zur Aufgabe zu machen (vgl. BMAS 2011a, S. 10).
Mittlerweile sind es (Stand: 02.10.2012) 154 Staaten, die diese Vereinbarung unterzeichnet haben und die Leitidee der Behindertenrechtskonvention damit aktiv unterstützen (vgl. UN 2012a).
Ein elementarer Punkt, der zur Niederschrift der Konvention beigetragen hat, ist, […], dass ein umfassendes und ein in sich geschlossenes internationales Übereinkommen zur Förderung und zum Schutz der Rechte und der Würde von Menschen mit Behinderungen sowohl in den Entwicklungsländern als auch in den entwickelten Ländern einen maßgeblichen Beitrag zur Beseitigung der tiefgreifenden sozialen Benachteiligung von Menschen mit Behinderungen leisten und ihre Teilhabe am bürgerlichen, politischen, wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Leben auf der Grundlage der Chancengleichheit fördern wird können (BRK 2009, Präambel Punkt y, S. 4).
Einen ökonomischen Aspekt sparen die Vereinten Nationen in einem individuellen Kontext ebenfalls nicht aus, indem sie explizit auf die Chance hinweisen, eigene Kräfte zu mobilisieren, sowie selbstbestimmt und eigenmächtig ihren Lebensalltag zu bewerkstelligen und formulieren:
„[…] that it is actually good economics to ensure that disabled persons are able to live up to their potential“ (UN 2012b).
Folglich werden Menschen mit einer Behinderung weltweit noch daran gehindert von Bildung zu profitieren, angemessene, den individuellen Fähigkeiten entsprechende Arbeit leisten zu dürfen, eine geeignete Gesundheitsversorgung zu erhalten, in vollem Umfang am Gesellschaftsleben teilzunehmen und absolute Akzeptanz zu erfahren.
All diese Beobachtungen waren für die Vereinten Nationen Motivation genug, eine internationale Vereinbarung zu formulieren, die sich der Belange betreffender Personengruppen annimmt.
2.1 Intention und Ziel der UN-Menschenrechtskonvention für die Rechte behinderter Menschen
„The purpose of the convention is to promote, protect and ensure the full and equal enjoyment of all human rights by persons with disabilities“ (UN 2012c).
Um den oben zitierten Zweck, die Bedürfnisse von Menschen, die mit einer Beeinträchtigung leben, in das Bewusstsein der übrigen Bevölkerung zu übertragen, bedarf es demnach nicht der Notwendigkeit neue Rechte oder Ansprüche zu formulieren, sondern lediglich die bereits bestehende Allgemeine Erklärung der Menschenrechte explizit für Menschen mit einer Behinderung zu bekräftigen (vgl. UN 2012d).
Die BRK bemüht sich außerdem um diese Rechte, mit der Absicht „[…] den vollen und gleichberechtigten Genuss aller Menschenrechte und Grundfreiheiten durch alle Menschen mit Behinderungen zu fördern, zu schützen und zu gewährleisten und die Achtung der ihnen innewohnenden Würde zu fördern“ (BRK 2009, Artikel 1, S. 4).
Valentin Aichele, der Leiter der Monitoring-Stelle des unabhängigen Deutschen Instituts für Menschenrechte formuliert dies, indem er bekräftigt, dass eine Veränderung vollzogen werden müsse, von einem wohltätig gefärbten Umgang, hin zur expliziten Wahrnehmung der Rechte völlig berechtigt geschehen müsse und verdeutlicht damit die Notwendigkeit des Wandels bezüglich der Wahrnehmung von Menschen, die mit einer Behinderung leben (Aichele 2010, S. 13).
Gleichzeitig gelte es, Rechte zu formulieren, die sich konkret über alle „[…] Lebensbereiche wie Barrierefreiheit, persönliche Mobilität, Gesundheit, Bildung, Beschäftigung, Rehabilitation, Teilhabe am politischen Leben, Gleichberechtigung und Nichtdiskriminierung“ erstrecken (Hüppe 2012a).
Somit sei die Intention und das Ziel der BRK die Inklusion, die beinhalte, dass als behindert klassifizierte Personen, von Beginn an als Teil der Gesellschaft zu akzeptiert seien (Hüppe 2012a).
Diese Aussage entspricht einem Entwicklungsprozess, der eine deutliche Umsetzung der Erkenntnis fordert, in der die Vereinten Nationen zu der Auffassung gelangt sind, dass jeder dieselbe Berechtigung auf alle Rechte und Freiheiten habe (BRK 2009, Präambel Punkt b, S. 1).
Zusätzlich zu den aufgeführten grundsätzlichen Leitsätzen legen die Verfasser der Konvention Wert darauf, das Bewusstsein in Bezug auf Behinderung in der Bevölkerung zu schärfen, auf individuelle Fähigkeiten aufmerksam zu machen und vorurteilsbehaftete Gedanken und Diskriminierungen zu unterbinden (vgl. BRK 2009, Art. 8, Absatz 1b-c, S. 9).
Diese Punkte miteinander addiert führen letztlich zum Ziel der Chancengleichheit und Chancengerechtigkeit und bekräftigen das natürliche Recht auf ungeteilte soziale Teilhabe, an einer von Vielfalt geprägten Gesellschaft.
2.2 Die UN-Menschenrechtskonvention für die Rechte behinderter Menschen und die Folgen für Bildungsinstitutionen in der BRD
Im Dezember 2008 wurde der Wunsch nach einer Veränderung hinsichtlich einer inklusiven Gesellschaftsstruktur innerhalb Deutschlands durch die Unterzeichnung der Konvention zum Ausdruck gebracht und schließlich zum 26.März 2009 wirksam. Am 18.11.2010 bestätigte die Kultusministerkonferenz daraufhin eine völkerrechtliche Verbindlichkeit der Behindertenrechtskonvention, womit die Umsetzung zur staatlichen Verpflichtung wurde (vgl. Klemm, Preuss-Lausitz 2011, S. 8-16).
So wird in der BRK im Art. 24 explizit formuliert, dass die Vereinten Nationen das Recht auf inklusive Bildung und die Wahrung der Chancengleichheit und die Chance auf lebensbegleitende Lernprozesse vorsieht. Zudem ist eine Entfaltung des Selbstwertgefühls, der Persönlichkeit, individueller Begabungen sowie kognitiver und physischen Fähigkeiten beabsichtigt. Die geschieht im Hinblick auf die Befähigung, an einer freien Gesellschaft zu partizipieren (vgl. BRK 2009, Art. 24, Abs. 1c, S. 18).
Eine Behinderung dürfe nicht als Begründung eines Ausschlusses aus dem allgemeinen Schulsystem gelten (BRK 2009, Artikel 24, Abs. 2a, S. 18-19). Diese Teilnahme sei allen Kindern außerdem kostenfrei und wohnortnah zu ermöglichen und habe unter der Prämisse der Diversität zu erfolgen (Klemm, Preuss-Lausitz 2011, S. 9).
Weiterhin wird die Vereinbarung getroffen, dass der Zugang zum allgemeinen Schulsystem, unter angemessen gestalteter Assistenz zu ermöglichen ist, die eine individuelle Entwicklung, unter sozialen und schulischen Aspekten und der Vorgabe lebenspraktischer und sozialer Fähigkeiten vorsieht und den sogenannten peer support - der Unterstützung Gleichgesinnter - miteinbezieht (vgl. BRK 2009, Art. 24, Abs. 3-3a, S. 19). Der dazu unabdingbare, barrierefreie Zugang zu den Bildungsinstitutionen umfasst nicht lediglich bauliche Maßnahmen zur Einebnung der Eingangsbereiche von entsprechenden Einrichtungen, oder etwa der Versorgung technischer Hilfsmittel, wie dem Einbau eines Fahrstuhls, sondern schließt eine breit formulierte Förderung des Erlernens von Kommunikationsmöglichkeiten und Sprache innerhalb des Schulalltages, wie die Aneignung der Gebärdensprache, oder der Brailleschrift, ein (vgl. BRK 2009, Art. 9, Abs. 1a, S. 10; Art. 24, Abs. 3a, S. 19).
Der Absatz 4 verweist auf die Schulungsmaßnahmen für pädagogische Fachkräfte, die nicht nur die notwendigen Fertigkeiten in Bezug auf neue Kommunikationsmethoden lehren, sondern ebenfalls auf Schulungen bezüglich der Auffassung von Behinderungen hinweisen und der Möglichkeit, entsprechenden Gebrauch von Methoden und adäquaten Hilfsmitteln zu machen, um eine Assistenz für behinderte Menschen zu ermöglichen (vgl. BRK 2009 Art. 24, Absatz 4, S. 19). Ebenfalls lässt sich der bereits dargestellte Bestandteil des Konventionsziels der Bewusstseinsbildung in der Bevölkerung anführen, der laut BRK „[...] die Förderung einer respektvollen Einstellung gegenüber den Rechten von Menschen mit Behinderungen auf allen Ebenen des Bildungssystems, auch bei allen Kindern von früher Kindheit an [...]“ vorsieht (BRK 2009, Artikel 8, Abs. 2b, S. 9).
Ein ebenso elementarer Aspekt für den Bereich Bildung ist im Artikel 30 fixiert, der sich unter anderem auf das Recht der Wahrnehmung kultureller Angebote bezieht, die als Teil von Bildung betrachtet werden können (vgl. Kohlmann 2011, S. 23-28).
Ziel bezüglich des Bildungssystems ist es, Voraussetzungen in einer sukzessiven Entwicklung zu schaffen, die keinerlei spezielle Maßnahmen der Integration oder Eingliederung mehr erforderlich machen, um jeden Menschen in den Genuss einer vollwertig gleichberechtigten und selbstbestimmten Teilhabe innerhalb eines gewählten Bildungsprozesses kommen zu lassen. Heterogenität als Normalität erleben zu dürfen, oder wie Katzenbach prägnant formuliert: “Integration ist Duldung, Inklusion ist Zugehörigkeit“ (Katzenbach 2012, S. 12).
Im Bildungsbereich Schule ist und bleibt das von Prengel (1995) als Pädagogik der Vielfalt bezeichnete Konzept der edukativen Begleitung (ausnahmslos) aller schulpflichtigen Kinder in der allgemeinen Schule, ein Thema mit großem Streitpotential und einem hohen Maß an Anstrengung, beim Versuch der Umsetzung in den Schulalltag (vgl. Theunissen, Schirbort 2006, S. 21).
Auf lange Sicht bedeute eine konsequente Umsetzung der Behindertenrechtskonvention für Deutschland, einem Land, das schon den Beginn des Normalisierungsprinzips in den 60er Jahren ignoriert habe - selbst nachdem einige Länder sich bereits um ein inklusives System bemüht hatten – und es stattdessen bevorzuge, den Aufbau einer Struktur aus Sonder-, und Fördereinrichtungen zu vollziehen, eine breite Deinstitutionalisierung (Theunissen, Schirbort 2006, S.61-62). Diese hat sich mittlerweile so weit ausdifferenziert, dass es bis heute sieben Formen von Förderschulen gibt, die ihre Schwerpunkte auf die einzelnen Bereiche Förderung der geistigen Entwicklung, der emotionalen und sozialen Entwicklung, der körperlichen und motorischen Entwicklung, des Lernens, des Sehens, der Sprache sowie des Hörens und der Kommunikation gelegt und entsprechend professionalisiert hat (vgl. NRW 2012a, S. 3 ff.). Ein inklusives Schulsystem, wie die Vereinbarung der Vereinten Nationen es vorsieht, ist jedoch gegensätzlich zum bisherigen Zeitpunkt eines, das für alle schulpflichtigen Kinder Gültigkeit hat und keinen Ausschluss von Kindern mit Beeinträchtigungen jedweder Form gestattet. Kein Attribut (weder ethnisch, noch körperlich, kognitiv, seelisch) besitzt die Kraft einem Kind den Zutritt zu einer wohnortnahen Bildungsinstitution zu verweigern und es von der Gemeinschaft der Kinder seines Schuleinzugsgebietes auszuschließen. Die zuständige Schulbehörde hat, basierend auf dieser Vereinbarung, lediglich nach dem Kriterium der nächstgelegenen Schule eine Zuweisungsmöglichkeit (vgl. Klemm, Preuss-Lausitz 2011, S. 10).
Somit bedeute das für ein Förderschulsystem, wie Deutschland es etabliert habe, eine große strukturelle Veränderung, da es diese Sonderinstitutionen nicht mehr erforderlich mache und zuständige Behörden angehalten seien, gemäß des Prinzips der Subsidiarität, das mit dieser Vereinbarung greife, zu handeln, was konkret bedeute, dass im Bedarfsfall der sonderpädagogischen Förderung immer erst die Beschulung in einer allgemeinen Schule vorzunehmen und der Förderbeschulung in jedem Fall vorzuziehen sei (Stöppler 2010, S. 20).
Für den Unterricht stellen sich, nach Unterzeichnung der Konvention, Anforderungen an die Beschulung von Kindern mit sonderpädagogischem Förderbedarf, die sich vielfältig, bezüglich notwendiger individueller Assistenzen, gestalten.
Das Unterrichtsgeschehen und die Lernumgebung habe sich nun, – im Gegensatz zur Integration, in der sich der Schüler den gegebenen Verhältnissen einfüge – hinsichtlich der Konzepte, des verwendeten Unterrichtsmaterials und der personellen Ressourcen, den Klassenmitgliedern anzupassen. Im optimalen Fall orientiere sich der zuständige Lehrer an den jeweiligen Fortschritten und der Lerngeschwindigkeit seiner Schüler und entwickele ein Gespür für die individuellen Neigungen und Bedürfnisse seiner Schüler, die er in einer Klassengemeinschaft unterrichtet (Dillenberg 2011, S. 5). Letztlich möge in jedem (Bildungs-) Fall gelten: „Bildung ist ein in Tätigkeit-setzen aller Kräfte, Gefühle und des Willens eines jeden Individuums zur allseitigen Ausbildung seiner Persönlichkeit“ (Hansen, Stein 1997, S. 45).
Um dies zu realisieren, sei eine vollständige Umsetzung aller Rechte behinderter Schüler und die Verwirklichung der Teilhabe an inklusiven Bildungseinrichtungen zu verfolgen (Hinz et al. 2010, S. 18).
2.3 Die UN-Menschenrechtskonvention für die Rechte behinderter Menschen und die Bilanz für die Bundesrepublik Deutschland bezüglich der Bildung
Im Jahr 2007 zog der Sonderberichterstatter der Vereinten Nationen für das Recht auf Bildung, Vernor Munoz, in seinem Bericht über das Bildungswesen in Deutschland eine wenig fortschrittliche Bilanz und kam dabei zu der ernüchternden Erkenntnis, dass behinderte Kinder jedoch an einer Teilhabe am Bildungssystem gehindert und folglich diskriminiert werden (vgl. Hinz et al. 2010, S. 149).
Dieses desaströse Zeugnis über das deutsche Bildungssystem deutet auf die Notwendigkeit einer tiefgreifenden Umstrukturierung hin und ist versehen mit einem klaren Auftrag an die einzelnen Landesregierungen, sich dieser anzunehmen. Denn letztlich ist es die Aufgabe, die es gilt umzusetzen, wenn es heißt, der Verpflichtung zur Umsetzung der Behindertenrechtskonvention auf der Ebene des Bildungssystems vollständig nachzukommen, der Diskriminierung und Chancenungerechtigkeit Einhalt zu gebieten und barrierefreie Zugänglichkeit zu allen Bereichen des sozialen Lebens zu gewährleisten.
Beobachtet und überwacht werden die Entwicklungen innerhalb Deutschlands von der offiziellen Monitoring-Stelle, die dem Deutschen Institut für Menschenrechte angeschlossen ist, als Kontrollorgan vom zuständigen Bundesministerium für Arbeit und Soziales fungiert und als offizielle Anlaufstelle - focal point (DIM 2012c) - gilt.
Der erste offizielle Bericht, und damit eine erste Bilanz für Deutschland im Zuge der tatsächlichen Umsetzung der Konvention, wurde dementsprechend in Form des Ersten Staatenberichts der Bundesrepublik Deutschland, im Jahr 2011 vorgelegt, nachdem dieser am 3.August 2011 vom Bundeskabinett beschlossen wurde. Dieser legt offen, wie weit die Entwicklung des, aus der Unterzeichnung resultierende Vorhaben Deutschlands, ein inklusives Lebensumfeld für behinderte Menschen zu schaffen, vorangetrieben wurde.
Der, basierend auf die Ziele der Vereinbarung entwickelte, N ationale A ktions p lan (NAP) , erstreckt sich über einen Zeitraum von 10 Jahren und wurde nicht allein konzipiert für die insgesamt etwa 9,5 Mio. Bundesbürger, die als behindert gelten (darunter 7,1 Mio. Menschen, die als schwer behindert eingestuft sind), sondern beinhaltet das ambitionierte Ziel in der deutschen Bevölkerung den Kerngedanken der inklusiven Bevölkerung fest zu verankern und ihn zu einer Selbstverständlichkeit gedeihen zu lassen. Der Nationale Aktionsplan sieht wiederum einen allumfassenden Maßnahmenkatalog vor, der 213 Einzelmaßnahmen beinhaltet und den Fokus auf die Aufmerksamkeit und die Wahrnehmung behinderter Menschen gerichtet hat, und sich zudem gesamtgesellschaftlich ausweiten möchte (vgl. BMAS 2011a, S. 11).
Ein tatsächlicher Schritt in Richtung Umsetzung ist in der Form geschehen, dass die Interessen von Menschen mit Beeinträchtigungen vom Inklusionsbeirat, dem der Beauftragte der Bundesregierung für die Belange behinderter Menschen vorsitzt, vertreten werden (vgl. BMAS 2011a, S. 12).
Dass jedes Bundesland in seinem Schulgesetz das Unterrichten in einer heterogenen Schullandschaft von behinderten und nichtbehinderten Kindern aufgenommen hat, kann als Teil-Bilanz gezogen werden. Praktisch umgesetzt ist dies jedoch nur sporadisch, mit dem Ergebnis, dass für das Schuljahr 2009/2010 konstatiert werden kann, dass noch rund 80% der Schüler mit sonderpädagogischem Förderbedarf in Sondereinrichtungen des Förderschulwesens beschult wurden (vgl. BMAS 2011a, S. 48). Diese Zahl veranlasst auch die BRK-Allianz der deutschen Nichtregierungsorganisationen zur Formulierung, dass Deutschland von einem inklusiven Schulsystem weit entfernt sei, es zudem schon an den erforderlichen Maßnahmen zur Assistenz mangeln lasse und der Gewährleistung entsprechender Vorkehrungen nicht Rechnung trage (BRK-Allianz 2012, S. 11).
Um die Hürde, der Öffnung einer Schule für jedes Kind zu überwinden, wurde eine Auszeichnung (Jacob-Muth-Preis für inklusive Schule) ins Leben gerufen, die einen Anreiz für Institutionen bieten möchte, und im Zusammenschluss der Bundesregierung, der Bertelsmann-Stiftung, der Sinn-Stiftung und der UNESCO-Kommission vergeben wird (vgl. BMAS 2011b, S. 52).
Im Bereich der Hochschulen gibt es einen Zusammenschluss, der bereits im Jahre 2009 eine Verpflichtung zur Hochschule für Alle eingegangen ist und damit eine Chancengerechtigkeit für behinderte Studierende bezwecken möchte. Um hier explizit zur Verbesserung der Situation von Menschen mit Behinderungen bezüglich einer Chancengleichheit im Bildungssystem beizutragen, gibt es finanziell unterstützte Projekte, wie beispielhaft dem der Diskriminierungsfreien Hochschule (vgl. BMAS 2011b, S. 54).
Eine weitere Bilanzierung, neben den Erkenntnissen aus dem Ersten Staatenbericht, lässt der aktuelle Bildungsbericht 2012 der Kultusministerkonferenz zu, und beinhaltet einige Zahlen, die die Entwicklung der vergangenen Jahre belegen. Obwohl, laut Bildungsbericht der Schüleranteil derjenigen, die direkt in eine Förderschule eingeschult werden von 3,7% (2009) auf 3,4% (2010) gesunken ist, sind die Unterschiede innerhalb Deutschlands zum Teil sehr groß. Beispiele aus dem Norden der Republik, wie Bremen oder Schleswig-Holstein, kommen auf weniger als 2%, während exemplarisch an den zwei südlichen Bundesländern Bayern und Baden-Württemberg, mehr als 4% der Erstklässler in Schulen mit sonderpädagogischem Förderbedarf eingeschult werden. Als erstaunlich erweist sich da die Entwicklung bezüglich integrativer Beschulung, denn diese Quote wurde im Laufe der Jahre zwischen 2000 und 2012 nahezu verdoppelt, zeigt sich in seiner Quote um 9% höher als es der Staatenbericht vermag (dieser geht von 20,1% aus), von vormals 14% auf 29% (vgl. KMK 2012b, S. 21; BMAS, 2011b, S. 51).
Tab.2: Entwicklung inklusiver Beschulung innerhalb 10 Jahre in der BRD (KMK 2012a, S. 37-41)
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Prinzipiell kann noch von einer Phase der Konzeption von Rahmenbedingungen gesprochen werden, die die Basis für eine künftige inklusiven Beschulung bilden. An konkreten Zahlen lässt sich eine bisherige stringente Umsetzung nicht festmachen, so dass nach wie vor keine bedeutsame Trendwende, bezüglich der Vorgaben, die aus der Unterzeichnung der Konvention resultieren, beobachtet werden kann. Im Bedarfsfall einer sonderpädagogischen Förderung wird auch weiterhin der Förderschulempfehlung, gegenüber einer inklusiven Beschulung, der Vorzug gegeben (vgl. KMK 2012b, S. 21).
Konkret sind jetzt – unter der Gegebenheit des Föderalismus in Deutschland - die Schulbehörden der einzelnen Länder aufgefordert, aus der Inklusion eine tatsächliche Einschließung aller möglich zu machen.
Die nach wie vor gerne als Inklusion verkaufte, tatsächliche Integration verhindere aber einen tiefgreifenden Einschnitt in das bestehende (Bildungs-)System, da eine Integration lediglich eine Einpassung in vorhandene Strukturen beschreibe, während eine Inklusion das Eingreifen in etablierte Muster nach sich ziehen müsse (Frühauf 2011, S. 31).
So stellen auch Domisch und Klein in ihrer eigenen Bilanz dem deutschen Schulsystem das Zeugnis aus, sie seien bei der Definition bzw. Übersetzung des Begriffs Inklusion nicht deutlich genug vorgegangen und konkretisieren, dass die Erkenntnis des exkludierenden Effekts in Deutschland, prägnant veranschaulicht, an der deutlich höheren Zahl an Förderschulbesuchern als inklusiv beschulten, sonderpädagogisch förderungsbedürftigen Kindern, der nach wie vor vorhandenen Dreigliedrigkeit des Schulsystems zuschreiben sei (Domisch, Klein 2011, S. 19).
3. Sozialkonstruktivistischer Ansatz nach Erving Goffman
Sozialkonstruktivistische Konzepte haben ihren Ursprung innerhalb einer anonymisierten Gesellschaft und bemühen sich um die Beantwortung der Frage nach einer sozialen Ordnung, die einer allgemeinen Regelung und deren Akzeptanz unterliegen (vgl. Moser 2010, S. 22). Der Begriff der Behinderung aus der Perspektive des Sozialkonstruktivismus etwa, bedeutet zunächst einmal eine Differenzierung aus individueller Perspektive, die es erlaubt, anhand eigener Kriterien zu unterscheiden, ob es sich bei den Beobachtungen um Handlungen eines Behinderten handelt oder nicht.
Konstruierte Wirklichkeiten entstehen durch die wechselseitigen Erwartungen typischer Verhaltensweisen, was bedeute, dass sich Handlungsroutinen durch Vorerfahrungen in Bezug auf Interaktionen einstellen und die Teilnehmer einer Interaktion, basierend auf diesen Erfahrungen, ein bestimmtes Verhalten erwarten und einordnen (Abels 2007, S. 314).
3.1 Stigma, Stigmatisierung und mögliche Folgen
Ein Stigma bezeichnet in seiner ursprünglichen Bedeutung und in der wörtlichen Übersetzung Brand-, oder Schandmal, das im Charakter eines entweder körperlichen, sowie seelischen oder sozialen Attributs auftreten kann (vgl. Hillmann 1994, S. 843) Dieses Merkmal werde zudem, im allgemein Verständnis, als negativ bewertet und beschreibe den Zustand einer Person oder Personengruppe, der die restlose Akzeptanz in der Bevölkerung verwehrt werde (Goffman 1988, S. 7).
Aus dem Blickwinkel des Sozialkonstruktivismus betrachtet, sei ein Stigma ein von der Norm abweichendes Verhalten und werde in diesem Sinne auch als Devianz bezeichnet (Cloerkes 2001, S. 126).
So bezeichnet auch Goffman in seinem Werk Stigma. Über Techniken der Bewältigung beschädigter Identität den Begriff des Stigma, mit einem Blick der Verhältnismäßigkeit, da er nicht eine Eigenschaft beschreibt, sondern sich auf eine relative Betrachtung bezieht (vgl. Goffman 1988, S. 11). Ein Stigma steht also immer in Verbindung mit einer Eigenschaft, die ein Individuum in erschütterndem Maße zu diskreditieren vermag, die aber – Goffman hier folgend - zwingend notwendig relativ gesehen werden müsse, da eine isoliert betrachtete Eigenschaft jemanden stigmatisieren könne, oder ihn gegensätzlich als vollkommen normal beschreibe (Goffman 1988, S.11).
Die Zuschreibung eines Stigmas entwickelt sich von einer bloßen Einschätzung eines Individuums, mit den daran geknüpften Erwartungen hinsichtlich eines künftigen Verhaltens zu Ansprüchen, die an die Person bezüglich künftiger Interaktionen gestellt werden (vgl. Goffman 1988, S. 10).
Eine Stigmatisierung sei dem folgend die Reaktion auf ein mit einem Stigma behaftetes Individuum, die Cloerkes als das Verhalten der Person gegenüber, basierend auf der Zuschreibung eines Stigmas, bezeichnet (Cloerkes 2001, S. 135). Dieses erlebe das betroffene Individuum als eine gravierende Minderung des eigenen Ansehens (Goffman 1988, S. 11).
Eine Stigmatisierung gewinne lediglich dann an Bedeutung, wenn eine Erwartungshaltung im Sinne einer entsprechenden Normerfüllung an die betreffende Person herangetragen werde, beziehungsweise ihr gegenüber bestehe (Goffman 1988, S. 16). Die entsprechende sozialkonstruktivistische Sichtweise für diese Form der Klassifizierung zeige, dass Handelnde eine Situation und sich selbst nach den Mustern die ihnen vertraut sind einordnen und entsprechendes für sich als üblich oder gewöhnlich klassifiziertes Verhalten erwarten (Abels 2007, S. 313).
Dieser Punkt, dass ein Mensch sich durch ein bestimmtes Merkmal, oder eine Eigenschaft in so gravierendem Maße von der übrigen Gesellschaft unterscheide, dass sich darauf basierend eine Stigmatisierung und folglich ein Ausschluss aus dem Kollektiv vollziehe, könne lediglich entstehen, wenn die Gesellschaft für diese Form der Andersartigkeit einen Ausdruck definiere und Kriterien bestehen, anhand derer sich das anders sein beschreiben lasse (Goffman 1988, S. 154).
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- Arbeit zitieren
- Natalie Fröhlich-Primus (Autor:in), 2012, Zur Umsetzung der UN-Menschenrechtskonvention für die Rechte von Menschen mit Behinderung, München, GRIN Verlag, https://www.hausarbeiten.de/document/262498