Vorwort
Angeblich handelte es sich „bei Thomas Manns Verhältnis zur Philosophie […] recht besehen um ein Unverhältnis“1, die philosophischen Kenntnisse Thomas Manns seien gering gewesen. Arthur Schopenhauer und Friedrich Nietzsche aber wurden von Thomas Mann immer wieder herangezogen.
Thomas Manns intensive Schopenhauer-Lektüre ist nach eigenen Angaben in späteren Briefen im Jahre 1899 anzusiedeln. Eine Vordatierung auf 1895/1896 ist unwahrscheinlich, da die frühen Romankonzeptionen keine schopenhauerschen Motive zeigen und die Verarbeitung des Leseerlebnisses in den Buddenbrooks sich auf Thomas Buddenbrooks Schopenhauer- Rausch beschränkt und ein „auffallend untypisches Einsprengsel darstellt “2. Die Lektüre hingegen ist viel früher, schon im Jahre 1894 anzusetzen und streckte sich über Jahrzehnte hin. Thomas Mann soll sich nicht nur mit Nietzsches eigentlichem philosophischen Werk, sondern auch mit dessen Briefen und zahlreichen Werken über Nietzsche beschäftigt haben. Jedoch ist seine Nietzscheauffassung und -auslegung, je nach politischen und gesellschaftlichen Geschehnissen argen Schwankungen unterworfen. Der Einfluss der Philosophie Schopenhauers auf die „Buddenbrooks“ ist umstritten. Nach Thomas Manns Selbstaussagen in einem Brief an Agnes E. Meyer vom Januar 1951 hat er Schopenhauers „Welt als Wille und Vorstellung“ erst kennen gelernt, als er bereits im letzten Drittel des Buches stand. „Aber außer diesem Kapitel ist nichts in dem Roman Produkt meiner Schopenhauer-Lektüre“. Später heißt es, „Schopenhauers pessimistische Moral, Nietzsche´s Décadence-Psychologie […] waren die Bildungselemente, die dem Erzählwerk des Dreiundzwanzig- bis Fünfundzwanzigjährigen (Thomas Mann), >Buddenbrooks< […] zur Gestalt verhalfen“3. Die Selbstaussagen Thomas Manns sind immer mit äußerst kritischem Blick zu betrachten und gründlich zu überprüfen, da sich Thomas Mann mit seinen Selbstkommentaren in die Tradition Lavaters und anderer öffentlicher autobiographische r Selbstdarstellungen einreihen lässt.
Die Forschung, insbesondere Hans Zeller, ist, unbeirrt der widersprüchlichen Selbstaussagen Thomas Manns, der Ansicht, daß der Roman in seiner gesamten Konzeption von der schopenhauerschen Philosophie geprägt und strukturiert ist.
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Inhalt
1.0 Vorwort
2.0 Thomas Manns Schopenhauer-Leseerlebnis
2.1 Thomas Buddenbrooks Leseerlebnis
3.0 Schopenhauer-Lektüre als religiöses Erlebnis
4.0 Die Philosophie Schopenhauers und Nietzsches im Vergleich
4.1 Der Wille
4.2 Der Verstand
4.3 Die Lösungsmodelle
4.3.1. Schopenhauers Lösungsmodell
4.3.2 Nietzsches Lösungsmodell
5.0 „Kreativer Missbrauch“ der Philosophie bei Thomas Buddenbrook
6.0 Die Quintessenz des Romans aus Philosophischer Perspektive
7.0 Schlusswort
Bibliographie
Erklärung
Anhang:
Tabellarische Übersicht über Inhalt und Zeitlichkeit in den Kapiteln der „Buddenbrooks“
Thomas Mann und die Rezeption der Philosophie Schopenhauers und Nietzsches in den “Buddenbrooks”
1. 0 Vorwort
Angeblich handelte es sich „bei Thomas Manns Verhältnis zur Philosophie […] recht besehen um ein Unverhältnis“[1], die philosophischen Kenntnisse Thomas Manns seien gering gewesen.
Arthur Schopenhauer und Friedrich Nietzsche aber wurden von Thomas Mann immer wieder herangezogen.
Thomas Manns intensive Schopenhauer-Lektüre ist nach eigenen Angaben in späteren Briefen im Jahre 1899 anzusiedeln. Eine Vordatierung auf 1895/1896 ist unwahrscheinlich, da die frühen Romankonzeptionen keine schopenhauerschen Motive zeigen und die Verarbeitung des Leseerlebnisses in den Buddenbrooks sich auf Thomas Buddenbrooks Schopenhauer-Rausch beschränkt und ein „auffallend untypisches Einsprengsel darstellt“[2].
Die Lektüre hingegen ist viel früher, schon im Jahre 1894 anzusetzen und streckte sich über Jahrzehnte hin. Thomas Mann soll sich nicht nur mit Nietzsches eigentlichem philosophischen Werk, sondern auch mit dessen Briefen und zahlreichen Werken über Nietzsche beschäftigt haben. Jedoch ist seine Nietzscheauffassung und -auslegung, je nach politischen und gesellschaftlichen Geschehnissen argen Schwankungen unterworfen.
Der Einfluss der Philosophie Schopenhauers auf die „Buddenbrooks“ ist umstritten. Nach Thomas Manns Selbstaussagen in einem Brief an Agnes E. Meyer vom Januar 1951 hat er Schopenhauers „Welt als Wille und Vorstellung“ erst kennen gelernt, als er bereits im letzten Drittel des Buches stand. „Aber außer diesem Kapitel ist nichts in dem Roman Produkt meiner Schopenhauer-Lektüre“.
Später heißt es, „Schopenhauers pessimistische Moral, Nietzsche´s Décadence-Psychologie […] waren die Bildungselemente, die dem Erzählwerk des Dreiundzwanzig- bis Fünfundzwanzigjährigen (Thomas Mann) , >Buddenbrooks< […] zur Gestalt verhalfen“[3].
Die Selbstaussagen Thomas Manns sind immer mit äußerst kritischem Blick zu betrachten und gründlich zu überprüfen, da sich Thomas Mann mit seinen Selbstkommentaren in die Tradition Lavaters und anderer öffentlicher autobiographischer Selbstdarstellungen einreihen lässt.
Die Forschung, insbesondere Hans Zeller, ist, unbeirrt der widersprüchlichen Selbstaussagen Thomas Manns, der Ansicht, daß der Roman in seiner gesamten Konzeption von der schopenhauerschen Philosophie geprägt und strukturiert ist. Der gesamte Roman ist nach Zellers Auffassung von einer `Strukturlinie durchzogen, einer kontinuierlich abnehmenden Vitalität und Lebenskraft (Wille zu Leben nach Schopenhauer) bei umgekehrt verlaufender, also stetig zunehmender intellektueller und sensitiver Vertiefung` (Erkenntnis). Diese Strukturlinie ist eine „Linie, die in der Auslöschung von Vitalität und biologischer Existenz (Verneinung des Willens) enden wird“[4].
In wie weit die Philosophie Nietzsches und Schopenhauers Thomas Manns Werk „Buddenbrooks“ nun tatsächlich beeinflusst hat, werde ich kaum klären können. Dennoch sind in den „Buddenbrooks“ einige Spuren Thomas Manns -mehr oder weniger- intensiven Auseinadersetzungen mit den beiden Star-Philosophen zu finden, denen ich in dieser Arbeit nachgehen möchte. Insbesondere möchte ich mich dabei mit dem Kapitel 5, des zehnten Teils der „Buddenbrooks“ beschäftigen, da dort etwaige Einflüsse der Philosophie Schopenhauers und Nietzsches am offensichtlichsten sind und schauen, welcher Art diese Einflüsse sind.
2.0 Thomas Manns Schopenhauer-Leseerlebnis
Thomas Manns Brockhausausgabe von Schopenhauers „Welt als Wille und Vorstellung“ war nur ein Gelegenheitskauf gewesen „geschehen mehr um des Besitzes als um des Studiums willen […]“ So Thomas Mann: „Aber die Stunde kam, die mich lesen ließ, und so las ich denn Tage und Nächte lang, wie man wohl nur einmal liest“[5].
Für Thomas Mann war diese Lektüre „ein seelisches Erlebnis ersten Ranges und unvergeßlicher Art […]“
„So liest man nur einmal. Das kommt nicht wieder.“[6]
Weiter beschreibt er das Leseerlebnis mit den Wörtern Erfülltheit, Hingerissenheit, Genugtuung und als metaphysischen Rausch. Diese Wortwahl findet man auch in der Beschreibung Thomas Buddenbrooks Leseerlebnis wieder. Explizit sagt Thomas Mann:
„Es ging mir in diesen Büchern ein wenig so, wie ich es meinem Thomas Buddenbrook mit dem Bande Schopenhauer ergehen ließ […]“[7].
Thomas Mann hat das Erlebnis in den Buddenbrooks, Teil 10, Kapitel 5 verarbeitet:
„Es war eine glückliche Fügung, daß sich mir sogleich die Möglichkeit bot, mein unbürgerliches Erlebnis in das zu Ende gehende Bürgerbuch einzuflechten“[8]. „ Zwei Schritte von meinem Kanapee lag aufgeschlagen das Manuskript, welches eben bis zu dem Punkte gediehen war, daß es galt, Thomas Buddenbrook zu Tode zu bringen. Ihm schenkte ich das teure Erlebnis, das hohe Abenteuer, in sein Leben, dicht vor dem Ende, wob ich es erzählend ein.“[9]
2.1 Thomas Buddenbrooks Leseerlebnis
„Es war Hochsommer des Jahres vierundsiebzig.“ (S. 653) als Thomas Buddenbrook „in einem Buche“ liest, das ihm „halb gesucht, halb zufällig in seine Hände geraten war“.
Er hatte es „in einem tiefen Winkel des Bücherschrankes, hinter stattlichen Bänden versteckt, gefunden und sich erinnert daß er es einst […] beim Buchhändler zu einem Gelegenheitspreise achtlos erstanden hatte: ein ziemlich umfangreiches, auf dünnem und gelblichen Papier schlecht gedrucktes und schlecht geheftetes Werk, der zweite Teil nur eines berühmten metaphysischen Systems.“ (S. 654) „Es trug aber dieses Kapitel den Titel: „Über den Tod und sein Verhältnis zur Unzerstörbarkeit des Wesens an sich.“ (S. 655)
Mit dieser Kapitelüberschrift kann man dieses metaphysische Werk eindeutig als Schopenhauers „Welt als Wille und Vorstellung“ identifizieren.
Er las „vier volle Stunden lang mit wachsender Ergriffenheit“, „vom ersten bis zum letzten Buchstaben“, „ mit fest geschlossenen Lippen und zusammengezogenen Brauen“. „Die Stunden schwanden, ohne daß er vom Buche aufgeblickt oder auch nur seine Stellung im Stuhle verändert hätte“ (S. 655). Er las „in tiefer Versunkenheit“ und empfand eine „ungekannte, große und dankbare Zufriedenheit“ und „unvergleichliche Genugtuung“ (S. 654). Er fühlte sein Wesen „von einer schweren dunklen Trunkenheit erfüllt; seinen Sinn umnebelt und vollständig berauscht von irgendetwas unsäglich Neuem, Lockendem und Verheißungsvollem […]“ (S. 655).
Ob dieses Kapitel als Kernszene und konstruktiver Höhepunkt des gesamten Romans gelten kann und darf, weil es in der Zeit des Fin de Siècle der philosophischen Strömung und Nietzsche-Rezeption der Philosophie Rechnung trägt, und ob man aufgrund des einen Kapitels eine gesamtphilosophische Konzeption unterstellen kann, das halte ich für zweifelhaft. Wie dieses philosophische Einsprengsel zu verstehen und möglicherweise sogar als Anti-klimax zu deuten ist, möchte ich in den folgenden Punkten zeigen.
3.0 Schopenhauer-Lektüre als religiöses Erlebnis
Zwar hat Thomas Buddenbrook gewisse Sympathien für den Katholizismus, er ist aber eher vom leidenschaftlichen Protestantismus ergriffen. Dennoch kann ihm das Höchste und Letzte in diesem Augenblick, wo er sich von seinem einzigen Sohn als Erbfolger abwendet[10] und seine Ehe kriselt „keine Vermittlung, Absolution, Betäubung oder Tröstung“ bieten (S. 653).
Zuflucht und Hoffnung auf Antwort und Beistand sucht er in Schopenhauers Schriften. So kann man Thomas philosophischen Ausflug als den Versuch einer Religionssubstitution und sein Leseerlebnis als Erlebnis mit religiösem Charakter bezeichnen.
Als Beleg für diese These dient die Beschreibung seines nächtlichen Erlebnisses in Folge der Nachwirkungen der Lektüre:
„Plötzlich war es, wie wenn die Finsternis vor seinen Augen zerrisse […] und eine unermesslich tiefe, eine ewige Fernsicht von Licht enthüllte“
Dieses Erlebnis ließe sich aufgrund der Licht-Finsternis-Symbolik auch als Todesnäheerlebnis oder doch zumindest als eine, auf Thomas naiv-religiösen Vorstellungen beruhende Erscheinung deuten.
Anschließend fragt Thomas: „War das der Tod? […] Der Tod war ein Glück […] Es war die Rückkunft von einem unsäglich peinlichen Irrgang, die Korrektur eines schweren Fehlers, die Befreiung von den widrigsten Banden und Schranken – und einen beklagenswerten Unglücksfall machte er wieder gut.“ (S. 656/657)
Thomas empfindet dies nächtliche Erlebnis als Erleuchtung, als „plötzliche, beseligende Erhellung seines Innern“ (S. 658), still und inbrünstig mit gefalteten Händen. Sein Verhalten und das verwendete Vokabular weisen darauf hin, daß es sich hier mehr um ein emotionales religiöses Erlebnis denn um ein intellektuelles philosophisches geht.
4.0 Die Philosophie Schopenhauers und Nietzsches im Vergleich
Ich möchte an dieser Stelle -auch wenn es den Lesefluss stören mag- einen Exkurs über die Philosophie Schopenhauers und Nietzsches einschieben, Ähnlichkeiten und Unterschiede kurz skizzieren, um später Thomas Manns Rezeption der beiden Philosophen nachvollziehen zu können.
[...]
[1] Thomas-Mann-Handbuch, Thomas Mann und die Philosophie, S. 259
[2] Buddenbrook-Handbuch, Die Philosophie, S. 296
[3] Thomas Mann in „Meine Zeit“ März 1950, zitiert nach Wysling, Hans (Hrsg.): „Schopenhauer“ in: Thomas Mann, Selbstkommentare, „Buddenbrooks“, S. 123
[4] Vogt, Jochen: Thomas Mann „Buddenbrooks“, UTB, S. 81
[5] Lebensabriss S. 110
[6] BeU S. 71 (BeU=Betrachtungen eines Unpolitischen)
[7] Lebensabriss S. 110
[8] Lebensabriss S. 110
[9] BeU S. 71
[10] „Eben darauf, daß der Erzeuger im Erzeugten sich selbst wiedererkennt, beruht die Vaterliebe…“
Schopenhauer, Welt als Wille und Vorstellung, Bnd. I. S. 650
- Arbeit zitieren
- Kerstin Schramm (Autor:in), 2004, Die Philosophie Schopenhauers und Nietzsches in Thomas Manns "Buddenbrooks", München, GRIN Verlag, https://www.hausarbeiten.de/document/24657