Mit der Einrichtung des Zivilen Friedensdienstes (ZFD) hat die rot-grüne Bundesregierung
1999 ein vermeintlich neues Instrument in der Entwicklungszusammenarbeit geschaffen.
Im ZFD wirken staatliche und nichtstaatliche Träger der Entwicklungszusammenarbeit
zusammen, um Konflikte und Gewalt zu verhindern und um nachhaltige Friedensstrukturen
aufzubauen. Damit wird einer Entwicklung von Konflikten - meist in Entwicklungsländern -
Rechnung getragen, die geprägt ist von zunehmender Privatisierung von Gewalt und Kriegen,
die sich mit herkömmlichen Mitteln der Außenpolitik oder Entwicklungszusammenarbeit
nicht mehr bearbeiten zu lassen scheint. Diese Arbeit beschäftigt sich mit dem Zivilen
Friedensdienst und seinen Potentialen für die Konfliktbearbeitung in den
Entwicklungsländern. Zwar ist der Zivile Friedensdienst auf Konflikte in aller Welt angelegt,
doch wird offensichtlich, dass dessen Potentiale und Arbeitsfelder hauptsächlich in
Entwicklungsländern zu sehen sind. Es soll untersucht werden, ob der Zivile Friedensdienst eine adäquate Reaktion auf die gegenwärtige Konfliktsituation in Entwicklungsländern darstellen kann. Ferner soll nach
Möglichkeiten der Zusammenarbeit zwischen NROs und der Bundesregierung gefragt
werden. Nach einem Abriss der gegenwärtigen Konfliktsituation der Dritten Welt sollen die
historischen und ideengeschichtlichen Grundlagen eines ZFD beleuchtet werden.
Anschließend wird das Rahmenkonzept des ZFD aufgezeigt. In einem kurzen Exkurs soll die
Bedeutung einer einheitlichen Konfliktphasenerkennung verdeutlicht werden, sowie die
Haltung der Bundesregierung zu diesem Gesichtspunkt. Die Potentiale des geschaffenen ZFD
sollen schließlich nach einer Beschreibung der Stärken und Schwächen von NROs untersucht
werden. In der Forschung ist der Stellenwert des neu geschaffenen ZFD umstritten. An dieser
Diskussion möchte sich diese Arbeit beteiligen. Da der ZFD des BMZ ein recht neues Instrument in der Entwicklungszusammenarbeit ist, sieht die Literaturlage zu diesem Themengebiet trotz vermeintlicher Fülle recht dürftig aus. Hervorzuheben ist der Sammelband „Ziviler Friedensdienst - Fachleute für den Frieden“, der
mit Beiträgen von Autoren aus allen Bereichen der Entwicklungspolitik und
Friedenswissenschaft versucht, alle Aspekte eines ZFD zu behandeln. Eine wissenschaftliche
Gesamtdarstellung zum neu geschaffenen ZFD wäre weiterhin wünschenswert. [...]
Inhalt
Einleitung
1. Die heutige Konfliktsituation in der dritten Welt
2. Grundlagen eines ZFD
3. der Zivile Friedensdienst (ZFD)
4. „early warning“ - Krisenreaktion
5. Die Nichtregierungsorganisationen - NRO
6. Stärken und Schwächen der NROs
7. Potentiale eines ZFD
Schlussbetrachtung
Literaturverzeichnis
Einleitung
Mit der Einrichtung des Zivilen Friedensdienstes (ZFD) hat die rot-grüne Bundesregierung 1999 ein vermeintlich neues Instrument in der Entwicklungszusammenarbeit geschaffen.
Im ZFD wirken staatliche und nichtstaatliche Träger der Entwicklungszusammenarbeit zusammen, um Konflikte und Gewalt zu verhindern und um nachhaltige Friedensstrukturen aufzubauen. Damit wird einer Entwicklung von Konflikten - meist in Entwicklungsländern - Rechnung getragen, die geprägt ist von zunehmender Privatisierung von Gewalt und Kriegen, die sich mit herkömmlichen Mitteln der Außenpolitik oder Entwicklungszusammenarbeit nicht mehr bearbeiten zu lassen scheint. Diese Arbeit beschäftigt sich mit dem Zivilen Friedensdienst und seinen Potentialen für die Konfliktbearbeitung in den Entwicklungsländern. Zwar ist der Zivile Friedensdienst auf Konflikte in aller Welt angelegt, doch wird offensichtlich, dass dessen Potentiale und Arbeitsfelder hauptsächlich in Entwicklungsländern zu sehen sind.
Es soll untersucht werden, ob der Zivile Friedensdienst eine adäquate Reaktion auf die gegenwärtige Konfliktsituation in Entwicklungsländern darstellen kann. Ferner soll nach Möglichkeiten der Zusammenarbeit zwischen NROs und der Bundesregierung gefragt werden.
Nach einem Abriss der gegenwärtigen Konfliktsituation der Dritten Welt sollen die historischen und ideengeschichtlichen Grundlagen eines ZFD beleuchtet werden. Anschließend wird das Rahmenkonzept des ZFD aufgezeigt. In einem kurzen Exkurs soll die Bedeutung einer einheitlichen Konfliktphasenerkennung verdeutlicht werden, sowie die Haltung der Bundesregierung zu diesem Gesichtspunkt. Die Potentiale des geschaffenen ZFD sollen schließlich nach einer Beschreibung der Stärken und Schwächen von NROs untersucht werden.
In der Forschung ist der Stellenwert des neu geschaffenen ZFD umstritten. An dieser Diskussion möchte sich diese Arbeit beteiligen.
Da der ZFD des BMZ ein recht neues Instrument in der Entwicklungszusammenarbeit ist, sieht die Literaturlage zu diesem Themengebiet trotz vermeintlicher Fülle recht dürftig aus. Hervorzuheben ist der Sammelband „Ziviler Friedensdienst - Fachleute für den Frieden“,[1] der mit Beiträgen von Autoren aus allen Bereichen der Entwicklungspolitik und Friedenswissenschaft versucht, alle Aspekte eines ZFD zu behandeln. Eine wissenschaftliche Gesamtdarstellung zum neu geschaffenen ZFD wäre weiterhin wünschenswert. Bei der Beschreibung der gegenwärtigen Konfliktsituation in der dritten Welt ist im Wesentlichen auf das wegweisende Buch H. Münklers, „Die neuen Kriege“[2] zurückgegriffen worden.
1. Die heutige Konfliktsituation in der dritten Welt
Mit dem Ende des Kalten Krieges und dem anschließenden Staatszerfall sind an Stelle der überregionalen Machtblöcke und deren sogenannter Stellvertreterkriege zunehmend innerstaatliche Konflikte in den Vordergrund gerückt. Die Zahl der Kriege innerhalb von Staaten hat weltweit nach dem Ende des Ost-West-Konflikts sogar noch einmal zugenommen.[3] Dabei sind es in eher geringer Weise die willkürlichen Grenzziehungen der Kolonialmächte, die zu Konflikten führen.[4] Die „neuen Kriege“ sind selten als Ganzes fassbar. Kriege und Konflikte in Entwicklungsländern sind - zumal in Afrika - mit seltenen Ausnahmen Bürgerkriege, deren einzelne Parteien und ethnische Gruppen oftmals von sogenannten warlords repräsentiert werden. Diese weitgehend unabhängigen Kriegsführer beanspruchen meist entweder territoriale Kontrolle oder politische Mitsprache. Oft geht es aber schlicht um wirtschaftliche Gewinne.[5] Warlords kontrollieren in der Regel einen Teil des Landes und starten von dort aus Übergriffe auf die Nachbarregionen. Durch diese Taktik sind die Regierungen gezwungen, ebenfalls eine kontrollierte Region als Basis ihrer Verteidigung auszubauen.[6] Damit passen sie sich in der Vorgehensweise den warlords an und sind in der Praxis der Kampfhandlungen oft nicht mehr von ihnen zu unterscheiden.
Die Erkenntnis, dass die Militärausgaben der allermeisten Entwicklungsländer rückläufig sind,[7] bedeutet keinen Trend zum Frieden, eher zu dieser neuen Art von Krieg. Die genannten Kriege sind in der Regel „billige Kriege“,[8] was die Führung und Vorbereitung angeht. Meist wird nicht gegen einen hochgerüsteten Feind gekämpft, sondern Gewalt gegen Zivilbevölkerung ausgeübt - vor allem bei ethnischen Konflikten.[9] Überhaupt werden ethnisch - kulturelle oder religiöse Gegensätze von Kriegsakteuren oft lediglich als ideologische Ressource[10] ausgebeutet, um Anhänger und Unterstützung zu mobilisieren.
Diese vermeintlich neuen Kriege sind folglich schwer zu durchschauen. Persönliches Machtstreben, ideologische Dogmen, ethnisch - kulturelle Gegensätze sowie nicht zuletzt Korruption und persönliche Bereicherung stellen die wichtigsten Motoren dieser Kriege dar. Da keine dieser Auslöser den anderen ausschließt und auch die jeweiligen Akteure nicht klar zu definieren sind, muss es besonders schwer fallen, von ausserhalb einen stabilen Frieden zu erreichen. Münkler geht sogar soweit, dass er sämtliche „monokausale“ Erklärungsansätze dieser Konflikte wie z.B. ethnische Begründungen ablehnt.[11] Bezeichnend ist, dass der Staat nicht mehr der entscheidende Kriegsakteur ist, geschweige denn das Gewaltmonopol besitzt. Das lässt die Kriege unüberschaubar werden und eine grenzenlose Kriegsprivatisierung nach sich ziehen. Die schreckliche Folge ist die Notwendigkeit der Kriegsakteure, sich selber zu versorgen. In Bürgerkriegskonstellationen führt dies fast unweigerlich zu kriminellen Handlungen gegen die Zivilbevölkerung. Die wiederum muss, um sich zu schützen, ebenfalls versuchen, die Waffen der Bürgerkrieger zu bekommen. Das sind meistens Kalaschnikows, die es seit dem Zusammenbruch der UDSSR zu Spottpreisen auf dem Markt gibt. Schwere Waffen finden in diesen Kriegen kaum Beachtung, wenn, dann ist es höchstens aus Sowjetbeständen übernommenes Material. Darüber hinaus ist gerade unter der ärmsten Bevölkerung die Kalaschnikow das effektivste Mittel, nicht nur Schutz zu gewinnen, sondern auch den Lebensunterhalt zu sichern. So ist zu erkennen, dass in den Kriegsregionen der Entwicklungsländer die Verteilung der Nahrungsmittel vorzugsweise mit Waffengewalt geregelt wird.[12]
Krieg und Kriminalität verschmelzen also meistens. Die Notwendigkeit einer individuellen und subsidiären Konfliktbearbeitung abseits von vermeintlich starrer Militärintervention wird offensichtlich. Darüber hinaus muss die Entwicklungshilfe ein Eigeninteresse besitzen, Frieden zu bewahren und zu schaffen. Oftmals wurden Entwicklungserfolge durch gewaltsame Konflikte zunichte gemacht. Insgesamt gesehen erscheint es nach Betrachtung dieser „neuen“ Kriege überfällig, dass die staatlichen und nichtstaatlichen Akteure der Entwicklungszusammenarbeit sich aktiv mit dem Kriegsgeschehen in ihren Einsatzorten auseinandersetzen. Nicht zuletzt die Tatsache, dass Hilfsorganisationen oftmals – wenn auch ungewollt – Kriegsakteuren Ressourcen ermöglichen, die eine Fortsetzung von Konflikten fördern, verdeutlicht eine unausweichliche Verbindung zwischen Kriegsgeschehen und Entwicklungszusammenarbeit. Die Einrichtung des Zivilen Friedensdienstes erscheint vor diesem Hintergrund überfällig und logisch.
2. Grundlagen eines ZFD
Angesichts der bereits genannten Zunahme innerstaatlicher Konflikte erscheint die Einrichtung des Zivilen Friedensdienstes als folgerichtig. Er soll die Zusammenarbeit zwischen NROs und dem BMZ konstruktiver verflechten. Friedensarbeit soll mit diesem Instrument als „Gemeinschaftswerk“[13] zwischen Staat und nichtstaatlichen Trägern verstanden werden. Der Zivile Friedensdienst versteht sich nach Evers als „freiwilliger Dienst von lebens- und berufserfahrenen Männern und Frauen, die auf Anforderung von Partnergruppen in Krisenregionen vermittelnd und unterstützend zur Überwindung von Feindschaft und zum Aufbau zivilgesellschaftlicher Strukturen beitragen“.[14]
Die Idee eines Friedensdienstes existiert bereits seit der Zeit des Wiener Kongresses 1815, kann aber nicht eindeutig zurückverfolgt werden.[15] Vor allem im angelsächsischen Raum und in den Niederlanden entstanden sogenannte Friedensgesellschaften, die sich - oftmals auch aus religiösen Motiven - dem Prinzip der Gewaltfreiheit verpflichtet fühlten. Als ein Zentrum kann das seit 1891 existierende „Internationale Friedensbureau“ in der Schweiz angesehen werden, das 1910 den Friedensnobelpreis erhielt.[16] Hinzu kamen die Erfahrungen aus dem Kolonialismus. Die Welt war weitgehend erschlossen, mit dem Gefühl der Herrschaft bildete sich nebenher auch ein Zusammengehörigkeitsgefühl aus. So habe sich um 1910 ein weltweites Netz von Freiwilligendiensten vor allem Jugendlicher zur Völkerverständigung ausgebildet.[17] Im ersten Weltkrieg kann in Deutschland kaum von einer Friedensbewegung gesprochen werden, eine allgemeine Kriegsbegeisterung herrschte in allen Schichten der Gesellschaft. Nach dem ersten Weltkrieg traten eine Reihe von Vorläufern der heutigen Friedensorganisationen auf. Ein prominentes Beispiel ist der Internationale Versöhnungsbund, dem nach 1945 auch Mahathma Ghandi und Martin Luther King angehörten. In Deutschland hatte der Versöhnungsbund allerdings nie mehr als einige Tausend Mitglieder,[18] doch gilt er als Anstoßgeber für heutige Organisationen wie EIRENE oder Service Civil International (SCI). Gleichzeitig mit dem Versöhnungsbund entstand der „Friedensbund Deutscher Katholiken“, der sich zwar 1951 auflöste, aber heute im Wesentlichen durch „Pax Christi“ fortgeführt wird.
Nach und mit dem zweiten Weltkrieg kann von einem Verfall oder sogar einer Vernichtung der Friedensbewegung gesprochen werden.[19] Aus deutscher Sicht überstand von den Friedensorganisationen der 20er Jahre lediglich der Versöhnungsbund den zweiten Weltkrieg. Vor allem kirchliche Organisationen trugen unmittelbar nach Ende des Kriegs zu einem Wiederaufbau der gesellschaftlichen Friedensbewegung bei.[20] So kam es auch zu Neugründungen der beiden großen Konfessionen: 1948 „Pax Christi“ auf katholischer und die „Aktion Sühnezeichen“ auf evangelischer Seite, die allerdings erst 1958 gegründet wurde.[21]
[...]
[1] Evers, Tilman: Ziviler Friedensdienst - Fachleute für den Frieden, Hemsbach 2000.
[2] Münkler, Herfried, Die neuen Kriege, Hamburg 2002.
[3] Hein, Unterentwicklung - Krise der Peripherie, S. 106.
[4] Münkler, Die neuen Kriege, S. 15.
[5] vgl. Hein, Unterentwicklung - Krise der Peripherie, S. 106.
[6] vgl. Hein, Unterentwicklung - Krise der Peripherie, S. 106.
[7] vgl. Tabelle in Hein, Unterentwicklung - Krise der Peripherie, S. 107. So gut wie sämtliche Staaten der dritten Welt haben demnach geringere Militärbudgets als zur Zeit des Kalten Krieges.
[8] Münkler, Die neuen Kriege, S. 132.
[9] Münkler, Die neuen Kriege, S. 132.
[10] vgl. Münkler, Die neuen Kriege, S. 15.
[11] vgl. Münkler, Die neuen Kriege, S. 18.
[12] Münkler, Die neuen Kriege, S. 34.
[13] vgl. BMZ, 11. Bericht zur Entwicklungspolitik der Bundesregierung, S. 77.
[14] vgl. Evers , Ziviler Friedensdienst - Fachleute für den Frieden, S. 17.
[15] Voß, Geschichte der Friedensdienste, S. 128. Voß nennt die historischen Friedenskirchen der Mennoniten, der Quäker und der Brethren seit dem 16. Jhdt. bereits als geistige Vorläufer.
[16] Überhaupt kann auch der seit 1901 vergebene Friedensnobelpreis als eine gesellschaftliche Aufwertung des Friedensgedankens aufgefasst werden. In diesem Zusammenhang ist auch Bertha v. Suttner zu nennen, die 1889 das weitverbreitete Buch „die Waffen nieder“ veröffentlichte und dafür ebenfalls den Friedensnobelpreis erhielt.
[17] vgl. Voß, Geschichte der Friedensdienste, S. 129.
[18] vgl. Voß, Geschichte der Friedensdienste, S. 130.
[19] vgl. Voß, Geschichte der Friedensdienste, S. 130. So wurden alleine 6 000 deutsche Kriegsdienstverweigerer von den Nazis umgebracht.
[20] Hervorzuheben sind die angloamerikanischen Gruppierungen der Quäker und Mennoniten.
[21] zu dem Entstehen weiterer Gruppen heutiger NROs siehe Kapitel 5.