Diese Arbeit beschäftigt sich mit dem Aufbau eines islamischen Religionsunterrichtes an deutschen Schulen am Beispiel Bayern und hinterfragt aus islamisch-theologischer Perspektive dessen theologische Grundlagen und Herangehensweisen.
Die Bildung eines islamischen Religionsunterrichtes an deutschen Schulen befindet sich derzeit noch in einer Entwicklungsphase, in der verschiedene Wege vom interreligiösen Unterricht über eine türkisch geprägte islamische Unterweisung bis zu einem bekenntnisorientiertem Unterricht, nach Vorbild des christlichen Religionsunterrichtes, vorzufinden sind.
Im Fachlehrplan für den Schulversuch Islamunterricht an der bayrischen Hauptschule ist als zentrale Methode des Umganges mit den islamischen Primärquellen Qur’an und Sunna folgendes Leitprinzip vermerkt. Daher wird in dieser Arbeit sowohl die Notwendigkeit dieser Herangehensweise für Schüler an deutschen Schulen, als auch der islamische Beleg für diese Methodik untersucht werden. Mithilfe von Beispielen aus Qur’an und Sunna werden die Differenzen zwischen wörtlicher und übertragener Bedeutung und deren Konsequenzen betrachtet.
Es werden einige ausgewählte Methoden qur’anischer Exegese betrachtet werden, um die Legitimation des gewählten Grundsatzes des wortwörtlichen hinter dem Sinn erschließenden Schriftverständnisses im bayrischen Rahmenlehrplan aufzuzeigen. Dabei wird fast nur auf grundlegende Methoden und Ansätze eingegangen, die innerhalb der Gelehrten nicht sonderlich umstritten sind. Dieses, das Gesamtsystem betrachtende Verständnis, wird den islamischen Wissenschaften eher gerecht und liegt zudem näher an der Lebenswirklichkeit der Schüler. Durch Negativbeispiele der wortwörtlichen Auslegung sollen Meinungen dargestellt werden, mit denen die Schüler konfrontiert werden können. Mithilfe des sinngebenden Verständnisses klären sich etwaige Widersprüche auf.
Inhalt
1. Einleitung
2. Bedeutung und Notwendigkeit der sinngebenden Auslegung für den Schulunterricht
3. Islamische Konzepte zum Umgang mit religiösen Texten
3.1 Maqasid al Scharii
3.2 Tafaasir
3.3 Metaphern und Gleichnisse im Qur’an
3.3.1 Anthropomorphe Audrücke
3.3.2 Metaphern
4. Beispiele
4.1 Erschaffung der Welt
4.2. Adams Länge
4.3 Islamische Wanderprediger im Internet
5. Zusammenfassung
Literaturverzeichnis
1. Einleitung
Die Bildung eines islamischen Religionsunterrichtes an deutschen Schulen befindet sich derzeit noch in einer Entwicklungsphase, in der verschiedene Wege vom interreligiösen Unterricht über eine türkisch geprägte islamische Unterweisung bis zu einem bekenntnisorientiertem Unterricht, nach Vorbild des christlichen Religions-unterrichtes, vorzufinden sind. Dementsprechend werden andere Schwerpunkte und Herangehensweisen benutzt. Im Folgenden soll sich auf das, in Bayern vorzufindende, Erlanger Modell bezogen werden.
Im Fachlehrplan für den Schulversuch Islamunterricht an der bayrischen Hauptschule ist als zentrale Methode des Umganges mit den islamischen Primärquellen Qur’an und Sunna folgendes Leitprinzip vermerkt:
„Aussagen des Korans sollen zuerst in ihrem historischen Bezug gesehen werden. Das wortwörtliche Schriftverständnis tritt in der heutigen Koranhermeneutik als theologischer Disziplin gegenüber dem Sinn erschließenden und dem an der Situation und dem Werteverständnis orientierten Schriftverständnis in den Hintergrund.“[1]
Im Folgenden soll daher sowohl die Notwendigkeit dieser Herangehensweise für Schüler an deutschen Schulen, als auch der islamische Beleg für diese Methodik untersucht werden. Mithilfe von Beispielen aus Qur’an und Sunna werden die Differenzen zwischen wörtlicher und übertragener Bedeutung und deren Konsequenzen betrachtet.
2. Bedeutung und Notwendigkeit der sinngebenden Auslegung für den Schulunterricht
Es kann nicht Ziel eines Religionsunterrichtes sein, die Schüler nur zum Auswendiglernen von Dogmen zu veranlassen, vielmehr soll ihre Persönlichkeit gefördert werden, indem sie lernen selbstständig mit Problemen umzugehen und eigene Lösungen zu finden. Diese Art der Selbstständigkeit kann aber nur entstehen, wenn sie in der Lage sind, kritisch mit verschiedenen Sachverhalten umzugehen. Dies gilt selbstverständlich auch im Bezug auf die Religion. Ein tiefes Verständnis der religiösen Texte, welches über die bloße äußere Gestalt hinausgeht, fördert ihre Ausdrucksfähigkeit gegenüber der nichtmuslimischen Mehrheit in Deutschland und stellt zudem eine Prävention vor Vorurteilen oder extremen Meinungen dar. Haben die Schüler beispielsweise denn Sinn und Zweck hinter einem religiösen Gebot verstanden, können Sie dieses auch bewahren ohne durch eine wörtliche Auslegung eventuell in Konflikte mit ihren Lebensumständen im Europa des 21.Jh. zu geraten.
3. Islamische Konzepte zum Umgang mit religiösen Texten
Ebenso wie im Bezug auf viele andere Textgattungen gab und gibt es in der Auseinandersetzung mit dem Qur’an vielfache Möglichkeiten, sich diesem zu nähern. Wie auch der Prophet Muhammad, der im 7.Jh den Qur’an verkündete, eine historische Gestalt ist, so muss auch der Qur’an selbst zunächst einmal in seiner Geschichtlichkeit und seinem „sozio- historischen Kontext“[2] betrachtet werden. Einige Suren beziehen sich auf die generelle Beziehung zwischen Gott und Mensch oder thematisieren die Größe und Allmacht Gottes, andere wurden aufgrund von konkreten Problemen oder Fragen der Menschen um Muhammad offenbart. Gerade bei letztgenannten Ayaat (Verse) ist das Wissen um die asbab al nuzul (Offenbarungsanlässe) unentbehrlich.[3] Daher sind einige Bestimmungen des Qur’an heute nicht mehr eins zu eins umzusetzen, sondern vielmehr an heutige Gegebenheiten anzupassen, im Sinne einer Wahrung durch Wandlung. Im Folgenden soll von dieser historischen Herangehensweise, die eine Übertragung auf heutige Verhältnisse fördert, anstatt sie zu negieren, ausgegangen werden. Denn „ein Verstehen, das lediglich die Entstehungsbedingungen des Textes berücksichtigt und nicht zu unserer eigenen geschichtlichen Situation gelangt, [ist] unvollständig“[4]. Erst daraus erklären sich die vielfältigen Auslegungstraditionen und Meinungsverschiedenheiten der Gelehrten. Ein wörtliches Verständnis hätte nur eine einheitliche islamische Linie hervorgebracht.
3.1 Maqasid al Scharii
Viel wichtiger als einzelne Ahadith und Vorschriften auswendig zu lernen, ist ein generelles Verständnis der Zielsetzungen der Scharia. Die Scharia ist ein komplexes und abstraktes System, welches auf die gesamten Lebensumstände des Muslims Auswirkungen hat. Sie ist ein flexibles System, welches u.a. lokale Bräuche (ᵓUrf) berücksichtigt.[5] Mit der Kenntnis der sechs schützenswerten Prinzipien werden die sinngebenden Bedeutungen einzelner Aussprüche des Propheten oder einzelne Qur’anverse in ihrer sinngebenden Bedeutung erkenntlich. Diese sind Schutz der Religion (din), des Lebens (nafs), des Verstandes (ᵓaql), der Nachkommenschaft (nasl), des Besitzes (mal) und der Würde (ᵓird).[6] Das Verbot des Weines (khamr) kann daher auch unter dem Gesichtspunkt verstanden werden, dass Rauschzustände der vollen Anwendung von (ᵓaql) entgegenlaufen und somit einer zentralen Zielsetzung des Islams widersprechen. Der Schüler muss nicht lernen, dass Weintrinken Peitschenhiebe zur Folge hat[7], sondern er soll frei erkennen, welchen islamischen Prinzipien diese Handlung widerspricht.
3.2 Tafaasir
Innerhalb der Qur’anexege und Hermeneutik gibt es verschiedene Richtungen in Abhängigkeit davon, welche Quellen und Methoden bevorzugt genutzt werden.[8] So entsprechen Werke klassischer Kommentatoren meist Tafsir bil hadith, eine Qur’anauslegung mithilfe der Überlieferungen des Propheten. Schon hier wird deutlich, dass ein wörtliches Verständnis den Sinn der Aussage nicht voll erfasst, was man am Tafsir von ibn Kathir veranschaulichen kann. In 2:187 erlaubt Allah den Gläubigen in der Nacht des Ramadhans das Fasten zu brechen bis „der weiße Faden (der Dämmerung) vom schwarzen Faden (der Nacht) unterscheidbar wird“[9]. Daraufhin haben einige der Sahaba (Gefährten des Propheten) je einen weißen und einen schwarzen Faden genommen, welche sie nachts miteinander verglichen, um den Zeitpunkt festzustellen, an dem sie die unterschiedlichen Farben erkennen können. Obgleich schon im Qur’antext min al fadschr (der Morgendämmerung) zu finden ist, klärt Ibn Kathir dieses Missverständnis mithilfe des Hadiths auf. Der Prophet antwortete dem Sahabi, dass mit der Aya vielmehr die Dunkelheit (Schwarzheit) der Nacht und die Helligkeit (Weißheit) des Tages gemeint sei.[10]
Moderne Muffasiruun beschäftigen sich häufig mit Tafsir bir ray. Dieser basiert mehr auf intellektuellem Nachdenken und eigener Meinungsfindung (idschtihad). Wenn keine eindeutigen Belege zu finden sind, „one must use the intelligence God has given us and rely upon the innate sense of justice written by Gd on the tablet of our souls“[11].Kritiker dieser Methode führen einen Hadith an, indem der Prophet sagt, dass allen, die über den Qur’an aufgrund ihrer eigenen Meinung sprechen, die Hölle droht.[12] Aufgrund dieser Überlieferung den Tafsir bir ray abzulehnen, zeigt die Unwissenheit oder Ignoranz über die Tatsache, dass auch in diesen Auslegungen Riwayaat (Überlieferungen), Qiyas (Analogieschluß), Idschma (Konsensus), sprachliche Grundsätze, naskh (Abrogation), die Maqasid (Zielsetzungen), Stellung der Aya innerhalb des Kanons (holistic reading) und andere exegetische Grundlagen mit verschiedener Gewichtung berücksichtigt werden. Schon zu Lebzeiten des Propheten führten die Sahabi idschtihad durch, wenn Sie beispielsweise auf Reisen waren und Muhammad nicht direkt fragen konnten. Anschließend berichteten sie ihm über ihre Meinungsverschiedenheiten (ichtilaf) und der Prophet gab ihnen Antwort, indem er einzelne Meinungen bestätigte und andere ablehnte, aber die Methode grundsätzlich nie verbat. Daher sollte diese Warnung „be interpreted as specifically intended for those who are ignorant and unqualified rather than as a general rule”.[13] Beispiele hierfür sind “im Schatten des Qur’an” von Sayyid Qutb, der „Tafsir al manar“ von Muhammad Abdu und Raschid Rida oder auch Auslegungen der Ankara- Schule. Teilweise widersprechen diese Deutungen auch der Mehrheitsmeinung, etwa wenn Muhammad Abdu die Jinn mit Mikroben identifiziert[14]. Doch dass auch klassische Gelehrte in diesem Bereich tätig waren, zeigt die lange Tradition und somit auch eine Legitimation des ray. Mujahid ibn Jabr fördert mit einer nicht wörtlichen Auslegung das Verständnis von Vers 2:165, in welchem zu finden ist, dass Allah die Juden, welche den Shabbat nicht heiligten, zu Affen verwandelte: „that is, that the status of those who transgressed divine command would be reduced tot hat of animals, but they were not physically transformed into apes.“[15]
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[1] Rahmenlehrplan für die bayerische Grundschule, 2006, http://www.izir.uni-erlangen.de/docs/LP_IRU_HS_BY_2006.pdf, Stand: 07.08.08.
[2] W. Daud, The Concept of knowledge in Islam, London 1989, S. 6.
[3] Vgl. A. von Denffer, ULUM Al-QUR´AN. Einführung in die Koranwissenschaften, 2005, S.109- 121, Abrufbar im Internet: http://www.didi-info.de/downloads/doc_download/1-ulum-al-quran, Stand: 07.08.08.
[4] M. Paçac ı, Der Koran und ich- wie geschichtlich sind wir?, in: R. Ghadban/ W. Troll/R. Wielandt (Hg.), Alter Text- neuer Kontext. Koranhermeneutik in der Türkei heute, Freiburg- Basel- Wien, 2006, S. 53.
[5] Vgl. A. Zaidan, Skript Einführung in die Scharia, 2007.
[6] Vgl. ebd. S. 42-43.
[7] Vgl. Sahih Muslim 3218.
[8] Vgl. A. Zaidan, Skript Einführung in die Qur’anwissenschaft, S. 153-154.
[9] 2:187(Übersetzung A. Zaidan).
[10] Ibn kathir, tafsir, http://www.tafsir.com/default.asp?sid=2&tid=4828, 07.08.08.
[11] S. Nasr, The Heart of Islam. Enduring values for humanity, SanFrancisco 2004, S. 254.
[12] W. Daud, The Concept of knowledge in Islam, London, 1989, S. 44.
[13] Ebd. S. 91.
[14] W. Daud, The Concept of knowledge in Islam, London, 1989, S. 44.S. 46.
[15] Ebd. 44.