1 Eine kurze Einführung zum Thema Zufall
2 Der Zufall im Alltag an ausgewählten Beispielen
2.1 Der Unfall – Ein unfreiwilliger Zufall
2.2 Die Lotterie als Form des freiwilligen Zufalls
3 Fazit
4 Literaturverzeichnis
Inhaltsverzeichnis
1 Eine kurze Einführung zum Thema Zufall
2 Der Zufall im Alltag an ausgewählten Beispielen
2.1 Der Unfall – Ein unfreiwilliger Zufall
2.2 Die Lotterie als Form des freiwilligen Zufalls
3 Fazit
4 Literaturverzeichnis
1 Eine kurze Einführung zum Thema Zufall
Der Zufall ist ein Zeit überdauerndes Thema. Er begleitete den Menschen bereits in dessen Entstehungsphase, brachte ihn dazu, sich weiterzuentwickeln und hatte seinen Anteil an der Evolution. Schon Aristoteles philosophierte über den Zufall und er benannte ihn als das, was auch anders sein kann.[1] Ebendiese Möglichkeit des Andersseinkönnens nennt man Kontingenz, die gleichzeitig das Spielfeld unseres Handelns darstellt. Daher sind Handeln und Kontingenz eng miteinander verknüpft, ebenso Handeln und der kontingente Sonderfall des Zufalls. Da, wo wir handeln, kann uns der Zufall treffen. Aristoteles sagt weiter, dass ein Zufall dann vorliegt, wenn ein Vorgang, der parasitär auf einer Handlung aufsitzt, welche ein Ziel verfolgt, selbst keine Handlung darstellt, aber an sich einer Handlung hätte entstammen können.[2] Damit gibt er dem Zufall eine negative Konnotation. Tatsächlich sind die Meinungen zum Zufall seit jeher kontrovers. Friedrich der Große empfand: „Glück und Zufall sind zwei sinnlose Wörter.“[3] Gotthold Ephraim Lessing ging sogar so weit zu sagen „Das Wort Zufall ist Gotteslästerung, nichts unter der Sonne ist Zufall.“[4] Auch die Anthropologie schließt den Zufall aus, da die Natur des Menschen ihm keine Wahl ließe und sein Handeln vorprogrammiert und evolutorisch bedingt sei. In der modernen Wissenschaft möchte man ihn ebenso vermeiden. Und die monotheistischen Religionen gehen vom Schicksal aus, dessen Verlauf vorherbestimmt ist und das dem Menschen von Gott gegeben ist, dessen Wege unergründlich sind.
Zu den Verfechtern des Zufalls gehörten etwa Demokrit, Leibnitz und Nietzsche. Demokrit meinte, „[a]lles, was im Weltall existiert, ist die Frucht von Notwendigkeit und Zufall.“[5] Nietzsche schwärmte gar für den Zufall: „Über allen Dingen steht der Himmel Zufall.“[6]
Auch Odo Marquard verficht das Phänomen des Zufalls. So schreibt er gar eine Apologie des Zufalls, in der er feststellt, dass Zufall unsere Freiheit sichert, denn er bedeutet das Vorhandensein anderer Möglichkeiten.[7] Und nur, wenn wir andere Möglichkeiten haben und wählen können, sind wir frei. Den Zufall zu verbannen hieße also, unfrei zu werden, keine Wahl zu haben.
Warum also ist der Zufall derart verkannt? Warum wollen wir ihn eliminieren? Rüdiger Bubner definiert Zufall als dasjenige, für dessen Existenz es keinen Grund gibt.[8] Doch der Mensch kann sich mit dieser Grundlosigkeit nicht abfinden. Er sucht in allem einen Grund, sei es in dem schrecklichen Unglück, das ihm widerfahren ist oder dem schieren Glück, das er nicht begreifen kann. Der Zufall gibt uns ein Gefühl des Ausgeliefertseins. Doch wir sind darauf aus, stets die Kontrolle über unser Leben zu haben; Zufall bedeutet Kontrollverlust. Andererseits spielen wir aber auch mit ihm, bringen ihn hervor, versuchen, ihn zu produzieren. Er soll uns emporheben und weiterentwickeln. Verschreiben wir uns dem Zufall, so gibt er uns einen Kick, ein Gefühl unbändiger Freiheit und leidenschaftlichen Lebens. Fast schon schizophren ist also unser Umgang mit dem Thema Zufall.
Er ist unser täglicher Begleiter. Meist nehmen wir ihn nicht wahr, doch trifft er uns, hat er die Macht, das ganze Leben in eine neue Richtung zu lenken. Dabei kann er sowohl positiv als auch negativ ausfallen. Dementsprechend leugnen oder begrüßen, meiden oder verteidigen wir ihn.
Wie unterschiedlich unser Umgang mit dem Zufall in verschiedenen Situationen sein kann und ob und wie wir ihn im Alltag kontrollieren können, soll diese Arbeit anhand zweier ausgewählter Beispiele, dem des Unfalls und dem der Lotterie, untersuchen. Während ein Unfall negativ und unfreiwillig ist, wird der Zufall in der Lotterie gewollt und sogar künstlich produziert. Deswegen erschien mir ein Vergleich dieser beiden Thematiken interessant und einer näheren Betrachtung wert.
2 Der Zufall im Alltag an ausgewählten Beispielen
2.1 Der Unfall – Ein unfreiwilliger Zufall
Ein Unfall ist ein plötzliches Ereignis, das unfreiwillig geschieht und einen Schaden verursacht. In der Regel geht man dabei von einem Personenschaden aus, doch etwa bei einem Verkehrsunfall werden auch Sachschäden einbezogen. Hier ist zu beachten, dass nur Personen, aber keinen Dingen ein Unfall geschehen kann. Ein Gegenstand kann zwar durch einen Unfall beschädigt werden, jedoch kann er keinen Unfall erleiden.
Beim Betrachten der Unfallstatistiken wird deutlich, dass Unfälle überall und jederzeit geschehen können. Menschen verunglücken im Haushalt, am Arbeitsplatz oder auf dem Weg dorthin und auch in ihrer Freizeit. Im Jahr 2010 gab es über 2,4 Millionen polizeilich erfasster Verkehrsunfälle[9], die vor allem durch Fehlverhalten des Fahrzeugführers verursacht wurden[10]. Laut der Statistiken der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin geschahen die meisten Unfälle im genannten Jahr im Haushalt mit rund 2,73 Millionen, in der Freizeit mit etwa 2,63 Millionen und mit 1,14 Millionen in Arbeit bzw. 1,38 Millionen Verletzten in der Schule; insgesamt gab es 8,25 Millionen Verletzte und ca. 20.200 Tote[11]. Das entspricht 10% der Bevölkerung bei Unfallverletzten und 0,02% bei Unfalltoten.
Mit dieser Ohnmacht gegenüber einem scheinbar übermächtigen Problem kann und will der Mensch sich jedoch nicht abfinden. Er trifft Sicherheitsvorkehrungen, um den Unfall zu vermeiden, etwa durch Schulungen für Gefahrensituationen, regelmäßige Kontrolle technischer Geräte oder gesonderte Regeln für einen sicheren Umgang miteinander und mit Gegenständen. Das beste Beispiel für ein solches Gesetz ist die Straßenverkehrsordnung, denn sie soll einen reibungslosen Ablauf des Verkehrs und eine Reduzierung von Unfällen im Straßenverkehr gewährleisten. Sie stellt einen Leitfaden dar, wie man sich in bestimmten Situationen richtig verhält. Wer sich daran nicht hält und sich und andere in Gefahr bringt, wird bestraft, entweder finanziell oder durch Ausschluss vom Verkehrsgeschehen oder im krassesten Fall gar von der Gesellschaft. Die Unglücksvorsorge geht sogar so weit, dass sie irrationale Ausmaße annimmt. In den USA etwa sind persönliche Atomschutzkeller und sogenannte Panikräume nicht unüblich, meist bestückt mit lange haltbaren Nahrungsmitteln und Schutzkleidung. Der Deutsche dagegen ist bekannt für seine unzähligen Gesetze und Ordnungen, mit denen er Gefahren abzuwenden versucht, ehe sie entstehen können.
Doch ist der Unfall kein unbestimmtes Konstrukt: François Ewald führt den Regelcharakter des Unfalls an[12]. Nach Ewald unterliegt der Unfall den Gesetzen der Statistik, wodurch er vorhersehbar, versicherbar und berechenbar wird, was uns auch die unzähligen Unfallstatistiken zeigen. Unter gleichbleibenden Bedingungen wird der Unfall stets reproduziert, was bedeutet, dass er nicht vom Individuum abhängig ist. Stattdessen geht der moderne Unfall einher mit der Massengesellschaft und dem engen Zusammenleben der Menschen[13]. Er entsteht schlicht aus dem Zusammenspiel zwischen Individuen, was ihn zu einem sozialen Phänomen macht. Das wiederum macht das Individuum zu einem Risikofaktor, während es gleichzeitig selbst dem Risiko ausgesetzt ist.
Risiko und Unfall sind stark verbunden. So verknüpft das Risiko Zufall oder Wahrscheinlichkeit und Verlust beziehungsweise Schaden. Der Unfall bildet den Schnittpunkt der beiden Seiten. Um das Phänomen des Unfalls zu verstehen, muss man also das Risiko betrachten. Ewald gibt hier Charakteristika des Risikos an. Es ist etwa kalkulierbar, denn es existiert dann, wenn das Eintreten eines Ereignisses wahrscheinlich ist. Lediglich Ort, Zeit und Betroffene sind unklar. Es ist aber anzumerken, dass verschiedene Menschen durchaus unterschiedlichen Risiken unterliegen. Die Individuen werden durch ihre Risikowahrscheinlichkeit unterschieden. Folgt man den Statistiken, so ist beispielsweise jemand, der viel aktiv ist, an Maschinen arbeitet, einen langen Arbeitsweg hat und in seiner Freizeit Sport treibt einem größeren Unfallrisiko ausgesetzt als jemand, der arbeitslos ist und seine Tage vor dem Fernseher verbringt. Das bedeutet aber nicht, dass der Zweite gänzlich vom Risiko ausgeschlossen ist. Denn sobald er handelt und sich somit in das Spielfeld des Zufalls begibt, tritt er gleichzeitig in die Bahnen des Risikos und des Unfalls. Er kann aber auch durch das Handeln eines anderen in ebendiese Zone gedrängt werden. Das Risiko ist demnach auch kollektiv, denn wie geschildert bezieht es sich auf eine ganze Population. Das Handeln des einen kann das Risiko des anderen bedeuten. Jemand bringt also nie nur sich selbst, sondern immer auch andere in Gefahr. Das macht uns anfällig und untermauert einmal mehr Ewalds These der heutigen Massengesellschaft als Nährboden des modernen Unfalls. Aufgrund der sozialen Vernetzung können wir uns somit nicht dem Risiko entziehen.
Da wir stets einem latenten Risiko unterliegen, suchen wir uns Möglichkeiten, um für den Ernstfall vorzusorgen. So kam es, dass Versicherungen entwickelt wurden. Bereits im 14. Jahrhundert entstand die erste Versicherung in Form der Seeversicherung, schließlich bildete sich im 17. Jahrhundert das Versicherungswesen, was zur Folge hatte, dass sie im 18. und 19. Jahrhundert auf alle Lebensbereiche ausgeweitet wurde.[14] Durch diese Entwicklung veränderte sich auch die Sichtweise der Menschen. Das, was vorher als unausweichliches Schicksal hingenommen wurde, nennen wir nun Unfall. Und da der Unfall vorhersehbar ist, können wir uns auch dagegen versichern.
[...]
[1] Bubner, R.: Die aristotelische Lehre vom Zufall. Bemerkungen in der Perspektive einer Annäherung der Philosophie an die Rhetorik, in: Kontingenz. Hrg. v. G. v. Graevenitz u. Odo Marquard. München 1998; S. 6.
[2] Ebd., S.11.
[3] Zitate und Sprüche zum Thema Glück, in: http://www.mentel-zetel.de/Spruch/Spruch_Glueck-49.htm, 27.09.2012.
[4] Lessing, G.E.: Emilia Galotti, Kapitel 10, Dritter Auftritt, in: http://gutenberg.spiegel.de/buch/1174/10, 27.09.2012.
[5] Maser, P.: Zufall und Notwendigkeit- von der ersten Zelle bis zum Menschen, in: Evolution wohin? Die Folgen der darwinschen Theorie, Hrsg. v. Martina Dubach, Zürich 2012, S. 101.
[6] Nietzsche, F. W.: Also sprach Zarathustra?, Kapitel 59, in: http://gutenberg.spiegel.de/buch/3248/59, 27.09.2012.
[7] Marquart, Odo: Apologie des Zufalls. In: Ders., Apologie des Zufälligen, Stuttgart 1986, S. 132.
[8] Bubner 1998, S. 3.
[9] Statistisches Bundesamt, Polizeilich erfasste Unfälle, in: https://www.destatis.de/DE/ZahlenFakten/Wirtschaftsbereiche/TransportVerkehr/Verkehrsunfaelle/Tabellen/PolizeilichErfassteUnfaelle.html, 24.09.2012.
[10] Statistisches Bundesamt, Unfallursachen, in: https://www.destatis.de/DE/ZahlenFakten/Wirtschaftsbereiche/TransportVerkehr/Verkehrsunfaelle/Tabellen/FehlverhaltenFahrzeugfuehrer.html, 24.09.2012.
[11] Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin, Gesamtunfallgeschehen, in: http://www.baua.de/de/Informationen-fuer-die-Praxis/Statistiken/Unfaelle/Gesamtunfallgeschehen/Gesamtunfallgeschehen.html, 24.09.2012.
[12] Francois Ewald: Der Vorsorgestaat. Frankfurt am Main 1993, S. 18ff.
[13] Ders., S.210ff.
[14] Makropoulos, Michael: Möglichkeitsbändigung. Disziplin und Versicherung als Konzepte zur sozialen Steuerung von Kontingenz. In: Soziale Welt, Zeitschrift für sozialwissenschaftliche Forschung und Praxis, Jg. 41, 1990, Heft 4, S.417.