Die Bundespräsidentenwahl 2004 steht an, viele mögliche Kandidaten wurden dabei im Vorfeld diskutiert. Auch mehrere Frauennamen sind in dieser Diskussion gefallen. Doch wirkliche Chancen wurden den Kandidatinnen von den beobachtenden Medien, Politikern und Politikwissenschaftlern nicht eingerechnet. Woran liegt dies? Waren es möglicherweise die falschen Frauen, oder will Deutschland vielleicht gar keine Frau als Bundespräsidentin haben? Während für unsere Nachbarländer eine Frau im höchsten Amt zur Normalität gehört, scheinen die Parteien in Deutschland, Frauen erst dann für das Amt des Bundespräsidenten vorzuschlagen, wenn sie kaum noch Hoffnung auf eine Mehrheit in der Bundesversammlung haben. Möglicherweise tun sie dies nur, um die so genannte Frauenquote zu erfüllen.
Mit diesen Fragen soll sich diese Arbeit beschäftigen. Dabei sollen als erstes die Rollen der in vergangenen Bundespräsidentenwahlen aufgestellten Frauen anhand der politisch-gesellschaftlichen Situation und der Presseberichte analysiert werden. Im zweiten Teil wird die Bundespräsidentenwahl 2004 betrachtet. Abschließend sollen beide Teile verglichen werden. Fragen wie „Haben Frauen heute mehr Chancen auf das höchste Staatsamt als früher?“ sollen beantwortet werden. Dabei wird auch in Betracht gezogen, dass die Parteienpolitik bei der Bundespräsidentenwahl – leider, weil nicht vom Grundgesetz vorgesehen – eine große Rolle spielt. Deshalb soll auch der Einfluss dieser auf die Aufstellung und die Rolle der aufgestellten Frauen betrachtet werden. Genauso wird die Überlegung aufgestellt, inwiefern die Frauen selbst Schuld daran tragen, dass sie hauptsächlich nur als Zählkandidatinnen gelten.
In der Schlussbetrachtung werde ich versuchen, die Erkenntnisse aus dem Vergleich zusammenfassend, die Fragestellung dieser Arbeit „Ist Deutschland reif für eine Bundespräsidentin?“ zu beantworten. Es gibt auf diese Frage keine allgemeingültige Antwort, aber ich hoffe, durch meine vergleichenden Betrachtungen eine Anregung zum Nachdenken geben zu können. Dabei soll diese Arbeit, die sich mit einem für Deutschland aktuellen Thema beschäftigt, möglichst verständlich geschrieben sein.
Inhalt
Einleitung
1 Frauen in der Geschichte der Bundespräsidentenwahlen
1.1 Hildegard Hamm-Brücher in der Bundespräsidentenwahl 1994
1.2 Dagmar Schipanski in der Bundespräsidentenwahl 1999
2 Frauen bei der Bundespräsidentenwahl 2004
2.1 Die diskutierten Kandidatinnen
2.2 Einschätzung der Medien und der Politiker
2.3 Bewertung der Rolle dieser Frauen für die Bundespräsidentenwahl
3 Vergleich der Situationen der Frauen bei den
Bundespräsidentenwahlen 1994, 1999 und 2004
Schlussbetrachtung
Literatur
Einleitung
Die Bundespräsidentenwahl 2004 steht an, viele mögliche Kandidaten wurden dabei im Vorfeld diskutiert. Auch mehrere Frauennamen sind in dieser Diskussion gefallen.[1] Doch wirkliche Chancen wurden den Kandidatinnen von den beobachtenden Medien, Politikern und Politikwissenschaftlern nicht eingerechnet. Woran liegt dies? Waren es möglicherweise die falschen Frauen, oder will Deutschland vielleicht gar keine Frau als Bundespräsidentin haben? Während für unsere Nachbarländer eine Frau im höchsten Amt zur Normalität gehört, scheinen die Parteien in Deutschland, Frauen erst dann für das Amt des Bundespräsidenten vorzuschlagen, wenn sie kaum noch Hoffnung auf eine Mehrheit in der Bundesversammlung haben. Möglicherweise tun sie dies nur, um die so genannte Frauenquote zu erfüllen.
Mit diesen Fragen soll sich diese Arbeit beschäftigen. Dabei sollen als erstes die Rollen der in vergangenen Bundespräsidentenwahlen aufgestellten Frauen anhand der politisch-gesellschaftlichen Situation und der Presseberichte analysiert werden. Im zweiten Teil wird die Bundespräsidentenwahl 2004 betrachtet. Abschließend sollen beide Teile verglichen werden. Fragen wie „Haben Frauen heute mehr Chancen auf das höchste Staatsamt als früher?“ sollen beantwortet werden. Dabei wird auch in Betracht gezogen, dass die Parteienpolitik bei der Bundespräsidentenwahl – leider, weil nicht vom Grundgesetz vorgesehen – eine große Rolle spielt. Deshalb soll auch der Einfluss dieser auf die Aufstellung und die Rolle der aufgestellten Frauen betrachtet werden. Genauso wird die Überlegung aufgestellt, inwiefern die Frauen selbst Schuld daran tragen, dass sie hauptsächlich nur als Zählkandidatinnen gelten.
In der Schlussbetrachtung werde ich versuchen, die Erkenntnisse aus dem Vergleich zusammenfassend, die Fragestellung dieser Arbeit „Ist Deutschland reif für eine Bundespräsidentin?“ zu beantworten. Es gibt auf diese Frage keine allgemeingültige Antwort, aber ich hoffe, durch meine vergleichenden Betrachtungen eine Anregung zum Nachdenken geben zu können. Dabei soll diese Arbeit, die sich mit einem für Deutschland aktuellen Thema beschäftigt, möglichst verständlich geschrieben sein.
1. Frauen in der Geschichte der Bundespräsidentenwahlen
Elf Bundespräsidentenwahlen hat die Bundesrepublik Deutschland bereits erlebt, die zwölfte steht vor der Tür. Aber Gesine Schwan, die nach langem Hin und Her für die Bundespräsidentenwahl 2004 von der SPD nominiert wurde, ist erst die fünfte Frau, die für das höchste Staatsamt vorgeschlagen wurde, eine Bundespräsidentin hat Deutschland noch kein einziges Mal erlebt. Die erste nominierte Frau war 1979 die Gegenkandidatin von Karl Carstens Annemarie Renger. Die ehemalige Präsidentin der Bundesversammlung wurde zwar von der SPD für die Wahl nominiert, es war aber von vorneherein klar, dass Carstens die Wahl für sich entscheiden würde.[2] Sie wurde nur als Zählkandidatin gehandelt.[3] Die nächste nominierte Frau war die damals 73-jährige Schriftstellerin Luise Rinser, die bei der Bundespräsidentenwahl 1984 von den Grünen als Gegenkandidatin zu Richard von Weizsäcker aufgestellt wurde. Wegen der parteipolitischen Konstellation in der Bundesversammlung hatte sie keine Chance auf eine Wahl; aus demselben Grund hatte die SPD auf einen eigenen Kandidaten verzichtet.[4] Sie erhielt bei der Wahl nur 68 von 1028 abgegebenen Stimmen. Hier wird besonders deutlich, dass die im Bundestag neue Partei „Die Grünen“ Luise Rinser – die einzige parteilose Kandidatin[5] – nur nominierte, um zu zeigen, dass sie den Job des Bundespräsidenten einer Frau zutrauten. Dieser Teil der Arbeit soll sich mit den beiden anderen bislang nominierten Frauen genauer beschäftigen, nämlich mit Dr. Hildegard Hamm-Brücher und Dagmar Schipanski. Dabei soll aufgezeigt werden, welche Rolle sie für die jeweilige Bundespräsidentenwahl und ihre jeweilige Partei gespielt haben.
1.1 Hildegard Hamm-Brücher in der Bundespräsidentenwahl 1994
Dr. Hildegard Hamm-Brücher, eine der Mitbegründer der FDP, war bei der Bundespräsidentenwahl 1994 die Kandidatin der Liberalen. Sie wurde als „zweite Wahl“ nominiert, nachdem Hans-Dietrich Genscher mitgeteilt hatte, er wolle nicht kandidieren[6].
Hamm-Brücher war die erste für das höchste Staatsamt nominierte Frau, die von der Öffentlichkeit und den Medien viel Beachtung bekam und nicht nur als Zählkandidatin wahrgenommen wurde.
Sie wurde bei dieser Wahl das Opfer von koalitionspolitischen Machtspielchen zwischen der CDU und der FDP.
Eine wichtige Figur in der Bundespräsidentenwahl 1994 war der damalige Bundeskanzler Dr. Helmut Kohl. Er war es, der bereits ein Jahr vor der Wahl Hans-Dietrich Genscher fragte, ob dieser nicht für das Amt des Bundespräsidenten kandidieren wollte. Damit signalisierte er auch dem Koalitionspartner FDP, dass er sich einen gemeinsamen Kandidaten wünsche. Als aber Genscher sich an der Kandidatur nicht interessiert zeigte, schwenkte Kohl auf den in der Öffentlichkeit sehr umstrittenen[7] CDU-Politiker Steffen Heitmann um. Die SPD hatte sich bereits damals auf Johannes Rau festgelegt. Damit waren die Liberalen zerspalten: Viele konnten sich mit dem CDU-Kandidaten nicht anfreunden und waren bereit mit der SPD – und damit gegen den starken Koalitionspartner – zu wählen. Nachdem Helmut Kohl sich für Heitmann entschieden hatte, ohne Rücksprache mit dem liberalen Koalitionspartner zu halten[8], fühlte sich die FDP frei, einen eigenen Kandidaten aufzustellen. An dieser Stelle kam Hamm-Brücher ins Spiel. Sie wurde – wie die FDP in einem Gespräch mit ihr offen zugab[9] – nicht zuletzt deshalb nominiert, weil sie eine Frau war. Sie wollte anfangs nicht als reine Zählkandidatin aufgestellt werden, weil sich aber eine parteiübergreifende Fraueninitiative gründete, die sie als Kandidatin aller Parteien nominieren wollte, sagte sie schließlich zu.[10] Diese Fraueninitiative ist ein Zeichen dafür, dass bei dieser Bundespräsidentenwahl die Idee einer Bundespräsidentin ernst genommen wurde. Der Initiatorgruppe gehörten in der Öffentlichkeit bekannte Frauen wie Alice Schwarzer, Senta Berger, Renate Künast etc. an, zahlreiche weitere Initiativen folgten, 10000 spontane Unterschriften wurden gesammelt, Unmengen von Unterstützerbriefen erreichten die FDP.[11] In der Bevölkerung kamen Hamm-Brücher und die Idee einer Bundespräsidentin gut an: Bei der letzten Emnid-Umfrage kurz vor der Bundespräsidentenwahl lag Hamm-Brücher mit Roman Herzog gleich auf.[12] Dennoch, wie die Frauenforscherin Dr. Brigitta Huhnke in einer Untersuchung herausfand, war die Öffentlichkeit noch nicht bereit für eine Bundespräsidentin: Vor allem konservative Medien versuchten, Dr. Hildegard Hamm-Brücher als Frau zu diskreditieren.[13] Auch in der FDP war die eigene Kandidatin alles andere als unumstritten, einerseits wegen koalitionspolitischer Streitigkeiten[14], andererseits wegen ihrer Persönlichkeit[15].
Die FDP zeigte sich immer noch – trotz der Nominierung Hamm-Brüchers – bereit, sich mit der CDU auf einen gemeinsamen Kandidaten zu einigen, solange es nur nicht Heitmann war. Dies zeigt, dass die Partei ihre eigene Kandidatin nicht besonders ernst nahm – sie war jederzeit bereit, sie wieder fallen zu lassen, um sich mit dem Koalitionspartner zu einigen. Hamm-Brücher selbst war diese Tatsache klar, sie tat aber ihr Möglichstes, um sich nicht als Zählkandidatin behandeln zu lassen. So gab sie bekannt, dass sie zwar für eine Allparteienkandidatur zurücktreten würde, äußerte sich aber nicht dazu, was sie tun würde, wenn die beiden Koalitionspartner einen gemeinsamen Kandidaten fänden.[16]
Wegen zahlreicher öffentlicher Kritik verzichtete Steffen Heitmann kurz vor der Bundespräsidentenwahl auf seine Kandidatur. Helmut Kohl brachte Roman Herzog ins Gespräch, auch diesmal, ohne sich mit der FDP zu besprechen. Die Liberalen zeigten sich enttäuscht und blieben bei ihrer eigenen Kandidatin. Innerhalb der FDP wurde beschlossen, dass nach dem zweiten Wahlgang entschieden werden sollte, ob Hildegard Hamm-Brücher weiter antritt. Im ersten Wahlgang hatte sie alle FDP-Stimmen bekommen, während im zweiten Wahlgang einige Liberale bereits umgeschwenkt waren. Herzog und Rau verzeichneten beide Stimmenzuwachs, aber Herzog lag klar vorne. Kurz vor dem dritten Wahlgang zog sich Klaus Kinkel mit Hildegard Hamm-Brücher zurück und bat sie, ihre Kandidatur aus koalitionspolitischen Gründen zurückzuziehen: „Frau Hamm-Brücher, jetzt habe ich Ihnen leider mitzuteilen, dass wir aus Gründen der Koalitionsräson nun Roman Herzog wählen müssen. Ich fordere Sie deshalb auf, von Ihrer Kandidatur zurückzutreten.“[17] Nach einer Abstimmung in der FDP-Fraktion, die Hamm-Brücher noch durchsetzen konnte, verzichtete sie auf ihre Kandidatur.
Der Verzicht von Dr. Hildegard Hamm-Brücher war ausschlaggebend für die Bundespräsidentenwahl 1994[18]. Ihre Partei hatte nachgegeben und sich dem stärkeren Koalitionspartner gebeugt. Damit war Hamm-Brücher das Opfer von koalitionspolitischen Spielchen geworden. Die Parteienpolitik spielte bei dieser Bundespräsidentenwahl eine wichtige Rolle, die ihr eigentlich nicht zusteht. Der Bundespräsident sollte unabhängig von jeglicher Parteienpolitik – und deshalb von der Bundesversammlung – gewählt werden[19]. Die FDP hatte sich selbst mit ihrem Verhalten keinen Gefallen getan, sondern nur gezeigt, dass sich die Partei am größeren Koalitionspartner orientiert und nicht einen eigenen Weg geht[20].
Nichtsdestotrotz war die Nominierung Hamm-Brüchers ein wichtiger Schritt: Zum ersten Mal setzte sich eine größere Fraueninitiative dafür ein, dass die Nominierte keine reine Zählkandidatin blieb. Dies gelang auch zum Teil – so wurde über Hamm-Brücher weit aus mehr in den Medien berichtet als über den Zählkandidaten der Grünen Jens Reich.[21] Auch Hamm-Brücher selbst ließ sich von ihrer Partei nicht wie eine Zählkandidatin behandeln. Dies ist daran zu erkennen, dass sie sich selbst – trotz mangelnder Unterstützung der Partei – in die mediale Öffentlichkeit brachte[22] und auch vor dem dritten Wahlgang nicht einfach Kinkels Wunsch gehorchte, sondern eine Abstimmung in ihrer Fraktion durchsetzte.
[...]
[1] Ausführliche Zitate, Quellen und Belege s. Teil 2. Das gilt für den gesamten Absatz.
[2] vgl. Winter, Ingelore M.: „Unsere Bundespräsidenten. Von Theodor Heuss bis Johannes Rau. Acht Porträts.“ S. 155
[3] vgl. Scholz, Günther/Süskind, Martin E.: „Die Bundespräsidenten. Von Theodor Heuss bis Johannes Rau“, S. 276
[4] vgl. ebd. S. 558f
[5] Billing, Werner: „Der Kampf um die Besetzung des höchsten Staatsamtes. Auswahl und Wahl des Bundespräsidenten 1994“, S. 596
[6] Begründung seiner Nicht-Kanidatur s. Billing, Werner: „Der Kampf um die Besetzung des höchsten Staatsamtes. Auswahl und Wahl des Bundespräsidenten 1994“, S. 598
[7] ausführlicher zur Person Heitmann ebd. S. 603 - 609
[8] vgl. ebd. S. 600
[9] vgl. Hamm-Brücher, Hildegard: „Freiheit ist mehr als ein Wort. Eine Lebensbilanz“, S. 289
[10] vgl. ebd.
[11] Vgl. ausführlicher ebd. S. 290f
[12] vgl. Hamm-Brücher, Hildegard: „Freiheit ist mehr als ein Wort. Eine Lebensbilanz“, S. 295
[13] vgl. Hamm-Brücher, Hildegard: „Freiheit ist mehr als ein Wort. Eine Lebensbilanz“, S. 294
[14] vgl. Oppelland, Torsten: „(Über-)Parteilich. Parteipolitische Konstellationen bei der Wahl des Bundespräsidenten und ihr Einfluß auf die Amtsführung“, S. 557
[15] Während ihrer Zeit in Bonn war sie als „Querkopf“ bekannt. Biographie: Hamm-Brücher, Hildegard: „Freiheit ist mehr als ein Wort. Eine Lebensbilanz“
[16] Billing, Werner: „Der Kampf um die Besetzung des höchsten Staatsamtes. Auswahl und Wahl des Bundespräsidenten 1994“, S. 601
[17] Hildegard Hamm-Brücher im Gespräch mit Sandra Maischberger: „Ich bin so frei“, S. 31
[18] vgl. Scholz, Günther/Süskind, Martin E.: „Die Bundespräsidenten. Von Theodor Heuss bis Johannes Rau“, S. 398
[19] s. GG, Art. 54
[20] vgl. „Die Zeit“ vom 26. Mai 1994: „Zum Heulen“
[21] vgl. Billing, Werner: „Der Kampf um die Besetzung des höchsten Staatsamtes. Auswahl und Wahl des Bundespräsidenten 1994“, S. 610
[22] vgl. Hamm-Brücher, Hildegard: „Freiheit ist mehr als ein Wort. Eine Lebensbilanz“, S. 294 - 298