"Rubinsteins Versteinerung ist eine Geschichte über negative Symbiose zwischen Deutschen und Juden mit keinerlei Aussicht auf Verbesserung“. Auf verschiedenen Ebenen wird diese Aussage diskutiert und in verschiedene Blickwinkel gerückt.
Inhalt
1. Einleitung:
2. Negative Symbiose nach Hanna Arendt
3. Seligmanns Rekonstruktion der negativen Symbiose
4. Diskussion der Hoffnungslosigkeit
5. Resümee
6. Bibliographie
“Rubinsteins Versteinerung ist eine Geschichte über negative Symbiose zwischen Deutschen und Juden mit keinerlei Aussicht auf Verbesserung“
1. Einleitung:
Rafael Seligmanns Rubinsteins Versteigerung kann aus verschiedenen Perspektiven gelesen werden. Eine Möglichkeit ist es den Fokus auf die Umsetzung negativer Symbiose zu legen. Um die Aussage “Rubinsteins Versteinerung ist eine Geschichte über negative Symbiose zwischen Deutschen und Juden mit keinerlei Aussicht auf Verbesserung“ zu diskutieren, wird im Folgenden genau dieser Blickwinkel eingenommen. Hierzu wird erst ein Überblick über die Thematik und den Autor geben und danach Argumente interpretiert.
Bereits vor der Veröffentlichung wurde Seligmanns erstes Buch aus unterschiedlichen Sichtweisen bewertet: Es würde sich zu viel um Sex drehen, der Protagonist spreche in einem entsetzlichen Ton mit seiner Mutter und allgemein wäre das Buch antisemitisch (Seligmann, 1993). Auch nach dem Druck löste das Werk viele Diskussionen aus: Seligmann wurde als „Nestbeschmutzer“ bezeichnet und wurde beschuldigt Juden in einem schlechten Licht zu präsentieren (Robertson, 2002). Nach Seligmanns Vermutungen stammte die Ablehnung daher, dass es nicht in das ideale Bild eines deutschen Juden passte (Robertson, 2002). Anderen Meinung zu folge ist es das erste Buch eines deutsch-jüdischen Autors nach 1945, welches mit dem herrschenden Konsens bricht (Broder, 1989): Einem ungeschriebenen Abkommen, in welchem klare Rollenbilder vordefiniert sind und Konflikte verschwiegen werden. Rubinsteins Versteigerung spricht diese Thematik an, in dem Konflikte jüdischer Identität thematisiert werden (Robertson, 2002).
2. Negative Symbiose nach Hanna Arendt
Kritische Gedanken zur dieser Identitätsproblematik äußerte 1946 bereits Hanna Arendt (1991) in Ihrem Brief an Karl Jaspers, indem sie das deutsch-jüdische Verhältnis als negative Symbiose charakterisierte. Im Gegensatz zu der - aus der Biologie bekannten - Symbiose wird das Zusammenleben zweier Individuen negativ beeinflusst. Anders als bei Parasitismus geschieht dies jedoch durch gegenseitige Wechseleinwirkungen. Benachteiligt sind daher nicht nur einzelne Akteure, sondern alle Beteiligten. Auf genau diese Weise kennzeichnet sich nach Arendt (1991) die Beziehung zwischen deutschen und jüdischen Einwohnern. Der Historiker Dan Dinner fasst die Situation nach dem Holocaust in seinem Aufsatz Negative Symbiose: Deutsche und Juden nach Auschwitz zusammen:
Seit Auschwitz [...] kann tatsächlich von einer ‚deutsch-jüdischen Symbiose‘ gesprochen werden - freilich einer negativen: für beide, für Deutsche wie für Juden, ist das Ergebnis der Massenvernichtung zum Ausgangspunkt ihres Selbstverständnisses geworden, eine Art gegensätzlicher Gemeinsamkeit - ob sie wollen oder nicht (Dinner, 1989, p. 9).
Ihre Identität beziehen daher beide Parteien aus dem Holocaust, welcher als Wurzel des eigenen Verständnisses bestimmt wurde und durch beide erneut miteinander verbindet. Das Ausmaß ist groß, da die Symbiose über Generationen hinaus vererbt wird (Dinner, 1989). Mit ihr vererbt werden auch die beiden kontrahären Identitätsbilder des Täters und des Opfers, beziehungsweise die Bilder des Schuldigen und Unschuldigen. Die Situation wird weiterhin verschärft, da weder eine politische noch eine juristische Lösung des Verbrechens möglich ist (Arendt, 1991). Dies stellt die Loslösung von dem Geschehenen vor ein besonderes Hindernis: Ein endgültiger Abschluss mit dem Holocaust für Juden und Deutsche fällt schwer. Doch obwohl beide Akteure unter der Beeinflussung leiden, gehen sie nach Dinner (1989) gegensätzlich mit den Erinnerungen an das Ereignis um. Seligmann die Rekonstruktion der negativen Symbiose
3. Seligmanns Rekonstruktion der negativen Symbiose
In Rubinsteins Versteigerung werden der Umgang und das negative Verhältnis aus Sicht eines jüdischen Jugendlichen geschildert: Der 21-jährige Abiturient Jonathan Rubinstein lebt in Deutschland, seit dem seine Eltern wieder aus Israel zurück gezogen sind. Die Vergangenheit der Rubinsteins wird durch den Holocaust geprägt, da viele Familienmitglieder ermordet wurden. Seit seinem zehnten Lebensjahr findet sich Jonathan in Deutschland daher zwischen zwei Lagern wieder. Auf der einen Seite ist er Mitglied einer kleinen jüdischen Gemeinde, auf der anderen Seite meistert er seinen Alltag und seine schulische Ausbildung nach deutschem Vorbild. Jonathan erlebt daher gegensätzliche Erfahrungen. Zum Beispiel wird er in der Schule zum antisemitischen Opfer: Als er seinen Sitzplatz neben der Lehrerin versteigert, wird ihm der Stereotyp des handelnden Juden vorgeworfen („Kaum reicht ihm eine deutsche Frau die Hand, schon versteigert der Rubinstein sie meistbietend“ (Seligmann, 2011, p. 12)). Einen antisemitischen Beigeschmack hat bereits die Tatsache, dass ihm der Platz neben der Lehrerin angeboten wird, da ihn Frau Taucher damit vor den Anderen bloßstellt. Zu Hause findet sich Jonathan hingegen in einer gegensätzlichen Welt wieder: Seine Eltern begrüßt er mit „Schalom“ (Seligmann, 2011, p. 17), seine Mutter achtet auf jüdische Sitten und regelmäßig besucht er die Synagoge. Äußerungen von Jonathan, wie „Als Jude gehöre ich nicht in diese Gesellschaft“ (Seligmann, 2011, p. 19) oder „Fremd bleiben wir auf jeden Fall. Wir gehören nicht dazu! (Seligmann, 2011, p. 89)“, zeigen, dass er die Spannungen zwischen den beiden Lagern wahrnimmt und sich deplatziert fühlt. Im Gegenzug macht er den Deutschen Vorwürfen und weist ihnen Schuld zu: „Natürlich, jeder von ihnen hat so viel und so oft er nur konnte Juden geholfen – ebenso im übrigen Deutschland“ (Seligmann, 2011, p. 118). Seligmann rekonstruiert auf diese Weise in Rubinsteins Versteigerung die negative Symbiose der Realität. Nach Melissa Beegle (2007) entwirft er ein Bild von Deutschland, dem Antisemitismus zu Grunde liegt und welches den Protagonisten vor Hindernisse stellt. Hierin zeigt sich das generationsübergreifende Problem der Identitätsfindung im Kontext des deutschjüdischen Verhältnisses.
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