Läßt sich die Studentenbewegung der 60er durch Theorien sozialer Bewegungen zugänglich machen oder sind weitere Bearbeitungen dieser Theorien nötig. Im Folgenden möchte ich genau diese Problematik betrachten.
Inhaltsverzeichnis
Abkürzungsverzeichnis
1. Einleitung
2. Erklärungsansätze zur Entstehung von sozialen Bewegungen
2.1. Definition einer soziale Bewegung
2.2. Der Ressourcenmobilisierungsansatz
2.3. Das Konzept des Framings
3. Erklärungsansätze sozialer Bewegungen im Bezug auf die Studentenbewegung I
3.1. Die Studentenbewegung als eine soziale Bewegung
3.2. Der Ressourcenmobilisierungsansatz im Bezug auf die Studentenbewegung
3.3. Das Konzept des Framings im Bezug auf die Studentenbewegung
4. Fazit
Literaturverzeichnis
Abkürzungsverzeichnis
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
l.Einleitung
Vergangenes Jahr vergab das US-amerikanische Magazin „Time " den Titel in der Kategorie Person des Jahres 2011 an den „protester" (Time, Jg. 178, Nr. 25/2011: 68f.) Anstoß hierfür waren die zahlreichen Proteste und sozialen Bewegungen rund um den Globus. Von Ägypten über Griechenland bis hin zu Stuttgart 21 und der Occupy- Bewegung. Das Jahr 2011 war gekennzeichnet von einer Reihe sozialer Bewegungen, deren Ziel es war, bestehende Missstände in der Gesellschaft zu benennen und sich diesen zu widersetzten. Diese Proteste von 2011 korrigierten das Anspruchsniveau von Sozialprotesten wieder nach oben, da die Idee von einer neuen Gesellschaft, hervorgebracht durch soziale Bewegungen, in den Medien lange Zeit nicht präsent war (Roth 2012: 21f.J.
Betrachtet man die Vergangenheit der Bundesrepublik Deutschland so wird deutlich, dass sich sozialer Wandel oft nur durch Protestbewegungen vollziehen ließ, diese sich somit als treibende Kraft im Modernisierungsprozess darstellen (Kern 2008: 9]. Durch den Fortschritt entstand oft Unzufriedenheit unter den Bürgern, wodurch wiederum soziale Bewegungen entstanden, die für eine Neuordnung und einen Umbruch der Gesellschaft kämpften. Obwohl in Deutschland durch die Staatsform der Demokratie ein legitimierter und zugleich leistungsfähiger Mechanismus zur Konfliktlösung vorhanden ist, zeigt es sich jedoch deutlich, dass früher sowie heute, soziale Bewegungen als eine Kraft gelten, mit deren Hilfe Bürger auf Missstände und Probleme hinweisen können, vor allem aber wenn die Politik mit den sich ihr stellenden Konflikten überfordert ist (Kern 2008: 12].
Um einige Beispiele für soziale Bewegungen zu nennen: die neue Frauenbewegung setzte sich für ein neues weibliches Selbstbewusstsein, für mehr öffentliche politische Beteiligung von Frauen und zugleich gegen die Unterdrückung dieser ein (Knafla/Kulke 1987: 94f.]. Eine weitere einflussreiche Bewegung des 20. Jahrhunderts stellt die Ökologiebewegung dar. Hier wurde durch die rasche Industrialisierung und Technisierung im 19.Jahrhundert und die damit einhergehenden negativen Folgen für die Umwelt der Gedanke der Rückwendung zur Natur laut. Heimat- und Naturschutz trat in den Vordergrund sowie das Verlangen nach dementsprechenden politischen Maßnahmen (Rucht 1994: 235]. Als Vorreiter aller sozialen Bewegungen, zugleich als die wohl bekannteste und einflussreichste des 20.Jahrhunderts, gilt die Studentenbewegung der 60er Jahre. Keine andere Revolte ist für so viele nachfolgende Bewegungen verantwortlich, keine andere Bewegung sorgte für so viel Aufsehen in der Gesellschaft und infiltrierte derart viele Lebensbereiche. Erwähnt man die „68er", weiß jeder worum es sich hierbei handelt. Doch wie lässt sie die Entstehung der Studentenbewegung erklären? Wie schaffte es die Bewegungen solche Massen an Studenten und Bürgern zu mobilisieren? Lässt sich die Studentenbewegung der 60er durch Theorien sozialer Bewegungen zugänglich machen oder sind weitere Bearbeitungen dieser Theorien nötig? Im Folgenden möchte ich genau diese Problematik betrachten, weshalb ich zunächst den Begriff der sozialen Bewegung genauer definieren werde. Anschließend werde ich mich auf zwei ausgesuchte Theorien beschränken, welche für die Erklärung der Studentenbewegung in Betracht gezogen werden können. Danach folgt die Anwendung dieser vorgestellten Theorien auf die Studentenbewegung 1968 sowie ob und warum diese Theorien ausreichend zur Erklärung dieses Phänomens sind.
2. Erklärungsansätze zur Entstehung von sozialen Bewegungen
Die Bewegungsforschung hat es sich zur Aufgabe gemacht das Phänomen der sozialen Bewegung zu untersuchen und mögliche Erklärungen für diese hervorzubringen. Bedeutende Persönlichkeiten, die sich schon um die Wende des 20.Jahrhunderts mit dem Gedanken der Bewegungsforschung beschäftigten, sind unter anderem Karl Marx oder Lorenz von Stein. Zudem zeigten sich auch schon damals Grundzüge der Bewegungsforschung bei Massenpsychologen. Ab der zweiten Hälfte des 20.Jahrhunderts lässt sich von einer teilweise systematischen Bewegungsforschung sprechen, deren Schwerpunkt in den USA lag. Hier bildeten sich vor allem massenpsychologische Ansätze, welche von der Beeinflussung des Verhaltens von Individuen ausgehen (vgl. Kern 2008: 9), und strukturtheoretische heraus (Rucht 2011: 23). Im Gegensatz dazu schreiben Marx und Engels in einem evolutionstheoretischen Erklärungsansatz die Ursachen von Protesten den vorhandenen Strukturen der Gesellschaft zu (Kern 2008: 9).
Es lassen sich weitere Erklärungsansätze für soziale Bewegungen in der Vergangenheit finden. Da jedoch nicht alle im Bezug auf meine Fragestellung sinnvoll sind stelle ich in Folgendem zwei Ansätze vor: der Ressourcenmobilisierungsansatz entstand in den 1970 Jahren und stellte mit seiner neuartigen Herangehensweise an die Problematik eine markante Umorientierung in der Bewegungsforschung dar (Opp 1998: 95; Rucht 2011: 23), während das Konzept des Framings, welches sich an Goffmans Rahmen-Analyse orientierte, Mitte der 1980er-Jahre entwickelt wurde (Kern 2008: 141f.). Im Folgenden möchte ich zunächst eine Definition des Begriffs soziale Bewegung geben, worauf ich anschließend zunächst den Ressourcenmobilisierungsansatz, danach den Ansatz der Framings ausführlich darstelle.
2.1. Definition einer soziale Bewegung
Für die weitere Diskussion ist es wichtig, die Begrifflichkeiten der Thematik genau zu definieren. Als Grundlage soll folgende Definition nach Raschke (1987) gelten:
„Soziale Bewegung ist ein mobilisierender kollektiver Akteur, der mit einer gewissen Kontinuität auf der Grundlage hoher symbolischer Integration und geringer Rollenspezifikation mittels variabler Organisations- und Aktionsformen das Ziel verfolgt, grundlegenderen sozialen Wandel herbeizuführen, zu verhindern oder rückgängig zu machen ". (Raschke 1987: 22)
Der Begriff der Mobilisierung spielt bei sozialen Bewegungen eine zentrale Rolle, da die permanente Suche nach weiterer Unterstützung essentiell ist. Eine gewisse Kontinuität der Bewegung ermöglicht die eindeutige Abgrenzung von anderen Phänomenen wie z.B. kollektiven Episoden. Da es sich bei einer sozialen Bewegung um eine Gruppierung von Menschen handelt, muss auch eine hohe symbolische Integration der Mitglieder, also ein Wir-Gefühl vorhanden sein, welches den Zusammenhalt aufrecht erhält und stärkt. Weiterhin weisen soziale Bewegungen stets eine geringe Ausdifferenzierung bzw. Festschreibung von Rollen auf, welche jedoch mit dem Organisationsgrad der Bewegung wächst. Als Ziel der Bewegung wird die Veränderung wichtiger einzelner Elementen von Staat und/oder Gesellschaft gesehen. Eine Änderung des ganzen Systems erweist sich hier als nicht zwingend. Dabei ist anzumerken, dass gerade die nicht eindeutige Definition der Ziele von Bewegungen als typisches Kennzeichen jener gilt (Raschke 1987: 21f.).
Soziale Bewegungen können nicht durch eine bestimmte Art der Organisationsform definiert werden. Umfang und Bedeutung der Organisation variieren, sodass man sie in Typologien bzgl. ihres Grades an interner Organisation einordnen kann. So lässt sich zwischen einer organisations-dominierten, bei der nun wenige Ressourcen außerhalb der Kontrolle der Organisation liegen, und einer organisations-schwachen Bewegung, bei welcher größere Chancen zu kritischen Interdependenzen zwischen den organisierten und nicht-organisierten Teilen der Bewegung bestehen, unterscheiden. Beide Typen von Bewegungen führen aufgrund ihrer Charakteristika zu unterschiedlichen Konsequenzen (Raschke 1987: 22).
Weiterhin ist hier noch die Verbindung von sozialen Bewegungen und sozialem Wandel bzw. Modernisierung zu klären. Es wichtig, von einem doppelten Modernisierungsbegriff auszugehen. Zum einen spielt sich dieser auf der institutionellen Ebene ab, welcher zur steigenden strukturellen Differenzierung führt, zum anderen auf der kulturellen Ebene, wodurch eine Pluralisierung sowie eine Entgrenzung der Sinnhorizonte mit einhergeht. All dies begünstigt die Entstehung neuer Probleme und Spannungen, für die jeweils neuartige Lösungen gefunden werden müssen (Kern 2008: 12).
2.2. Der Ressourcenmobilisierungsansatz
Während lange Zeit Ansätze, welche soziale Bewegungen aus massenpsychologischer und strukturtheoretischer Sicht erklärten, vorherrschten, entwickelte sich in den 70er Jahren eine neue Theorierichtung (Rucht 2011: 23). Der Ressourcenmobilisierungsansatz rückte eine neue Sichtweise auf soziale Bewegungen in den Fokus der Untersuchung. Als Reaktion auf die älteren Theorien des kollektiven Verhaltens verwarf dieser Ansatz die bis damals strikte Trennung von institutionellem und kollektivem Verhalten und sah Bewegungen nicht mehr als unstrukturierte und irrationale Phänomene an, sondern als weitgehend strukturierte und organisierte Unternehmen, in welchen sich rationale Protestakteure finden (Kern 2008: 122). Die amerikanischen Soziologen McCarthy und Zald (1977) gelten als Begründer dieser neuen Theorie. In ihrem Artikel „Ressource Mobilization and Social Movements“ betonen sie die Einseitigkeit der vorangegangenen Erklärungsansätze, die lediglich immer wieder kollektive Unzufriedenheit sowie generalisierte Ideologien als wichtige Bedingungen für das Aufkommen einer sozialen Bewegung nennen. McCarthy und Zald stellten jedoch anhand empirischer Studien fest, dass die Verbindung von objektiver und subjektiver Unzufriedenheit und das Aufkommen einer Bewegung sowie die Beteiligung an dieser, lediglich wenig oder gar keine empirische Bestätigung fand, was beide zur Annahme brachte, das „deprevation and grievance" (zu deutsch: Mangel und Missstand) nicht ausreichend Erklärungskraft für diesen Sachverhalt besitzen (McCarty/Zald 1977: 1214f). Folglich können sie nur als sekundäre Variablen angesehen werden (Jenkins 1983: 530). Weiterhin wird von ihnen hervorgeboben, dass es in jeder Gesellschaft genug Missstände und Unzufriedenheit gibt um den Anfängen einer sozialen Bewegung beizuwohnen, solange diese effektiv organisiert ist. Mit der Aussage „grievance and discontent may be defined, created, and manipulated by issue entrepreneurs and organizations.“(McCarthy/Zald 1977: 1215) wird der Standpunkt beider deutlich. Organisationen entwickeln sich nicht direkt aus Unzufriedenheit, aber indirekt aus Anstrengungen von Akteuren des politischen Systems, wodurch die Aufmerksamkeit auf den Mobilisierungsprozesses wandert (ebd.).
Der RM-Ansatz stützt sich auf das bereits von Olson definierte Problem, dass bei sozialen Bewegungen nur wenige Individuen die Kosten für den Erhalt jener tragen, da soziale Bewegungen kollektive Güter liefern (McCarthy/Zald 1977: 1216).
Die Annahmen der Theorie, welche sich auf Thesen der Rational Choice Theorie beziehen, sind Folgende:
- Die Teilnahme an einer Bewegung ist immer mit Kosten verbunden, weshalb Deprivationen nicht automatisch für die Entstehung von Bewegungen verantwortlich sind. Es erfolgt die Abwägung des Akteurs der Kosten und Nutzen im Falle einer Beteiligung.
- Bewegungen werden oftmals von etablierten Gruppen und angesehenen Institutionen unterstützt.
- Die Mobilisierung von Ressourcen erfordert eine gewisse Organisation innerhalb der Bewegung.
- Durch staatliche Eingriffe können die Kosten für Proteste verringert oder vergrößert werden. (Kern 2008: 122)
Es rücken Mobilisierungsprozesse in den Fokus, mit welchen notwendige materielle sowie immaterielle Ressourcen für kollektive Aktivitäten sichergestellt werden sollen (Jenkins 1983: 532).
McCarthy und Zald (1977) verstehen unter einer sozialen Bewegung eine Menge von Meinungen und Überzeugungen in einer Gesellschaft, welche Präferenzen äußert Elemente der sozialen Struktur und/oder das Anreizsystem in einer Gesellschaft zu ändern. Eine Gegenbewegung ist eine Menge von Meinungen und Überzeugungen in einer Gesellschaft, die im Gegensatz zu einer sozialen Bewegung steht. Eine soziale Bewegung ist daher nicht mehr als eine Präferenzstruktur, welche den sozialen Wandel anstrebt (McCarthy/Zald 1977: 1218), somit kommt diese Definition der von Raschke sehr nah.
Ein weiterer Fokus der RM-Theorie liegt bei der vorher existierenden Organisation und Integration von Präferenzen in einer Gesellschaft. Daher unterscheiden McCarthy und Zald (1977) zwischen dem Social Movement Sector, kurz SMS, in welchem sich alle Social Movement Industries (SMI) finden. In einer SMI finden sich alle letztendlichen Bewegungen, also Social Movement Organizations (SMO), welche die Einstellungen einer sozialen Bewegung teilen. Zu welcher Bewegung eine SMO zugetan ist spielt hier keine Rolle. SMOs sind komplexe oder formale Organisationen, welche ihre Ziele über die Einstellung einer sozialen Bewegung identifizieren (McCarthy/Zald 1977: 1219f).
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