Ziel dieser Arbeit ist das möglichst textnahe Herausarbeiten zentraler Thesen Sartres ontologischen Freiheitsbegriffes in seinem Werk „Das Sein und das Nichts“. Im ersten Teil werden zunächst die beiden Seinstypen sowie deren Synthese und die daraus ableitbare Bedeutung für den Menschen erläutert, die Sartre in seinen ontologisch-phänomenologischen Untersuchungen im ersten Teil des Werkes vorfindet. Dabei soll der transzendente Hintergrund beider Seinsformen aufgezeigt werden, der letztendlich die Situierung des
Menschen in der Welt definiert. Im zweiten Teil werden die zentralen Thesen zu Sartres Freiheitsbegriffes untersucht, die im Vierten Teil des Werkes beschrieben sind. Ausgehend von Sartres freiheitlichen Handlungsbegriffes wird der existenzialistische Bruch in der deterministischen Kausalkette aufgezeigt und verschiedene Aspekte der sartreschen Freiheitskonzeption durchleuchtet.
INHALTSVERZEICHNIS
1. Einleitung
1.1 Freiheitsbegriffe
1.2 Kernmotiv
2. Die Seinsformen: Ansich und Fürsich.
3. Der ontologische Freiheitsbegriff von Jean-Paul Sartre.
3.1 Freiheit und Handeln
3.2 Freiheit und Determinismus
3.3 Freiheit und Wille
3.4 Freiheit und Angst
4. Schluss
5. Literaturverzeichnis
1. Einleitung
1.1 Freiheitsbegriffe
Der dem heutigen Verständnis zugängige Freiheitsbegriff meint zumeist die Existenz von begehbaren Möglichkeiten, dabei steht ein zumindest nicht vollständig determiniertes Sein den Möglichkeiten gegenüber, die sich aus der Freiheit ergeben. Dabei vollzieht sich die Freiheit auf zwei Ebenen: auf einer willentlichen Ebene, also der Fähigkeit des Menschen, willentlich und bewusst zu handeln sowie einer handlungsorientierten Ebene, die – sofern sie frei ist - als Abwesenheit von äußeren Zwängen verstanden wird. Von zentraler Bedeutung für einen allgemeinen Freiheitsbegriff ist ebenso der Determinismus und die Heteronomie, letzte gilt seit Immanuel Kants Unterscheidung zwischen positiver und negativer Freiheit als Gegenbegriff für Autonomie. Durch die neuen Erkenntnisse der Naturwissenschaften, insbesondere der Hirnforschung, werden deterministische Konzeptionen hinsichtlich der Willensfreiheit zu einer Herausforderung strikt freiheitlichphilosophischer Vorstellungen.
Der Freiheitsbegriff umfasst Konzeptionen in den Bereichen der Marktwirtschaft, gesellschaftlicher Strukturen, Grund- und Bürgerrechten sowie politischen Ideologien. Der in dieser Arbeit beschriebene ontologischexistentialistische Freiheitsbegriff nach Sartre umfasst die Situierung des Menschen hinsichtlich seines freiheitlichen Seins – unabhängig jeder politischen Ideologie oder anderen von außen herkommenden Faktoren. Dabei steht der Mensch als reflektierendes, zu Vernunft fähiges Wesen im Mittelpunkt, der sich letztendlich konfrontiert sieht mit evidenten Grenzen der eigenen Freiheit.
1.2 Kernmotiv
Für Sartre ist Freiheit nicht eine von außen oder innen herkommende Eigenschaft beziehungsweise eine hinzukommende Qualität, sondern Freiheit bildet den Kern des Seins, gar ist das Sein gleichzusetzen mit Freiheit. Der von Sartre begründete französische Existenzialismus ist auch ein ausgeprägter Atheismus, die Existenz eines omnipotenten, schöpferischen Gottes wird also grundsätzlich verneint. In seinem Vortrag „Der Existentialismus ist ein Humanismus“ geht Sartre auf diesen Grundsatz ein und erkennt: „mit Gott verschwindet jede Möglichkeit, Werte in einem intelligiblen Himmel zu finden; es kann kein a priori Gutes mehr geben, da es kein unendliches und vollkommenes Bewusstsein gibt, es zu denken; nirgends steht geschrieben, dass das Gute existiert, dass man ehrlich sein soll, nicht lügen darf, denn wir befinden uns ja auf einer Ebene, wo es nichts gibt, außer den Menschen“.1 Im Mittelpunkt des französischen Existenzialismus steht also der Mensch, insofern verlassen und haltlos als auch frei und ohne Wesen: der Mensch ist nicht, sondern muss sich selbst wählen und entwerfen. Es gibt keinen übergreifenden tiefliegenden Sinn des Daseins, der Mensch ist das Wesen, das existiert bevor es definiert werden kann: die Existenz geht der Essenz voraus.2 Der Mensch wird in die Welt geworfen, und ist ganz ohne Hilfe und Halt dazu verurteilt, frei zu sein – und muss sich in diesem verlassenen Zustand selbst einen Wert verleihen. Diese auch als Bürde zu verstehende Freiheit verschmilzt mit der Verantwortlichkeit, sich nicht mit einem Verweis auf eine bestimmte menschliche Natur zu definieren, sondern dieser haltlosen Existenz und dem „Inder-Weltsein“ selbständig einen Wert verleihen zu müssen; denn selbst dann, wenn der Mensch sich selbst nicht geschaffen hat, ist er vollständig und ganz verantwortlich für seine Existenz.3
Ziel dieser Arbeit ist das möglichst textnahe Herausarbeiten zentraler Thesen Sartres ontologischen Freiheitsbegriffes in seinem Werk „Das Sein und das Nichts“. Im ersten Teil werden zunächst die beiden Seinstypen sowie deren Synthese und die daraus ableitbare Bedeutung für den Menschen erläutert, die Sartre in seinen ontologischphänomenologischen Untersuchungen im ersten Teil des Werkes vorfindet. Dabei soll der transzendente Hintergrund beider Seinsformen aufgezeigt werden, der letztendlich die Situierung des Menschen in der Welt definiert. Im zweiten Teil werden die zentralen Thesen zu Sartres Freiheitsbegriffes untersucht, die im Vierten Teil des Werkes beschrieben sind. Ausgehend von Sartres freiheitlichen Handlungsbegriffes wird der existenzialistische Bruch in der deterministischen Kausalkette aufgezeigt und verschiedene Aspekte der sartreschen Freiheitskonzeption durchleuchtet.
2. Die Seinsformen: Ansich und Fürsich
Sartre unterscheidet zwischen zwei Formen des Seins, dem Sein des Ansich und dem Sein des Fürsich. Um das Ansich zu definieren, wendet sich Sartre einer Kritik der vor allem von Kreationisten vertretenen Vorstellung zu, dass das Sein von Gott in einem schöpferischen Akt in die Welt gesetzt wurde. Sartre zieht zwei Argumente heran, um diese Vorstellung zu widerlegen: (1) Wenn Gott die Existenz zugesprochen wird, müsste er als reine Subjektivität gedacht werden, womit für Sartre die Frage nach der Entstehung der Objektivität unbeantwortbar ist, da diese dann aus der reinen Subjektivität heraus entstehen müsste. Die Objektivität wäre nicht mehr als „ein intrasubjektiver Seinsmodus“.4(2) Denkt man die kreationistische Konzeption weiter und die Objektivität sei aus der (göttlichen) Subjektivität heraus geschaffen worden, bleibe folgendes Dilemma: das Ansich muss, um objektiv zu sein, auf Distanz zu sich selbst und seinen Schöpfer gehen, insofern dass alle Brücken zu seinem göttlichen Schöpfer gebrochen werden, da es sonst nichts weiter wäre als ein Modus göttlichen Seins. Das Ansich aber existiert in Gegenüberstellung zu Gott, weil es sein eigener Selbststand ist, weil es nicht die geringste Spur des göttlichen Schöpfungsaktes bewahrt. Wenn das Ansich also geschaffen worden wäre, wäre es mit der Vorstellung eines schöpferischen Gottes dennoch nicht erklärbar, denn das Ansich liegt jenseits seines schöpferischen Gottes.5
Das Ansich bleibt für Sartre also ungeschaffen und fällt in seiner Existenz mit sich selbst zusammen, das Ansich bildet einen Zustand der totalen Fülle im Sinne voller Positivität. Explizit kommen dem Ansich als objektivierbare Gegenstände zu, erscheinende Dinge, beispielsweise Stühle, Tische etc. Im Ansich gibt es keine Dualität, die Seinsdichte des An-4Sartre, Jean-Paul. Das Sein und das Nichts. Versuch einer phänomenologischen Ontologie,1943, Seite 40 (im Folgenden mit „SN“ abgekürzt)
Sich ist unendlich.„DasAnsichistvonsichselbstvoll,undmankannsichkeinetotalereFülle,keinevollkommenereAdäquationvonEnthaltenemundEnthaltendemvorstellen(...)“6 Die Seinsdichte des Stuhles ist also unendlich„(..)esgibtnichtdiegeringsteLeereimSein[desAnsich],denkleinstenRiss,durchdendas Nichts hineingleiten könnte“7. Der Stuhl ist unabhängig von einem wahrnehmenden Bewusstsein und so,wie er ist –mit sich selbst identisch und passiv.
Das Fürsich hingegen ist weder mit sich selbst identisch noch passiv, sondern zeichnet sich durch seine Dynamik und seiner Bestimmtheit durch das Bewusstsein aus. Mit dem Hinzukommen des Bewusstseins erscheinen die Objektive charakteristisch, farbig, riechend, aussehend. Mit dem Fürsich kommt auch die Differenzierung in die Welt, der 'Seinshaufen' des Ansich wird gewertet und analysiert. Das Fürsich ist also jener Seinstypus, der den Menschen kennzeichnet, der eine Begründung für seine Existenz sucht und über den Sinn und das Sein reflektiert. Dabei hat das Ansich einen ontologischen Vorrang vor dem Fürsich, denn für Sartre ist das Auftauchen des Fürsich die Nichtung des Ansich. „Das Seingesetz des Fürsich, ontologische Grundlage des Bewusstseins, ist, es selbst zu sein in der Form von Anwesenheit bei sich“ .8 Diese Anwesenheit impliziert für Sartre Dualität, also eine gewisse Zweiheit verbunden mit einer infiniten Trennung. Die Anwesenheit bei sich setzt also voraus, dass das Ansich in seiner vollen Positivität und Fülle modifiziert wurde, „(...) dass ein nicht spürbarer Riss in das Sein [des An-Sich] gekommen ist“. 9 Dieser Riss ist für Sartre das Nichts. Somit ist das Fürsich die Nichtung des Ansich, welches infolge dieser Nichtung die Realität des Fürsich ausmacht, das Fürsich ist also nicht selbständig, sondern fest verbunden mit dem Ansich.10 Die Anwesenheit bei sich bedeutet einen Bruch mit dem Identischsein das Ansich, die Distanznahme des Seins sich selbst und der Welt gegenüber; durch diese Nichtung des Ansich entsteht das Fürsich, und infolge dieser Nichtung erfährt das Ansich einen vollständigen Umsturz und ist darum bemüht, seine volle Positivität zurückzuerobern, ohne dabei auf das reflexive Fürsich verzichten zu müssen.
Der Mensch, der also Objekt und Subjekt zugleich ist, befindet sich in einer Situation, in der
er die volle Seinsfülle des Ansich bestrebt – gleichzeitig aber auch Begründer seiner eigenen Existenz sein will. Der Mensch strebt also nach einer Synthese des Ansich und Fürsich, dem Anund-Fürsich-Sein. Die aus dem Ansich und Fürsich bestehende Gesamtheit erscheint somit als ein ideales Sein, wobei das Ansich vom Fürsich begründet wird und gleichermaßen mit dem Fürsich, durch das es begründet wird, identisch ist, es ist also ein ens causa sui. Dieses nicht zu verwirklichende Sein ist somit immer in der Schwebe, fortwährend bemüht in einem Zustand der andauernden Auflösung und Synthese des Fürsich und An- sich.11
3. Der ontologische Freiheitsbegriff von Jean-Paul Sartre
3.1 Freiheit und Handeln
Für Sartre ist die Intentionalität von Handlungen von zentraler Bedeutung. Ein ungeschickter Raucher, der unbeholfen ein Pulverfass umstößt und eine Explosion verursacht, hat nicht gehandelt . Der Arbeiter, der in einem Steinbruch eine Sprengung ausgeführt hat, handelt – denn es war sich seiner Intention bewusst, „er realisierte intentional ein bewusstes Vorhaben“ .12 Doch die bewusste Realisation der Folgen einer Handlung ist für Sartre nicht elementar, sondern die notwendige Bedingung einer Handlung der Erkenntnis eines objektiven Mangels, eines Desiderats, einer Negativität. Für Sartre lösen nicht die Begebenheiten einer Situation die Motive hervor, sich in eine andere, bessere Situation zu denken; die Imagination eines weniger prekären Zustandes führt zur Erkenntnis einer Perspektive aus dem Nicht-Sein, von der aus wir entscheiden , dass die augenblicklichen Begebenheiten des Seins untragbar sind.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Mit dem Beispiel des Arbeiters von 1830 verdeutlicht Sartre seine Gedankengänge: zwar ist der Arbeiter angesichts einer Lohnsenkung in der Lage zu revoltieren, denn er ist grundsätzlich in der Lage sich in eine Situation zu denken, in der sein ohnehin prekärer Lebensstandard noch niedriger wäre, doch er stellt sich seine Lebenslage [seine Leiden] nicht unerträglich vor - sondern passt sich der Situation aufgrund mangelnder Bildung und Reflexion an, die Voraussetzung dafür sind, sich einen sozialen Zustand zu denken in dem seine Lebenssituation nicht so prekär wäre. Die Orientierungslosigkeit der infolge einer Revolte Herren von Lyon gewordenen Arbeiter im Stadteil Croix-Rousse verdeutlicht für Sartre die feste Verbindung von Leiden und Sein der Arbeiter, dabei ist das Leiden des Arbeiters „der bloße affektive Tenor seines nichtsetzenden Bewusstseins“ .13 Der Arbeiter, so Sartre, hat bis zu diesem Zeitpunkt nicht gehandelt , vielmehr konstituiert die Lage des Arbeiters sein eigenes Unvermögen, der Arbeiter leidet, ohne sein Leiden in einem neuen Licht zu betrachten und ohne ihm einen neuen Wert zu verliehen. Erst mit dem aufgreifen eines Planes, um seine Leidens- und Lebenssituation zu verändern oder zu beenden, werden sie ihm unerträglich erscheinen. Die Konzeption eines Planes geht somit einher mit einer Distanzierung vom Leiden sowie einer zweifachen Nichtung, einerseits der Setzung eines idealen, imaginären Zustandes als reines Nichts und andererseits im Bezug auf diesen idealen Zustand die Setzung des gegenwärtigen Zustandes als Nichts. Daraus ergeben sich für Sarte zwei Folgerungen: Erstens: aus keinem faktischen Zustand können sich allein die Motive für eine Handlung konstituieren. Zweitens: kein faktischer Zustand allein kann dazu führen diesen als Negativität oder Mangel aufzufassen. 14
Insofern ist nicht nur Bedingung von Handeln die Erkenntnis eines Mangels, sondern auch das Auffassen des betrachteten Zustandes als isoliertes System. Die Konstituierung des Nichts entspringt nur aus dem Nichtungsvermögen des Bewusstseins, dabei schafft das Nichtungsvermögen nicht nur eine Distanz gegenüber dem in der Welt verankerten Sein, sondern – weil das Bewusstsein vom Sein umschlossen ist – ist das Nichtungsvermögen fest im Sein integriert und ein Bestandteil davon. Durch bloßes Sich-Losreißen von sich selbst und der Welt ist der Arbeiter in der Lage, seine Lebenssituation als unerträgliches Leiden zu setzen und zu definieren, er kann es zum Antrieb und Motiv seines revolutionierenden Handelns machen. Die Möglichkeit des Sich-Losreißen von sich selbst, dem gegenwärtigen Zustand der Welt und seiner eigenen Vergangenheit implizieren für Sartre die grundlegenden
[...]
1 Sartre, Jean-Paul. Der Existentialismus ist ein Humanismus, 1946, S. 154
2 „Die Existenz geht der Essenz voraus“ - zentraler Satz Sartres Ontologie mehrfach erläutert in 'Das Sein und das Nichts' Kaptitel 4 sowie in: 'Zum Existentialismus: Eine Klarstellung'.
3 vgl. Sartre, Jean-Paul. Der Existentialismus ist ein Humanismus, 1946, S. 155
5vgl. Hengelbrock, Jürgen: Jean-Paul Sartre. Freiheit als Notwendigkeit. Einführung in das philosophische
6 SN, Seite 165.
7 SN, Seite 165.
8 SN, Seite 169.
9 SN, Seite 170.
10 vgl. Streller, Justus: Zur Freiheit verurteilt. Ein Grundriss der Philosophie Jean Paul Sartres, 1999, Seite 2ff.
11 vgl. Streller, Justus: Zur Freiheit verurteilt. Ein Grundriss der Philosophie Jean Paul Sartres, 1999, Seite 4. 12 SN, Seite 753.