Die 2006 gegründete Piratenpartei Deutschland (nachfolgend auch PIRATEN (offizielles Parteikürzel (PIRATEN 2006))) hat in den vergangenen Jahren beachtliche Erfolge erreicht, durch die sie immer mehr in den medialen und auch wissenschaftlichen Fokus rückt. Es stellt sich die Frage, ob diese junge Partei nur eine weitere unbedeutende Kleinpartei ist, die unter die Kategorie „Sonstige“ fällt, oder ob es sich um eine Partei handelt, die sich eine große Wählerbasis aufbauen und damit nachhaltig erfolgreiche Politik im deutschen Parteiensystem betreiben kann.
In der folgenden Hausarbeit soll der Frage nachgegangen werden, welche Aspekte dafür oder dagegen sprechen, dass sich die Piratenpartei im deutschen Parteiensystem etablieren kann. Dabei soll ein besonderer Fokus auf die im September dieses Jahres stattfindende Bundestagswahl gerichtet werden. Die Vorgehensweise in dieser Hausarbeit ist zu einem Teil empirisch-analytisch, zu einem anderen Teil historisch-genetische, indem ein Vergleich mit den Grünen gezogen wird.
Um die Erfolgswahrscheinlichkeit der Piratenpartei zu messen, werden zunächst zwei allgemeine Theorien vorgestellt, die Anhaltspunkte für einen Erfolg neuer Parteien liefern können. Bei der ersten Theorie handelt es sich um die in der Politikwissenschaft weit verbreitete und anerkannte „Cleavage-Theorie“ von Seymour Martin Lipset und Stein Rokkan, die erklären kann, wieso es zur Entstehung neuer Parteien auf Grund gesellschaftlicher Konfliktlinien kommen kann. Diese Theorie ist deshalb bei der Frage nach den Erfolgsaussichten der Piratenpartei relevant, da das Vorhandensein eines neuen gesellschaftlichen Konflikts als wichtige Bedingung dafür gilt, dass sich die Piratenpartei dauerhaft etablieren kann (Neumann 2011, 10, vgl. auch Onken/Schneider 2012, 612). Außerdem zeigen Beispiele aus der Vergangenheit, dass Parteien nur so lange erfolgreich sein können, wie es ein Cleavage gibt, das für eine breite Wählerschaft sorgt. Wird ein gesellschaftlicher Konflikt gelöst, kann es vorkommen, dass Parteien politisch irrelevant werden (Onken/Schneider 2012, 612).
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
2. Theorie
2.1. Cleavage-Theorie - Wie neue Parteien entstehen
2.2. Lifespan-Modell - Einordnung von Parteien auf Karrierestufen
3. Analyse
3.1. Steht die Piratenpartei für ein neues Cleavage?
3.2. Auf welcher Karrierestufe befindet sich die Piratenpartei?
3.3. Analyse der aktuellen Situation anhand von Statistiken und Umfragen
4. Fazit - Was spricht für oder gegen einen Erfolg bei der Bundestagswahl 2013?
5. Auswertung der Analyse
6. Literaturverzeichnis
1. Einleitung
Die 2006 gegründete Piratenpartei Deutschland (nachfolgend auch PIRATEN (offizielles Parteikürzel (PIRATEN 2006))) hat in den vergangenen Jahren beachtliche Erfolge erreicht, durch die sie immer mehr in den medialen und auch wissenschaftlichen Fokus rückt. Es stellt sich die Frage, ob diese junge Partei nur eine weitere unbedeutende Kleinpartei ist, die unter die Kategorie „Sonstige“ fällt, oder ob es sich um eine Partei handelt, die sich eine große Wählerbasis aufbauen und damit nachhaltig erfolgreiche Politik im deutschen Parteiensystem betreiben kann.
In der folgenden Hausarbeit soll der Frage nachgegangen werden, welche Aspekte dafür oder dagegen sprechen, dass sich die Piratenpartei im deutschen Parteiensystem etablieren kann. Dabei soll ein besonderer Fokus auf die im September dieses Jahres stattfindende Bundestagswahl gerichtet werden. Die Vorgehensweise in dieser Hausarbeit ist zu einem Teil empirisch-analytisch, zu einem anderen Teil historisch-genetische, indem ein Vergleich mit den Grünen gezogen wird.
Um die Erfolgswahrscheinlichkeit der Piratenpartei zu messen, werden zunächst zwei allgemeine Theorien vorgestellt, die Anhaltspunkte für einen Erfolg neuer Parteien liefern können. Bei der ersten Theorie handelt es sich um die in der Politikwissenschaft weit verbreitete und anerkannte „Cleavage-Theorie“ von Seymour Martin Lipset und Stein Rokkan, die erklären kann, wieso es zur Entstehung neuer Parteien auf Grund gesellschaftlicher Konfliktlinien kommen kann. Diese Theorie ist deshalb bei der Frage nach den Erfolgsaussichten der Piratenpartei relevant, da das Vorhandensein eines neuen gesellschaftlichen Konflikts als wichtige Bedingung dafür gilt, dass sich die Piratenpartei dauerhaft etablieren kann (Neumann 2011, 10, vgl. auch Onken/Schneider 2012, 612). Außerdem zeigen Beispiele aus der Vergangenheit, dass Parteien nur so lange erfolgreich sein können, wie es ein Cleavage gibt, das für eine breite Wählerschaft sorgt. Wird ein gesellschaftlicher Konflikt gelöst, kann es vorkommen, dass Parteien politisch irrelevant werden (Onken/Schneider 2012, 612).
Danach soll das sogenannte „Lifespan-Modell“ von Mogens N. Pedersen beschrieben werden, das verschiedene Karrierestufen einer Partei beschreibt, durch die der Erfolg neuer Parteien eingeordnet werden kann. Außerdem soll eine Erweiterung dieses Modells durch Oskar Niedermeyer betrachtet werden, wobei diese als Grundlage für die spätere Analyse dienen soll. Da diese Hausarbeit in ihrem Umfang begrenzt ist, wird das Modell von Niedermeyer nicht in vollem Umfang bearbeitet werden können.
Nachdem die Theorien erklärt wurden, werden sie auf den Fall der Piratenpartei übertragen, indem überprüft wird, ob die Piratenpartei ein neues Cleavage besetzt und auf welcher Karrierestufe sie sich befindet. So wird analysiert, inwieweit die Theorien für oder gegen einen dauerhaften Erfolg sprechen. Im letzten Teil der Analyse werden dann die Pro- und Contra-Argumente in Bezug auf die Fragestellung nochmals übersichtlich gegenübergestellt. Hierbei wird mithilfe aktueller Statistiken eine möglichst große Aktualität hergestellt.
Politische Inhalte sowie Vergleiche mit den übrigen deutschen Parteien werden in dieser Hausarbeit nur soweit thematisiert, wie sie für die Frage nach den Erfolgsaussichten der PIRATEN von Belangen sind. Vergleiche mit der schwedischen „Piratpartiet“, sowie mit Schwesterparteien aus anderen Staaten, werden nur kurz beleuchtet. Eine detaillierte Analyse der Wählerschaft der Piratenpartei wäre in diesem Kontext hilfreich gewesen, muss aber mangels Platz auf eine knappe Zusammenfassung beschränkt werden.
Auch wenn die Piratenpartei auf Grund ihrer Erfolge zunehmend in den Fokus rückt, ist zu bemerken, dass Forschungsmaterial auf Grund ihres jungen Alters bisher noch nicht in allzu großem Umfang verfügbar ist. Dennoch ist ausreichend Material vorhanden, um die Piratenpartei im Rahmen dieser Hausarbeit zu behandeln. Der nicht besonders große Umfang wird besonders in Bezug auf quantitative Forschungsergebnisse bemerkbar. Umfragewerte und Statistiken sind nicht besonders spezifisch verfügbar. Abgesehen von der üblichen „Sonntagsfrage“, gibt es nur wenige empirische Zahlen. Die Zahlen in dieser Hausarbeit stammen u. a. aus Studien von Holger Onken und Sebastian H. Schneider (2012), der Konrad-Adenauer-Stiftung (2012) oder Infratest Dimap. Darüber hinaus werden in dieser Hausarbeit hauptsächlich zwei Texte aus der „Zeitschrift für Parlamentsfragen“ aus den Jahren 2010 und 2012 herangezogen. Außerdem findet eine ähnlich aktuelle Studie des Politologen Felix Neumann (2011) Beachtung. Zusätzlich werden die Bücher von Hubert Kleinert (1992), Henning Bartels (2009) sowie Oskar Niedermeyer (2013) mit einbezogen. In Bezug auf die generelle Frage nach den Erfolgsbedingungen für Parteien erweisen sich die beiden weiter oben bereits angesprochenen Theorien als hilfreich.
2. Theorie
2.1. Cleavage-Theorie - Wie neue Parteien entstehen
Die sogenannte „Cleavage-Theorie“ stammt aus dem Jahre 1967 und ist bis heute weit verbreitet und anerkannt in der Politikwissenschaft. Sie stammt von den Wissenschaftlern Seymour Martin Lipset und Stein Rokkan. In der deutschen Sprache wird „Cleavage“ zumeist mit „Konfliktlinie“ übersetzt, weshalb die Cleavage-Theorie auch als „Konfliktlinientheorie“ bezeichnet wird (Neumann 2011, 7). Aber auch die Übersetzung als „Spannungslinie“ ist gebräuchlich (Wiesendahl 2006, 77).
Obwohl die Theorie anerkannt ist und von vielen Politikwissenschaftlern verwendet wird, ist sie nicht frei von Kritik. So wird bemängelt, die Cleavage-Theorie sei auf die heutige Zeit und Gesellschaft nicht mehr einwandfrei anwendbar, da sie lediglich auf historische Wurzeln des Parteiensystems eingehe (Oberreuter 2009, zitiert nach Neumann 2011, 7). Außerdem wird darauf verwiesen, dass es sich bei Parteiensystemen nicht zwangsläufig um absolut festgesetzte Gebilde handelt und auch etablierte Parteien auf gesellschaftliche Verschiebungen reagieren (Neumann 2011, 7). Der Politikwissenschaftler Gerd Mielke kritisiert, Lipset und Rokkan hätten die Konflikte in einen engen historischen Zusammenhang eingegrenzt, ohne zu erörtern, ob die Theorie in abstrakterer Form nicht auch auf generelle Konflikte moderner Gesellschaften anzuwenden sei (Mielke 2001, 79, zitiert nach Neumann, 8).
Um die Cleavage-Theorie auch für die heutigen Gesellschaften anwendbar zu machen, hat der Politologe Felix Neumann unter Bezugnahme auf Gerd Mielke eine allgemeinere Form der Theorie entwickelt (Neumann 2011, 8). Im Folgenden soll zunächst die klassische Theorie nach Lipset und Rokkan kurz beschrieben werden, um danach auf die Version Neumanns und Mielkes einzugehen.
Wie der Name bereits sagt, beschreibt die Cleavage-Theorie verschiedene Konflikte oder Spannungen, die innerhalb einer Gesellschaft entstehen können. Diese Auseinandersetzungen führen dazu, dass sich jeweils zwei verschiedene Lager bilden, aus denen soziale Bewegungen und somit letztendlich politische Akteure entstehen, welche die Interessen der gesellschaftlichen Lager in der politischen Öffentlichkeit vertreten. Ganz prägnant lässt sich also sagen, dass Parteiensysteme Abbilder gesellschaftlicher Konfliktstrukturen darstellen (Wiesendahl 2006, 78).
Lipset und Rokkan sind für die europäischen Parteiensysteme von vier verschiedenen Cleavages ausgegangen, die als Grund dafür gelten, weshalb die Systeme heute so existieren (Wiesendahl 2006, 78). Bei diesen vier klassischen Konfliktlinien handelt es sich um die folgenden (Wiesendahl 2006, 78):
1. Staat versus Kirche
2. Kapital versus Arbeit
3. Stadt versus Land
4. Zentrum versus Peripherie
Übertragen auf die Bundesrepublik Deutschland (BRD) lässt sich sagen, dass vornehmlich Punkt 1 und 2 maßgeblich für die Entstehung des heutigen Parteiensystems waren (Wiesendahl 2006, 78). Der Zentrum versus Peripherie Konflikt gilt als weniger bedeutungsvoll, wenngleich auch hieraus Fragmente entstanden sind. So ist die regionale Partei der CSU heute nach wie vor voll etabliert. Auch das durchaus vorhandene Cleavage zwischen Stadt und Land gilt für die BRD nicht als besonders prägend (Wiesendahl 2006, 79).
Diese traditionelle Konflitklinientheorie kritisiert Neumann vor allem wegen der Etablierung der Grünen (Neumann 2011, 13). Während Lipset und Rokkan davon ausgingen, dass das System der Konfliktlinien bereits in den 20er Jahren des letzten Jahrhunderts zum Erliegen kam (Lipset/Rokkan 1967, 50, zitiert nach Neumann 2011, 13), sieht Neumann in der Etablierung der Grünen ein neu entstandenes Cleavage, das er als „materielle und postmaterielle Werte“ postuliert (Neumann 2011, 14).
Neben diesem neu entstandenen Cleavage können bestehende Cleavages erweitert werden, damit sie allgemeingültiger sind. So fasst Mielke die ursprüngliche Konfliktlinie „Stadt versus Land“ als ,Traditionalismus vs. Moderne‘ auf (Mielke 2001, 79, zitiert nach Neumann 2011, 15). Außerdem deklariert er das Cleavage Arbeit versus Kapital zeitloser als einen Konflikt zwischen , Unabhängigen und Abhängigen‘, alternativ auch , Privilegierten und Nicht - Privilegierter (Mielke 2011, 79, zitiert nach Neumann 2011, 15). Darüber hinaus bezeichnet Neumann das Cleavage Kirche und Staat in seiner Arbeit als „Gegensatz zwischen objektiven und subjektiven Wertquellen“ (Neumann 2011, 15).
Um nun die Erfolgsaussichten der Piratenpartei bewerten zu können, muss laut Neumann diese allgemeingültigere Abwandlung der Cleavage-Theorie verwendet werden:
„Die Etablierungschancen der Piratenpartei lassen sich anhand der Konfliktlinientheorie bewerten, indem eine verallgemeinerte Form als Basis der Untersuchung genommen wird: Wo positioniert sich die Piratenpartei auf der Konfliktlinie Traditionalismus und Modernismus (...)?“ (Neumann 2011, 16, Hervorh. im Original)
Neumann bezeichnet die hier als „Traditionalismus versus Modernismus“ postulierte Konfliktlinie auch als „Freiheit versus Sicherheit“ oder „netzaffin versus nicht-netzaffin“ (Neumann 2011, 14). Diese beiden Bezeichnungen sollen im weiteren Verlauf Anwendung finden.
Zur Relevanz der Cleavage-Theorie bei der Frage nach den Erfolgsaussichten der Parteien im Allgemeinen bzw. der Piratenpartei lässt sich Folgendes sagen: Obwohl Neumann die Hypothese aufstellt, die Piratenpartei würde sich nur dann etablieren können, wenn sie eine relevante gesellschaftliche Konfliktlinie besetze, bemerkt er, dass die bloße Existenz von gesellschaftlichen Konflikten alleine noch nicht ausreiche, um Parteiensysteme zu erklären. Es bedürfe auch Betrachtungen der politischen Kultur und des politischen Systems als Rahmenbedingungen. Für den spezifischen Fall der deutschen Piratenpartei sei eine so umfassende Betrachtung allerdings nicht nötig (Neumann 2011, 10-11).
Ähnlich argumentieren Holger Onken und Sebastian H. Schneider. Durch historischsoziologische Analysen sei zwar nachgewiesen worden, dass die Entstehung von Parteien auf fundamentale gesellschaftliche Konflikte zurückzuführen sei. Außerdem seien die Cleavages in der gesellschaftlichen Struktur entwicklungsgeschichtlich tief verankert. Allerdings gebe es dabei keinen soziologischen Determinismus. Auch Institutionen oder Gesetzgebung spielten demnach eine Rolle. Dennoch könne
„[d]ie konzeptionelle Überlegung, dass Parteien gesellschaftliche Konflikte organisieren und die Entstehung neuer Parteien neue Konfliktlagen in der Gesellschaft zum Ausdruck [bringe] für die Untersuchung ihrer Erfolgsaussichten von hohem heuristischen Nutzen sein.“ (Rokkan 1977, 563-570, zitiert nach Onken/Schneider 2012,611)
Außerdem zeige die Geschichte der BRD, dass sozialer Wandel und politische Großereignisse zu neuen Konfliktlagen führen könnten, die den Einzug neuer Parteien in den Bundestag förderten (Onken/Schneider 2012, 611).
[...]