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Bachelorarbeit, 2012
52 Seiten, Note: 2,0
1. Einleitung
1.1 Fragestellung und Methoden
1.2 Relevanz ethnologischer Stadtforschung
2. Begriffsdefinition
3. Voraussetzungen für die Entstehung von Gentrifizierung
3.1 Gebäude und Mietstruktur
3.2 Ökonomisches Handeln
3.3 Demographische Struktur
3.4 Lebensstile
4. Erklärungsansätze
4.1 Der angebotsorientierte Ansatz (production theory) - Neil Smith
4.2 Der nachfrageorientierte Ansatz (comsumption theory) - David Ley
4.3 Kritik oder ein dritter Ansatz
5. Pioniere, Gentrifier und Sonstige Haushalte
6. Der Verlauf des Prozesses
6.1 Veränderung der Miet- und Wohnungspreise
6.2 Verdrängung der Bewohner
6.3 Modelle zur Beschreibung des Prozesses der Gentrifizierung
6.3.1 Der (einfache) Invasions-Sukzessions-Zyklus
6.3.2 Der doppelte Invasions-Sukzessions-Zyklus
7. Gentrifizierung - ein unendlicher Kreislauf?
8. Wien ist anders?
9. Geschichte von Ottakring
10. Gentrifizierung in Wien
10.1 Veränderungsprozesse zur Begünstigung von Gentrifizierung in Wien
10.1.3 Wien ist anders!
11. Mietrecht in Österreich
12. Ottakring in Zahlen
13. Das Brunnenviertel
13.1 Brunnenmarkt
14. Der Aufwertungsprozess
14.1 Soho in Ottakring
15. Berlin Kreuzberg
16. Daten und Fakten
17. Wohnungspolitik in Deutschland und Berlin
18. Geschichtliche Hintergründe
19. Die Rolle der Medien und des Mythos Kreuzberg
20. Kultureller Wandel
20.1 Generation X
20.2 Berlin als Global City
21. Tourismus
22. Exkurs: Soziale Mischung vs. Kulturelle Enklave
23. Conclusio
23.1 Ottakring vs. Kreuzberg
24. Literaturverzeichnis
25. Abbildungsverzeichnis
In meiner Bachelorarbeit möchte ich mich mit dem Thema Gentrifizierung auseinandersetzen. Der Begriff „Gentrifizierung“ ist in den 1980er Jahren von Ruth Glass geprägt worden. (vgl. Blasius 1993: 13) Gentrifizierung beschreibt das Ersetzen der Bevölkerung in einem bestimmten urbanen Raum - oftmals innenstadtnahe Wohnviertel - durch eine statushöhere Gruppe. Diesem Prozess geht ein Aufwerten dieses urbanen Raums hervor. (vgl. URL 1) Das heißt vor allem, dass alte Gebäude saniert und Wohnungen renoviert werden und somit an Wert gewinnen. Dazu möchte ich als Beispiel den 16. Bezirk (Ottakring) in Wien, und vor allem das im Aufwertungszentrum stehende Brunnenviertel, heranziehen und anhand dessen die sozialräumliche Abgrenzung durch Gentrifizierung in diesem konkreten Fall erläutern. Ich möchte in meiner Arbeit den Prozess der Gentrifizierung in der Theorie beschreiben, dessen Ursachen und Folgen klären und dann anhand des praktischen Beispiels Ottakring die Theorie überprüfen. Dazu werde ich die Rollen von „Gentrifiern1 “ und „Pionieren2 “ beschreiben, den zwei wichtigsten Gruppen von Akteuren im Gentrifizierungsprozess. In diesem Zusammenhang werde ich auf die Lebensstile dieser Akteure eingehen. Zur Enstehung von Gentrifizierung werde ich zwei Erklärungsansätze - „Aufwertung durch eine veränderte Nachfrage“ sowie „Aufwertung durch ein verändertes Angebot“ - erläutern. (vgl. Kecskes 1997: 42) Außerdem möchte ich den politökonomischen Zugang der Regulationstheorie, der historisch und geografisch argumentiert, in meine Arbeit mit einfließen lassen. (vgl. Novy 2001: 24) Diese Theorie will erklären, welche Veränderungen zur Begünstigung von Gentrifizierungsprozessen führen. Das Ziel meiner Arbeit ist es die Folgen zu beschreiben, die sich für die ansässige Bevölkerung ergeben. Diese besteht, beziehungsweise bestand, zu einem großen Teil aus MigrantInnen und sozial schwachen Personen. (vgl. URL 4) Ich will überprüfen, wer die Betroffenen der Gentrifizierung sind. Dafür werde ich die Differenz der ursprünglichen Bevölkerung, vor dem Prozess der Gentrifizierung, zur neu dazugekommen Bevölkerung definieren. Zukin schreibt dazu, dass die abwandernde Bevölkerung eine relativ heterogene Gruppe ist, im Gegensatz zur zuwandernden Gruppe. Die abwandernde Gruppe bezeichnet er außerdem als ökonomisch schlechter gestellt, aber nicht unbedingt benachteiligt. (vgl. URL 2: 135)
Das zweite Ziel meiner Arbeit ist es, die Unterschiedlichkeit und Komplexität von Gentrifizierungsprozessen klar zu machen. Zu diesem Zweck möchte ich noch ein Beispiel eines Gentrifizierungsprozesses mit einfließen lassen. Ich möchte anhand des Beispiels „Berlin- Kreuzberg“ eine bereits viel ältere Geschichte der Aufwertung beschreiben. Die Beispiele Wien und Berlin lassen sich einerseits gut vergleichen, da sie in ähnlichen kulturellen Kontexten und unter ähnlichen gesetzlichen Bedingungen stattfinden/stattfanden, andererseits ist sowohl die Wiener als auch die Berliner Situation sehr speziell. In Berlin-Kreuzberg spielt vor allem die Teilung Deutschlands in die Deutsche Demokratische Republik und die Bundesrepublik Deutschland sowie auch die Wiedervereinigung eine große Rolle. Diese Situation ist einzigartig und deshalb habe ich mich für das Beispiel Berlin-Kreuzberg entschieden.
Motiv für die Themenwahl
Wenn in der Kultur- und Sozialanthropologie in Wien die Rede von Gentrifizierung ist, wird oft Ottakring und im speziellen der Brunnenmarkt als Beispiel erwähnt. Ich finde diesen Aspekt der Stadtforschung sehr interessant und möchte mit diesem Thema meine beiden gewählten Module Stadtforschung und Migrationsforschung verbinden. Ich möchte mich in meiner Bachelorarbeit deshalb genauer mit Gentrifizierung als typisch städtisches Phänomen auseinandersetzen und die Folgen für die sozial schwächere und oft migrantische Bevölkerung erläutern. Das regionale Forschungsfeld Wien habe ich gewählt, weil ich es interessant finde, den Gentrifizierungsprozess in einem Stadium zu betrachten, indem er noch nicht abgeschlossen ist, so wie es in Ottakring der Fall ist. Außerdem finde ich die regionale Nähe zu meinem Forschungsfeld besonders spannend. Gentrifizierung in Österreich hat eine andere Dimension, wie sie in anderen Ländern stattfindet. Durch staatliche Regulierungsmaßnahmen wie das Mieterschutzgesetz oder auch diverse Sozialleistungen, sowie die gute ökonomische Situation in Österreich wird der Gentrifizierungsprozess verlangsamt, beziehungsweise abgeschwächt. „Sanfte Gentrifizierung“ ist der Ausdruck, der für diese Art/Ausprägung von Gentrifizierung verwendet wird.
Das Beispiel Berlin-Kreuzberg habe ich gewählt, um einen ergänzenden beziehungsweise vergleichenden Aspekt in meine Arbeit einzubauen. Der Bezirk Berlin-Kreuzberg ist bekannt dafür, dass dort Gentrifizierung stattfindet. Der Prozess beginnt bereits mit der Wiedervereinigung Deutschlands 1989 und ist noch immer nicht abgeschlossen. Die Motoren des Prozesses der Gentrifizierung sind in Berlin ganz anders als in Wien. Diese Faktoren und den Ablauf möchte ich darstellen.
Der einst nur in der Wissenschaft verwendete Begriff Gentrifizierung hat es mittlerweile in die Populär-Medien geschafft. Die öffentliche Meinung über Gentrifizierung ist klar. Alte Gebäude werden saniert, die Mietpreise steigen, der betroffene urbane Raum wird attraktiver für eine statushöhere Gruppe und diese ersetzt im Prozess der Gentrifizierung die statusniedrigere Gruppe. Inwiefern das zutrifft und inwiefern das in Ottakring stattfindet, möchte ich in meiner Bachelorarbeit überprüfen. Deshalb möchte ich in meiner Arbeit den Gentrifizierungsprozess in der Theorie mit einem praktischen Beispiel vergleichen. Wichtig ist mir auch, dem Thema Gentrifizierung mit einer objektiven Haltung gegenüber zu stehen. Ich möchte Gentrifizierung genauso als Maßnahme der Stadtentwicklung ernst nehmen, wie auch als Förderer von Marginalisierung und Segregation.
Wo ist das praktische Beispiel Ottakring im Gentrifizierungsprozess der Theorie einzuordnen und inwiefern ist Gentrifizierung ein sinnvolles Modell der Stadtentwicklung?
Theoretischer Teil:
- Was ist Gentrifizierung und welche Formen gibt es?
Ich möchte klären, welche verschiedenen Formen von Gentrifizierung es gibt, welche unterschiedlichen Ausmaße sie annehmen kann und wie sie in unterschiedlichen Staaten/Städten verläuft, vor allem in den Städten Wien und Berlin.
- Wie wird Gentrifizierung in der Theorie beschrieben?
Ich möchte beschreiben, wie Gentrifizierung abläuft, welche Faktoren Gentrifizierung begünstigen, welche Akteure es im Gentrifizierungsprozess gibt und welchen Ausgang Gentrifizierungsprozesse nehmen können. Dabei werde ich auch den „(einfachen) Invasions- Sukzessions-Zyklus“ und den „doppelten Invasions-Sukzessions-Zyklus“ erläutern.
- Welche Theorien gibt es zur Entstehung von Gentrifizierung?
Es gibt zwei wichtige Ansätze zur Entstehung von Gentrifizierung: „der nachfrageorientierte Ansatz“ und „der angebotsorientierte Ansatz“. Diese zwei wichtigen Ansätze möchte ich erläutern, sowie einen weiteren Ansatz, den „integrativen Ansatz als verdeckte Ideologie des Individualismus“, der die beiden anderen Ansätze kritisiert und gleichzeitig verbindet.
Fallbeispiel: Ottakring
- Welche Faktoren begünstigen Gentrifizierung in Wien?
Ich möchte die gesellschaftlichen Veränderungen, die zur Begünstigung von Gentrifizierung in Wien führen beschreiben. Gleichzeitig möchte ich darauf eingehen, welche Faktoren jahrelang zur Verhinderung von Gentrifizierung beitrugen und auch heute noch die Folgen von Gentrifizierung abschwächen.
- In welchem Stadium der Gentrifizierung befindet sich Ottakring bzw. welche Form der Gentrifizierung findet dort statt?
Ich möchte klären, in welchem Ausmaß Gentrifizierung stattfindet, in welchem Stadium der Prozess in Ottakring ist und wie die Zukunft von Ottakring aussehen könnte. Dabei werde ich auch den Begriff „Sanfte Gentrifizierung“ erläutern.
- Was für eine Bevölkerungsstruktur hat Ottakring im Bezug auf In- und Ausländer und wie hoch ist der Anteil an MigrantInnen in Ottakring?
Ich werde aktuelle statistische Daten von Ottakring aufzeigen und versuchen zu analysieren. Relevante Daten sind dabei der AusländerInnenanteil, die Wanderungsbilanz, das Jahresnettoeinkommen sowie der Bildungsstand.
- Wie sind die rechtlichen Regelungen bezüglich Mietpreiserhöhungen in Wien?
Ich werde den Faktor Mietrecht im Gentrifizierungsprozess erklären, sowie das österreichische Mietrecht erläutern.
- Was für eine Rolle spielt der Brunnenmarkt und wie hat sich diese verändert?
Der Brunnenmarkt ist Wiens längster Straßenmarkt und befindet sich in Ottakring im Brunnenviertel. Ich möchte seine Rolle in der Aufwertung Ottakrings beschreiben, sowie seine Entstehung anschneiden.
- Findet eine Verdrängung der Bevölkerung statt? Wenn ja, direkt, indirekt oder Beides?
Ist die Abwanderung der Bevölkerung freiwillig oder gewissermaßen erzwungen, findet sie schnell oder langsam statt?
- Was für eine Rolle spielt das Kunstfestival „ Soho in Ottakring “ in der Aufwertung Ottakrings?
Was ist „Soho in Ottakring“, was hat es für Ziele, warum spielt es eine Rolle im Aufwertungsprozess und inwiefern?
- Welche Rolle spielen politische undökonomische Interessen?
Welche Rolle spielt die Stadt Wien bei der Förderung beziehungsweise Vermeidung von Gentrifizierung und welche ökonomischen Interessen stehen hinter der Entstehung von Gentrifizierung?
Fallbeispiel: Berlin-Kreuzberg
- Welche Rolle spielt die Wiedervereinigung Deutschlands im Gentrifizierungsprozess?
Wie beeinflussten die Teilung sowie die Wiedervereinigung Deutschlands das Bild des Bezirks Kreuzberg und welchen Einfluss nahm diese Situation auf den Gentrifizierungsprozess?
- Was ist der Mythos Kreuzberg und welche Rolle spielt er?
Das Gentrifizierungsgebiet Berlin-Kreuzberg ist bekannt, jedoch nicht erst seit der Aufwertung. Den Mythos Kreuzberg gab es schon davor. Inwiefern das mit dem Gentrifizierungsprozess zusammenhängt, möchte ich klären.
- Welche Rolle spielen die Medien im Gentrifizierungsprozess?
Sind die Medien Motoren des Gentrifzierungsprozess und geben beziehungsweise gaben sie die reale Situation in Berlin-Kreuzberg wieder?
- Welche Folgen der Gentrifizierung sind in Berlin-Kreuzberg zu erkennen?
Welche Folgen, sowohl postive, als auch negative, sind heute in Berlin-Kreuzberg zu erkennen?
- Was sind die wesentlichen Unterschiede beziehungsweise Gemeinsamkeiten der Gentrifizierungsprozesse in Berlin und Wien?
Methoden
Meine Arbeit ist eine theoretische Bachelorarbeit und bedient sich deshalb ausschließlich der Methode der Literaturrecherche. Meine Quellen bestehen aus Monographien, Sammelbänden, Artikeln aus Fachzeitschriften, Zeitungsartikeln, Internetquellen, sowie auch einige Diplomarbeiten der Universität Wien. Die Abbildungen sind vor allem Tabellen und Fotographien aus Internetquellen.
Die Relevanz ethnologischer Stadtforschung wurde immer wieder heftig diskutiert und in Frage gestellt. Lange Zeit unterlag die Stadtforschung anderen Disziplinen wie der Soziologie, der Geographie oder der Architektur. Das liegt sicher auch daran, dass die Ethnologie sich in ihrem Ursprung vor allem mit schriftlosen Völkern und weniger komplexen Gesellschaften auseinandergesetzt hat.
Das wichtigste Argument für die Relevanz ethnologischer Stadtforschung bringt Antweiler meiner Meinung nach mit einem Satz auf den Punkt: „Städte sind faszinierend, wohl vor allem deshalb, weil sie die größte und dichteste Vergegenständlichung von Kultur darstellen.“ (Antweiler 2000: 362) Wo, wenn nicht in den sozialen Räumen, in denen die dichteste soziale und kulturelle Bewegung stattfindet, kann es mehr Forschungsthemen für die Ethnologie geben? Städte sind außerdem Knotenpunkte für weltweite Vernetzungen von Menschen und Organisationen. (vgl. Hengartner et al 2000: 3) Dazu kommt, dass die weltweite Verstädterung voranschreitet. 2010 betrug die Weltbevölkerung schon 6.906.558. Davon lebten 2010 über 50 % der Menschen in Städten. Zum Vergleich: 1955 waren es mehr als 30 % und 1985 mehr als 40 %. Schätzungen der UNO zu Folge sollen 2050 fast 70 % der Weltbevölkerung in Städten leben. (vgl. URL 8) Durch diese Entwicklungen wird die Stadtforschung in allen Disziplinen noch relevanter.
Einige Forschungsgebiete, mit denen sich die ethnologische Stadtforschung heute vielfach beschäftigt sind: städtische Probleme, Land-Stadt-Migration, kulturelle Vielfalt, Netzwerkbeziehungen, Verwandtschaft, Kriminalität, Raumnutzung, Anpassung von Individuen an dichtes Wohnen, Bauformen, Infrastruktur, Transport, Arbeitsverhältnisse und Bevölkerungsstruktur. (vgl. Antweiler 2000: 367)
Theoretischer Teil
Der Begriff „Gentrification“ (zu Deutsch auch Gentrifizierung) kommt vom englischen Wort „gentry“ zu Deutsch „niedriger Adel“. (vgl. Meinharter/Rode 2001: 21) Ruth Glass verwendete schon 1964 den Begriff „Gentrification“. (Kecskes 1997: 23) Der Begriff bezeichnete damals den Prozess, der in den 60er Jahren in Großbritannien stattfand, als der niedere Adel in aufgewertete Stadtviertel zurückkehrte. (vgl. Meinharter/Rode 2001: 21)
„Gentrification“ ist heute ein bekanntes Phänomen der westlichen Städte, das nicht nur in wissenschaftlichen Kreisen diskutiert wird. (vgl. Hamnett 2000: 331) Seit den 60er Jahren wird in zahlreicher Literatur versucht, den Prozess zu beschreiben. Immer Teil der Definitionen sind die Erneuerung des Wohnbestandes und die Zunahme des Anteils an einkommensstarker Bevölkerung sowie die Verdrängung der alteingesessenen Bevölkerung als Folge des Prozesses. (vgl. Kecskes 1997: 23)
Gentrification ist kurz gesagt der „[…] Prozess der Stadterneuerung durch die Umwandlung von preisgünstigem Wohnraum in aufgewertete Wohnungen für die gehobene Mittelklasse.“ (Meinharter/Rode 2001: 21) Ich werde in meiner Arbeit den deutschen Begriff Gentrifzierung verwenden.
Um den Prozess der Gentrifizierung ganzheitlicher zu verstehen, müssen sowohl der Ablauf des Prozesses, sowie die Voraussetzungen für die Entstehung und deren Folgen erklärt werden. Diese Erklärungen werde ich im Laufe meiner Arbeit machen.
Gentrifizierung - ein globales Phänomen?
Der Begriff Gentrifizierung wurde ursprünglich für Stadterneuerungsprozesse in eurpäischen Städten verwendet. Gentrifizierung ist mittlerweile ein globales Phänomen. Städte wie Shanghai, Sydney und Seattle sind davon betroffen. Weiters ist Gentrifizierung nicht nur ein Phänomen der „global Cities“, sondern betrifft auch Städte wie Leeds (Großbritannien) oder Barcelona. (vgl. Atkinson, Bridge 2005: 1) Viele gentrifizierte Viertel haben durch Medien weltweit große Popularität bekommen, wie z.B.: „[…] Soho und Tribeca in Manhattan, Prenzlauer Berg und Kreuzberg in Berlin, das Hamburger Schanzenviertel, der Stadtteil Vinohrady in Prag oder Kazimierz in Krakau.“ (URL 3)
Gentrifizierung entwickelt sich meistens in alten Stadtvierteln mit viel Altbaubestand, in denen die Mieten eher niedrig gelegen sind und somit die Möglichkeit besteht durch Sanierung und Renovierung eine relevante Mietpreissteigerung zu erreichen. (sieha auch Kapitel 4.1) (vgl. Meinharter/Rode 2001: 21)
Höchstmöglicher Gewinn ist der Leitsatz ökonomischen Handelns. Sanierung und Renovierung ist im Normalfall billiger als Neubau. Wenn also die Voraussetzungen in der Gebäude- und Mietstruktur da sind, wird das wirtschaftliche Handeln die Erneuerung bevorzugen. Hinzu kommt, dass Altbaugebäude und -wohnungen für viele Menschen attraktiven Wohnraum darstellen. Die Nachfrage nach renovierten Altbauwohnungen ist also groß. (vgl. Blasius 1993: 24)
Die neue Urbanität
Ein wichtiger Aspekt, der das ökonomische Handeln in den Vordergrund stellt, ist die Veränderung der Rolle der Stadt durch die Globalisierung. Die Städte stehen in Konkurrenz zu anderen Städten, was dazu führt, dass die städtische Politik ihren Fokus auf Konkurrenz- und Wettbewerbsfähigkeit, statt auf soziale Integration legt. Dangschat (2001: 28) nennt das die „neue Urbanität“. Durch Stadtinszenierung mit Hilfe von Kulturveranstaltungen wie Festivals, Open-Airs und andere Events sollen zahlungskräftige In- und Ausländer zum Geldausgeben gebracht werden. Diese neue Urbanität findet in der Innenstadt sowie in innenstadtnahen Gebietet statt. Alte Gebäude, Straßen, Gassen, alles Geschichtsträchtige und Neue wird als Werbemittel inszeniert. Dieser Inszenierung stehen BettlerInnen, Obdachlose und andere unerwünschte, das inszenierte Stadtbild störende Personen im Weg. (vgl. Dangschat 2001: 28f)
Die gesellschaftlichen Veränderungen haben sich auf die Größe der Haushalte ausgewirkt. Die Anzahl kleiner Haushalte hat sich vermehrt. Wie ich in Kapitel 5 noch beschreiben werde, sind diese kleinen, oft kinderlosen Haushalte wichtige Akteure im Gentrifizierungsprozess. Vor allem in Großstädten, welche die Schauplätze der Gentrifizierung sind, gibt es eine große Zahl an kinderlosen Haushalten. Diese demographischen Faktoren führen zu einer höheren Nachfrage an Wohnraum. (vgl. Blasius 1993: 24)
Ein weiterer Faktor, der zu einer höheren Nachfrage an innenstadtnahem Wohnraum führt, sind die Veränderungen auf dem Arbeitsmarkt. Der tertiäre Sektor (Dienstleistungssektor) hat seit den 70er Jahren enorm an Wichtigkeit gewonnen, wodurch das Bedürfnis nach kurzen Wegen zu Freunden und Bekannten sowie Einrichtungen des täglichen Bedarfs und kulturellen Einrichtungen entstanden ist. (vgl. Blasius 1993: 25)
In wissenschaftlicher Literatur sind Lebensstile ein häufig beschriebener Faktor der Gentrifizierung. Die Lebensstile der Akteure im Gentrifizierungsprozess sind neu entstanden und ohne die Ausübung jener wäre die Gentrifizierung nicht möglich. Auf der einen Seite führt die Verlängerung der Post-Adoleszenz zur Verlängerung der Ausbildungszeit und somit zu unterschiedlichen Wohnformen (Wohngemeinschaft, Singlewohnungen, Zweierwohnungen). (vgl. Blasius 1993: 24) Dies könnte mensch als den „studentischen Lebensstil“ bezeichnen. Auf der anderen Seite stehen die kinderlosen Haushalte, in denen beide Mitglieder einer Partnerschaft auf hohem Lohnniveau erwerbstätig sind. Auch damit geht ein bestimmter Lebensstil einher - das häufige Essen gehen in Restaurants und andere Konsumwünsche. In Kapitel 5 werden die Lebensstile und deren Akteure noch genauer beschrieben.
Gentrifier und Pioniere pflegen beide einen kosmopolitischen Lebensstil. Diese Gruppen zieht es in die innenstadtnahen Wohngebiete, die Orte, die gut erreichbar sind, weil sie ihren Lebensstil in diesen Räumen bestmöglich darstellen können. Diese Orte der Ausübung und Pflege des Lebensstils sind nicht automatisch auch die Orte der Niederlassung, jedoch wird durch die innenstadtnahe Lage auch die Nähe zur Ausbildungs- oder Arbeitsstädte gegeben, ziehen es die kosmopolitischen Gentrifier oder Pioniere vor, auch da zu wohnen. (vgl. Kecskes 1997: 118)
Es gibt zwei wichtige Erklärungsansätze zur Entstehung von Gentrifizierung - der „angebotsorientierte Ansatz“ und der „nachfrageorientierte Ansatz“.
Neil Smith legt den Fokus bei der Beschreibung von Gentrifizierung auf die Verbindungen zwischen dem Kapitalfluss und der Produktion von Stadtraum. (vgl. Meinharter/Rode 2001: 21) Seine Theorie wird auch als „Rent-Gap“ Theorie bezeichnet.
Smith beschreibt Gentrifizierung als Symptom von sozialen Transformationsprozessen in der Gesellschaft. Auf der einen Seite stehen die bereits erwähnten Lebensstile der neuen Mittelschicht und auf der anderen steht die Produktionsseite, die beim angebotsorientierten Ansatz im Vordergrund steht. (vgl. Meinharter/Rode 2001: 22)
Smith erklärt den „Rent-Gap” zu Deutsch „Mietlücke(ntheorie)” so: „The rent gap is the disparity between the potential ground rent level and the actual ground rent capitalized under the present land use.” (Smith 2010: 93) Der Rent-Gap ist also die Differenz zwischen den aktuellen Mieteinnahmen und den potentiellen Mieteinnahmen. Wenn der Rent-Gap groß genug ist, sehen Baufirmen, Bauträger, HausbesitzerInnen und ImmobilienhändlerInnen ihre Chance auf Gewinn durch eine Aufwertung. (vgl. Meinharter/Rode 2001: 22) Wenn also „[…]die Wertminderung so weit fortgeschritten ist, dass der lukrierte Bodenzins des Grundstücks tiefer liegt als der potenzielle im besten Wertzustand, wird aufgewertet.“ (Meinharter/Rode 2001: 22)
In dieser Phase beginnt die Gentrifizierung mit den „occupier developers“. Diese beginnen als Erste mit der Aufwertung einzelner Gebäude in einem Gebiet. Wenn die ersten Gebäude aufgewertet sind, steigt automatisch auch der Wert der umliegenden Gebäude und führt zu einer weiteren Aufwertung des Viertels. (vgl. Meinharter/Rode 2001: 22)
Bei Leys Ansatz stehen die Veränderung im Konsumverhalten und die Gentrifier (Akteure im Gentrifizierungsprozess) im Vordergrund. (vgl. Meinharter/Rode 2001: 21) Die Rolle von Gentrifiern und Pionieren wird in Kapitel 5 noch genauer erläutert.
David Ley sieht „[…]den Lifestyle der ‚class in emerge‘ als die treibende Kraft hinter den Veränderungsprozessen[…]“ (MeinharterR/Rode 2001: 22) Die „class in emerge‘ ist die kaufkräftige, konsumorientierte Gesellschaftsschicht, die über hohes kulturelles und soziales Kapital verfügt. Das Re-Investement in innenstadtnahe Gebiete sieht Ley als Folge der Entstehung dieser Gesellschaftsschicht mit ihrem konsumorientierten Lebensstil.
Ich habe bereits die zwei bekanntesten Erklärungsansätze von Smith und Ley beschrieben. Nun möchte ich noch auf einen dritten Ansatz, den „integrativen Ansatz als verdeckte Ideologie des Individualismus“ eingehen.
Hammnett kritisiert Smiths Rent-Gap Theorie und sieht die beiden Erklärungsansätze (angebots- und nachfrageorientiert) in Kombination als richtig an. Er kritisiert Smiths Ansatz als marxistisch und beanstandet die Darstellung der Individuen als vom Kapitalismus geleitet. Der Ansatz von Ley hingegen stellt die Gentrifier (Begriff wird in Kapitel 5 noch genauer erläutert) als Auslöser der Gentrifizierung hin. Die politische Verantwortung und das Kapitalistische Handeln werden dadurch in den Hintergrund gerückt.
Im Gentrifizierungsprozess werden üblicherweise zwei Gruppen von Akteuren auf der Nachfrageseite unterschieden. Die „Pioniere“ und die „Gentrifier“. Diese zwei Begriffe sind Usus in wissenschaftlicher Literatur über Gentrifizierung.
Die „Pioniere“ sind zeitlich die ersten, die ein bestimmtes Gebiet beziehen. Sie gestalten ihre Wohnung und ihren Wohnort nach ihren Vorstellungen und sind Initiatoren der Veränderung in einem Gebiet. Ihre Merkmale sind ein junges Alter4, Kinderlosigkeit und ein geringes Einkommen. Sie haben eine hohe Schuldbildung und werden als risikofreudig bezeichnet, da die Entwicklung des Gebietes, in das sie selbst investieren, nicht absehbar ist. (vgl. Blasius 1993: 31)
Diese Personen werden in der Literatur häufig als Studierende, KünstlerInnen und Alternative beschrieben. Ihre Wohnsituation kann alle Formen haben (allein, zu zweit oder als Wohngemeinschaft). (vgl. Kecskes 1997: 25) Sobald eine größere Anzahl von Pionieren in ein Gebiet gezogen ist, verändert sich auch die Infrastruktur. Es werden Geschäfte, Bars und Restaurants auf die Bedürfnisse der Pioniere angepasst. (vgl. Kecsces 1997: 25) Wenn die Pioniere ein Gebiet und dessen „Ansehen“ verändert haben, kommen die „Gentrifier“ ins Spiel. Sie ziehen in ein Gebiet, wenn die erste Phase der Aufwertung stattgefunden hat. (vgl. Blasius 1993: 31)
In dieser ersten Phase gibt es keine Aufwertung durch Vermieter und oder Wohnungsinhaber. In dieser Phase finden auch noch keine Veränderungen in der Sozialstruktur statt. (vgl. Kecskes 1997: 25)
Die Merkmale der Gentrifier sind ein höheres Alter, als bei den Pionieren, ebenfalls Kinderlosigkeit und ein höheres Einkommen. Sie sind oftmals Singles oder unverheiratete Paare. (vgl. Blasius 1993: 31) Bei Paaren sind die Gentrifier oft Doppelverdiener. Ihren Arbeitsplatz haben sie hauptsächlich im tertiären Sektor. Die Bedürfnisse der Gentrifier unterscheiden sich von denen der Pioniere, wodurch ein Konflikt geschaffen wird. (vgl. Kecskes 1997: 26)
Sowohl bei den Pionieren als auch bei den Gentrifiern sind die beschriebenen Merkmale nicht universell. Gentrifier und Pioniere sind keine homogenen Gruppen und es treffen nicht immer alle beschriebenen Merkmale auf ein Individuum zu.
Die „Sonstigen Haushalte“ beziehungswiese die „alteingesessene Bevölkerung“ ist eine relativ heterogene Gruppe. Diese Gruppe unterscheidet sich von den Pionieren und Gentrifiern, da sie tendenziell weder über eine hohe Bildung, noch über ein hohes Einkommen verfügen und keine kinderlosen Haushalte sind. Zu den sonstigen Haushalten zählen auch die Älteren, also die über 45- jährigen. (vgl. Blasius 2004: 25f)
[...]
1 Gentrifier sind die mittelständischen Haushalte, die im Gentrifizierungsprozesse alteingesessene Bevölkerung und Pioniere verdrängen.
2 Pioniere sind die ersten, die in ein Gebiet einziehen, wenn noch unklar ist, wie die Entwicklung des Gebietes aussieht.
4 Bezüglich des Alters der Pioniere herrscht Uneinigkeit in der wissenschaftlichen Literatur, die Angaben streiten sich um ein Alter in den 20ern oder in den 30ern