Würde in der heutigen Zeit jemand auf die Idee kommen, sich um die Gunst zu streiten, Frau Merkel morgens das Handtuch reichen zu dürfen, nachdem sie sich das Gesicht gewaschen hat? Sicher nicht, dies würde als grobes Eindringen in die intimste Privatsphäre empfunden werden. Umso befremdlicher erscheint es, dass sich um genau solche und ähnliche Vorrechte vor etwas mehr als 300 Jahren Herzöge und Fürsten am Hofe Ludwigs XIV. von Frankreich regelrecht rissen. Diese zur Zeremonie erhobenen Handlungen waren unter dem Begriff Lever (zu Deutsch: das Aufstehen) bekannt. Nun könnte man sich dazu verleiten lassen, das Lever als ein Phänomen eines hochgezüchteten Hoflebens abzutun. Doch das wäre eine allzu eindimensionale Abhandlung des Themas. Man darf nicht vergessen, dass es keine Erfindung des „Sonnenkönigs“ war. Sich als König von hohen Adeligen bei täglich wiederkehrenden Handlungen des Alltags bedienen zu lassen, verfügte bereits zu seiner Zeit über eine lange Tradition - nicht nur im französischen Königshaus. Hinter dem allmorgendlich stattfindenden Ritual um das sich Erheben des Königs von der Nachtruhe steckt mehr als die aus heutiger Sicht oftmals befremdlich öffentliche Selbstinszenierung sogenannter absolutistischer Herrscher. Die Forschung hat das Ritual des Lever lange stiefmütterlich behandelt. Norbert Elias´ Werk „Die höfische Gesellschaft“, veröffentlicht 1969, gab erstmals eine vertiefende Interpretation zu unter anderem diesem Thema ab. Er geht davon aus, dass der König seinen Hof durch von ihm genau berechnete Gunstzuweisungen oder deren Entzug unter Kontrolle brachte, um eine maximale Einflussnahme zu erreichen und die Machtbalance zu seinen Gunsten ausschlagen zu lassen. Dem Adel bescheinigt er weitgehende Hilflosigkeit gegenüber dem Monarchen. Elias unterstellt Ludwig XIV. eine kalkulierte Veränderung bereits bestehender Rituale, um diese für seine Vorstellung von monastischer Repräsentation nutzbarer zu machen und verweist hierbei speziell auf das Lever. Dieses Bild wurde später von weiteren Autoren übernommen, die sich teilweise direkt auf Elias beriefen . Eigene Forschungsarbeit scheint dabei nicht geleistet worden zu sein. Der These des allmächtigen, berechnenden Königs und des hilflosen Adels wurde 2003 in Jeroen Duindams Schrift „Vienna and Versailles: the courts of Europe´s dynastic rivals” entschieden widersprochen.
Inhaltsverzeichnis
- Einleitung
- These Elias
- Gegenthese Duindam und Horowski
- Die Quelle
- Schlussbetrachtung
Zielsetzung und Themenschwerpunkte
Die Arbeit befasst sich mit dem Ritual des Lever am Hofe Ludwig XIV. und untersucht dessen Bedeutung für die Machtstrukturen des französischen Königshauses. Sie hinterfragt die Thesen von Norbert Elias und Jeroen Duindam, die unterschiedliche Ansichten über die Rolle des Königs und des Adels im Kontext des Lever vertreten. Die Arbeit analysiert, inwiefern das Lever als reine Formfrage, als Bestätigung königlicher Gunst oder als vom König nicht unmittelbar beeinflusste Gunst angesehen werden kann.
- Bedeutung des Lever am Hofe Ludwig XIV.
- Rolle des Königs und des Adels im Ritual
- Analyse der Thesen von Elias und Duindam
- Interpretation des Lever als Formfrage, königliche Gunst oder unabhängige Gunst
- Bedeutung von Quellenmaterial für die Untersuchung
Zusammenfassung der Kapitel
Einleitung
Die Einleitung stellt das Thema des Lever am Hofe Ludwig XIV. vor und führt in die Forschungsgeschichte des Themas ein. Sie beleuchtet die gegensätzlichen Ansichten von Elias und Duindam über die Rolle des Königs und des Adels. Die Arbeit stellt die zentralen Fragestellungen und die zu untersuchende These vor.
These Elias
Dieser Abschnitt fasst Elias' These vom allmächtigen König und dem hilflosen Adel zusammen. Er beleuchtet die Mechanismen, die der König zur Kontrolle des Hofes und zur Sicherung seiner Macht eingesetzt hat, insbesondere die gezielte Vergabe und Entziehung von Gunst sowie die Inszenierung des Lever als Ritual zur Machtdemonstration. Das Kapitel analysiert die Abhängigkeiten des Adels vom König, sowohl finanziell als auch in Bezug auf Prestige und Würde.
Gegenthese Duindam und Horowski
Dieser Abschnitt präsentiert die gegensätzliche These von Duindam und Horowski, die dem Adel eine selbstständigere Rolle und eine stärkere Einflussnahme auf das Hofleben zusprechen. Es werden die Argumente der Autoren gegen Elias' Theorie vorgestellt und die Bedeutung des Lever als Ausdruck von Standesbewusstsein und Rangordnung beleuchtet.
Schlüsselwörter
Die Arbeit behandelt die zentralen Themen des Lever am Hofe Ludwig XIV., Macht und Prestige, königliche Gunst und Einfluss, Standesbewusstsein, Rangordnungen, politische Rituale und die Analyse des Hofes als Bühne für gesellschaftliche und politische Prozesse. Die Kernthemen sind die Analyse von Elias' These und die gegensätzliche These von Duindam und Horowski, sowie die Bedeutung von Quellenmaterial für die Interpretation des Lever.
- Arbeit zitieren
- Franziska Waßmann (Autor:in), 2012, Das Lever unter Ludwig XIV. – ein Herrschaftsinstrument von wem und für wen?, München, GRIN Verlag, https://www.hausarbeiten.de/document/211643