Arten von Stillleben gab es bereits in der Antike. Als Kunstgattung anerkannt wurde das Stillleben erst im 17. Jahrhundert und zieht sich seitdem als Gattung durch alle Epochen bis in die Moderne. Aufgabe dieser Arbeit ist es nach zu vollziehen, welche Entwicklung das Stillleben im Laufe der Kunstgeschichte durchlaufen hat, nicht nur malerisch, sondern vor allem im Hinblick auf die vermittelte Bildaussageabsicht.
Kann der Betrachter heute das „klassische“, symbolgeladene Vanitas-Stillleben noch verstehen oder läuft er im Museum achtlos an einem Gemälde von Pieter Claesz vorbei, ohne zu wissen, welche immense Ausdruckskraft die Aufforderungen des Bildes zu seiner Zeit auf den zeitgenössischen Betrachter hatte?
Wie unterscheidet sich ein barockes Vanitas-Stillleben von den Stillleben eines Cézannes aus der Zeit der Moderne? Wollen die beiden Künstler, die sehr intensiv mit der Gattung Stillleben gearbeitet haben, etwas völlig unterschiedliches aussagen oder kommen sie insgesamt wieder auf einen Punkt zurück, der sie trotz der zeitlichen Distanz wieder inhaltlich zusammenführt?
Inhaltsverzeichnis
I Einleitung
Eine Gattung - zwei Bilder - zwei unterschiedliche Herangehensweisen?
II Das Stillleben – Die Künstler
II.I Eine kurze Geschichte des Stilllebens
II.II Der Vanitas-Gedanke – das Vanitas-Stillleben
II.III Historische Hintergründe der Künstler
III Bildbeschreibungen
III.I Pieter Claesz: Vanitas-Stillleben mit Geige und Glaskugel
III.II Paul Cézanne: Schädelpyramide
IV Das Stillleben im Wandel der Zeit
V Fazit/Abschlussbemerkung
VI Anhang
VII Quellen- und Literaturverzeichnis
I Einleitung
Eine Gattung - zwei Bilder - zwei unterschiedliche Herangehensweisen?
Arten von Stillleben gab es bereits in der Antike. Als Kunstgattung anerkannt wurde das Stillleben erst im 17. Jahrhundert und zieht sich seitdem als Gattung durch alle Epochen bis in die Moderne. Aufgabe dieser Arbeit ist es nach zu vollziehen, welche Entwicklung das Stillleben im Laufe der Kunstgeschichte durchlaufen hat, nicht nur malerisch, sondern vor allem im Hinblick auf die vermittelte Bildaussageabsicht.
Kann der Betrachter heute das „klassische“, symbolgeladene Vanitas-Stillleben noch verstehen oder läuft er im Museum achtlos an einem Gemälde von Pieter Claesz vorbei, ohne zu wissen, welche immense Ausdruckskraft die Aufforderungen des Bildes zu seiner Zeit auf den zeitgenössischen Betrachter hatte?
Wie unterscheidet sich ein barockes Vanitas-Stillleben von den Stillleben eines Cézannes aus der Zeit der Moderne? Wollen die beiden Künstler, die sehr intensiv mit der Gattung Stillleben gearbeitet haben, etwas völlig unterschiedliches aussagen oder kommen sie insgesamt wieder auf einen Punkt zurück, der sie trotz der zeitlichen Distanz wieder inhaltlich zusammenführt?
Interessanterweise haben sich beide Künstler mit dem Sujet des Totenkopfes auseinander gesetzt und in verschiedenen Stillleben abgebildet. Die Frage ist, ob in den beiden hier behandelten Werken die Vergänglichkeit alles Irdischen thematisiert wird oder ob sich Cézanne vom ursprünglichen, klassischen Stillleben soweit entfernt hat, dass die Bildaussageabsicht eine ganz andere ist.
Zur möglichen Aufklärung dieses Fragenkatalogs und genaueren Beschreibung wird das Werk Pieter Claesz Vanitas-Stillleben um 1628-30 mit dem Stillleben Cézannes Schädelpyramide um 1901 historisch eingeordnet und verglichen.
Das besondere Augenmerk der Arbeit liegt auf dem Vergleich, weil sich dort zeigen wird, wohin sich das Stillleben von Pieter Claesz bis hin zu Cézanne entwickelt hat und welche Bedeutung es für den Künstler selbst, aber auch für den Betrachter in der jeweiligen Zeit, eingenommen hat.
II Das Stillleben - Die Künstler
Das Stillleben bildet tote bzw. reglose Dinge ab, die der Künstler mit einer bestimmten Ansicht aus ihrer natürlichen Umgebung nimmt und entwertet, um sie zu einem ästhetischen Ganzen wieder zusammen zu führen.
II.I Eine kurze Geschichte des Stilllebens vom Barock bis zur Moderne
Es ist wichtig zu verstehen, warum zwei Künstler innerhalb der gleichen Gattung sehr unterschiedliche Bilder malten. Wie kommt es dazu? Eine kurze Exkursion in die Geschichte des Stilllebens soll einen Einblick geben.
Beide Künstler hatten ihre Schaffenszeit zu sehr unterschiedlichen Kunstepochen. Claesz malte während der Zeit des Barocks, Cézanne wird häufig als „Vater der Moderne“ bezeichnet.
Besonders in der niederländischen Kunst des 17. und 18. Jahrhunderts erlebte die Gattung Stillleben eine Blütezeit und wurde von Künstlern vielfach aufgegriffen. Mitte des 17. Jahrhunderts fiel zum ersten Mal der Begriff des ‚Stilleven’ in den Niederlanden und wurde zur eigenständigen Bildgattung.
In der kunsttheoretischen Diskussion um die Hierarchie der Bildgattungen nahm das Stillleben jedoch immer die niedrigste Stufe ein; nach der Historien-, Portrait-, Landschafts- und Genremalerei. Trotz ihres „niedrigen Ranges“ war das Stillleben bei Kunstliebhabern und Sammlern hoch im Kurs und erfreute sich in der Bevölkerung großer Beliebtheit.
Neben den Blumen- und Mahlzeitenstillleben sowie den Raucher- und Prunkstillleben, in denen der ständige Gedanke der Nichtigkeit und der Vergänglichkeit alles Irdischen enthalten ist, widmet sich ein eigener Stilllebentypus dem Thema der Vergänglichkeit – das Vanitasstillleben.
Über spätmittelalterliche ‚Memento-mori’-Darstellungen bis hin zum ersten autonomen Vanitasstillleben von Jaques de Gheyn Vanitas aus dem Jahre 1603, und bis hinein in die Zeit von Claesz, hat das Vanitasstillleben überdauert. Seine Blütezeit erlebt es gleichzeitig mit den Mahlzeitenstillleben um 1620 bis 1660 zu der Zeit wieder eintretender Kriege und der verheerenden Pest in Europa. Im weiteren Verlauf der Arbeit werde ich noch näher auf das Vanitas-Stillleben eingehen.
Natürlich gab es das Stillleben nicht nur in den Niederlanden, sondern auch in Italien, Spanien und Frankreich bedienten sich die Künstler dieser Bildgattung. Goya malt um 1808-1812 seine berühmten Lachschnitten, die er aus dem kulinarischen Kontext heraus nimmt, um das rohe Fleisch offen zur Schau zu stellen, als wolle er die Grausamkeiten des spanischen Krieges anklagen.
Später, Ende des 19. Jahrhunderts, öffneten sich auch die USA für ihre eigene Kunst und stellten ihre junge Weltanschauung unter anderem in Stillleben dar, wie beispielsweise Georgia O’Keeffe.
Die Blumenstillleben und botanische Studien werden kontinuierlich bis ins 19. Jahrhundert und darüber hinaus weiter als Motiv in Bildern verfolgt.
Das 20. Jahrhundert bringt der Kunst einschneidende neue Einflüsse und Entwicklungen wie es sie nicht mehr seit der Renaissance gegeben hat.
Die Naturalisten wurden abgelöst durch die Impressionisten, die nicht mehr eine möglichst real und detailgetreue Darstellung anstrebten, sondern sich in der Farbe ausdrückten. Das Sujet trat immer mehr in den Hintergrund zugunsten der Farbe und Form – ganz nach dem Leitsatz ‚l’art pour l’art’, einer Kunst um der Kunst Willen.
Für die neue Generation von Künstlern werden Stimmung und Licht und deren Atmosphäre zu den wichtigsten Ausdrucksmitteln ihrer Kunst.
Das Stillleben bleibt als Kunstgattung erhalten. Änderungen in der Ausführung haben aber einen enormen Einfluss auf die Gattung und ihre Bedeutungssymbolik. Schon hier wird klar, dass sich das Stillleben mit den neuen Techniken der Künstler weiter mit entwickeln wird.
II.II Der Vanitas-Gedanke – das Vanitas-Stillleben
‚Vanitas’ ist aus dem Lateinischen mit Eitelkeit bzw. Nichtigkeit zu übersetzten. Es handelt sich dabei um eine ursprünglich jüdische und von den Christen übernommene Vorstellung der Vergänglichkeit alles Irdischen und der Hilflosigkeit des Menschen in der Welt. Besonders gut passt der Vanitas-Gedanke zu den Vorstellungen der bürgerlich-calvinistischen Bevölkerung in den Niederlanden, in der jegliches Vergnügen abgelehnt wurde.
Vom Mittelalter bis in die Zeit des Barocks steigerte sich der Vanitas-Gedanke und die damit verbundene Demut der Menschen zu seinem vorzeitigen Höhepunkt. Gleichzeitig erfährt das Vanitas-Stillleben als eigenständige Untergattung des Stilllebens seine Hochkonjunktur.
Die religiös symbolbeladen Stillleben gaben den Menschen dieser Zeit den benötigten Halt in schwierigen und unsicheren Zeiten.
Um nicht alle Gegenstände und ihre symbolische Bedeutung aufzählen zu müssen, wird ein Überblick der verschiedenen Symbole mit Beispielen gegeben.
Die dargestellten Gegenstände lassen sich in drei Gruppen einteilen. Es handelt sich zum einen, um Attribute aus irdischen Fähigkeiten oder Tätigkeiten, wie Musikinstrumente, Bücher, wissenschaftliche Instrumente, Insignien und Waffen. Zum anderen kommen sehr häufig Sinnbilder für die Vorstellung der Flüchtigkeit allen menschlichen Lebens vor, wie beispielsweise Uhren, Blumen, Totenschädel, erloschene Kerzen und Seifenblasen. Beide Gegenstandsbereiche können gemeinsam in Bildern auftreten. Zudem gibt es in Stillleben auch Symbole der Erlösung und Auferstehung, wie das Efeu oder Kornähren.
Mit neuen Erkenntnissen in Wissenschaften, wie Medizin und Astronomie im 18. Jahrhundert beginnt sich die Einstellung zum Tod zu ändern und das Motiv des Totenschädels beispielsweise wird immer häufiger mit den medizinischen Wissenschaften in Verbindung gebracht.
Zudem verliert das Stillleben seinen religiösen Hindergrund. Der Glaube des Gelingens tritt vor die Angst des Scheiterns. Die Menschen glauben an den Erfolg im Diesseits, auch beschleunigt durch die Aufwertung des Geldes, die angesprochenen neuen Wissenschaften und die bürgerlichen Umwälzungen, die vielen Bürgern die Türen zur Wirtschaft öffneten und Wohlstand brachten.
Ein weiteres Indiz dafür ist die Aufwertung der Musik, die zuvor als nichtig und kurzweilig angesehen wurde, plötzlich zum Symbol der Beständigkeit wird. Auch das Musikinstrument, ehemals der Gesangsstimme untergeordnet, ist nicht länger ein Ersatz der Stimme, sondern ein eigenständiger Klang. Zudem wird das Lesen nicht länger als sinnloser Zeitvertreib gesehen, sondern durch die Wissenschaften mit dem Gelingen und Fortschritt verbunden.
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