Gegenstand der Untersuchung ist das Minnelied XLVI von Ulrich von Lichtenstein. Das Minnelied ist eines von 58 Minneliedern, die in den „Vrouwen dienest“ eingebunden sind, der eine Art von 'Roman' bildet.
Die Interpretation betrachtet das Minnelied im Kontext des Romans und wirft darauf einen neuen Blick, der aus neueren Forschungen resultiert. Diese Neubewertung versteht den „Frauendienst“ und so auch das Minnelied XLVI weniger als ein Werk, das als Quelle für Informationen zu höfischen Lebenswelt und politisch-sozialen Realität des Spätmittelalters dienen kann. Vielmehr entwickelt Ulrich von Lichtenstein im „Frauendienst“ eine völlig neue Auffassung der 'minne', die sich zunächst am Modell des klassischen Minnesangs orientiert.
Das Resultat ist schließlich eine modellhafte Gesellschaftsordnung, die das Leben des Adels stabilisieren soll.
1. Einleitung
2. Die Forschungslage zum „Frauendienst“
3. Ulrichs Neukonzeption des Minnemodells
4. Das Minnelied XLVI im Kontext des 'Romans'
5. Minnelied XLVI: Interpretation der ersten Strophe
6. Minnelied XLVI: Interpretation der zweiten Strophe
7. Minnelied XLVI: Interpretation der dritten Strophe
8. Minnelied XLVI: Interpretation der vierten Strophe
9. Minnelied XLVI: Interpretation der fünften Strophe
Literaturverzeichnis
Anhang: Paraphrase des Liedes XLVI
1. Einleitung
Das Thema meiner Hausarbeit ist die Interpretation eines Minneliedes von Ulrich von Lichtenstein. Es ist dies eines von 58 Minneliedern, die neben anderen literarischen Formen in eine epische Struktur, eine 'maere' eingebunden sind. Das Ganze ergibt dann eine Art von Roman, den „Vrouwen dienest“. Daneben existiert noch ein Unterweisungsbuch für 'vrowen': „der Vrouwen Buoch“. Ulrich von Lichtenstein war kein Berufsdichter, sondern lediglich ein adliger Dilettant. Sein Leben ist ungewöhnlich gut in über 80 Urkunden bezeugt. Er muss um 1220 bis 1275 (ich beziehe mich bei diesen Angaben auf Brackert) gelebt haben. Er entstammt einem steirischen Ministerialengeschlecht und hatte unter anderem im Dienst Herzog Friedrichs II. stehend hohe Ämter in der Landespolitik inne. Ulrich war also von allen Dingen Politiker. Sein „Frauendienst“, den er „nach eigenem Bekunden im Jahre 1255 (Peters, S. 4) abgeschlossen hat, kann durchaus auch im Zusammenhang mit seiner politischen Tätigkeit gesehen werden. Das zeigt diese Darstellung noch auf.
2. Die Forschungslage zum „Frauendienst“
Ich möchte kurz auf die Forschungslage zum „Frauendienst“ eingehen und beziehe mich dabei insbesondere auf die Arbeit von Ursula Peters „Frauendienst. Untersuchungen zu Ulrich von Lichtenstein und zum Wirklichkeitsgehalt der Minnedichtung“. In der wissenschaftlichen Forschung, die Anfang des 19. Jahrhunderts zu diesem Werk einsetzte, war lange Zeit die Auffassung sehr verbreitet, im „Frauendienst“ ein Werk zu besitzen, das als Quelle für Informationen zur höfischen Lebenswelt und politisch-sozialen Realität des Spätmittelalters dienen könne. Dazu verleiteten die scheinbar autobiografischen und authentisch wirkenden Elemente. Die neuere Forschung ist in der Annahme von autobiografischem Gehalt und Historizität um einiges vorsichtiger geworden. Denn eindeutige Belege dafür gibt es nicht, wenn auch keine widersprechenden. Ursula Peters kommt zu dem Resultat, dass Ulrich in seinem 'Roman' vor dem Hintergrund des traditionellen Minnesangs „stereotype Dienstformeln“ aufgreift und ihnen den Anschein von Authentizität gibt. Als Vorbild für Ulrichs „Frauendienst“ müsse immer die Dichtung angesehen werden, die allerdings zum Teil schon zu gelebter höfischer Kultur geworden sein könne. Bei Ulrich sind diese Vorbilder der klassische Minnesang, also Autoren wie Reinmar von Hagenau, Wolfram von Eschenbach, Walter von der Vogelweide und andere sowie darüber hinaus auch die Artusepen. Die Dichtung dient nach Peters also als Folie, an der das Geschehen im 'Roman' zu messen ist. Damit ist jedoch nicht zugleich auch ausgeschlossen, dass Ulrich soziale, politische und religiöse Bezüge herstellt.
3. Ulrichs Neukonzeption des Minnemodells
Gegenstand meiner Untersuchung ist das Minnelied XLVI (Lachmann, S. 536). Dieses Minnelied singt Ulrich in seinem zweiten Dienstverhältnis zu einer 'vrouwe'. Die Einbettung des Minneliedes in den Kontext des Romans erläutere ich noch. Hier schon möchte ich den Begriff der 'vreude' in den Blick bringen. Zwar ist die 'vreude' auch im klassischen Minnesang wichtig, doch nicht in dieser exponierten Stellung.
Die 'vreude' nimmt im Minnelied XLVI die zentrale Stelle ein. Um diesen Begriff und die Auffassung von 'minne' zu verstehen, möchte ich zunächst mein Verständnis des ersten Minnedienstes ausführen. Denn eine solche Betrachtung macht deutlich, welche Veränderung die 'minne' im zweiten Dienstverhältnis durchläuft. Das Verständnis diese Entwicklung bildet dann auch den Hintergrund meiner Gedichtsinterpretation.
Im ersten Minnedienst findet die Auseinandersetzung Ulrichs mit dem klassischen Minnesang, mit der 'hohe minne' Reinmarscher Prägung (Kühnel, S. 137) statt. Ulrich legt eine ganz eigene Auffassung des Minnemodells an den Tag. Zwar orientiert er sich genauestens an dem dort Ausgesagten, nur nimmt er das, was dort ausschließlich als literarische Fiktion konzipiert ist, beim Wort. Es soll gelebt werden und muss dazu auf das übertragen werden, „was aller Erfahrung nach [...] möglich ist, wird dementsprechend korrigiert und mit sozialer Wirklichkeit angefüllt.“ (Kühnel, S. 131) Hieraus entstehen dann die in der Forschung in unterschiedlicher Weise ausgelegten grotesken und burlesken Szenen, die dem Geschehen in ihrer Lebendigkeit den Anschein von Autobiografischem geben. Die Absicht, die hinter diesem Verfahren steckt, ist jedoch nicht, die 'hohe minne' als solche der Lächerlichkeit preiszugeben. Es liegt hier vielmehr der Versuch vor, in einem Akt des „Prüfens“ und Unterscheidens“ (Grubmüller, S. 47) die Brauchbarkeit des literarischen Minnemodells in einem Wirklichkeitsbezug zu überprüfen. Als Resultat erteilt Ulrich in einem Vorgang der „Relativierung und Distanzierung“ (Kühnel, S. 137) der Konvention höfischer 'minne' eine Absage. Das darf jedoch nicht als eine Abwendung von der 'hohen minne' verstanden werden. Ganz im Gegenteil muss dies als eine Hinwendung zu einer neuen Konzeption von 'hoher minne' verstanden werden. Diese neue 'minne'-Konzeption bricht mit der unnahbaren Minnedame des klassischen Minnesangs, um in einer „Synthese“ 'herzliebe' und 'minne' zusammenzuführen: 'liebe, minne, ist al ein' (S. 430, XXVIII, 4, 2). In dieser Neukonstituierung der 'minne' wird der „Gegensatz von Taglied-'minne' [d. h. sexuelle Liebe, allerdings ohne gesellschaftliche Anerkennung], 'hoher minne' und Ehe-'minne' [sexuelle Liebe mit gesellschaftlicher Anerkennung – Anm. in Klammern von mir] aufgehoben.“ (Kühnel, S. 133). Diese Neubestimmung geschieht im Zeichen des Zerfalls höfischer Formen, wie sie im Minnesang apostrophiert werden. Ulrichs Antwort darauf ist meiner Ansicht nach jedoch nicht, „Minnedienst in und als Minnelyrik“ (Reiffenstein, S. 118) neue Geltung zu verschaffen, sondern weist darüber hinaus. Die Funktion, die die 'hohe minne' in dieser „fiktive[n] Versuchsanordnung“ (Müller, S. 72) erhält, soll eine gesellschaftliche Relevanz für die Adelsschicht haben. Dies darf nicht als eine „Antwort auf politische Regellosigkeit verstanden werden, die in gesellschaftlich-politische Verhältnisse eingreifen will, sondern als eine Antwort, die „selbst nicht politisch ist“. Denn „es sind Regeln entlastender Interaktion, die politische Konflikte gerade auszugrenzen imstande ist“ (Müller, S. 56). Diese fiktive Ordnung Ulrichs, die eine Art von „Spielcharakter“ (Reiffenstein, S. 1) hat, soll die realen politisch-gesellschaftlichen Antinomien nicht versöhnen, sondern ihr soll eine die Adelsschicht stabilisierende Aufgabe zukommen.
4. Das Minnelied XLVI im Kontext des 'Romans'
Bevor ich mit der Interpretation des Minneliedes XLVI beginne, möchte ich seinen Kontext im Roman' erläutern. Das Minnelied entsteht in Ulrichs zweitem Minnedienst und in diesem recht spät. Es ist dies eine Zeit, in der Ulrich seine großen Aktivitäten aufgegeben hat. Seine zweite große und auch letzte Turnierfahrt, die er als König Artus unternommen hat, liegt zurück. Ein sehr einschneidendes Ereignis fällt in diese Phase. Friedrich der Streitbare, der Landesfürst Österreichs, in dessen Dienst Ulrich im „Frauendienst“, aber auch als hoch beamteter Ministeriale steht, fällt in einer kriegerischen Auseinandersetzung. Dieser Tod bewirkt einen „Verfall der politischen Ordnung und der ritterlichen Lebensformen (Peters, S. 4). Das Lied XLVI entsteht jedoch noch vor der Gefangennahme Ulrichs, die direkt nach diesem Lied erfolgt, und vor der Erwähnung der chaotischen und minnelosen Zustände im Land. Die 'maere', die dem Lied vorausgeht, stellt eine weniger straffe Darstellung dessen dar, was dann in kürzerer Form mit den zum Teil gleichen Worten im Lied gesagt werden. Diese Erzählweise ist kennzeichnend für diese Phase des „Frauendienstes“. Daher ziehe ich auch die einleitende 'maere' zur Interpretation des Liedes heran. Darüber hinaus greife ich weitere Textstellen aus dem zweiten Minneverhältnis auf, die Aufschluss über das Gesagte geben.
5. Minnelied XLVI: Interpretation der ersten Strophe
Das Lied XLVI (S. 536), das fünf Strophen besitzt, erhält im ersten Vers seinen Namen: 'vrowen tanz'. Dieser Name verrät schon einiges über das Lied: Es ist ein Tanzlied und offenbar ist dieses Tanz nur für Frauen gedacht. Die nächsten drei Verse bestimmen dann die Person, die dieses Lied singen soll. Es ist dies ein Mann mit diesen Eigenschaften: 'und dem sin muot stât von wîben hô' (1,4: Strophe, Vers: Zählung der Verse für jede einzelne Strophe). Aus der Charakterisierung des Vortragenden geht auch hervor, welcher Art das Lied und damit der Tanz sein soll. Es darf nur von einem frohen Sänger gesungen werden, für andere ist das Singen verboten (1,2). Somit ist sicherlich auch der Tanz ein fröhlicher.
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