Als Anstoß für die Auswahl des Themas für die vorliegende Arbeit dienten zahlreiche Beobachtungen in den praktischen Untersuchungen von Herrn Prof. Dr. Christoph Schroeder sowie die neuesten Studien im Bereich der Zweitspracherwerbsforschung und zum Phänomen des Transfers bzw. der Interferenz. Darüber hinaus ist das Thema von großer wissenschaftlicher Bedeutung im Bereich Deutsch als Zweitsprache, weil die Morphologie des deutschen Verbs für die Sprecher des Deutschen als Zweit- bzw. Fremdsprache allgemein als ein relativ komplexes Phänomen erscheint. Demzufolge kann davon ausgegangen werden, dass der Gebrauch von Verbpartikeln in der L2 Deutsch eine Vielzahl an Auffälligkeiten aufweist. Des Weiteren bietet die Untersuchung der sprachspezifischen Muster der Versprachlichung von temporalen Ereignissen sowohl in der Erst- als auch in der Zweitsprache eine sehr breite Forschungsmöglichkeit in diesem Bereich. All das diente als Motivationsfaktor, eine quantitative vergleichende Untersuchung im Bereich der Verwendung der Verbpartikeln im Deutschen als Zweitsprache durchzuführen.
Des Weiteren wird im Laufe der Arbeit kontrastiv vorgegangen und die ggf. entstehenden Konsequenzen für die Zweisprachigen mit russischer Erstsprache beim Gebrauch von Verbpartikeln empirisch erklärt. Für die empirische Datenanalyse wurden insgesamt zehn Probanden mit russischer Erstsprache ausgesucht, die sich seit zehn bis fünfzehn Jahren in Deutschland aufhalten und als (sehr) fortgeschrittene Deutschsprecher eingestuft werden können. Des Weiteren fand der Deutscherwerb bei allen Teilnehmern überwiegend ungesteuert statt, wobei die Rolle des gesteuerten Zweitspracherwerbs in Form des Deutschunterrichts in der Schul- bzw. Ausbildungszeit ebenfalls beachtet werden muss.
Für die Datenanalyse wurde die Bildergeschichte „Frog, where are you?“ von Mercer Mayer verwendet. Die Probanden wurden gebeten, diese Geschichte in Form eines mündlichen Textes zu produzieren, welcher mit einem Audiogerät aufgenommen wurde. Diese Texte wurden anschließend transkribiert und stellen den Materialkorpus für die empirische Textanalyse in der vorliegenden Arbeit dar.
Als Vergleichsmaterial dienen zehn Transkripte deutscher Muttersprachler aus dem online abrufbaren CHILDES-Korpus, die die Beschreibung der gleichen Bildergeschichte umfassen.
Inhaltsverzeichnis
1 Einleitung und Problemdarstellung
2 Theoretischer Hintergrund
2.1 Fragestellungen und Hypothesen
2.2 Forschungsstand und Quellenlage
2.3 Zum Begriff des Aspekts im Russischen
2.3.1 Definitionen des Aspekts
2.3.2 Bildung der Aspektformen im Russischen
2.3.3 Die Verben der Fortbewegung im Aspektsystem des Russischen
2.4 Zum Begriff des Transfers und der Interferenz
2.5 Klassifikation von Verben gerichteter Bewegung
3 Methode
3.1 Korpuszusammenstellung
3.2 Die Vorgehensweise der Analyse
4 Datenanalyse
4.1 Sprachlicher Hintergrund der Probanden
4.2 Exemplarische Darstellung der Ergebnisse
4.3 Auswertung und Zusammenfassung der Ergebnisse
5 Fazit und Ausblick
Literaturverzeichnis
Eigenständigkeitserklärung
1 Einleitung und Problemdarstellung
Sprachen verfügen über unterschiedliche Mittel, um Zeitkonzepte auszudrücken. Zu den wichtigsten zählen drei verbale Kategorien: Tempus, Aspekt und Aktionsart sowie zahlreiche Adverbiale. Jede dieser Kategorien bringt einen Teil temporaler Informationen zum Ausdruck, die jeweils mit den unterschiedlichen Komponenten des sprachlichen Systems – Lexikon, Morphologie, Syntax und Pragmatik – interagieren (Schmiedtová/Sahonenko 2008, S. 45).
Der Gegenstand der vorliegenden Masterarbeit ist der Gebrauch von Verbpartikeln mit Verben gerichteter Bewegung im Deutschen bei erwachsenen Zweisprachigen mit russischer Erstsprache. Das Ziel der empirischen Untersuchung ist es, den Gebrauch von Verbpartikeln im Deutschen bei Sprechern mit russischer Erstsprache zu beschreiben und die ggf. auftretenden Abweichungen im Vergleich mit dem muttersprachlichen Usus in diesem Zusammenhang zu erklären.
Als Anstoß für die Auswahl des Themas für die vorliegende Arbeit dienten zahlreiche Beobachtungen in den praktischen Untersuchungen von Herrn Prof. Dr. Christoph Schroeder sowie die neuesten Studien im Bereich der Zweitspracherwerbsforschung und zum Phänomen des Transfers bzw. der Interferenz. Darüber hinaus ist das Thema von großer wissenschaftlicher Bedeutung im Bereich Deutsch als Zweitsprache, weil die Morphologie des deutschen Verbs für die Sprecher des Deutschen als Zweit- bzw. Fremdsprache allgemein als ein relativ komplexes Phänomen erscheint. Demzufolge kann davon ausgegangen werden, dass der Gebrauch von Verbpartikeln in der L2 Deutsch eine Vielzahl an Auffälligkeiten aufweist. Des Weiteren bietet die Untersuchung der sprachspezifischen Muster der Versprachlichung von temporalen Ereignissen sowohl in der Erst- als auch in der Zweitsprache eine sehr breite Forschungsmöglichkeit in diesem Bereich. All das diente als Motivationsfaktor, eine quantitative vergleichende Untersuchung im Bereich der Verwendung der Verbpartikeln im Deutschen als Zweitsprache durchzuführen.
In der Arbeit werden zwei Kontrastsprachen untersucht, nämlich die Erstsprache der Probanden Russisch als eine ostslawische Sprache und deren L2 Deutsch als eine germanische Sprache. Des Weiteren wird im Laufe der Arbeit kontrastiv vorgegangen und die ggf. entstehenden Konsequenzen für die Zweisprachigen mit russischer Erstsprache beim Gebrauch von Verbpartikeln empirisch erklärt. Für die empirische Datenanalyse wurden insgesamt zehn Probanden mit russischer Erstsprache ausgesucht, die sich seit zehn bis fünfzehn Jahren in Deutschland aufhalten. Die Anzahl der Untersuchungsteilnehmer für die Datenanalyse im Rahmen der vorliegenden Masterarbeit wurde nach den Kriterien der Explorativität festgelegt.
Alle Testpersonen können der russischsprachigen Diaspora in Deutschland zugeordnet werden, wobei sieben Probanden der Gruppe der Spätaussiedler und drei davon der Gruppe der jüdischen Zuwanderer angehören. Des Weiteren kennzeichnet sich der Sprachgebrauch aller Studienteilnehmer dadurch, dass sie ein Hochschulstudium bzw. eine Berufsausbildung (Probanden MAG und KON) in Deutschland absolviert haben. Dabei verwenden alle Probanden das Deutsche im formell-öffentlichen Bereich und das Russische sowohl im informell-öffentlichen als auch im intim-öffentlichen Bereich[1]. Des Weiteren fand der Deutscherwerb bei allen Teilnehmern überwiegend ungesteuert statt, wobei die Rolle des gesteuerten Zweitspracherwerbs in Form des Deutschunterrichts in der Schul- bzw. Ausbildungszeit ebenfalls beachtet werden muss. Die Homogenität der Probandengruppe wird darüber hinaus dadurch gewährleistet, dass alle Probanden aus der vorliegenden empirischen Untersuchung als (sehr) fortgeschrittene Deutschsprecher eingestuft werden können.
Für die Datenanalyse wurde die Bildergeschichte „Frog, where are you?“ von Mercer Mayer verwendet. Die für die Untersuchung ausgewählte ereignisreiche Bildergeschichte bietet sich sehr gut an, um die verschiedenen morphologischen und lexikalischen Mittel zum Ausdruck der gerichteten Bewegung in der L2 zu untersuchen. Die Probanden wurden gebeten, diese Geschichte in Form eines mündlichen Textes zu produzieren, welcher mit einem Audiogerät aufgenommen wurde. Diese Texte wurden anschließend nach HIAT (Halbinterpretative Arbeitstranskription, in Rehbein et al. 2004) transkribiert und stellen den Materialkorpus für die empirische Textanalyse in der vorliegenden Arbeit dar.
Als Vergleichsmaterial dienen zehn Transkripte deutscher Muttersprachler aus dem online abrufbaren CHILDES-Korpus, die die Beschreibung der gleichen Bildergeschichte umfassen. Das Alter der Probanden variiert zwischen 24 und 33 Jahren. Alle Transkripte aus dem CHILDES-Korpus stammen von 20-jährigen Personen und können somit unter die Kategorie der Erwachsenen eingeordnet werden.
Zunächst einmal möchte ich Bezug auf die bisherigen sprachwissenschaftlichen Auseinandersetzungen hinsichtlich der temporalen Strukturierung in verschiedenen Sprachen nehmen. Frühere Untersuchungen zum Englischen, Französischen, Deutschen, Italienischen und Spanischen haben erhebliche Unterschiede in diesem Bereich dokumentiert: „Je nach Sprache können Ereignisse in vielfältiger Weise temporal strukturiert werden“ (Schmiedtová/Sahonenko 2008, S. 56). Über den genauen Untersuchungsverlauf der Studie von Schmiedtová/Sahonenko wird im Unterkapitel 2.2 Forschungsstand und Quellenlage berichtet. An dieser Stelle sollen lediglich die wesentlichen Analysebereiche, die in der Studie von den beiden Wissenschaftlerinnen behandelt werden und die im Einzelnen von der Problematik her relevant für die vorliegende Arbeit sind, zusammengefasst dargestellt werden.
Das Russische und das Deutsche unterscheiden sich in Bezug auf die sprachliche Kodierung von Ereignissen insofern voneinander, als dass sie dafür über unterschiedliche temporale Mittel verfügen. Dabei gehören lexikalische Mittel (wie Adverbiale und diverse direktionale Präpositionalphrasen) und Tempus für diese beiden Sprachen gleichermaßen zu den Mitteln der temporalen und räumlichen Markierung. Diese Tatsache erlaubt somit eine Untersuchung hinsichtlich der tendenziellen Anwendung dieser Mittel für die sprachliche Enkodierung der Ereignisse bei Vertretern dieser beiden Sprachen. Besonders beim Gebrauch der jeweiligen Tempusformen kann bei den Sprechern mit L1 Russisch und L1 Deutsch ein großer Unterschied erwartet werden.
Das Russische als eine der slawischen Sprachen unterscheidet sich jedoch vom Deutschen dadurch, dass der grammatische Aspekt als ein weiteres temporales Mittel bei der Strukturierung der Ereignisse eine wesentliche Rolle spielt. Der im Russischen grammatikalisierte Aspekt ist sehr eng mit dem Tempussystem verbunden und beeinflusst somit den Tempusgebrauch.
Zwischen den Aspektformen und den Tempusformen des Verbs besteht ein enger Zusammenhang. Das hat zur Folge, daß man das Funktionieren der Tempusformen in der Regel nur dann erfassen kann, wenn man stets die Wechselbeziehungen und das Zusammenwirken der Kategorien des Tempus und des Aspekts beachtet. Unter Berücksichtigung des Zusammenspiels der Kategorien des Aspekts und des Tempus ergibt sich für die russische Gegenwartssprache folgendes System der Aspekt-Tempus-Formen (vido-vremennye formy) (Mulisch/Gabka 1988, S. 91):
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Tabelle 1: Das System der Aspekt-Tempus-Formen im Russischen (ebd., S. 91, Hervorhebungen im Original).
In diesem Zusammenhang erscheint es als logisch, auch die Bewegung selbst als solche zu definieren, und das daraus folgende Bewegungskonzept darzustellen, um die für die vorliegende Datenanalyse relevanten Verben der gerichteten Bewegung dementsprechend zuordnen zu können.
„Man kann die Bewegung eines Gegenstandes definieren als Änderung des Ortes mit dem Zeitablauf“[2] (Di Meola 1994, S. 28). In diesem Fall geht es demzufolge um eine Standortveränderung des gesamten Bewegungsträgers, also um eine Fortbewegung. Des Weiteren werden bei Di Meola zwei Arten der Fortbewegung unterschieden:
1) Die aktive Fortbewegung im Raum ist eine vom Bewegungsträger selbst herbeigeführte Ortsveränderung. Diese Art der Fortbewegung wird entweder vom Menschen oder von anderen Lebewesen ausgeführt.
2) Die passive Fortbewegung hingegen ist durch das Einwirken einer äußeren Kraft bedingt (z. B. der Erdanziehungskraft), weswegen diese Art der Fortbewegung auch unbelebten Gegenständen zukommen kann (ebd., S. 28).
Für die Fortbewegung kann von folgendem allgemeinen Bewegungsschema ausgegangen werden (Ursprung, Weg und Ziel):
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Tabelle 2: Das Bewegungsschema (ebd., S. 29).
Demzufolge können alle Bewegungsverben auch nach deren Fokussierung betrachtet werden, d. h. danach, wie ursprungs-, weg- oder zielorientiert sie sind (vgl. Eichinger 1989, S. 31). Daraus ergibt sich folgende mögliche Klassifikation dieser Verben:
- Ursprungsorientierte Verben (schlüpfen, klettern)
- Wegorientierte Verben (fliehen, gleiten, krabbeln)
- Zielorientierte Verben (kommen, fallen, stürzen)
- Neutrale Verben (gehen, laufen)
Diese Klassifikation kann die Verwendung von bestimmten Verbpartikeln in Verbindung mit dem jeweiligen Bewegungsverb erklären. So enthält das Verb „klettern“ beispielsweise in seiner Semantik eine ursprungsorientierte Bewegung nach oben, von daher erscheint die Verbpartikel „runter-“ bei der Bezeichnung einer Bewegung nach unten obligatorisch, auch wenn dabei eine direktionale Präpositionalphrase gebraucht wird:
z. B.: Er klettert zum Boden runter.
Bei dem deutschen Linguisten Ludwig M. Eichinger finden sich folgende in diesem Zusammenhang relevante Überlegungen:
Der Bezug auf eine im Prinzip eher abwärtsgerichtete, allenfalls horizontale Bewegung wird hier vor allem durch die Lücken bei den Doppelpartikeln deutlich; daß vor allem fließen, strömen prinzipiell nach unten gehen, macht hier die Partikel ab- eindeutig zur topologischen Partikel mit der Bedeutung ’weg’, dasselbe stimmt analog für aufgleiten. (ebd., S. 31, Hervorhebungen im Original).
Eichinger untersucht Raum und Zeit im Verbwortschatz des Deutschen und präsentiert in seiner valenzgrammatischen Studie eine Liste aller Fortbewegungsverben in Form einer Tabelle, in welcher u. a. alle Verbpartikeln des lokalen Charakters, oder wie sie dort bezeichnet werden: direktionale Partikeln, enthalten sind. Je nachdem welche Kombinationen laut Duden-Wörterbuch möglich sind, werden diese Partikeln dort dementsprechend gekennzeichnet. Des Weiteren unterscheidet Eichinger folgende Stufen des semantischen Spezialisierungsgrades bei den Fortbewegungsverben:
1) Bezeichnungen für grundlegende Fortbewegungstypen (gehen, fahren, fliegen, reiten, auch Verben wie kommen)
2) Bezeichnungen für in bestimmter Weise modifizierte Bewegungen:
2a) Verben, die sich auf eine bestimmte Bewegungsdimension beziehen (klettern, steigen, fallen, sinken)
2b) Verben, die sich auf Geschwindigkeitsmodifikationen beziehen (laufen, rasen, schleichen, stürzen)
2c) Verben, die die Art und Weise der Fortbewegung betreffen (krabbeln, kriechen, schreiten, springen, ziehen) (ebd., S. 29).
Eichinger benennt die einfachen Basisverben als Simplicia und die Verben mit Partikeln als komplexe Verben und unterscheidet dabei drei Arten der Kodierung mit räumlichen Partikeln, nämlich syntaktische Fügungen mit den entsprechenden Präpositionalphrasen oder Adverbien, die Partikelverben und die Doppelpartikelverben (Partikeln in Verbindung mit Präfixen her- oder hin-) (vgl. ebd., S. 38).
Es wird zudem eine Ähnlichkeit zwischen der ersten und der dritten Art festgestellt: In beiden Fällen würde die lokale Bedeutung bewahrt. Dagegen bleibt die Beschreibung der zweiten Inkorporierungsart vage. Hier sind genauere Aussagen nötig und möglich; […], interessant ist aber hier vielmehr, wie diese durchaus ähnlichen sprachlichen Mittel funktional unterschiedlich genutzt werden. Hier läßt sich auf jeden Fall eine Abstufung im Grad reiner Lokalität erkennen, wobei die syntaktische Fügung die expliziteste Umsetzung mit der zumindest potentiell deskriptivsten Benennung der betroffenen Lokalität darstellt (ebd., S. 38).
Aus dem obigen Zitat lässt sich ermitteln, dass die Verwendung der verbalen Strukturen in Verbindung mit den direktionalen Verbpartikeln allein von der semantischen Ebene her doch als unzureichend eingestuft wird und die syntaktische Fügung, oder die direktionale Präpositionalphrase, die Lokalität expliziter bezeichnet. In anderen Worten bedeutet das Ganze, dass die Verbpartikel gegenüber einer direktionalen Präpositionalphrase eine sekundäre Funktion bei der Darstellung einer gerichteten Bewegung erfüllt. Dieser Gedanke muss als einer der wesentlichen theoretischen Anhaltspunkte für die anschließende empirische Datenanalyse betrachtet werden.
Weiterhin findet sich bei Eichinger folgende Überlegung:
Denn wenn man von der Darstellung räumlicher Verhältnisse in syntaktischen Fügungen mit Bewegungsverben ausgeht, so ist das Direktionale die Ergänzung, die am engsten ans Verb gebunden ist. […] Denn generell gilt, daß nicht die Basis ein komplexes Bewegungsverb bestimmt, sondern daß die Relation zwischen Verbalpartikel und Basis den Charakter als Bewegungsverb festlegt (ebd., S. 41f).
Eichinger stellt in seiner Arbeit folgende Frage: In welcher Weise schlägt sich die Bedeutung der bei Fortbewegungsverben beteiligten Partikeln in der Bedeutung der komplexen Verben nieder bzw. wo handelt es sich bei diesen Fällen tatsächlich um Wortbildungen und wo eher um zusammengeschriebene Syntagmen? Zum Schluss formuliert der Sprachwissenschaftler die folgende Faustregel: Die Richtungsangaben bringen mit Angabe des Sprecherstandpunkts ihre auch im selbständigen Gebrauch auftretende Bedeutung in das komplexe Wort ein, während die komplexen Verben mit einer präpositionalen Partikel als Verbzusatz eine spezialisierte oder idiomatisierte Bedeutung zeigen (ebd., S. 337).
Außerdem soll hier zusätzlich angemerkt werden, dass der sprachliche Hintergrund und „die genaue Kenntnis jedes einzelnen Individuums und seiner kulturellen Situation eine unbedingte Voraussetzung für eine adäquate Einschätzung und Beurteilung von sprachlichen Phänomenen“ sind (Pfandl 2000, S. 39). Eine von Pfandl in seiner Habilitationsarbeit getroffene Aussage über die Einstellung der nach Österreich Emigrierten russischsprachigen Probanden zu ihrer L1 Russisch ist als Hintergrundwissen für die vorliegende Arbeit über die Verwendung des Russischen unter den Migrationsbedingungen insgesamt wichtig: „Das geringe Prestige, welches die russische L1 bei den SprecherInnen selbst genießt, macht ein derartiges Unterfangen gänzlich unrealisierbar, da bei russischsprachigen emigrierten Familien starke Hemmungen vorhanden sind, die Familiensprache öffentlich zu dokumentieren“ (ebd., S. 40). Pfandls Analyse der sprachlich-kulturellen Persönlichkeit, für welche Erstsprachenverwendung und kulturelle Einstellungen von russischsprachigen Emigrierten mit frühem Ausreisealter in deutschsprachiger Umgebung untersucht worden sind, liefert ein sehr spannendes Ergebnis bezüglich der sprachlichen Verwendung dieser Sprechergruppe auch in Deutschland. Eine der möglichen Annahmen könnte folglich lauten, dass diese Sprechergruppe unter den Bedingungen einer mehrjährigen Dominanz der L2 Deutsch als häufig gebrauchter Umgebungssprache nicht mehr unter dem Einfluss der russischen L1 steht. Dieser Gedanke wird in der späteren Diskussion und den Schlussfolgerungen der vorliegenden Arbeit wieder aufgegriffen.
Im Laufe der vorliegenden Arbeit werden im theoretischen Teil Fragestellungen und Hypothesen formuliert sowie der Forschungsstand und die Quellenlage umrissen. Des Weiteren soll in Kapitel 2 die Kategorie des grammatischen Verbalaspekts und deren Bildung, Bedeutung und Gebrauch im Russischen dargestellt werden. Die Erläuterung des Phänomens des (negativen) Transfers bzw. der Interferenz gehört zur weiteren theoretischen Hintergrundinformation der vorliegenden Forschungsarbeit. Die Verben gerichteter Bewegung sowie die Verbpartikeln im Deutschen werden in diesem Kapitel ebenfalls definiert und klassifiziert. In Kapitel 3 werden die Untersuchungsmethode und die Korpuszusammenstellung beschrieben. In Kapitel 4 erfolgt die empirische Datenanalyse, in die der sprachliche Hintergrund der Probanden sowie eine exemplarische Darstellung der Analyseergebnisse Eingang finden. Anschließend werden die Untersuchungsergebnisse aus allen für die vorliegende Arbeit relevanten Blickwinkeln ausgewertet und zusammengefasst. Zum Schluss kommt die Zusammenfassung der gewonnenen Erkenntnisse mit dem Ausblick auf die weiteren möglichen Forschungsansätze zum behandelten Thema, wobei die gestellten Hypothesen ausführlich diskutiert werden.
An dieser Stelle soll noch angeführt werden, dass der Korpus der vorliegenden Arbeit keine Durchführung einer umfangreicheren Analyse erlaubt, da dies den Rahmen einer Masterarbeit sprengen würde. Für eine vertiefte Auseinandersetzung mit der Thematik steht eine Übersicht über Forschungsliteratur zur Verfügung, die wertvolle Anreize zur Weiterarbeit bieten kann.
2 Theoretischer Hintergrund
2.1 Fragestellungen und Hypothesen
Vor dem Hintergrund der oben angeführten theoretischen Aspekte erscheint es sinnvoll, folgende Arbeitshypothesen aufzustellen: In der vorliegenden Arbeit wird generell davon ausgegangen, dass die russisch-deutsch Zweisprachigen eine tendenziell höhere Anzahl an Verbpartikeln mit räumlicher Bedeutung in deren Zweitsprache Deutsch verwenden, als dies die Deutsch-Muttersprachler tun.
Eine erste mögliche Hypothese zur Erklärung wäre: Der häufige Gebrauch von Verbpartikeln kann als Transfer des Konzepts des im Russischen grammatikalisierten Aspekts eingestuft werden; die Sprecher bedienen sich dabei der dafür benötigten grammatischen Mittel in ihrer L2 Deutsch (z. B. Verbpartikeln). Die russisch-deutsch Zweisprachigen übertragen also bestimmte Aspektdifferenzierungen des Russischen in ihre Zielsprache Deutsch, indem sie als ein mögliches Mittel Verbpartikeln verwenden. Diese Hypothese läuft darauf hinaus, dass mithilfe der Verbpartikeln möglicherweise der perfektive Aspekt am Verb ausgedrückt werden soll, der im Russischen u. a. mithilfe der Präfixe gebildet wird. Allerdings ist diese Hypothese mit einer gewissen Problematik verbunden: Einerseits gehören die Regeln der Aspektbildung im Russischen zu den äußerst komplexen sprachlichen Phänomenen, die im Folgenden näher betrachtet werden. Andererseits ist die Erzählung einer mündlichen Geschichte mit dem bestimmten Erzählmodus verbunden: Bildbeschreibungen erfolgen im Deutschen zumeist im Präsens, die Nacherzählungen hingegen im Präteritum. Im Russischen kann sowohl das Präsens als auch das Präteritum für die Beschreibung einer Bildergeschichte angewendet werden. Und die grammatische Kategorie des Aspekts ist im Russischen eng mit dem Tempus verbunden, wie oben bereits erwähnt und worauf in der Arbeit im Folgenden näher eingegangen wird. In diesem Zusammenhang wäre es möglich, die folgenden Fragen aufzustellen: Welche Tempusformen verwenden die russischsprachigen Probanden in ihren Texten? Wird dabei ein bestimmter Erzählmodus bevorzugt? Inwiefern unterscheidet sich die Tendenz des Gebrauchs der Tempusformen von der bei den Deutsch-Muttersprachlern? Um eine verlässliche Antwort auf diese Fragen bekommen zu können, werden die Tempusformen der untersuchungsrelevanten Bewegungsverben in den beiden zu analysierenden Korpora aufgezählt und quantitativ verglichen.
Da die empirische Untersuchung anhand der Verben der gerichteten Bewegung erfolgt, ergibt sich daraus die zweite mögliche Hypothese: Die russischsprachigen Probanden drücken die Gerichtetheit einer Bewegung im Deutschen eher durch die Verbpartikeln aus, wobei die Sprecher des Deutschen als Erstsprache dafür die Verwendung einer direktionalen Präpositionalphrase präferieren. An dieser Stelle soll verdeutlicht werden, dass zur Untermauerung dieser Hypothese eine Liste der neutralen Bewegungsverben und der Verben, die eine bestimmte Gerichtetheit in ihrer Semantik tragen, aus dem gesamten Probandenkorpus zusammengestellt werden muss. Um eine längere Diskussion auf theoretischer Ebene zu vermeiden und ein verlässliches Raster zu bekommen, wird der Usus bei der Verwendung von Verbpartikeln im Deutschen aus dem Vergleichsmaterial des Online-Korpus analysiert.
Des Weiteren wird in der Arbeit auf die einzelnen Probanden näher eingegangen, um die Distribution der bestimmten Verwendungsmuster der gerichteten Bewegung und somit den Grad der Individualität zu bestimmen, d. h. den charakteristischen Stil des Sprechers hervorzuheben, wovon möglicherweise auch die Untersuchungsergebnisse betroffen sein können. Darüber hinaus bietet sich das relativ breite Spektrum des Alters der Probanden gut an, um mögliche Tendenzen und Unterschiede bei der Versprachlichung der gerichteten Bewegung innerhalb dieser Gruppe zu diskutieren. Es sei hierzu noch einmal verdeutlicht, dass das Alter der Probanden zwischen 24 und 33 Jahren variiert. In diesem Zusammenhang stellen sich folgende Fragen, die für die Untersuchungsergebnisse relevant sein können: Inwiefern beeinflusst das Alter den Zweitspracherwerb nach der Einreise nach Deutschland, als der unmittelbare Kontakt mit der Umgebungssprache begann? Wie groß ist der Einfluss der Muttersprache in diesem Zusammenhang? Kann davon ausgegangen werden, dass bei frühem Einreisealter und infolgedessen eher natürlichem Zweitspracherwerb die typischen verbalen Strukturen der Deutsch-Muttersprachler präferiert werden? Aufgrund der relativ geringen Anzahl der Probanden können hierbei allenfalls Tendenzen aufgezeigt, jedoch keine endgültigen Aussagen getroffen werden.
Von besonderem Interesse für die vorliegende empirische Untersuchung sind bestimmte sprachliche Strukturen, auf die in der Arbeit gesondert geachtet wird: Es wird danach gesucht, ob die Verwendung von Verb und Verbpartikel in Kombination mit einer direktionalen Präpositionalphrase in den mündlichen Texten der Sprecher mit russischer Erstsprache tendenziell öfter ist als in den Texten der deutschen Muttersprachler. Eine mögliche Vermutung hierfür wäre, dass für die deutschen Sprecher direktionale Präpositionalphrasen allein als Marker des Ausgangs- bzw. des Zielortes ausreichend wäre, wobei sie für die russischsprachigen Deutschsprecher als unzureichend empfunden wird, wodurch es folglich zum Gebrauch des zusätzlichen Markers (der Verbpartikel) kommt.
Die Arbeitshypothese beruht hierbei auf einer strukturellen Ähnlichkeit zwischen den beiden Sprachen, betrifft jedoch nicht die semantische Ebene, weil die Verbalpräfixe im Russischen eine andere Funktion bzw. Funktionen erfüllen als die Verbpartikeln im Deutschen:
[…], erfüllen Präfixe in slawischen Sprachen zwei wesentliche Funktionen: Zum einen dienen sie zur Markierung des grammatischen Aspekts, zum anderen verändern sie Aktionsarten. Zusätzlich üben die Präfixe wortbildende Funktion aus, indem sie die lexikalische Bedeutung des Verbs mit kontextuellen Informationen unterschiedlicher Art anreichern (Schmiedtová/Sahonenko 2008, S. 52).
Und sowohl im Russischen als auch im Deutschen „existiert eine Reihe von Präfixen, welche die Bewegung von einem Ort zum anderen und damit den Ortswechsel signalisieren“ (ebd., S. 52). In anderen Worten haben beide Sprachen eine ähnliche Form, die jedoch dort jeweils eine andere Bedeutung trägt. Wenn also solche formale Ähnlichkeit zwischen den beiden Kontrastsprachen vorhanden ist, führt uns dieser Gedanke dazu, eine Aussage zu machen, dass die ähnliche Form für die bedeutungsrelevante Funktion in der Zielsprache gehalten werden könnte.
Darüber hinaus wird in der empirischen Datenanalyse dem Erzählmodus der Bildergeschichte Aufmerksamkeit gewidmet. Mögliche Fragestellungen diesbezüglich wären beispielsweise, ob und inwiefern sich der Erzählmodus bei den Probanden mit russischer Erstsprache von dem der Deutsch-Muttersprachler unterscheidet und ob und inwieweit der Gebrauch dieser Erzählform mit dem Gebrauch der Verbpartikeln zusammenhängt. Als Ausgangsbasis wird angenommen, dass die typische Rolle für den Erzählmodus einer Bildergeschichte im Deutschen das Präsens erfüllt und dass die Texte der Probanden mit russischer Erstsprache diesbezüglich eine andere Tendenz aufweisen werden. Um welche Präferenzen es sich genau handelt, soll im Rahmen der vorliegenden empirischen Untersuchung geklärt werden.
2.2 Forschungsstand und Quellenlage
Für die vorliegende empirische Untersuchung sind einerseits Arbeiten aus dem Bereich der Zweitspracherwerbsforschung, andererseits Grammatiken des Deutschen und des Russischen und diverse linguistische Studien zu den Bewegungsverben zu erwähnen. Als eine der Untersuchungen im Bereich der strukturalistischen Analysen des Wortfeldes der Bewegungsverben ist die Arbeit von Helga Diersch (1972) zu nennen. Sie untersucht syntagmatische und paradigmatische Beziehungen des Wortinhalts der Verben der Fortbewegung in der deutschen Schriftsprache. Diese Untersuchung ist insofern von Bedeutung für die vorliegende Arbeit, als dass sie die meisten Verben gerichteter Bewegung beschreibt. Dazu sollten jedoch noch die Verben der vertikalen Bewegung gezählt werden, wie bspw. „fallen“, „steigen“ usw. oder solche Bewegungsverben wie „verschwinden“, „entweichen“, „entwischen“, „folgen“ usw. Des Weiteren werden in dieser Arbeit keine Verbpartikeln analysiert, die die Bedeutung des Verbs ändern oder präzisieren können. Auf die Funktion und Bedeutung der Verbpartikeln wird in den folgenden Kapiteln näher eingegangen.
Eine kognitiv-linguistische Untersuchung der Polysemie deiktischer Bewegungsverben „kommen“ und „gehen“ von Claudio di Meola (1994) stellt einen weiteren Beitrag auf diesem Gebiet dar. Der Autor analysiert dabei vergleichend die verschiedenen Modalitäten der Fortbewegung, die die beiden Verben im Deutschen, Italienischen und Englischen kodieren können. Darüber hinaus werden die Fälle untersucht, in denen „kommen“ und „gehen“ einen unbelebten Bewegungsträger aufweisen, sowie die metaphorischen Verwendungsweisen, die auf deiktische Grundschemata zurückzuführen sind. Die Arbeit erfasst also die unterschiedlichen Verwendungsweisen dieser beiden Basisverben im Deutschen, was als wesentlicher Anhaltspunkt für ihre Behandlung in der bevorstehenden empirischen Untersuchung dienen soll.
Der Aufsatz von Mary Carroll (2000) „Representing path in language production in English and German: Alternative perspectives on figure and ground“ ist eine kross-linguistische Studie und liefert wesentliche Überlegungen zu grammatischen Mitteln der sprachlichen Enkodierung von Bewegungsereignissen in mündlich produzierten Texten im Englischen und im Deutschen. Genauer genommen liegt der Schwerpunkt der Analyse auf der Perspektive diverser Bewegungsereignisse: Es wird also untersucht, wie die Raumstrukturierung in Bezug auf die Optionen Bewegung zu einem Ort vs. Bewegung innerhalb eines Ortes im Vergleich von Sprechern des Englischen und des Deutschen erfolgt. Die Materialbasis bilden mündliche Erzählungen einer stummen Animation, bestehend aus vier Teilen. Die Probanden wurden dafür gebeten, die Ereignisse aus dem Video detailliert zu beschreiben. Die Autorin kommt zu dem Fazit, dass bei der Positionierung der Ereignisse im Raum die Sprecher auf die grammatikalisierte Kategorien zugreifen, die in der jeweiligen Sprache zur Verfügung stehen, um die Ereignisse in der Zeit zu verbinden (vgl. Carroll 2000, S. 115). Englischsprecher tendieren eher zu inhärenten temporalen Ereignisstrukturen: Wenn ein Ereignis eine bestimmte Zeit lang andauert, wird der Ortswechsel in einzelne Phasen aufgeteilt (Ursprung, Weg, Ziel). Des Weiteren werden im Englischen nur die abrupten Ortsveränderungen durch ein einziges Prädikat ausgedrückt, das die einzelnen Wegabschnitte miteinander verbindet („falls out of x into y“). Deutschsprecher hingegen tendieren zu dieser letzten Option unabhängig vom inhärenten Charakter der Bewegung, die bevorzugten Prädikate (wie „fallen“) verbinden dabei explizit die Orte im Bewegungsablauf. Auch wenn beide Sprachen über die grammatischen Mittel verfügen, um einzelne Ereignisphasen zu unterscheiden und sie dementsprechend zu positionieren, können bestimmte Präferenzen für die Ereigniskodierung festgestellt werden, die auf die grammatikalisierte Kategorien in der jeweiligen Sprache zurückführen. Die Aspektdifferenzierungen erlauben beispielsweise die Segmentierung in einzelne Phasen („segmentation into phases“) und sind im Englischen, aber nicht im Deutschen, grammatikalisiert (vgl. ebd., S. 115). Was die Raumstrukturierung in Bezug auf die Optionen Bewegung zu einem Ort vs. Bewegung innerhalb eines Ortes anbetrifft, erfolgt diese im Deutschen mithilfe des grammatikalisierten Kasus, was das Englische nicht kennt. Die weiteren Annahmen beruhen darauf, dass bestimmte Perspektiven bezüglich der Ereigniskodierung bereits auf der Konzeptualisierungsebene gebildet werden. Die Autorin unterstreicht mehrmals, dass solche sprachspezifischen Prozesse in der Informationsverarbeitung ein sehr breites Untersuchungsspektrum aufweisen (ebd., S. 115f.).
Besonders interessant und für die vorliegende Untersuchung bedeutungsvoll sind Feststellungen aus der empirischen Forschung von Grekhova, die sich auf die Verwendung des Verbalaspekts im Russischen durch Deutsch-Muttersprachler bezieht. Der Artikel wurde 1985 in Maslovs „Contrastive Studies in Verbal Aspect“ veröffentlicht und basiert auf empirischem Material, das die Analyse der wesentlichen Abweichungen im Gebrauch des russischen Aspekts bei deutschen Studenten an der damaligen Universität Leningrad beinhaltet. Dabei ist zu berücksichtigen, dass alle Studenten mit dem Erwerb des Russischen als erster Fremdsprache bereits im Schulunterricht begonnen hatten. Die russische Wissenschaftlerin stellt dabei fest, dass die typischen Fehler der Sprecher durch sprachliche Interferenz erklärt werden können, oder genauer gesagt, durch den Transfer bestimmter sprachlicher Eigenschaften der Erstsprache in die Lernersprache (vgl. Grekhova 1985, S. 143). Dabei wird die Annahme des Transfers im Zusammenhang mit dem Aspektgebrauch folgendermaßen begründet:
There is very reason to speak about interference in relation to the category of aspect because although not all languages have a grammatically formulated category of aspect, in the semantic system of every language there exists a certain ‘zone of meanings’ which are given expression by some means or other and which correspond to what is expressed in the Slavonic languages by aspectual form and modes of action (Maslov 1973, zit. nach ebd., S. 143f.).
Die Studie von Grekhova kommt somit zu dem Schluss, dass der Erwerb des grammatischen Verbalaspekts im Russischen durch Sprecher des Deutschen als Erstsprache mit erheblichen Schwierigkeiten verbunden ist, die u. a. dadurch erklärt werden können, dass eine falsche Analogie mit den deutschen Präfixen gezogen wird; die Suffixe, die an einer sekundären Imperfektivierung der präfigierten Verben beteiligt sind, werden dabei außer Acht gelassen (vgl. ebd., S. 153). Dieser Gedanke führt zur Bestätigung der in der vorliegenden Arbeit aufgestellten Hypothese des Transfers des Verhaltenssystems der Erstsprache beim Gebrauch eines ähnlichen sprachlichen Inventars in der Zielsprache.
Als ein weiterer für die vorliegende Arbeit besonders relevanten Beiträge im Bereich der Zweitspracherwerbsforschung, muss der Artikel von Schmiedtová und Sahonenko erwähnt werden. Diese Studie ist insofern von Bedeutung für die vorliegende Arbeit, als sie vergleichend untersucht, wie slawische Sprecher Ereignisse in der deutschen Sprache konzeptualisieren und versprachlichen. Die beiden Wissenschaftlerinnen vertreten in ihrer Arbeit die These, „dass sprachstrukturelle Merkmale, die in gewisser Weise als gefrorene Konzeptualisierungsschemata angesehen werden können, Präferenzen für die Informationsverarbeitung implizieren. Diese Konzeptualisierungsschemata sind sprachspezifisch und beeinflussen die Präferenzen, die ein Zweitsprachlerner in einer L2 hat“ (Schmiedtová/Sahonenko in Walter/Grommes 2008, S. 53). Die beiden Wissenschaftlerinnen gehen in ihrer Studie davon aus, dass fortgeschrittene Deutschlerner, die in der Lage sind, einen grammatikalisch völlig korrekten Text zu bilden, trotz allem als Nicht-Muttersprachler auffallen, „wenn die Prinzipien der zeitlichen Informationsverteilung nicht befolgt werden“ (ebd., S. 53). Sie vermuten ferner, dass es sich dabei um einen (negativen) Transfer aus der Muttersprache handeln könnte. Die Fehler, die von den Lernern in diesem Bereich gemacht werden, sind also vielmehr auf die nichtzielsprachige Präferenz zurückzuführen: „Die Lerner produzieren keine grammatisch falschen Sätze, aber sie verwenden Strukturen, die zwar in einem anderen Kontext durchaus möglich wären, von Muttersprachlern aber nicht gebraucht werden“ (ebd., S. 53).
Für die Untersuchung wurden zunächst muttersprachliche L1-Daten erhoben. Dafür wurden insgesamt 90 Probanden aufgenommen, die drei Gruppen mit jeweils dreißig tschechischen, russischen und deutschen Sprechern bildeten. Alle Probanden füllten einen Fragebogen aus, in dem biographische Daten und soziale Variablen ermittelt wurden. Dabei sollten Alter und Bildung bei den Versuchspersonen konstant gehalten werden. Aus diesem Grunde wurden für das Experiment Erwachsene im Alter von 20 bis 30 Jahren, meist Studierende herangezogen. In einem zweiten Schritt wurden L2-Daten erhoben, die von russischen und tschechischen Lernern des Deutschen (jeweils 15 Personen) produziert wurden (ebd., S. 54). Dabei war das (sehr) fortgeschrittene Niveau der L2 Deutsch ein für die Untersuchung äußerst wichtiges Kriterium.
Als Stimulusmaterial dienten 40 kurze Videoclips, die alltägliche Situationen aus dem realen Leben beinhalteten und in einem Durchgang ca. 15 Minuten dauerten. „Es handelte sich hier um eine Online-Versprachlichung von dynamischen, singulären Situationen, die als Ereignisse bezeichnet werden“ (Stutterheim 2003, zit. nach ebd., S. 55). Die Probanden sollten dabei eine Antwort auf die Frage „Was passiert gerade?“ geben. Das akustische Signal wurde zunächst digital aufgenommen und transkribiert. Anschließend wurden die transkribierten Daten kodiert und analysiert (ebd., S. 55).
Die Analyse von Schmiedtová/Sahonenko bezieht sich auf die folgenden drei Bereiche: Aspektgebrauch (nur für das Tschechisch und das Russische, Tempusgebrauch (alle drei Sprachen) und Markierung der Endpunkte (alle drei Sprachen). In der Studie geht es folglich einerseits darum, die Unterschiede zwischen den beiden slawischen Sprachen hinsichtlich des Aspektgebrauchs aufzuzeigen, andererseits, die daraus resultierenden Präferenzen in der L2 Deutsch bei der Versprachlichung der Bewegungsereignisse festzustellen: „Im Folgenden werden wir aufzeigen, dass die temporale Strukturierung der Ereignisse deutliche sprachspezifische Merkmale aufweist, die auch in der Zweitsprachproduktion der fortgeschrittenen Lerner vorhanden und auf die jeweilige L1 zurückzuführen sind“ (ebd., S. 56).
Die Ergebnisse der Studie zeigen, dass sich die beiden slawischen Sprachen, obwohl sie über das gleiche sprachliche Inventar verfügen, in Bezug auf den Aspektgebrauch erheblich voneinander unterscheiden.
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[1] Die Klassifikation nach Utz Maas 2005, S. 103.
[2] Siehe auch Langacker (1987): „Spatial motion is change through time in the location of some entity“(zit. nach. Di Meola 1994, S. 28).
- Arbeit zitieren
- Ekaterina Avalon (Autor:in), 2012, Gebrauch der Verbpartikeln bei russisch-deutschen Migranten, München, GRIN Verlag, https://www.hausarbeiten.de/document/209337