Meine Hausarbeit im Grundkurs Charisma behandelt das Thema Charisma nach dem Tod des Charismaträgers am Beispiel von Stefan George und Claus Schenk Graf von Stauffenberg. Meinen Schwerpunkt lege ich bei dieser Ausarbeitung auf die Bedeutung des Lebenslaufes und den persönlichen Erfahrungen Stauffenbergs, deren Tragweite ich für das durchgeführte Attentat gegen Adolf Hitler am 20. Juli 1944 für zentraler erachte als die Prägung durch Stefan George und seinen Kreis.
Erläuterung von Charisma nach dem Tod des Charismaträgers anhand von Max Webers Theorie und dem Beispiel Claus Schenk Graf von Stauffenberg und Stefan George.
Inhaltsverzeichnis
I. Einleitung und Theorie Max Webers zum Charisma nach dem Tod des Charismaträgers
1. Leitfragen, Thesen und Gliederung
2. Theorie Max Webers zum Charisma nach dem Tod des Charismaträgers
II. Wirkung und Nachwirkung Stefan Georges auf Claus Stauffenberg
1. Wirkung zu Georges Lebzeiten
2. Wirkung nach Georges Tod
III. Kurzbiographie, Motive und Weg zum Attentat anhand des Lebenslaufes
1. Prägungen aus Vergangenheit und Jugend
2. Militär und beginnende NS-Zeit
3. Endgültiger Wendepunkt: Reichspogromnacht
IV. Fazit: Gegenüberstellung Prägung durch George und sein Lebenslauf
V. Literatur- und Quellenverzeichnis
I. Einleitung:
1. Leitfragen, Thesen und Gliederung
Meine Hausarbeit im Grundkurs Charisma behandelt das Thema Charisma nach dem Tod des Charismaträgers am Beispiel von Stefan George und Claus Schenk Graf von Stauffenberg. Meinen Schwerpunkt lege ich bei dieser Ausarbeitung auf die Bedeutung des Lebenslaufes und den persönlichen Erfahrungen Stauffenbergs, deren Tragweite ich für das durchgeführte Attentat gegen Adolf Hitler am 20. Juli 1944 für zentraler erachte als die Prägung durch Stefan George und seinen Kreis.
Die genaue Fragestellung für diese Ausarbeitung lautet:
„Was befähigte Claus Schenk Graf von Stauffenberg zu einem aktiven Vorgehen gegen Hitler und das NS-Regime?“
Zur Beantwortung dieser Fragestellung habe ich zwei Thesen formuliert. Die These, welche ich im Gliederungspunkt II. erörtern werde lautet „Stefan George und seine Philosophie ist zwar eine Ursache für das Attentat, aber kein Auslöser“. Gliederungspunkt III. werde ich unter Berücksichtigung der These „Stauffenbergs Lebenslauf ist das prägendste Moment für die Entscheidung zum Attentat gegen Hitler“ analysieren.
Meine Arbeit ist folgendermaßen gegliedert. In der Einleitung werde ich zusätzlich Max Webers Theorie zum Charisma nach dem Tod des Charismaträgers anführen. Das dient dem Verständnis, was mit der Struktur des Charisma nach dem Wegfall des Charisma-Trägers passierte, anderseits aber auch um der Aussage nachzugehen, dass die Theorie Webers ihre Grenzen hat und nicht zwangsläufig zu allen charismatischen Strukturen und Entwicklungen des Charisma passt, beziehungsweise generell auf alle Fälle gleich angewendet werden kann. Danach beginne ich im Gliederungspunkt II. mit der Erläuterung der Wirkung und Nachwirkung Stefan Georges auf Claus Stauffenberg. Unterteilt ist dieser Punkt in die Zeit vor dem Tod, und die Zeit nach dem Tod Stefan Georges im Dezember 1933.
Der Hauptteil, Gliederungspunkt III., welcher eine Kurzbiographie, die Motive und den Weg zum Attentat anhand des Lebenslaufes von Claus Stauffenberg enthält, gliedert sich in drei Unterpunkte. Zuerst Stauffenbergs Vergangenheit, die Kindheit und Jugend, danach seine Militär- und die beginnende NS-Zeit und zuletzt den Wendepunkt in seinem Denken, die Reichspogromnacht, ihre Folgen und die Kriegszeit.
Im Fazit werde ich die Fragestellung und die Thesen wieder aufgreifen, sie beantworten und eine eigene Einschätzung abgeben.
Bei meiner verwendete Literatur stützte ich mich hauptsächlich auf Zeitschriftenartikel und Sekundärliteratur, welche das Leben von Claus Stauffenberg und den George Kreis behandeln. Bemerkenswert ist, dass viele dieser Bücher Aussagen von Zeitzeugen mit einbeziehen, sodass sich ein hohes Maß an Authentizität, auf der anderen Seite aber auch die Gefahr einer sehr subjektiven und daher vielleicht nicht ganz wahrheitsgemäßen Wiedergabe ergibt.
2. Theorie Max Webers zum Charisma nach dem Tod des Charismaträgers
Nach dem Tod oder dem „Wegfall“[1] des Charismaträgers, wie Max Weber es formuliert, ist als erstes die Frage entscheidend, ob überhaupt und wenn ja, wie die Nachfolger-Frage gelöst werden kann. Kann diese Frage beantwortet werden, besteht laut Max Weber die charismatische Gemeinde fort. In diesem Fall sind zuerst sechs verschiedene Formen der weiteren Existenz des Charisma möglich. Weber selbst bezeichnet sie als „Arten von Lösungen“[2]:
1. Das Neu-Aufsuchen eines Charisma-Trägers, welcher sich durch ähnliche Merkmale wie der Verstorbene qualifiziert. Hier findet durch den persönlichen Charakter eine Legalisierung von reinem Typus statt.
2. Die Legalisierung und Benennung eines neuen Charisma-Trägers durch eine Auslese Technik der Offenbarung. Der neue Charisma-Träger wird durch ein Gottesurteil, Orakel oder Los auserwählt.
3. Eine Nachfolger-Designation durch den bisherigen Charisma-Träger und die daraus folgende Anerkennung durch die Gemeinschaft.
4. Die Nachfolger-Designation und Auslese durch den charismatisch qualifizierten Verwaltungsstab der Gemeinde. Weber bezeichnet dies als eine „pflichtmäßig gebundene Auslese“[3] und versucht damit zu verdeutlichen, dass es sich in diesem Punkt um keine Wahl handelt.
5. Das Vorstellung von Charisma als einer „Qualität des Blutes“[4]: Durch die Idee, das Charisma sei an das Blut gebunden wird ein Nachfolger im direkten Verwandtschaftsumfeld des verstorbenen Charismaträgers gesucht.
6. Eine Versachlichung des Charisma und entstehendes Amtscharisma: Durch die Vorstellung, das Charisma durch ein „hierurgische [s] Mittel“[5], wie beispielsweise eine rituelle Salbung bei Priestern, übertragen wird. Dadurch ist der Glaube auf die charismatische Qualifikation des Amtes übergegangen und vom Charisma-Träger als Person losgesagt worden.
Resümierend lässt sich also festhalten, dass es zwei grundlegend verschiedene Möglichkeiten eines Fortbestehens der charismatischen Struktur nach Max Weber gibt. Zum einen die Ernennung oder das Aufsuchen eines durch persönliche Merkmale für das Amt des neuen Charisma-Trägers qualifizierten Nachfolgers durch den Verwaltungsstab oder zum anderen die Herstellung einer verwandtschaftlichen Bindung des Charisma an eine Persönlichkeit aus der Sippe des ursprünglichen Charisma-Trägers beziehungsweise ein strukturelles Fortbestehen des Charisma durch Erb- oder Amtscharisma.
Es lässt sich beim Ende der charismatischen Beziehung nach dem Tod des Trägers aber vermuten, dass die Vorstellung des Charisma-Gedankens zu stark an die Person des charismatischen Führers gebunden ist und die Gemeinschaft, gerade wenn sie, wie beim George-Kreis, nur aus wenigen Mitgliedern besteht, allein schon durch den Tod des Charisma-Trägers zerbricht und auseinander fällt. Es wäre durchaus denkbar, dass in einem solchen Fall nicht versucht wird, eine Nachfolger-Person zu bestimmen oder zu finden, da die gesamte Gemeinschaft stark vom Charismatiker und seiner Wirkung abhängig war. Die charismatische Struktur würde mit dem „Wegfall“ des Charisma-Trägers enden oder die charismatische Gemeinschaft sich selbst auflösen.
Es ist also, auch im Falle des George-Kreises genauso gut möglich, dass die charismatische Herrschaft mit dem Charisma-Trägers zerfällt, da das Charisma zu eng an die Persönlichkeit des Trägers gebunden war.
Im Falle von George trifft keine der sechs von Weber benannten Möglichkeiten auf die Entwicklung des Kreises zu. Stattdessen endet die charismatische Herrschaft mit dem Tod des Meisters und die Jüngerschaft verstrickt sich in Streitigkeiten um das Erbe. Dieser Aspekt des Charisma, kann in Max Webers Theorie in dieser Form allerdings nicht wieder gefunden werden.
II. Wirkung und Nachwirkung Stefan Georges auf Claus Stauffenberg
1. Wirkung zu Georges Lebzeiten
Am 20. Juli 1944 verübte Claus Schenk Graf von Stauffenberg ein Attentat auf Adolf Hitler. In der Auffassung, das Attentat wäre erfolgreich gewesen und Hitler somit tot, startete die „Operation Walküre“ und damit der Staatsstreich. Doch bereits kurz danach meldete Hitler sich lebendig und das NS-Regime stoppte den Versuch der Machtübernahme. Schon in der Nacht nach den Geschehnissen wird Stauffenberg zusammen mit seinen Mitstreitern verhaftet und erschossen. Im folgenden Hauptteil möchte ich thematisieren inwieweit der Dichter Stefan George und seine Prägung und inwieweit Stauffenbergs Vergangenheit, seine Vita und seine Erfahrungen verantwortlich gewesen sind für diesen rühmlichen Akt. Ich werde nicht versuchen, Stefan George und seine Philosophie als Grund für das Attentat zu widerlegen. Mein Ziel ist es, zu belegen, dass Stefan George eine Ursache für das Attentat ist, dass es aber ohne die Auslöser, die ich in Gliederungspunkt III. ausführen werde, nicht zu einem aktiven Vorgehen und somit einem Attentat gekommen wäre. Folglich wären Stauffenbergs Vergangenheit, sein Lebenslauf und seine Erfahrungen wichtiger als die Prägung durch den Dichter.
Die Leitfrage meiner Hausarbeit „Was befähigte Claus Schenk Graf von Stauffenberg zu einem aktiven Vorgehen gegen Hitler und das NS-Regime?“ werde ich im folgenden Gliederungspunkt II. berücksichtigen und versuchen, die erste These „Stefan George und seine Philosophie ist zwar eine Ursache für das Attentat, aber kein Auslöser.“ zu bestätigen.
Zu einem ersten Treffen der Stauffenberg-Brüder Alexander und Berthold mit Stefan George kam es im Jahre 1923. Claus Stauffenberg machte erst ein Jahr später die Bekanntschaft mit dem Dichter, konnte aber schon vorher durch Erzählungen seiner Brüder ein Gefühl entwickeln, welche Wirkung dieser Kreis entfaltete. Die zahlreichen Treffen waren geprägt von Verehrung und Zuneigung sowie Enthusiasmus und Begeisterung, nicht nur seitens Claus Stauffenbergs, der fasziniert war von dem Charisma Stefan Georges, sondern auch George selbst empfand Stauffenberg als nahezu vollkommen und einen Menschen, bei dem es keiner Erziehung an seinem Wesen bedarf.[6]
Die Begeisterung, die die Brüder dem Kreis entgegenbrachten beruhte also auf Gegenseitigkeit. Zufällig stieß Stauffenberg auch zu dem Kreis, als sich der Todestag des Stauffenkaisers Friedrich II. zum 700. Mal jährte[7]. Dieses kann vielleicht als bedeutsam für die Biographie eines national und vaterländisch geprägten jungen Mann festgehalten werden.
Die Begegnungen mit dem Dichter prägten Stauffenberg ohne Frage sehr in seinem Denken und Handeln. Allerdings gibt es kein Gedicht Georges, das eine eindeutige Forderung stellt, Hitler zu töten. Das ist auch kein Wunder, denn das Ziel Georges war zunächst komplett unpolitisch. Ein spezielles Gedicht verleitete ihn also nicht dazu, zum Attentäter zu werden. Trotz allem sind die Gedichte auch nicht außer Acht zu lassen, denn sie fungierten zwischen den Widerständlern als eine Art Geheimsprache. Diese führte dazu, dass Außenstehende die Gedichte als neutral interpretierten, die Widerständler aber konnten sie eindeutig einer bestimmten Richtung und Denkart zuweisen.[8] Allerdings ist das meiner Meinung nach sehr spekulativ und so nicht eindeutig zu belegen, ob George indirekt mit seinen Gedichten die Legitimation für ein Attentat oder etwas Vergleichbares gab.
[...]
[1] Weber, Max, Wirtschaft und Gesellschaft. Grundriss der verstehenden Soziologie. Tübingen 1972. S. 143.
[2] Ebd.
[3] Ebd.
[4] Ebd.
[5] Weber, Wirtschaft und Gesellschaft. S. 143.
[6] Hoffmann, Peter, Claus Schenk Graf von Stauffenberg. Die Biographie, 2. erweiterte und überarbeitete Auflage, München 2008, S. 57ff.
[7] Karlauf, Thomas, Stauffenberg. Eine Motivsuche, in: Sinn und Form 62,1, 2010, S. 5-17, hier: S. 15.
[8] Beyer, Marcel, Stefan George, die Brüder Stauffenberg und die Eindeutigkeit, in: Text und Kritik. Zeitschrift für Literatur 168, 2005, S. 35-46, hier: S. 41ff.
- Arbeit zitieren
- Julian Stasik (Autor:in), 2011, Charisma nach dem Tod des Charismaträgers, München, GRIN Verlag, https://www.hausarbeiten.de/document/208831