Augustinus in der Patristik, Thomas von Aquin und Martin Luther im Mittelalter und Karl Rahner in der Neuzeit gehörten zu den Protagonisten im Ringen um ein rechtes Verständnis der Gnade Gottes. Ihre Grundüberlegungen zur Gnadentheologie stehen im Mittelpunkt des ersten Teils dieser Arbeit.
Im zweiten Teil wird am Beispiel der Communauté de Taizé verdeutlicht, was Gnade heute bedeuten kann.
INHALTSVERZEICHNIS
A. Einleitung
B. Hauptteil
1. Theologiegeschichtliche Entwicklung der Gnadenlehre
1.1. Gnadenlehre in der Patristik
1.2. Gnadenlehre im Mittelalter
1.2.1. Thomas von Aquin
1.2.2. Martin Luther und das Konzil von Trient
1.3. Gnadenlehre in der Neuzeit
2. Taizé – ein Gnadenraum der Kirche von heute
C. Schluss
A EINLEITUNG
Gnade ist ein Grundwort des christlichen Glaubens, das in umfassender Weise die liebende Hinwendung Gottes zum Menschen bezeichnet. Der katholische Erwachsenenkatechismus beschreibt Gnade als „Gott selbst in seiner Selbstmitteilung an uns durch Jesus Christus im Heiligen Geist“.[1] Gnade stellt sich als die „Liebesgeschichte Gottes mit den Menschen“[2] dar, in der sich der dreifaltige Gott dem Menschen liebend zuwendet, sie ist aber auch gleichzeitig die Geschichte des Menschen in seiner Begegnung mit Gott, in der der Mensch „geöffnet, verändert, neu ausgerichtet und mit Leben erfüllt wird“[3].
In der nachbiblischen Zeit haben Fragestellungen nach der Bedeutung des göttlichen Gnadenhandelns für das Menschsein, nach dem Verhältnis von Freiheit und Gnade, nach der Natur des Menschen in Beziehung zum transzendenten Gott oder nach der Rechtfertigung des sündigen Menschen vor Gott in langen, oft kontroversen Prozessen zu vielen Transformationen des Gnadenbegriffs mit unterschiedlichen theologischen und anthropologischen Denkansätzen geführt. Augustinus in der Patristik, Thomas von Aquin und Martin Luther im Mittelalter sowie Karl Rahner in der Neuzeit gehörten zu den Protagonisten in diesem Ringen um ein rechtes Verständnis der Gnade Gottes. Die Grundaussagen ihrer Gnadenlehre stehen im Mittelpunkt des ersten Teils dieser Arbeit.
Im heutigen Leben der Kirche, in Predigt und Katechese, wird wenig über Gnade gesprochen. Dabei befindet sich der säkularisierte Mensch der Gegenwart inmitten seines funktionalen, durchrationalisierten Umfelds mehr denn je auf einer spirituellen Suche, in einem tiefen, oft unerkannten und unverstandenen Verlangen nach Gehör, nach Gemeinschaft, nach Liebe. Im zweiten Teil dieser Arbeit wird dargestellt, wie in der Communauté de Taizé Menschen auf diese Fragen Antworten des Lebens und des Glaubens finden und dabei erfahren, was Gnade heute bedeuten kann.
B. HAUPTTEIL
1. Theologiegeschichtliche Entwicklung der Gnadenlehre
1.1 Gnadenlehre in der Patristik
In der Zeit der Patristik (bis zum 8.Jh.) bilden sich in der Gnadentheologie unterschiedliche Auffassungen zwischen den kirchlichen Lehrern des Ostens und denen des Westens heraus.
In der östlichen Patristik entwickeln vor allem die drei kappadokischen Kirchenväter[4] die Lehre von der „Vergöttlichung“ des Menschen, die noch heute den Kern der ostkirchlichen Gnadenlehre darstellt. Der Mensch, als „Abbild Gottes“ (Gen 1,27) geschaffen, ist dazu bestimmt, an Gott Anteil zu haben und bei ihm seine Vollendung zu erfahren. Angesichts der durch den Sündenfall Adams verursachten Gottferne des Menschen zielt der Heilsplan Gottes auf die Wiederherstellung des geschöpflichen Abbildes im Menschen ab, wodurch dieser befähigt wird, zu seiner Bestimmung („Vergöttlichung“) zu gelangen. Das Heilshandeln Gottes offenbart sich in der Menschwerdung Jesu Christi, der als das wahre Vor- und Urbild des Menschen diesem den Weg weist, dem in ihm angelegten Bild Gottes wieder ähnlich zu werden und durch die Einwohnung des Heiligen Geistes, dem göttlichen „Erzieher“ der Glaubenden, seiner Vollendung entgegen zu wachsen.
Die westliche Patristik steht unter einem anderen Leitgedanken. In dem sog. Pelagianischen Streit[5] entfaltet der Kirchenvater Augustinus (gest. 430) eine Gnadenlehre, in deren Mittelpunkt das Verhältnis von menschlicher Freiheit und souveränem Gnadenhandeln Gottes steht. Nach Augustinus ist die menschliche Natur als geschaffene grundsätzlich gut, sie ist aber „zum Schlechten verkehrt“[6], weil durch die Ursünde Adams, dem Stammvater des Menschengeschlechts, alle Menschen mit dem Makel der Sünde behaftet sind. Während der Sündenfall Adams aus dessen Freiheitsentscheidung resultiert, ist die Natur der in seiner Nachfolge stehenden Menschheit, ohne dass sie etwas dagegen ausrichten könnte, durch die Erbsünde belastet. Auch das neugeborene Kind ist Augustinus zufolge trotz faktischer Sündlosigkeit nicht unschuldig, weil es die Bürde der von der Sünde Adams her vorhandenen Sündenschuld trägt und deshalb der Befreiung durch die Taufe als zuvorkommendem Gnadenhandeln Gottes, das dem Menschen die Teilhabe am Erlösungswerk Jesu Christi ermöglicht, bedarf. Für Augustinus ist die wirkliche Freiheit des Menschen, wie alles Gute, ein Gnadengeschenk Gottes. Durch Gottes Gnade wird der menschliche Wille überhaupt erst zur Freiheit bewegt. In der „Hinwendung seines Herzens“[7] zu Gott erlebt der Mensch seine Freiheit. Gnade ist die heilende Kraft Gottes, die die durch die Sünde verursachte „Verkrümmung“ und Zerrissenheit des Menschen aufhebt und so zur Freiheit befreit[8]. Sie ist „das innerliche Wirken Gottes im und am selbstsüchtigen Willen des Menschen“[9].
[...]
[1] Katholischer Erwachsenenkatechismus, Bonn ( Verband der Diözesen Deutschlands,Hg.) 1985, 249
[2] M. Eckholt, Der Mensch in der Gnade Gottes (GK LB 13). Hg. von Theologie im Fernkurs, Würzburg 2007, 9
[3] Th. Schneider (Hg), Handbuch der Dogmatik Bd.2, Düsseldorf (Patmos) 1992, 38
[4] Basilius der Große (gest. 379), Gregor von Nyssa (gest. n.394) u. Gregor von
Nazianz (gest. 390)
[5] Nach der der Lehre des aus Britannien stammenden Mönchs Pelagius (gest.um 431) besitzt der Mensch die naturgegebene Befähigung, aus eigenem Willen heraus gut zu sein. Auch wenn er sich für die Sünde entscheidet, verliert er diese Fähigkeit nicht, weil sie als Gottes Gabe der menschlichen Natur innewohnt.
[6] M. Eckholt, Der Mensch in der Gnade Gottes, 27
[7] M. Eckholt, Der Mensch in der Gnade Gottes, 28
[8] vergl. M. Eckholt, a.a.O.
[9] O.H. Pesch, Frei sein aus Gnade, Freiburg (Herder) 1983, 89