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Hausarbeit, 2011
18 Seiten, Note: 2,0
1 Einleitung
2 Der Heldenbegriff zu Zeiten Schillers
3 Tell als Held des Dramas - Handlungsdarstellung, Figurenrede und Charakterisierung
3.1 Tells (Helden-)Taten
3.1.1 Tell rettet Baumgarten
3.1.2 Die Apfelschuss-Szene
3.1.3 Die Ermordung Gesslers
3.2 Verschiedene Sichtweisen bezüglich Tells Heldentum
4 Schluss und Ausblick
5 Literaturverzeichnis
5.1 Primärliteratur
5.2 Sekundärliteratur
„Das Werck ist fürtrefflich gerathen, und hat mir einen schönen Abend verschafft.“[1] Mit diesen Worten beurteilt Goethe nach erstmaligem Lesen das Manuskript, das Friedrich Schiller ihm kurz zuvor zugesandt hatte. Die Rede ist hier von Schillers Drama Wilhelm Tell, veröffentlicht 1804, im selben Jahr in Weimar uraufgeführt. Das letzte fertiggestellte Drama Friedrich Schillers steht am Ende der Reihe seiner fünf klassischen Dramen, zu denen, neben Wilhelm Tell, die Wallenstein -Trilogie (1799), Maria Stuart (1801), Die Jungfrau von Orleans (1801) und Die Braut von Messina (1803) gehören.[2] Dabei kann Wilhelm Tell thematisch sehr gut in das Werkganze, und besonders in die klassischen Dramen des Autors, eingeordnet werden und steht somit repräsentativ für dieses: „Die wichtigste inhaltliche Gemeinsamkeit [der oben genannten fünf Werke] […] besteht in der durchgängig verhandelten Frage nach den Konstellationen der Macht und insbesondere nach der Legitimität von Herrschaft.“[3] Rein formal betrachtet bildet wohl in der Reihe der Dramen Schillers jedes für sich eine Singularität. Somit weicht auch Wilhelm Tell von der Gattungstradition ab: „Von der Dramenform her unterscheiden sie sich gerade zu extrem: […] das opernhafte, mit Kulissenbildern hintermalte und Musikeinlagen angereicherte Wilhelm Tell (1804) divergieren so stark, dass zurecht von einer Reihe radikaler Formexperimente gesprochen wird.“[4] Gerade deshalb ist das Gesamtwerk Schillers auch heute noch immer so interessant und facettenreich. Wilhelm Tell sticht dabei durch seine Massenszenen und ausführlichen Regieanweisungen, die oftmals auch „den Einsatz von Musikinstrumenten und Gesangsstimmen“[5] fordern, als „[theatralisches] Gesamtkunstwerk“[6] heraus. Außerdem zeigt sich die Vielfältigkeit und Komplexität dieses Stückes in den drei vorhandenen Handlungssträngen des Dramas, die das gesamte Werk thematisch gesehen besonders hervorheben: „So lassen sich mit der Tell-Handlung, der Rütli-Handlung und der Berta-Rudenz-Handlung zugleich verschiedene Dimensionen des Textes voneinander unterscheiden, die gleichwohl alle um die Frage nach der Freiheit kreisen; Wilhelm Tell ist ein Freiheitsdrama par excellence.“[7] Die Frage, die ich nun an den Gegenstand Wilhelm Tell herantrage, ist, in wieweit sich Tell als Held innerhalb dieses Dramas hervortut und ob er überhaupt als ein solcher bezeichnet werden kann. Diese Fragestellung ist von Relevanz, da der Rezipient des Werkes von Grund her davon ausgeht, dass der Protagonist Wilhelm Tell der Held des Werkes ist, einerseits aufgrund des Dramentitels und andererseits wegen der historischen Tell-Sage, auf die der Dramenstoff beruht. Ob dieser oberflächige Eindruck Tells als Helden sich auch nach genauerem Studieren des Dramentextes bewahrheitet, soll in dieser Arbeit mithilfe passender Textstellen analysiert werden. Aus dieser Fragestellung leitet sich die, für diese Arbeit den roten Faden gebende, These ab: Tell ist der Protagonist des Werkes, welcher zum Helden deklariert wird, sich selbst jedoch nicht als solcher wahrnimmt und deshalb Unstimmigkeiten in seinem Wesen und seiner aufgebürdeten Heldenhaftigkeit sichtbar werden. Zur Belegung dieser These werde ich als Erstes den Heldenbegriff zu Zeiten Schillers klären, um eine Grundlage für Vergleichsmomente Tells mit einem Helden zu schaffen. Im Folgenden werde ich mich der Frage widmen, was die drei großen Taten Tells (Rettung Baumgartens, Apfelschuss, Mord an Gessler) über seinen Charakter aussagen, um dann Unstimmigkeiten in Tells Wesen aufzudecken, die während dieser Taten sichtbar werden und was diese über die Heldenthematik allgemein aussagen. Am Ende werde ich versuchen zu klären, ob die Sichtweisen, die die außenstehenden Personen auf Tell haben sich hinsichtlich der Heldenthematik unterscheiden und wenn ja, inwiefern. Ziel dieser Hausarbeit ist demzufolge, zu erörtern, wie die Heldenthematik in Schillers Werk behandelt wurde. Als Primärliteratur dient mir dabei die Reclam-Ausgabe des Wilhelm Tell von 2000.
Schon immer in der Literatur präsent gewesen, durchlebt der Heldenbegriff im Laufe der Jahrhunderte bis heute einen Wandel. Wichtig für diese Arbeit ist, wie der Held zu Zeiten Schillers gesehen und dargestellt wurde. War im frühen 18. Jahrhundert „noch fast ausschließlich [der] Bedeutungsgehalt des kraftbegabten Einzelnen“[8] von Interesse, so wandelte sich die Bedeutung des Helden Mitte desselben Jahrhunderts hin zu „einem idealtypischen Vorbild, indem er [der Held] verschiedene Facetten der Tugendhaftigkeit in dieser Person konzentriert.“[9] Schließlich sei zu dem auch die Rolle innerhalb eines Werkes wichtig für das Erkennen des Helden: „Wer eine Hauptperson ist, ist auch ein Held.“[10] heißt hier das Ergebnis der Auswertung zeitgenössischer Schriften. Darüber hinaus wird noch eine wichtige „Aufgabe“[11] des „neuen Helden“[12] angesprochen, der „nun auch [,] verantwortungsbewusst für die Gemeinschaft“[13] zu handeln habe und „die vorbildhafte Anregung zur Nachahmung“[14] vermitteln solle. Im Weiteren soll nun unter anderem untersucht werden, inwieweit Wilhelm Tell diese Ansprüche an einen Helden erfüllt oder nicht.
Tell sieht sich selbst nicht als einen Helden, wird aber von diversen außenstehenden Personen oder Personengruppen zu einem erhoben. Ob Tell der Held in Friedrich Schillers Werk ist oder ob er nur zu einem deklariert wird, muss ganz genau untersucht werden. Dabei ist wichtig, wie sich einerseits Tells Charakter gestaltet und wie ihn andererseits außenstehende Personen wahrnehmen. Die Charakterisierung Tells erfolgt explizit und implizit, wobei die implizite Charakterisierung in dieser Arbeit den größeren Teil einnehmen soll, da diese Tells Taten mit einbezieht und ein schlüssiges Bild von Tells Selbstprojektion liefert. Weiterhin definieren sich die Personen im Werk über Handlung und Figurenrede.
Im gesamten Werk verrichtet Tell insgesamt drei markante und in sich verschiedene Taten: Die Rettung Baumgartens gleich zu Beginn der Handlung, die berühmt gewordene Apfelschuss-Szene und letztendlich den Mord an Geßler. Diese Taten geben die beste Grundlage für eine implizite Charakterisierung Tells. Dass diese drei Taten nicht allesamt als Heldentaten bezeichnet werden können, auch wenn sie dem Leser als solche erscheinen und welche Unstimmigkeiten und Unsicherheiten sich daraus in Tells Rolle als Held des Werkes ergeben, soll in den folgenden Unterkapiteln geklärt werden.
Die Rettung Baumgartens durch Tell gleich zu Beginn des Dramas (1. Aufzug, 1. Szene) kann zweifelsohne als echte, stimmige Heldentat benannt werden. Zudem kommt in diesem Abschnitt Tells grundlegender Charakter, der ihn besonders zu Beginn des Werkes auszeichnet, sehr gut zum Ausdruck sowie auch sein kontrastreiches, widersprüchliches Verhältnis zu Gott. Wie aus dem Nichts erscheint Tell in dieser Szene und eilt zur Hilfe. Kuoni und Werni nehmen ihn schon von Weitem wahr und erkennen ihn sofort: „Seht wer da kommt! // Es ist der Tell aus Bürglen.“ (V. 126-127) Tell ist demzufolge im Volke allgemein bekannt. Die Regieanweisung „Tell mit der Armbrust.“(S. 10 oben) gibt dem Leser bereits einen ersten Hinweis auf Tells Charakter. Er trägt anscheinend seine Jagdwaffe, die Armbrust, immer bei sich und ist somit jederzeit zur Jagd als auch theoretisch zum Kampfe bereit. Mit der Frage „Wer ist der Mann, der hier um Hülfe fleht?“(V.128) betritt Tell den Schauplatz und es scheint, er sei Baumgartens Ruf gefolgt und nur deshalb in diese Gegend gekommen. Präzise und knapp stellt er seine Frage. Tell ist kein Mann großer Worte, kein „Maulheld“. Er lässt lieber Taten sprechen. So ist er in dieser Szene im wahrsten Sinne der „Retter in der Not“, er legt also ein durchaus heldenhaftes Verhalten an den Tag. Auf die Bedenken und Warnungen Ruodis, der sich angesichts des Unwetters und des tobenden Sees weigert, Baumgarten zu helfen und ihn über den See zu bringen, antwortet Tell kühl und sicher mit eine seiner vielen Sentenzen[15] : „Wo’s not tut, Fährmann, lässt sich alles wagen.“(V. 136). Die Regieanweisung „Heftige Donnerschläge, der See rauscht auf“ (S. 10 mittig) verstärkt zusätzlich den Eindruck der großen Gefahr, welche mit der Überfahrt des Sees verbunden ist. Tell jedoch bleibt gelassen und redet weiter auf Ruodi ein, den Verfolgten zu retten und offenbart dabei einen grundlegenden Zug seiner eigenen Ansichten und Einstellung: „Der brave Mann denkt an sich selbst zuletzt […]“ (V. 139). Diese Aussage, abermals eine Sentenz, charakterisiert Tell implizit als einen selbstlosen Menschen, der seine eigenen Bedürfnisse zum Wohle anderer in den Schatten stellt. Weiterhin macht er im selben Satz eine Aussage über seinen Glauben: „[…]/Vertrau auf Gott und rette den Bedrängten.“ (V. 140). Tells Ansicht nach kann Gott den von Gefahr Bedrohten aus jeder misslichen Lage heraushelfen. Der Protagonist selbst setzt demnach ein starkes Vertrauen in Gott, dennoch wird deutlich, dass dieses Vertrauen nicht endlos ist. So trägt Tell stets die Armbrust bei sich, um gewappnet zu sein und nimmt die Rettung Baumgartens schlussendlich doch lieber selbst in die Hand als auf Gottes Hilfe zu setzen. Somit wird klar, dass er letzten Endes doch sich selbst mehr vertraut als Gott und dessen Macht. Es wird also innerhalb des Werkes ein Kontrast zwischen Tells Aussagen über sein Gottesvertrauen und seinem Handeln deutlich gemacht. So entschließt er sich mit den Worten „In Gottes Namen denn! Gib her den Kahn, / Ich will’s mit meiner schwachen Kraft versuchen.“ (V. 151-152). Auch hier betont er noch einmal seine Zugehörigkeit zu Gott und stellt sich der Gefahr in dessen Namen, tut es sozusagen an seiner Stelle. Der Protagonist glaubt also sehr an Gott, vertraut sich selbst jedoch, wenn Gefahr droht, am meisten. Dabei betont er besonders die, durch Menschenhand ausgeübte, Gefahr: „Wohl aus des Vogts Gewalt errett ich Euch, / Aus Sturmes Nöten muss ein anderer helfen. / Doch besser ist’s, Ihr fallt in Gottes Hand, / Als in der Menschen!“ (V. 155-158). Ihm ist folglich bewusst, dass er gegen die Natur nichts ausrichten und an dieser Stelle nur Gott helfen kann, doch soweit Menschenhand im Spiel ist, kann Tell, so drückt er es aus, sich gegen diese zur Wehr setzen. Er ehrt Gott und weiß um seine Allmächtigkeit. Ziemlich zum Ende der Szene, als Tell schon beschlossen hat, Baumgarten zu retten, kommt ihm seine Frau in den Sinn: „Landsmann, tröstet Ihr / Mein Weib, wenn mir was Menschliches begegnet, / […]“ (V. 159). Tell ist demzufolge völlig bewusst, dass ihm bei dieser Rettungsaktion etwas zustoßen könnte. Dabei betont er wieder, dass nur die Menschenhand („[…] was Menschliches[…]“) ihm Schaden zufügen könne. Frau und Kinder würde er in diesem Fall allein zurücklassen, das ist ihm völlig bewusst. Er denkt ganz kurz noch einmal an seine Frau, bevor er die Tat begeht, doch kann von großer Sorge um diese keine Rede sein. Er beauftragt einen beliebigen Hirten, seine Frau zu „trösten“, sollte ihm etwas zustoßen. Tell stellt somit die Rettung Baumgartens über das Wohl und den potenziellen Kumme seiner Frau. Dadurch kommt ein weiterer, grundlegender Wesenszug Tells zum Vorschein: Er entscheidet spontan, aus dem Bauch heraus und macht sich über etwaige Konsequenzen seines Handelns, für ihn selbst als auch für seine Angehörigen, nur begrenzt Sorgen. Er stellt sich als der kühne Retter dar, der seine Tat erledigen muss, koste es, was es wolle. Mit den Worten „Ich hab getan, was ich nicht lassen konnte.“ (V. 160) unterstreicht er diese Haltung, begibt sich in den Kahn und beginnt zusammen mit Baumgarten die gefährliche Überfahrt des tobenden Sees. Die Heldentat wird vollbracht und kann ganz klar als eine solche bezeichnet werden. Tell zeigt sich hier, zu Beginn des Textes, als in sich zwar nicht ganz stimmiger Charakter, besonders in Bezug auf sein Gottesvertrauen, aber dennoch als heroischer Retter.
[...]
[1] Luserke-Jaqui, Matthias: Schiller-Handbuch.Leben-Werk-Wirkung.Stuttgart/Weimar: J. B. Metzler 2005. S. 225.
[2] Oschmann, Dirk: Friedrich Schiller.Köln/Weimar/Wien: Böhlau Verlag 2009. S. 97
[3] Ebd. S. 101.
[4] Buschmeier, Matthias/Kauffmann, Kai: Einführung in die Literatur des Sturm und Drang und der Weimarer Klassik. Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft 2010. S. 98.
[5] Ebd. S. 111.
[6] Vgl. ebd.
[7] Oschmann, D.: Schiller. S. 115.
[8] Immer, Nikolas: Der inszenierte Held. Schillers dramenpoetische Anthropologie. Heidelberg: Universitätsverlag Winter GmbH 2008. Vgl. S. 47.
[9] Ebd. S. 48
[10] Immer, N.: Der inszenierte Held. S. 49.
[11] Ebd. S. 50.
[12] Ebd.
[13] Ebd.
[14] Ebd S. 51.
[15] sprichworthafter Merksatz