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Hausarbeit (Hauptseminar), 2012
29 Seiten, Note: 1,0
1 Einleitung
2 Kommunikation im Internet
2.1 Sprachliche Besonderheiten
2.2 Theoretische Modelle
2.2.1 Kanal-Reduktions-Modell
2.2.2 Social Information Processing Theory
2.2.3 Reduced Social Context Cues Theory
3 Anonymität im Internet
3.1 Positive Auswirkungen
3.2 Negative Auswirkungen
4 Cybermobbing
5 Fallbeispiel: Nana Davis
5.1 Untersuchungsgegenstand
5.2 MrMooMooChocolate und die Anonymität
5.3 Sprachliche Merkmale
6 Schlusswort
7 Anhang
7.1 Abbildungsverzeichnis
7.2 Quellenverzeichnis
Seit das Internet mitsamt seiner Möglichkeiten für die Menschen nutzbar ist, hat es sich ausgeweitet, verbessert und erneuert. Neue Seiten entstanden, neue Anwendungen wurden erschaffen und der computervermittelte Kommunikationsprozess auf mobile Geräte erweitert.
Für die neuen Entwicklungen hat sich das Schlagwort Web2.0 durchgesetzt. Web 2.0 assoziiert eine neue Dimension von Kommunikation und Interaktion im Netz, für welche die Ausdrücke social networking, collaboration und participation geläufig wurden.[1]
Neue Kommunikationswege eröffnen jedoch auch immer neue Kommunikationssituationen. Besonders die Diskussion über die Folgen der Anonymität im Internet ist weit verbreitet und wird häufig mit negativen Themen wie Cybermobbing und Internetkriminalität in Verbindung gebracht. Fördert Anonymität tatsächlich gesetzeswidriges, negatives Handeln? Und falls ja, wie macht es sich bemerkbar? Gibt es auch positive Auswirkungen?
Diese Arbeit wird sich mit den oben stehenden Fragen beschäftigen. Dabei liegt der Schwerpunkt auf den negativen Folgen, besonders auf Cybermobbing. Nach einer einführenden Betrachtung der computervermittelten Kommunikation wird in Kapitel 3 die Anonymität mitsamt ihrer Vor- und Nachteile beleuchtet. Anschließend rückt das Thema Cybermobbing in den Vordergrund, das nach einer theoretischen Betrachtung in Kapitel 4 schließlich direkt am Youtubefall Nana Davis aufgezeigt wird.
Mit der stetigen Entwicklung und Ausweitung von Internetangeboten vergrößert sich nicht nur die Vielfalt an Anwendungen und Möglichkeiten, um an Informationen zu kommen, sondern ebenso die Art und Weise der netzunterstützten Interaktion. Waren Internetmedienangebote früher einseitig und der Nutzer lediglich der Adressat, der von bestehenden Medieninhalten abhängig war, ermöglicht das Web 2.0 nun, dass Medieninhalte selbst verfasst, dupliziert und im großen Maße verbreitet werden können. Dabei ist die Kommunikation nicht mehr nur auf einzelne bekannte Personen beschränkt, sondern wurde auf eine große Masse auch unbekannter Nutzer erweitert.[2] Welche Auswirkungen hat das konkret auf die soziale Interaktion? Gibt es sprachliche Merkmale, die die computervermittelte Kommunikation (Computer-mediated communication, CMC) kennzeichnen? Und welchen Einfluss hat das auf die persönliche Öffentlichkeit, also jene persönliche Daten, die mittels Cyberspace für andere, auch fremde Nutzer, zugänglich sind?
Tina Fix nennt sechs emotionale Funktionen die erfüllt werden können, wenn ein Nutzer Internetinhalte verwendet und erstellt: Unterhaltung und Beseitigung der Langeweile, Stimmungsregulation und Entspannung, Eskapismus oder Ablenkung, Informationsgewinnung, Orientierung sowie die Funktion der Selbstfindung und Identifikation.[3] Geht man davon aus, dass diese Funktionen mittels CMC erfüllt werden und somit in der direkten Kommunikation mit anderen Internetnutzern, existieren zwei Möglichkeiten der Kontaktaufnahme: durch anonymes Interagieren oder öffentlicher Informationsweitergabe. Anonym handelt man genau dann, wenn die im Netz dargestellten Daten keine Rückschlüsse auf die reale Person außerhalb des Cyberspace zulassen.[4] Im Gegensatz dazu weisen die Informationen der persönlichen Öffentlichkeit auf die Person hinter dem Computerbildschirm hin, beispielsweise durch Fotos, Videos und charakterisierenden Texten. Das bedeutet jedoch keineswegs, dass die dargebotenen Angaben nicht selektiv sein können. Im optimalen Fall wird genau darauf geachtet, wer welche Informationen erhalten kann oder darf, um die eigene Persönlichkeit zu schützen – beispielsweise durch die Geheimhaltung der Kontodaten, Telefonnummer oder Adresse. Fraas zufolge ist „die persönliche Öffentlichkeit eine Sonderform online-basierter Öffentlichkeit“[5] und durch viele Merkmale gekennzeichnet. So seien die persönlichen Angaben persistent, da beinahe alle im Internet veröffentlichten Informationen dauerhaft gespeichert werden, duplizierbar und skalierbar – ihre Reichweite sei prinzipiell nicht eingeschränkt, sowie mittels Suchmaschinen auffindbar.[6] Die Risiken, die mit persönlicher Öffentlichkeit verbunden sind, werden in den Kapiteln 4 und 5 näher erläutert.
Um Informationen und Texte im Internet zu verbreiten, ganz gleich ob anonym oder nicht, nutzt man schriftbasierende oder audiovisuelle Medien. Im Zuge der anhaltenden Interneterweiterung mit immer neueren Plattformen und Interaktionsmöglichkeiten, verändern sich auch Textsprache und kommunikative Mittel.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Tabelle 1: Kommunikation im Internet
Problematisch bei einer Zuordnung von kommunikativen Mitteln in der CMC ist die Verschmelzung und Erweiterung der einzelnen technischen Möglichkeiten. So können E-Mails beispielsweise an eine einzelne Person, oder an eine Klein- bzw. Großgruppe versendet werden. Auch bei der Videotelefonie via Skype ist es mittlerweile möglich, mit entsprechender Webcam auch audiovisuell zu kommunizieren und das nicht nur in der one-to-one Kommunikation, sondern ebenfalls als Gruppentelefonie. Mit der Veränderung von Kommunikationskanälen und der steigenden Möglichkeit, immer mehr Menschen mit bestimmten Internetmedien zu erreichen, verändert sich auch die verwendete Sprache. Die Kommunikation der Nähe, die typisch für Face-to-Face Gespräche zwischen Freunden ist, erfährt im Web 2.0 eine exzessive Ausweitung. Wenn Rüdiger Weingarten sagt, dass „hinter den Begriffen konzeptionelle Mündlichkeit bzw. konzeptionelle Schriftlichkeit […] grundlegende Eigenschaften von Kommunikationssituationen [stehen]“ und „all diese Eigenschaften […] auf die kommunikative Distanz“ und kommunikative Nähe zwischen Kommunikationspartner zurückgeführt werden können,[7] betrifft dies nicht zwangsläufig auch die CMC. Persönliche Ansprachen bei sich unbekannten Personen, Du statt Sie, stellt hier nur ein Beispiel dar. Die Enträumlichung und Entkörperlichung,[8] die grundlegende Eigenschaften der netzbasierten Interaktion sind, schaffen somit eine Nähe, die es außerhalb des Cyberspace so nicht gibt. Konkret lässt sich dies am Fallbeispiel Nana Davis beobachten, das im Kapitel 5 näher beschrieben wird.
Im Folgenden sollen nun typische Eigenschaften der CMC aufgezeigt und erläutert werden.
Nayla Fawzi nennt Merkmale, durch die Face-to-Face Kommunikation von computervermittelter Kommunikation abgegrenzt werden kann. Durch die bereits oben erwähnte Entkörperlichung im Internet können „nonverbale Zeichen wie Gestik, Mimik, Körperhaltung, Blicke etc. […] nicht eingesetzt werden“,[9] was dazu führt, dass „in der virtuellen Welt unbewusste Körpersprache (z.B. Schwitzen und Rotwerden) sowie soziale Merkmale wie Alter, Status etc. nicht direkt vermittelt werden“[10] können. Daraus ergibt sich die Möglichkeit, anonym zu handeln, oder eine andere Identität anzunehmen.
Auch die Entzeitlichung bzw. Enträumlichung stellt einen direkten Gegensatz zur Face-to-Face Interaktion dar. Es ist im Internet demnach möglich, asynchron zu kommunizieren, was wiederum die Textualität kennzeichnet. Der Großteil an Gesprächen findet im Cyberspace in schriftlicher Form statt.[11] Um das Fehlen der nonverbalen Zeichen zu kompensieren, werden nun textsprachliche Zeichen an ihrer Stelle verwendet. Emoticons bzw. Ideogramme kennzeichnen beispielsweise ironische Bemerkungen, oftmals dargestellt durch das so genannte Zwinkern mittels Kombination aus Semikolon und Satzklammer, oder signalisieren humorvoll gemeinte Äußerungen, meist durch einen Doppelpunkt und nachgefolgter Satzklammer. Eine weitere Möglichkeit zur Darstellung von Eigenschaften, die sonst mittels nonverbaler Zeichen erkennbar sind, sind beschreibende Verben wie „grins“, „rotwerd“ und andere, die üblicherweise in sogenannte Asteriske („*“) eingebettet werden.[12] Ein weiterer Unterschied zwischen Face-to-Face Kommunikation und CMC ist zudem auch die Digitalisierung, die die Flüchtigkeit des gesprochenen Wortes umgeht und so die veröffentlichten Medieninhalte dauerhaft speichert und nachlesbar macht.[13] Welche konkreten sprachlichen Eigenschaften kennzeichnen die CMC ebenfalls und welche Funktionen erfüllen sie?
Zur Ökonomiefunktion gehören eine „verstärkte Verwendung von Kurzformen, durchgängige Kleinschreibung sowie der Verzicht auf Satzzeichen.“[14] Neben der Motivation, nonverbale Informationen zu übermitteln, stellt die deutliche Vereinfachung einen der Hauptgründe dar, um häufig Abkürzungen zu verwenden. So lassen sich ganze Sätze mit einem einzigen Ideogramm übermitteln, nämlich genau dann, wenn ein Smiley, also die Verbindung eines Doppelpunktes mit einer Satzklammer, die Aussagen „Das gefällt mir gut“ oder „Das freut mich“ übernimmt.[15] Das gleiche Ziel erreichen Internetnutzer ebenfalls durch die Abkürzung von Wörtern mittels Buchstaben oder Zahlen, wobei hier die Aussprache die jeweilige Abbreviatur bedingt. „CU“ steht in diesem Fall für das Englische „see you“ und die Zahl 8 bei „gute n8“ für das Substantiv „Nacht“. Besonders bei sehr häufig verwendeten Phrasen lässt sich dieses Phänomen beobachten.[16] Die Verwendung von durchgängiger Kleinschreibung und auch das Weglassen von Satzzeichen sieht Weingarten als ökonomische Vereinfachung, da es „wesentlich einfacher [ist], einen Text zu verfassen, wenn man nicht gezwungen ist, auf korrekte Groß- und Kleinschreibung zu achten.“[17] Die steigende Häufigkeit dieser Abkürzungen und Vereinfachungen sorgen zudem dafür, dass die verwendeten Mittel nicht mehr als störend empfunden werden, zumindest dann nicht, wenn sie den Interaktionspartnern geläufig sind.
Auch die Interpretationsfunktion kennzeichnet die Sprache der CMC. Zu ihr gehören Rechtschreibfehler, die Verwendung von Umgangssprache sowie fehlerhafte Grammatik.[18] Sie geben „maschinenschriftlichen Botschaften, die historisch eher formal und bürokratisch konnotiert sind, den Anstrich des Informellen und Ungezwungenen.“[19] Besonders im Internet Relay Chat (IRC) findet man
„nur selten hypotaktische Konstruktionen, was auf eine vorherrschende Nähe (konzeptionell mündlich) hinweist. Nebensätze treten oft isoliert vom eigentlichen Hauptsatz bzw. völlig ohne Hauptsatz in elliptischen Konstruktionen auf.“[20]
Zuletzt ist auch die Identitätsfunktion ein wichtiges Merkmal der computervermittelten Kommunikation. So unterstreicht die Verwendung von Anglizismen, Internet-Fachbegriffen und netzspezifischen Ausdrucksmitteln die Zugehörigkeit des Adressaten zu einer bestimmten Netzkultur oder Gruppe innerhalb des Cyberspace,[21] oder signalisiert „technisches Know-How, Gruppenidentität, Modernität und Jugendlichkeit.“[22]
Es muss jedoch betont werden, dass die hier besprochenen sprachlichen Eigenschaften der computervermittelten Kommunikation keineswegs festgelegten Konventionen entsprechen und somit fakultativ sind. Sie lassen sich fast immer nur in informellen Texten finden und werden selbst dort nicht von allen Nutzern verwendet.
Zusammenfassend kann gesagt werden, dass sich auffällige Unterschiede zwischen der CMC und Face-to-Face Kommunikation finden lassen und sich sprachliche Veränderungen besonders in informellen Texten positionieren. Dabei schaffen bestimmte verbale Mittel Nähe zwischen den Interaktionspartnern.
Im Folgenden sollen nun drei theoretische Modelle vorgestellt werden, die ausgehend von computervermittelter Kommunikation das Verhalten von Internetnutzern erklären, sowie entsprechende Vor- und Nachteile der CMC aufzeigen. Alle nachfolgenden Untersuchungen in den Kapiteln 3 bis 5 beziehen sich auf diese Theorien.
Ausgangspunkt der Kanal-Reduktions-Theorie
„sind die fünf menschlichen Sinne Sehen, Hören, Tasten, Riechen und Schmecken, die bei diesem Modell je einen Kanal darstellen, über den Informationen aus der physikalischen Umwelt aufgenommen werden und in das Erleben des Subjektiven eingehen.“[23]
Es wird davon ausgegangen, dass durch den medienbedingten Wegfall von vier Kanälen eine Entsinnlichung, Versachlichung, Entemotionalisierung, Mechanisierung und Entmenschlichung folgt[24] und damit die „Verarmung der Kommunikation auf psychosozialer Ebene eintritt.“[25] Typisch menschliche Eigenschaften wie Emotionalität und Unkalkulierbarkeit gingen somit „zu Gunsten von Ökonomie, Kommerz, Kontrollierbarkeit und Manipulierbarkeit verloren.“[26] Der Einwand, man könne als Ausgleich der fehlenden Kanäle Soundwörter (Knall, Zisch), Aktionswörter (*anstups*) und Ideogramme verwenden, wird von Vertretern der Kanal-Reduktions-Theorie zurückgewiesen. Die „genannten Substitute für nonverbale Kommunikation“ seien allenfalls eine „partielle Kompensation der gravierenden medialen Defizite und somit keine echten funktionalen Äquivalente für hochdifferenzierte Mimik, Gestik oder Proxemik.“[27] Besonders in Bezug auf die negativen Seiten der Internetnutzung, beispielsweise bei Cybermobbing und sexueller Belästigung in Jugendchats, wird zumeist auf das Kanal-Reduktions-Modell verwiesen. Gänzlich unbeachtet bleibt jedoch, dass sich die Kommunikationskanäle aufgrund der technischen Erweiterungen des Internets verändern und man mittlerweile via Internettelefonie auch audiovisuell agieren kann. Somit werden nicht nur ein sondern zwei Kanäle bedient. Auch findet CMC nicht ausschließlich zwischen fremden Personen statt, sodass zwischenmenschliche Kommunikation nicht „durch computervermittelte ersetzt, sondern eher ergänzt“ wird.[28]
Die Social Information Processing Theory oder Theorie der Soziale Informationsverarbeitung (TSI) wurde von Joseph Walther 1992 entwickelt. Als Ausgangspunkt dient die Annahme, dass der Mensch trotz technologischer Kommunikation das Bedürfnis hat, sich mittels Interaktion anderen anzunähern, persönliche Beziehungen aufzubauen und somit eigene Gefühle der Einsamkeit und Unsicherheit zu reduzieren. Aufgrund dieses Strebens sei der Internetnutzer in der Lage, die „fehlende[n] soziale[n] Hinweisreize und nonverbale[n] Kommunikationsinhalte durch sozial-kognitive Prozesse auszugleichen“,[29] indem er sich an die veränderte Kommunikationssituation anpasst. Persönliche nonverbale Informationen gingen also nicht, wie von Vertretern der Kanal-Reduktions-Theorie behauptet, verloren, sondern würden lediglich auf andere Weise ausgedrückt werden. Döring gibt zudem zu bedenken, dass wenn
[...]
[1] Fraas/Meier/Pentzold 2012, S. 14.
[2] Vgl. Fawzi 2009, S. 18.
[3] Vgl. Fix 2001, S. 41.
[4] Nähere Erläuterungen, sowie Vor- und Nachteile der Anonymität im Internet, finden sich im Kapitel 3.
[5] Fraas/Meier/Pentzold 2012, S. 43.
[6] Fraas/Meier/Pentzold 2012, S. 43.
[7] Vgl. Weingarten 1997, S. 60.
[8] Vgl. Fawzi 2009, S. 19.
[9] Fawzi 2009, S. 19.
[10] Fawzi 2009, S. 19.
[11] Vgl. Fawzi 2009, S. 19.
[12] Vgl. Weingarten 1997, S. 65.
[13] Vgl. Fawzi 2009, S. 19.
[14] Vgl. Döring 2003, S. 183.
[15] Vgl. Weingarten 1997, S. 75.
[16] Vgl. Weingarten 1997, S. 71.
[17] Weingarten 1997, S. 75.
[18] Vgl. Döring 2003, S. 184.
[19] Döring 2003, S. 184.
[20] Weingarten 1997, S. 80.
[21] Vgl. Döring 2003, S. 183.
[22] Weingarten 1997, S. 52.
[23] Dabiri/Helten 1998, Kapitel 2.2.2.1. Da es sich bei dieser Quelle um eine PDF-Datei ohne Seitenangaben handelt, wird im Folgenden lediglich auf das Kapitel verwiesen.
[24] Vgl. Dabiri/Helten 1998, Kapitel 2.2.2.1.
[25] Fawzi 2009, S. 19.
[26] Fawzi 2009, S. 19.
[27] Döring 2003, S. 151.
[28] Dabiri/Helten 1998, Kapitel 2.2.2.1.
[29] Fix 2001, S. 46.