1. Einleitung
Rund 20% der in der Bundesrepublik Deutschland lebenden Bevölkerung haben einen Migrationshintergrund.
1 Nicht erst seit Thilo Sarrazins Buch „Deutschland schafft sich ab“, wird
diskutiert, ob Deutschland ein Wohlfahrtsmagnet für Immigranten ist. Sarrazin versucht einen
möglichen Magneteffekt bereits dadurch zu manifestieren, indem er auf Studien des Statistischen
Bundesamtes verweist. Diese belegen, dass 28% der erwerbsfähigen Hilfebedürftigen
einen Migrationshintergrund haben.2
Doch reichen die alleinigen Feststellungen, dass in Deutschland rund 20% Personen mit
Migrationshintergrund leben, von denen 28% Arbeitslosengeld II (ALG II) oder Sozialhilfe
beziehen, bereits aus, um den Rückschluss zu ziehen, dass diese Personengruppe auf
Grund der Sozialtransfers nach Deutschland eingewandert ist? Hans-Werner Sinn, Präsident
des ifo Instituts für Wirtschaftsforschung, postulierte ähnlich wie Sarrazin, dass Deutschland
ein Migrationsmagnet für niedrigqualifizierte Immigranten sei.3 Andere Studien artikulieren,
dass die so genannten Magneteffekte – wenn überhaupt – nur marginal existent sind und
daher keinen Einfluss auf das Migrationsverhalten haben würden.4
Problematisch ist die Diskussion über mögliche Magneteffekte, da die Feststellung solcher
Effekte gleichzeitig eine Kritik an der Struktur des Sozialstaates sind. Denn Magneteffekte
basieren auf der Annahme, dass die Umverteilungsaktivität des Sozialstaates einen Einfluss
auf Migranten hat. Hierbei ist zu beachten, dass Sozialleistungen zwar per Gesetz schnell
geändert werden können, jedoch werden diese Kürzungen einen negativen Effekt auf das
Abstimmungsverhalten für die kürzende Partei bei folgenden Wahlen haben. Im Jahr 2003
bezogen rund 35 Millionen Personen in Deutschland Sozialleistungen vom Staat.5 Abzüglich
der nicht wahlberechtigten Ausländer und der Doppelzählungen blieben zirka 25 Millionen
Personen – sprich 41 % der Wahlberechtigten – die Sozialtransfers bezogen haben.6 Addiert
man zu diesem Wert die Wahlberechtigten hinzu, die zwar keine Sozialleistungen empfangen
aber den Rückbau des Sozialstaates als grundlegend ungerecht und falsch betrachten,
so steigt der Anteil der Wahlberechtigten, der eine Kürzung negativ beurteilt. Dies hat zur
Folge, dass die Regierung, die Kürzungen der Transferzahlungen eingeleitet hat, mit einer
sehr hohen Wahrscheinlichkeit in der nächsten Legislaturperiode die Opposition stellt. Eine
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
2. Definition Wohlfahrtsmagnet
2.1. Die Theorie des Wohlfahrtsmagneten
2.2. Gegenargumente zur Theorie des Wohlfahrtsmagneten
2.3. Arbeitsdefinition Wohlfahrtsmagnet
3. Der Wohlfahrtsmagnet Deutschland
3.1. Die Immigration der „Gastarbeiter“ nach Deutschland
3.2. Die heutige Immigration aus EU-Staaten
4. Schlussbetrachtung
5. Quellen- und Literaturverzeichnis
Abkürzungsverzeichnis
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
1. Einleitung
Rund 20% der in der Bundesrepublik Deutschland lebenden Bevölkerung haben einen Migrationshintergrund.1 Nicht erst seit Thilo Sarrazins Buch „Deutschland schafft sich ab“, wird diskutiert, ob Deutschland ein Wohlfahrtsmagnet für Immigranten ist. Sarrazin versucht einen möglichen Magneteffekt bereits dadurch zu manifestieren, indem er auf Studien des Statistischen Bundesamtes verweist. Diese belegen, dass 28% der erwerbsfähigen Hilfebedürftigen einen Migrationshintergrund haben.2
Doch reichen die alleinigen Feststellungen, dass in Deutschland rund 20% Personen mit Migrationshintergrund leben, von denen 28% Arbeitslosengeld II (ALG II) oder Sozialhilfe beziehen, bereits aus, um den Rückschluss zu ziehen, dass diese Personengruppe auf Grund der Sozialtransfers nach Deutschland eingewandert ist? Hans-Werner Sinn, Präsident des ifo Instituts für Wirtschaftsforschung, postulierte ähnlich wie Sarrazin, dass Deutschland ein Migrationsmagnet für niedrigqualifizierte Immigranten sei.3 Andere Studien artikulieren, dass die so genannten Magneteffekte - wenn überhaupt - nur marginal existent sind und daher keinen Einfluss auf das Migrationsverhalten haben würden.4
Problematisch ist die Diskussion über mögliche Magneteffekte, da die Feststellung solcher Effekte gleichzeitig eine Kritik an der Struktur des Sozialstaates sind. Denn Magneteffekte basieren auf der Annahme, dass die Umverteilungsaktivität des Sozialstaates einen Einfluss auf Migranten hat. Hierbei ist zu beachten, dass Sozialleistungen zwar per Gesetz schnell geändert werden können, jedoch werden diese Kürzungen einen negativen Effekt auf das Abstimmungsverhalten für die kürzende Partei bei folgenden Wahlen haben. Im Jahr 2003 bezogen rund 35 Millionen Personen in Deutschland Sozialleistungen vom Staat.5 Abzüglich der nicht wahlberechtigten Ausländer und der Doppelzählungen blieben zirka 25 Millionen Personen - sprich 41 % der Wahlberechtigten - die Sozialtransfers bezogen haben.6 Addiert man zu diesem Wert die Wahlberechtigten hinzu, die zwar keine Sozialleistungen empfan- gen aber den Rückbau des Sozialstaates als grundlegend ungerecht und falsch betrachten, so steigt der Anteil der Wahlberechtigten, der eine Kürzung negativ beurteilt. Dies hat zur Folge, dass die Regierung, die Kürzungen der Transferzahlungen eingeleitet hat, mit einer sehr hohen Wahrscheinlichkeit in der nächsten Legislaturperiode die Opposition stellt. Eine derartige Entwicklung steht jedoch im Kontrast zu der Ökonomischen Theorie der Politik, bei der ein Großteil der Politiker entweder auf eine lange Verweildauer im Amt hofft oder eine rationale Ideologie verfolgt, welche einen Wahlerfolg voraussetzt. Lediglich ideologische Politiker wären geeignet, einen nicht geringen Rückbau des Sozialstaates zu fordern und umzusetzen.7 Gerhard Schröder verkündete 2003 ein Konzept zur Reform des deutschen Sozialsystems und Arbeitsmarktes (Agenda 2010) und wurde dafür abgewählt. Es ist fraglich, ob künftige Politiker den Mut haben werden ähnliche Reformen durchzusetzen.
Ein weiterer Aspekt, der häufig in die Analyse von Magneteffekten einfließt, ist die politische Einstellung. Wenngleich ich nicht alle Thesen Sarrazins teile, so hat er es geschafft einen politisch kontroversen Sachverhalt - die nicht zielführende Zuwanderungs- und Integrations- politik Deutschlands - anhand von statischen Auswertungen darzustellen. Hierfür wurde und wird er weiterhin stark kritisiert. „Deutschland wird für ausländische Fachkräfte immer unat- traktiver - zugleich wandern qualifizierte Nachwuchskräfte aus, glaubt der Sachverständi- genrat für Integration. Schuld daran sei auch Thilo Sarrazin.“8 Der Optimismus hinsichtlich der Integration sei aufgrund von Sarrazins Analyse abgestürzt und es sei ein eklatanter Ver- trauensverlust zu diagnostizieren, konstatierte der Vorsitzende des Sachverständigenrats deutscher Stiftungen für Integration und Migration, Klaus Bade.9 Fraglich ist, was zuerst vor- handen war - Sarrazins Buch oder die Mängel des deutschen Sozialsystems, die zur Emi- gration von qualifizierten Kräften geführt haben.
Mit diesem Exkurs habe ich aufgezeigt, dass die Themen Integration, Migration und die Wirkung wohlfahrtsmagnetischer Effekte auf Migranten durch das Sozialsystem umstritten sind. In dieser Seminararbeit werde ich mich der Frage widmen:
Ist Deutschland ein Wohlfahrtsmagnet für Immigranten?
Um diese Frage klären zu können, werde ich folgende Teilfragen beantworten:
- Was ist ein Wohlfahrtsmagnet?
- Welche Ursachen kann Migration haben?
- Warum immigrieren diese Personen?
- Wie wirkt die bisherige Migration auf Deutschland?
- Wie zeigen sich mögliche Magneteffekte in Deutschland?
- Wie wirken die Freizügigkeitsrichtlinien der Europäischen Union vor dem Hintergrund von Magneteffekten?
Hierzu habe ich meine Arbeit wie folgt gegliedert.
Im zweiten Kapitel werde ich die Theorie von Borjas kurz darlegen, da sie die Grundlage für den weiteren Aufbau der Arbeit bildet. Daran anschließend werde ich die Gegenmeinungen zu der zuvor vorgestellten Theorie betrachten. Hierauf aufbauend werde ich meine persönli- che Definition eines Wohlfahrtsmagnets erörtern. Anhand dieser Definition werde ich die oben erwähnten Fragen analysieren. Im dritten Abschnitt dieser Arbeit werde ich die Frage diskutieren, ob Deutschland ein Wohlfahrtsmagnet ist. Um herauszufinden, ob Deutschland ein Wohlfahrtsmagnet war und gegebenenfalls weiterhin ist, werde ich die Immigration nach Deutschland in zwei Zeitabschnitte untergliedern. Zunächst werde ich die Frage eruieren, warum Deutschland in der Vergangenheit eine positive Nettomigration hatte und darlegen, inwieweit Magneteffekte auf Einwanderer gewirkt haben. Daran anschließend werde ich ana- lysieren, inwieweit mögliche Magneteffekte das Migrationsverhalten in Zukunft beeinflussen können. Hierbei werde ich im Besonderen die Migration aus Staaten der Europäischen Union
(EU) berücksichtigen. Die Arbeit endet im vierten Kapitel mit einer Schlussbetrachtung.
2. Definition Wohlfahrtsmagnet
Kann ein großzügig ausgestalteter Sozialstaat zusätzliche Wanderungsreize schaffen, die eine signifikante Zuwanderung in das Sozialsystem auslösen? „Es ist in der Umverteilungs- aktivität des Sozialstaates begründet. Da es im Wesen des Sozialstaates liegt, den Reichen zu nehmen und den Armen zu geben, wird die durch Lohndifferenzen gesteuerte Zuwande- rung verzerrt.“10 Hierdurch können für Leistungsempfänger Anreize generiert werden in die Staaten zu migrieren, deren Umverteilung von Reichen zu Armen vergleichsweise hoch ist.
2.1. Die Theorie des Wohlfahrtsmagneten
Borjas hat 1999 analysiert, inwieweit Migranten in den USA bei der Wahl ihres Wohnorts von den jeweiligen Sozialhilfeniveaus der Bundesstaaten beeinflusst werden.11 Wenn Immigran- ten ein einkommensmaximierendes Verhalten haben, so sind die Unterschiede in den Sozial- leistungen dafür verantwortlich, dass sich die Empfängergruppe von Sozialleistungen ver- stärkt in den Staaten aufhält, die die höchsten Leistungen auszahlen.12 Die Migrationsbereit- schaft von den in den USA einheimischen Leistungsempfängern ist beschränkt, da Migration Kosten verursacht und der erhöhte Leistungsbezug die Kosten nicht ausgleichen kann. Hie- raus ergibt sich, dass einheimische Empfänger von Sozialleistungen in den USA zufällig in den Bundesstaaten verteilt sind.13 Immigranten, die Transferleistungen beziehen, werden jedoch in den Bundesstaat migrieren, indem die Leistungen am höchsten sind, da ihre Immigrationskosten hoch sind und kein signifikanter Unterschied besteht, ob sie in Bundesstaat A oder B immigrieren.14 Borjas hat seine These anhand von empirischen Daten für die USA belegen können und konstatierte starke Magneteffekte durch hohe Sozialleistungen.15 Hiermit wurde festgestellt, dass Unterschiede in den Sozialversicherungssystemen der Bundesländer der USA die Wahl des Einwanderungslandes beeinflussen. Zusätzlich hat Borjas festgestellt, dass eine Änderung der Höhe der Sozialleistungen einen stärkeren Einfluss auf leistungsbeziehende Immigranten als auf leistungsbeziehende Einheimische hat. Den geringen Effekt von internen Wanderungsströmen in den USA auf Grund unterschiedlicher Sozialhilfeniveaus eruieren auch weitere wissenschaftliche Studien.16
Fraglich ist, ob die Studien aus den USA auch für den europäischen Raum anwendbar sind. Im weiteren Verlauf der Arbeit werde ich aufzeigen, ob unterschiedliche Sozialhilfeniveaus einen Unterschied für die Migration in der Europäischen Union (EU) beeinflussen. Borjas Ergebnisse hinsichtlich der Magneteffekte des Sozialsystems müssen jedoch kritisch be- trachtet werden. Zum einen basieren seine Ergebnisse besonders auf den Beobachtungen der Staaten New York und Kalifornien und zum anderen ist die beobachtete positive Korrela- tion zwischen Immigration und Höhe der Sozialleistungen nicht sehr hoch.17 Des Weiteren sind die Ergebnisse von Borjas nicht vollständig auf Deutschland anwendbar, da Deutsch- land eine andere Arbeitsmarktstruktur als die USA hat. Zudem haben die Immigranten der USA und Deutschlands unterschiedliche Herkunftsländer. Inwieweit die Theorie des Wohl- fahrtsmagneten auf Deutschland anwendbar ist, werde ich im späteren Teil dieser Arbeit darlegen.
2.2. Gegenargumente zur Theorie des Wohlfahrtsmagneten
In Anlehnung an Borjas wurde die Hypothese des Wohlfahrtsmagneten für zehn Mitglieds- staaten der EU in 2001 getestet.18 Anhand der Hypothese hätte sich zeigen müssen, dass überdurchschnittlich viele Immigranten sich in den Staaten konzentrieren, in denen die sozia- len Transfers verhältnismäßig großzügig sind. Bei der Hypothesenprüfung berücksichtigten Becker et al. jedoch nur Ausländer aus nicht EU-Staaten. Daher lassen die Ergebnisse keine Rückschlüsse auf eine interne Migration innerhalb der EU zu. Bezüglich der Magneteffekte eines großzügigen sozialen Sicherungssystems ist festzustellen, dass eine positive Korrela- tion zwischen der Höhe der Sozialleistungen und der Wahrscheinlichkeit des Bezugs dieser Leistungen von Immigranten besteht.19 Jedoch stellen sie gleichzeitig fest, dass dieser Effekt sehr gering ist. Die wesentlich höhere Quote leistungsempfangender Migranten im Vergleich zu leistungsempfangenden Einheimischen sei nicht allein auf die Magneteffekte eines So- zialstaats zurückzuführen. Vielmehr müssen andere Faktoren hierbei berücksichtigt werden. Immigranten sind keine kompletten Substitute zu der einheimischen Arbeitsbevölkerung. Dies ist bereits daran erkennbar, dass sie in der Regel die Sprache weniger gut wie Einhei- mische beherrschen. Hierdurch haben sie Nachteile auf dem Arbeitsmarkt. Zudem ist es möglich, dass Migranten auf dem Arbeitsmarkt auf Grund ihrer Herkunft diskriminiert werden, wodurch die Wahrscheinlichkeit eine Anstellung zu finden stark reduziert wird. Diese Diskri- minierung kann mitunter vergleichsweise niedrige Löhne zur Folge haben, wodurch die At- traktivität arbeiten zu gehen reduziert wird.
Ferner ist es möglich, dass im Ausland erworbene Qualifikationen in Deutschland nicht anerkannt werden.20 Die aufgeführten Faktoren können dazu führen, dass die Wahrscheinlichkeit des Bezugs von Sozialleistungen für Immigranten höher ist, als die Wahrscheinlichkeit, dass Einheimische Transferleistungen beziehen.
Ein weiterer Kritikpunkt an der Theorie des Wohlfahrtsmagneten ist, dass Immigranten nicht wegen großzügiger Sozialsysteme einwandern.21 Vielmehr sei der Auslöser für die Migration, dass Immigranten in dem Empfängerländern einen wesentlich höheren Lohn für ihre Arbeit erzielen können. Auf den ersten Blick ist diese Argumentation stichhaltig, da das Lohnniveau in den Heimatstaaten der Migranten in der Regel geringer ist. Die Theorie von Magneteffek- ten durch großzügige Sozialversicherungssysteme basiert jedoch auf der Idee der Einkom- mensmaximierung von Migranten. Daher ist fraglich, ob die Argumentation, dass Migration durch erhöhte Arbeitsentgelte im Empfängerland ausgelöst wird, die Theorie des Wohl- fahrtsmagneten ausschließt. Im späteren Kapitel dieser Arbeit werde ich zeigen, dass es auf die Ausgestaltung des jeweiligen Sozialstaats ankommt, um abschließend beurteilen zu kön- nen, ob Magneteffekte vorliegen. Ich werde zeigen, dass erhöhte Arbeitsentgelte im Emp-
H./Epstein, G./McCormick, B./Saint-Paul, G./Venturi, A./Zimmermann, K.: Managing Migration in the European Welfare State, ohne Ort 2001, einsehbar auf: http://www.frdb.org/upload/file/paper1_23jun01.pdf (Stand: 15.03.2012)
fängerland durch den Sozialstaat hervorgerufen werden können. Dies bedeutet, dass der erreichbare Lohn für Migranten auf das Sozialsystem des Empfängerlandes zurückzuführen ist. Schlussendlich bedeutet dies, dass Lohndisparitäten zwischen Sende- und Empfänger- land nicht die Theorie von Magneteffekten ausschließen. Selbst wenn die Migration lediglich auf Grund der Einkommensmaximierung durch Lohndisparitäten stattfindet, ist - wie ich in Kapitel 3.1 zeigen werde - dies kein hinlängliches Ausschlusskriterium für die Theorie der Magneteffekte.
Im Gegensatz zu Borjas, der Immigration auf das Ziel der Einkommensmaximierung der Mi- granten zurückführt, müssen jedoch weitere Faktoren berücksichtigt werden. Netzwerkeffek- te können einen Einfluss auf die Entscheidung potenzieller Zuwanderer haben. Zavodny be- schreibt, dass diese Netzwerkeffekte einen höheren Einfluss auf die Wahl des Zuwande- rungslands haben, als die Magneteffekte des Sozialsystems. Er führt aus, dass sich Immi- granten besonders dort niederlassen, wo bereits eine größere Anzahl an Personen mit Mi- grationshintergrund vorhanden ist. Der Magneteffekt sei daher nicht existent und die Ballung in den Staaten mit hohen Sozialleistungen basiere auf der Tatsache, dass frühe Immigranten sich überproportional in den Staaten niedergelassen hätten, die großzügige Sozialversiche- rungssysteme haben.22 Fraglich ist, ob Zavodny mit der Einschätzung richtig liegt. Unbestrit- ten ist die Tatsache, dass Personen mit ähnlichen sozialen Bedingungen sich räumlich nah beieinander aufhalten. Dies ist bereits daran zu erkennen, welche Personen in einzelnen Stadtvierteln wohnen. In einem gehobenen Stadtviertel werden wenig Sozialhilfeempfänger wohnen und Personen mit einem guten Einkommen werden sich selten in Großwohnsied- lungen oder Plattenbausiedlungen niederlassen. Aufbauend auf dieser Milieu-Theorie23 wer- den potenzielle Immigranten in die Staaten ziehen, in denen bereits eine gewisse Anzahl an Personen mit Migrationshintergrund ist. Die Netzwerkeffekte schließen jedoch die Magnetef- fekte des Sozialstaats keineswegs aus, wie Zavodny zu behaupten versucht. Selbst wenn die Netzwerkeffekte heute einen größeren Einfluss auf die Migrationsentscheidung haben sollten, als die Magneteffekte, ist fraglich, warum frühere Migranten sich überproportional in den Staaten niedergelassen haben, die hohe Sozialversicherungssysteme haben. Entweder ist diese Akkumulation zufällig erfolgt oder es haben andere, empirisch belegbare Faktoren gewirkt - die Magneteffekte. Da Immigranten ein zusätzlicher Anreiz durch die Netzwerkef- fekte gegeben wird, verstärken diese die Magneteffekte und schließen sie nicht aus.
[...]
1 Vgl. Knuth, M./Brussig, M.: Zugewanderte und ihre Nachkommen in Hartz IV, in: Bundeszentrale für politische Bildung, APuZ, 48/2010, Arbeitslosigkeit, November 2010, S. 26.
2 Vg.. Sarrazin, T.: Deutschland schafft sich ab. Wie wir unser Land aufs Spiel setzen, 1. Auflage 2012, München 2012, S. 285.
3 Vgl. Sinn, H.-W.: Ist Deutschland noch zu retten?, 4. Auflage 2008, München 2008, S. 459-521. und vgl. Sinn, H.-W.: ifo Standpunkt Nr. 123: Der Migrationssturm, München 2011.
4 Vgl. Nannestad, P.: Immigration and welfare states: A survey of 15 years of research, in: European Journal of Political Economy 23, Aarhus 2007, S.517.
5 Vgl. Sinn (2008), S.333.
6 Vgl. ebd., S. 334.
7 Vgl. Strom, K.: A Behaviorial Theory of Competitive Political Parties, in: American Journal of Political Science, Vol. 34, No. 2, Austin 1990, S. 565-598.
8 Reimann, A.: Forscher geben Sarrazin Mitschuld an Abwanderung, auf: http://www.spiegel.de/politik/deutschland/0,1518,756735,00.html (Stand: 15.03.2012)
9 Vgl. Reimann, A.: Forscher geben Sarrazin Mitschuld an Abwanderung
10 Vgl. Sinn (2008), S. 486.
11 Vgl. Borjas, G.: Immigration and Welfare Magnets, in Journal of Labor Economical, Vol 17, No. 4, Chicago 1999, S. 607-637.
12 Vgl. Borjas (1999), S. 634.
13 Vgl. ebd., S. 635.
14 Vgl. Borjas (1999), S. 635
15 vgl. ebd., S. 635f..
16 Vgl. hierzu: Blank, R.: The Effect of Welfare and Wage Levels on the Location Decision of Female Households, in: Journal of Urban Economics, Vol. 24, No. 1, New York et al. (1988) S. 1-21 und vgl. Levine, P. / Zimmermann, D.: An Empirical Analysis of Welfare Magnet Debate Using the NLSY, in: Journal of Population Economics, Vol. 12, No. 3, Berlin/Heidelberg 1999, S. 391-409.
17 Vgl. Bauer,T.: Migration, Sozialstaat und Zuwanderung, IZA Diskussion Paper No. 505, Bonn 2002, S. 6.
18 Die für die Überprüfung der Hypothese genommenen Staaten waren: Belgien, Dänemark, Deutschland, Finnland, Frankreich, Griechenland, die Niederlande, Österreich, Spanien und Großbritannien. Vgl. Brücker,
19 Vgl. Brücker et. al. (2001), S. 82.
20 Vgl. ebd., S. 77-79.
21 Vgl. Bauer (2002), S.6f..
22 Vgl. Zavodny, M.: Determinants of recent immigrants` locational choices, in: International Migration Review, Vol. 33, No. 4, S. 1014-1030.
23 Vgl. Weigel, Tilman: Keiner will mehr Mitte sein, einsehbar auf: http://www.sueddeutsche.de/wissen/deutschlands-gesellschaft-keiner-will-mehr-mitte-sein-1.1003475 (Stand: 23.03.2012)