„Der Versuch, Begriffe wie „Ethnie“, „Ethnische Gruppe“ und „Ethnizität“ für den akademischen
Sprachgebrauch aufzuhellen, führt in ein unwegsames Terrain, das durch hohe Wertladungen
bzw. starke normative Konnotationen der darin eingeschlossenen Termini markiert ist.“
Die Variationsbreite der Definitionsmöglichkeiten der zu behandelnden Begriffe ist groß und
geeignet Bände zu füllen. Der vorliegende Aufsatz kann deshalb nur Ansatz sein und einen
groben Überblick bieten.
„Stamm gehörte bis in die 70er Jahre zu den klassischen Begriffen der Völkerkunde (wie auch
„Dorf“ oder „isolierte Gemeinschaft“); von diesem Wort leitet sich der Tribalismus
(Stammesbewusstsein, -zugehörigkeitsgefühl) her. Gleichzeitig ist es einer der umstrittensten
Begriffe.
Der „Stamm“ wird bei ILLIFE (1979) als kulturelle Einheit bezeichnet, mit einer gemeinsamen
Sprache, einem einzigen Sozialsystem und einem einheitlichen Gewohnheitsrecht. Die
Mitgliedschaft sei erblich, das soziale und politische System gründe sich auf Verwandtschaft.2
Dies ist die klassische objektivistische Sichtweise: der Stamm (und damit der Tribalismus oder
die Ethnizität, wie es später heißen wird) wird als eine statische, gewissermaßen ontologische
Gegebenheit gesehen, definierbar durch objektiv angebbare Gemeinsamkeiten. Von den
Vertretern der diversen objektivistischen Theorien wird der Stamm häufig als eine politische,
wirtschaftliche, soziale, religiöse und kulturelle Einheit gesehen, ausgestattet mit einem
gemeinsames Territorium.
Diese Position kann mit gutem Recht als realitätsfern gelten und ist mittlerweile überholt; die
genannten Charakteristika korrespondieren in den seltensten Fällen mit der Wirklichkeit, weder
heute noch zu irgendeinem Punkt der Vergangenheit.
Als Stamm können so unterschiedliche soziale Gebilde bezeichnet werden, wie die Zulu in
Südafrika, die seit weniger als zwei Jahrhunderten unter diesen Namen firmieren und
zahlenmäßig eine größere Gruppe bilden als die Französischkanadier; die !Kung-Jäger-
Sammler aus Botswana und Namibia, die nur einige hundert Köpfe zählen; oder das
Millionenvolk der Yoruba in Nigeria und Benin, die eine achthundertjährige wechselvolle
Geschichte aufweisen, die in ihrer Komplexheit der europäischen nicht nachsteht. Weiterhin haftet dem Begriff ein negativer Beigeschmack an; eine Palette von Vorurteilen und
Missverständnissen schwingt mit, die eher dazu beiträgt, die Realität zu simplifizieren und zu
verschleiern, statt sie zu erklären: [...]
Inhaltsverzeichnis
- Begriffsdiskussion: „Stamm“, „Tribalismus“, „Ethnische Gruppe“ und „Ethnizität“
- Ethnizität im Fluß der afrikanischen Geschichte
- Die vorkoloniale Phase - „fließende Grenzen❝
- Die koloniale Phase - „divide et impera\"\n
- Die nachkoloniale Phase - „nation building“
- Die Rolle der Ethnizität im sozialen Wandel
- vor der Unabhängigkeit
- nach der Unabhängigkeit
- Die Städte im Brennpunkt ethnischer Strukturierungsprozesse – Fallbeispiel Kenia
- Ethnische Konflikte - „Politisierte Ethnizität“
- Beschreibende Analyse - Fallbeispiel Tanzania
- Fazit
Zielsetzung und Themenschwerpunkte
Die vorliegende Hausarbeit befasst sich mit der Thematik von Ethnizität und Tribalismus in Afrika südlich der Sahara. Sie analysiert die sozialen und räumlichen Herausforderungen, die mit diesen Konzepten verbunden sind, und beleuchtet die Entwicklung des Phänomens im Laufe der afrikanischen Geschichte.
- Begriffsdefinitionen von „Stamm“, „Tribalismus“, „Ethnische Gruppe“ und „Ethnizität“
- Die Rolle der Ethnizität in der vorkolonialen, kolonialen und nachkolonialen Geschichte Afrikas
- Der Einfluss von Ethnizität auf den sozialen Wandel in Afrika
- Fallbeispiele von Kenia und Tansania, die die Auswirkungen von ethnischer Strukturierung auf städtische Räume und Konflikte beleuchten
- Die Bedeutung von „Politisierter Ethnizität“ im Kontext von Konflikten
Zusammenfassung der Kapitel
Kapitel 1 beleuchtet die Definitionsvielfalt der Begriffe „Stamm“, „Tribalismus“, „Ethnische Gruppe“ und „Ethnizität“. Es werden unterschiedliche Ansätze, von objektivistischen bis hin zu subjektivistischen Positionen, diskutiert und die problematische Verwendung des Begriffs „Stamm“ in der Vergangenheit hervorgehoben.
Kapitel 2 untersucht die Entwicklung der Ethnizität im Laufe der afrikanischen Geschichte, gegliedert in die drei Phasen: Vorkolonial, Kolonial und Nachkolonial. Die Analyse zeigt, wie die Kolonialzeit mit ihrer „divide et impera“-Strategie die ethnischen Strukturen in Afrika maßgeblich beeinflusst hat.
Kapitel 3 widmet sich der Bedeutung von Ethnizität für den sozialen Wandel in Afrika sowohl vor als auch nach der Unabhängigkeit. Es werden die komplexen Zusammenhänge zwischen Ethnizität, Klassenbildung und Nationenbildung betrachtet.
Kapitel 4 verwendet das Fallbeispiel Kenia, um die Rolle von Ethnizität in der Strukturierung städtischer Räume zu untersuchen. Die Arbeit analysiert die ethnischen Spannungen und Konflikte, die in den Städten auftreten.
Kapitel 5 widmet sich dem Phänomen der „Politisierten Ethnizität“, also der Instrumentalisierung von ethnischen Identitäten im Kontext von Konflikten.
Kapitel 6 betrachtet das Beispiel Tansania und analysiert die Herausforderungen, die mit der ethnischen Zusammensetzung der Gesellschaft verbunden sind.
Schlüsselwörter
Die Hausarbeit befasst sich mit den Schlüsselbegriffen Ethnizität, Tribalismus, soziale und räumliche Problematik, afrikanische Geschichte, Kolonialismus, „divide et impera“, soziale Konstruktion, Selbst- und Fremdzuschreibung, Konflikt, Politisierung, Fallbeispiele Kenia und Tansania.
- Quote paper
- Thomas Mader (Author), 2000, Ethnizität und Tribalismus in Afrika südlich der Sahara in ihrer sozialen und räumlichen Problematik, Munich, GRIN Verlag, https://www.hausarbeiten.de/document/19948