Einleitung
Die Sprache ist das wichtigste Kommunikationsmittel der Menschen. Die
Realisierungsmöglichkeiten der menschlichen Sprache erscheinen in zwei verschiedenen medialen Ausprägungen. Einerseits als gesprochene, andererseits als geschriebene Sprache. Während Laute akustisch mit dem Ohr wahrgenommen werden, geschieht dies in Hinblick auf Schriftzeichen optisch mit dem Auge.
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In der Sprachwissenschaft versteht man unter den Termmini ‚gesprochene'/'mündlich' und ‚geschriebene'/'schriftlich' vielfach einzig die Art der materiellen Realisierung sprachlicher Äußerungen. Dies bedeutet entweder eine Manifestation in Form von Lauten (phonisch), oder von Schriftzeichen (graphisch). Dieses Unterscheidungsmerkmal ist in der Praxis jedoch meist nicht ausreichend. Es kann durchaus sowohl zu einer phonisch realisierten Äußerung, die allgemein nicht der Vorstellung von ‚Mündlichkeit" entspricht (Nachrichten, Predigt etc.), als auch zu einer graphisch realisierten Äußerung kommen, die wiederum Vorstellung von geschriebener Sprache entspricht. Diese würde dann, wie im
Falle eines Liebesbriefs, nicht mehr unter den Begriff der ‚Schriftlichkeit" fallen.
Im Fokus dieser Arbeit steht eine Untersuchung der Tagesthemen sowie der Tagesschau bzgl. dieser Thematik. Die phonisch realisierten Äußerungen der Nachrichtensprecher werden auf nachweisbare schriftliche Merkmale untersucht. Dadurch soll verdeutlicht werden, dass diese mündlich vorgetragenen Nachrichten ihren Ursprung in der Schriftlichkeit haben. Zusätzlich für diese Arbeit von Relevanz wird sein, nachzuweisen, ob eine der beiden Nachrichtensendungen zur
Schriftlichkeit bzw. Mündlichkeit tendiert. Zunächst werden aber im Folgenden die Merkmale gesprochener und geschriebener Sprache erläutert. Des Weiteren sollen die theoretischen Modelle von Koch/Oesterreicher und Quasthoff beschrieben und anschaulich dargestellt werden.
Inhaltsverzeichnis
1 Einleitung
2 Das Spannungsfeld von Mündlichkeit und Schriftlichkeit
2.1 Allgemeine Merkmale gesprochener und geschriebener Sprache
2.1.1 Einfachheit und „Unvollständigkeit“
2.1.2 Thema-Rhema-/Rhema-Thema-Abfolge
2.1.3 Subjektivität/Objektivität
2.1.4 Spezifische Textkonstitutionen/Frequenzen
2.2 Unterscheidung zwischen medialer und konzeptioneller Mündlichkeit und Schriftlichkeit
2.2.1 Das Modell von Koch/Oesterreicher (1985/95)
2.2.2 Somatische Kommunikation nach Quasthoff (1997)
3 Unterschiede zwischen Tagesthemen und Tagesschau
4 Hypothese
4.1 Eine Analyse der Tagesthemen und der Tagesschau
4.1.1 Elemente von Schriftlichkeit in der Tagesschau
4.1.2 Elemente von Schriftlichkeit in den Tagesthemen
4.1.3 Elemente von Mündlichkeit in der Tagesschau
4.1.4 Elemente von Mündlichkeit in den Tagesthemen
5 Fazit
Literaturverzeichnis
1 Einleitung
Die Sprache ist das wichtigste Kommunikationsmittel der Menschen. Die Realisierungsmöglichkeiten der menschlichen Sprache erscheinen in zwei verschiedenen medialen Ausprägungen. Einerseits als gesprochene, andererseits als geschriebene Sprache. Während Laute akustisch mit dem Ohr wahrgenommen werden, geschieht dies in Hinblick auf Schriftzeichen optisch mit dem Auge. Eine Ausnahme hier bildet die Gebärdensprache der Gehörlosen, die sich auf rein gestische Aspekte beschränkt, welche in dieser Arbeit jedoch nicht berücksichtigt wird. Dennoch bedingen sich Schreiben und Sprechen gegenseitig.1
Aus historischer Sicht herrschte bis ins 20 Jahrhundert hinein die Auffassung der systematischen Priorität der mündlichen Sprache („Primat der gesprochenen Sprache“)2, da dies ein spontaner Prozess ist, der automatisch bereits im Kindesalter erlernt wird. Die geschriebene Sprache hingegen erscheint als zweitrangiges Phänomen, da sie als die graphische Realisierung von mündlicher Sprache angesehen wird. Es existierte keine konzeptionelle Differenzierung. Mit der Durchsetzung der relativen Autonomie von gesprochener und geschriebener Sprache3, wird die rein mediale Unterscheidung von mündlicher und schriftlicher Sprache überwunden und von einer konzeptionellen Dimension ergänzt.4
In der Sprachwissenschaft versteht man unter den Termini ‚gesprochene / mündlich und ‚geschriebene / schriftlich vielfach einzig die Art der materiellen Realisierung sprachlicher Äußerungen. Dies bedeutet entweder eine Manifestation in Form von Lauten (phonisch), oder von Schriftzeichen (graphisch). Dieses Unterscheidungsmerkmal ist in der Praxis jedoch meist nicht ausreichend. Es kann durchaus sowohl zu einer phonisch realisierten Äußerung, die allgemein nicht der Vorstellung von ‚Mündlichkeit entspricht (Nachrichten, Predigt etc.), als auch zu einer graphisch realisierten Äußerung kommen, die wiederum nicht der Vorstellung von geschriebener Sprache entspricht. Diese würde dann, wie im Falle eines Liebesbriefs, nicht mehr unter den Begriff der ‚Schriftlichkeit fallen.
Im Fokus dieser Arbeit steht eine Untersuchung der Tagesthemen sowie der Tagesschau bzgl. dieser Thematik. Die phonisch realisierten Äußerungen der Nachrichtensprecher werden auf nachweisbare schriftliche Merkmale untersucht. Dadurch soll verdeutlicht werden, dass diese mündlich vorgetragenen Nachrichten ihren Ursprung in der Schriftlichkeit haben. Zusätzlich für diese Arbeit von Relevanz wird sein, nachzuweisen, ob eine der beiden Nachrichtensendungen zur Schriftlichkeit bzw. Mündlichkeit tendiert. Zunächst werden aber im Folgenden die Merkmale gesprochener und geschriebener Sprache erläutert. Des Weiteren sollen die theoretischen Modelle von Koch/Oesterreicher und Quasthoff beschrieben und anschaulich dargestellt werden.
2 Das Spannungsfeld von Mündlichkeit und Schriftlichkeit
Im Folgenden sollen die grundlegenden Charakteristika für die jeweiligen Begrifflichkeiten, Mündlichkeit und Schriftlichkeit dargelegt werden.
2.1 Allgemeine Merkmale gesprochener und geschriebener Sprache
Lange Zeit wurden in der Sprachwissenschaft die Aspekte der Mündlichkeit und der Schriftlichkeit getrennt voneinander untersucht. Das eine solche Untersuchung jedoch in der Praxis nicht getrennt voneinander realisierbar ist, birgt die Tatsache in sich, dass man einen Aspekt zwangsläufig mit dem anderen in Relation setzten muss, um die bestehenden Unterscheidungsmerkmale von gesprochener und geschriebener Sprache herausarbeiten zu können.5
Von Wissenschaftlern wie Ferdinand de Saussure6 und Charles Bally7 wird die orale Manifestation häufig als primär bezeichnet. Diese sei der abgeleiteten Erscheinung der Schriftsprache an Interesse übergeordnet. Trotz theoretischer Streitfrage ist festzuhalten, dass historisch gesehen die Abhängigkeit des Schriftlichen vom Mündlichen ausgeht.8
Ein Hauptmerkmal (medial) mündlicher Kommunikation ist die zeitliche Unmittelbarkeit. Denken, Fühlen und Kommunizieren laufen dabei als ganzheitlicher Prozess ab, der von den jeweiligen Kommunikationspartnern gemeinsam ausgestaltet wird, indem sie interagieren. Charakteristisch für die (medial) schriftliche Sprache hingegen ist vor allem die elaborierte Sprache. Rückmeldungen Seitens des weitaus größeren und verstreuten Adressatenkreises, sind hier nur zeitverzögert möglich.
Nimmt man bspw. eine Umwandlung einer mündlichen Äußerung in eine schriftliche Form vor, so ergibt sich eine Reihe von Veränderungen. Nicht nur das die Phone und Phoneme durch Grapheme ersetzt werden, auch die für die mündliche Sprache charakteristische Intonation wird, soweit dies möglich ist, von der Interpunktion abgelöst. Vermag der geschriebene Text anfangs vermeintlich übersichtlicher erscheinen, so sind seine graphischen Mittel Zusatzinformationen des situativen Kontextes darzustellen, beschränkt.9
Dieser Auffassung ist auch der Germanist und Linguist Wolfgang Klein, der feststellt, dass dem Geschriebenem bestimmte Ausdrucksmöglichkeiten des Mündlichen, wie etwa Tonhöhe, Klangfarbe, Pausen usw. fehlen. Die prosodischen Eigenschaften sind dem Schriftlichem demnach nicht gegeben, was nach Klein zwei Konsequenzen hat. Zum einen findet dadurch eine Einschränkung des Ausdrucksreichtums, wie bspw. Emotionen oder Distanzierung statt und zum anderen führt der Wegfall der Prosodie zur Kompensation durch andere Ausdrucksmittel.10
2.1.1 Einfachheit und „Unvollständigkeit“
Vor allem die vielfältigen Möglichkeiten der Intonation, des Tempos, der Stimmenqualität und Lautstärke, Pausen, Versprecher, Unterbrechungen etc. sind es, die nach Abercrombie die wesentlichen Merkmale gesprochener Sprache darstellen.11 Heinz Rupp betont, dass „nahezu kein Unterschied in der Struktur des spontanen Gesprächs [besteht].“ So ist es auch nicht von Relevanz, ob nun ein Arbeiter oder ein Universitätsprofessor spricht, insofern es sich wirklich um ein spontanes Gespräch handelt. Dadurch können die diastratischen Faktoren innerhalb des spontanen Gesprächs außer Acht gelassen werden.12
Nach Söll/Hausmann stellen die Einfachheit, sowie die Unvollständigkeit zwei markante Charakteristika von Äußerungen innerhalb der gesprochenen Sprache dar. Diese beiden Aspekte sind nicht voneinander zu trennen.13 Zurückzuführen ist die „Unvollständigkeit“ auf die Vereinfachung, die häufig durch die Gesprächssituation ermöglicht wird. Im Gegensatz zur geschriebenen Sprache steht vor allem die mündliche Äußerung meist in einem gewissen Kontext.14 Diese Unvollständigkeit führt in der Mündlichkeit vermehrt zu Bildungen von Ellipsen.15 Diese Reduzierungen und Aussparungen syntaktisch unvollständiger Sätze, würden in schriftlicher Form zu Verwirrungen und Missverständnissen führen.
Die Einfachheit von Mündlichkeit bezieht sich auf die Unterscheidung zwischen syntagmatischer und paradigmatischer Vereinfachung. Unter syntagmatische Vereinfachung wird vor allem die Bildung kurzer Sätze verstanden, wobei es meist zur Bildung verbloser Sätze kommt. Unter Letzteres fällt bspw. „der ‚Konjunktiv mit würde (ich würde helfen statt ich hülfe) [ ], der Ersatz des Konjunktivs durch den Indikativ und verschiedene Vereinfachungen in der Nominalflexion.“16
In der geschriebenen Sprache kommt es hingegen auf der syntagmatischen Ebene zu wohlgeformten Sätzen, die deutlich länger sind und häufig Hypotaxen darstellen und eine sorgfältigere und weiträumigere Organisation der Sätze zur Grundlage haben.17
2.1.2 Thema-Rhema-/Rhema-Thema-Abfolge
Für die geschriebene Sprache ist die Mitteilungsstruktur der Thema-Rhema- Abfolge als charakteristisch zu betrachten. Das ‚Thema stellt in diesem Kontext einen als bekannt vorausgesetzten Sachverhalt dar, die Ausgangssituation, woraufhin eine darauf bezogene, neue Information durch das ‚Rhema folgt. Vor allem in der gesprochenen Sprache jedoch erfährt die Thema-Rhema-Gliederung häufig eine Umkehrung (dies ist jedoch meist nicht im spontanen Gespräch der Fall). Das Rhema, die Folge- bzw. Zusatzinformation, steht im Mündlichen noch vor dem eigentlichen Gegenstand, über den die Aussage gemacht werden soll.
Der Sprecher zielt dadurch darauf ab, die Mitteilung bei der Rhema-Thema- Abfolge in den Vordergrund u stellen, erst dann folgen restliche Informationen.18 Dies sollen die nachstehenden Beispiele veranschaulichen.
Thema-Rhema: In Sydney (Thema) scheint heute die Sonne (Rhema).
Rhema-Thema: Es war einmal ein Mann (Rhema). Der (Thema) hatte einen Hund (Rhema).
Die Expressivität, die dem Mündlichen durch die stärkere Betonung des vorangestellten Rhemas gegeben ist, betont vor allem die prosodischen Eigenschaften gesprochener Sprache und ist sprecherbezogen. Die Einhaltung der Thema-Rhema-Gliederung im Schriftlichen kann als Ausgleich, des zuvor bereits thematisierten Verlusts von Intonation gesehen werden und ist empfängerbezogen. Je weiter das Rhema ans Satzende gesetzt wird, desto kontextunabhängiger das Verständnis.19
2.1.3 Subjektivität und Objektivität
Während geschriebene Sprache als objektiv und hörerbezogen gilt, sagt man der gesprochenen Sprache ein besonders Maß an Subjektivität und Sprecherbezogenheit nach. In der Mündlichkeit findet man typische subjektive Sprachmittel in Form von Interjektionen, Pejorativa, Vulgarismen, Kraftwörtern, bildhaften Wendungen, bis hin zum übersteigerten Ausdruck. Prinzipiell wird gesprochene Sprache im Gegensatz zu geschriebener Sprache als partikelreich erachtet. So ergab zum Beispiel eine Gegenüberstellung verschiedener Frequenzen, dass das Wort „wohl“ in gesprochenen Mitschnitten bis zu 46 mal häufiger benutzt wurde, als in geschriebenen.20
[...]
1 vgl. Sartingen (2007), S. 15
2 vgl. Günther (1983), S. 17-39
3 vgl. Vachek (1939), S.94-104
4 vgl. Raible (1994), S. 4f.
5 vgl. Kurzrock (2003), S.19
6 vgl. Saussure (1972), S.45
7 vgl. Hunnius (1975), S.145-161
8 vgl. Günther (1983), S.17-39
9 vgl. Müller (1975), S. 58
10 vgl. Klein (1985), S. 18
11 vgl. Abercrombie (1965), S. 6ff.
12 Rupp (1965), S. 23
13 vgl. Söll/Hausmann (1985), S.55
14 vgl. Jurk (2001), S. 16
15 vgl. Müller (1989), S. 254
16 Söll/Hausmann (1985), S.57
17 vgl. Müller (1989), S. 255
18 vgl. Söll/Hausmann (1985), S.58 f.
19 vgl. Söll/Hausmann (1985), S. 59
20 vgl. Söll/Hausmann (1985), S.61