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Hausarbeit, 2011
11 Seiten, Note: 2,0
Einleitung
1. Kulturelles Kapital
1.1. Inkorporiertes Kulturkapital
1.2. Objektiviertes Kulturkapital
1.3. Institutionalisiertes Kulturkapital
2. Habitus
3. Lesen als kulturelle Praxis
4. Elitäre Codes
Schluss
Literaturverzeichnis
Um die Lesekompetenz deutscher Schülerinnen und Schüler steht es eingedenk der Tatsache, dass es in den vergangenen Jahren gelungen ist, selbige spürbar zu verbessern, nicht zum Besten. Auch die vierte PISA-Studie der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (vgl. OECD), deren Schwerpunkt auf der Fähigkeit zu lesen lag, hat in ihrer im Jahr 2009 durchgeführten Erhebung ergeben, dass sich Deutschland, im Vergleich zu den anderen 34 OECD-Mitgliedsstaaten, nur im Mittelfeld befindet (vgl. OECD 2010). Neben Leistungsvergleichen zwischen den Ländern liefert die Studie auch die Möglichkeit, Anhaltspunkte für Einflüsse auf Leistungsunterschiede innerhalb eines Landes zu erkennen. So ergab sich für Deutschland, dass Unterschiede in Lesefähigkeit und Leseverständnis vom Umfeld der Schule stark geprägt werden und entlang sozio-ökonomischer Grenzen verlaufen, wobei besonders der familiären Situation eine entscheidende Bedeutung zugewiesen wird (vgl. OECD 2011, S. 107 f.).
Aus diesem vordergründig bildungspolitischen Thema lässt sich jedoch eine weitaus breitere Tragweite extrahieren, welche nicht nur auf der Mikroebene zu einer gesellschaftlichen Diversität hinsichtlich der Lesefähigkeit führt, sondern auch auf der Makroebene eine Entwicklung vorauszeichnet, die eine Veränderung der intrinsischen Bedeutungszuweisung zeigt. So sind wir alle in unserem Alltag ständig von Objekten umgeben, denen wir eine symbolische Bedeutung zumessen, die über ihren bloßen Sachwert hinaus geht und die in uns verinnerlichte Handlungs- und Denkmuster aktivieren (vgl. Bourdieu 1989, S. 172 f.). Für die einen hat der überdimensionale Flachbildfernseher eine besondere Bedeutung, für die anderen sind es Bücher, die nicht einfach in einer Schublade im Schrank verstaut werden, sondern als Ausweis höherer Geistigkeit inszeniert werden und in Vitrinen eben diese repräsentieren sollen. Neben dieser Darstellung des eigenen Lebensstils, bieten Bücher auch die Gelegenheit der Lektüre des menschlichen Gegenübers – vorausgesetzt, die Bibliothek vergegenwärtigt die Bildung ihres Inhabers und es wurden nicht nur Potemkin’sche Dörfer errichtet.
Auch aus dem hier nur kurz skizzierten Bedeutungsrahmen, welchen das Lesen einnehmen kann, lässt sich die soziologische Relevanz dieses Lesens extrahieren. Die Kultur des Lesens stellt daher auch in den von Pierre Bourdieu beschriebenen Vorgängen im sozialen Raum einen nicht ignorierbaren Mikrokosmos dar, welcher in dieser Arbeit zunächst anhand des kulturellen Kapitalbegriffs Bourdieus beschrieben wird. Sodann wird auf den Habitus-Begriff eingegangen, bevor das Lesen als kulturelle Praxis sowie dessen Einfluss auf die gesellschaftlichen Ordnungssysteme erläutert wird.
Die Ausdifferenzierung des Kapitalbegriffs stellt ein zentrales Element der bourdieuschen Kapitaltheorie dar; neben dem ökonomischen Kapital werden von Bourdieu drei weitere Kapitalformen beschrieben: soziales, kulturelles und symbolisches Kapital. Dabei wird das kulturelle Kapital in weitere Varianten untergliedert, welche einer näheren Betrachtung bedürfen.
Während die ökonomische Definition ausschließlich die Akkumulation von Objekten meint und die Besitz- und Verteilungsverhältnisse umfasst, können nach Bourdieu mit dem sozialen, kulturellen und symbolischen Kapital auch gesellschaftliche Austauschbeziehungen beschrieben werden, die sich nicht auf den bloßen eigennützlichen Warenaustausch beziehen (vgl. Bourdieu 1992a, S. 50). Das ökonomische Kapital sei folglich nur in der Lage, solche Investitionen und Profite miteinzubeziehen, „die sich in Geld ausdrücken oder direkt in Geld konvertieren lassen“ (Bourdieu 2006, S. 112). Die Bildung hängt jedoch auch maßgeblich vom sozialen Kapital ab, worunter Bourdieu diejenigen Vorteile versteht, die sich aus sozialen Kontakten, aus Verwandtschaft, sozialen Netzwerken oder – allgemein – aus der Zugehörigkeit zu bestimmten sozialen Gruppen und Institutionen ergeben (vgl. Bourdieu 1983, S. 190 ff.). Die soziale Ungleichheit in der modernen Gesellschaft ist nach Bourdieu mit der Beschreibung ökonomischer Ungleichheiten nicht ausreichend beschrieben. In Zeiten, da die Vererbung des ökonomischen Kapitals zunehmend missbilligt wird und unter staatlicher Kontrolle sowie der Besteuerungspflicht unterliegt, kommen weit weniger sichtbare, aber dennoch genau so wirksame Wege der Kapitalvererbung zur Anwendung, so Bourdieu. Die „am besten verborgene und sozial wirksamste“ sei dabei die „Transmission kulturellen Kapitals in der Familie“ (Bourdieu 2006, S. 113), wo sowohl soziales als auch kulturelles Kapital zum Tragen komme. Das kulturelle Kapital wird von Bourdieu wiederum in drei Dimensionen unterschieden, welche seine Erscheinungs- und Zustandsformen genauer beschreiben: das inkorporierte, objektivierte sowie das institutionalisierte Kapital.
Bourdieu definiert das inkorporierte Kapital als „grundsätzlich körpergebunden“ (Bourdieu 2006, S. 113), welches die vom Subjekt verinnerlichten, in Sozialisation und Bildungsinstitutionen erworbenen kulturellen und intellektuellen Fähigkeiten voraussetzt, die
sich in Kompetenzen wie Sprachgefühl, Abstraktionsvermögen oder Wissen verwerten lassen (vgl. ebd., S. 114). Die Akkumulation inkorporierten kulturellen Kapitals sei daher nicht mit wirtschaftlichen Investitionen allein zu bewältigen oder auf die biologische Vererbung von Begabungen zurückzuführen, sondern bedinge vor allen Dingen die Investition von Zeit, weshalb es „im Unterschied zu Geld, Besitz- oder sogar Adelstiteln nicht durch Schenkung, Vererbung, Kauf oder Tausch kurzfristig weitergegeben werden [könne]“ (Bourdieu 2006, S.114) . Diese Zeit lässt sich nach Bourdieu jedoch teilweise in ökonomisches Kapital umrechnen, da die Zeit für die Anhäufung von Wissen und Bildung in Studiengebühren und Einkommensverzicht umgerechnet werden kann. Neben der Zeitinvestition komme es allerdings auch auf die Stärke des „in der gesamten Familie verkörperten kulturellen Kapitals [an]“ (ebd., S. 116). Je nach Voraussetzung beginne die Übertragung von Kulturkapital früher oder später, fiele besser oder schlechter aus. Im Idealfall, so Bourdieu, ist „die gesamte Zeit der Sozialisation zugleich eine Zeit der Akkumulation“ (ebd., S. 116).
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