„Sören Kierkegaard verwendet mit Vorliebe die Aussageform des Tagebuchs.“
Derart äußert sich der Literaturwissenschaftler Albert Gräser in seinem Werk Das literarische Tagebuch über den Stellenwert der Tagebuchform in Sören Kierkegaards philosophischen Schriften und führt die so behauptete Präferenz des Philosophen auf die frühe Isolation Kierkegaards zurück, die diesen für diese Mitteilungsform prädisponiert hätte. Betrachtet man allerdings das Gesamtwerk des Dänen, das sich durch eine „– gemessen an der literarischen Gestalt philosophischen oder theologischen Schrifttums – ungewöhnliche Vielfalt der Darstellungsformen auszeichnet“, kann dieser Aussage nur bedingt zugestimmt werden: Kierkegaard verwendet in seinen philosophischen Schriften eine Vielzahl unterschiedlichster Textarten – u.a. Briefe, Aphorismen und Reden –, so dass die Tagebuchform nur in einem sehr geringem Maß Anwendung findet. Umso wichtiger erscheint es daher, die Bedeutung der Tagebuchform in Kierkegaards Werken einer kritischen Neubewertung zu unterziehen: Ausgehend von den zwei prominenten Beispielen, in welchem Kierkegaard diese literarische Gattung verwendet – dem Tagebuch des Verführers in Entweder/Oder und dem Tagebuch des Quidam in den Stadien auf des Lebens Weg –, sollen die Funktion und der Stellenwert dieser Aussageform für das philosophische Schaffen Kierkegaards in dieser Seminararbeit untersucht werden. Unter der Annahme, dass sich das Diarium – ob privat oder öffentlich, fiktiv oder autobiographisch – einer einfachen Beschreibung oder Kategorisierung entzieht und – trotz bestimmter gattungstypischer Merkmale wie der Strukturierung durch Kalenderdaten und der täglichen Berichterstattung in Einzeleinträgen – sehr unterschiedliche Formen annehmen kann, wird dabei insbesondere die spezifische Verwendung dieser Textsorte bei Kierkegaard im Zentrum der Darstellung stehen. Aufgrund der Tatsache, dass es sich sowohl bei dem Tagebuch des Quidam als auch dem Tagebuch des Verführers um fingierte Tagebücher handelt, welche die dem Diarium eigentümlichen Züge als bewusstes Stilmittel zur Ausgestaltung einer fiktiven Erzählung imitieren, erscheint es besonders sinnvoll, den jeweiligen Umgang mit der Form auf Unterschiede und Gemeinsamkeiten zu beleuchten.
GLIEDERUNG
1. AUFGABENSTELLUNG UND LEITFRAGEN
2. PHILOSOPHISCHER KONTEXT UND METHODIK: DIE GESAMTKONZEPTION VON ENTWEDER/ODER UND DEN STADIEN AUF DES LEBENS WEG
2.1 Die Entwicklung der Stadienlehre in Entweder/Oder und den Stadien
2.2 Die ‚Maieutik’ Kierkegaards und das Programm der ‚Indirekten Mitteilung’
3. DAS TAGEBUCH DES VERF ÜHRERS IN ENTWEDER/ODER UND DAS TAGEBUCH DES QUIDAM IN DEN STADIEN - EIN VERGLEICH
3.1 Unterschiede in Bezug auf Aufbau, Gestaltung und Inhalt der Diarien eines Ästhetikers und einer Existenz in Richtung des Religiösen
3.2 Das Verhältnis von Authentizität und Fiktionalität im Tagebuch des Verführers und den Aufzeichnungen Quidams in „ Schuldig? “ - „ Nicht Schuldig? “
3.3 Kritik und Kommentar an der ethischen/ ästhetischen Existenz: Die Durchbrechung des monoperspektivischen Charakters des Tagebuchs
4. RESÜMEE: DIE FUNKTION DER TAGEBUCHFORM IN KIERKEGAARDS PSEUDONYMEN SCHRIFTEN
5. LITERATURVERZEICHNIS
5.1 Primärliteratur
5.2 Sekundärliteratur