Ein fünfjähriges Mädchen sitzt zerknirscht am Fuße einer Treppe, den Kopf in die Hände und die Ellenbogen auf die Knie gestützt. Ihre Haltung ist gebückt und ihre Mundwinkel fallen nach unten wie ihre zierlichen Zöpfe. Kein gesunder Mensch hat dabei Schwierigkeiten sich vorzustellen, in welcher Gefühlslage sich das kleine Mädchen gerade befindet. Doch worin liegt diese Sicherheit im Umgang mit unseren Mitmenschen begründet? In den Informationen, die wir aus nonverbalen Kommunikationskanälen wie der Mimik, der Gestik und der Haltung ziehen, sollte man vermuten. Doch zu einem Verständnis dieser für das soziale Miteinander überaus wichtigen Informationskanäle sind, wie bereits Charles Darwin in seinem Buch The Expression oft the Emotions in Man and Animals (2009) anmerkte, schon höhere Säugetiere fähig. Andererseits kann ein Hund zwar durchaus empfindsam dafür sein, wenn sein Halter gerade eine heftige emotionale Episode durchlebt, es gibt jedoch keine Berichte von Hunden, die ihrem Halter einfühlsam auf die Schulter klopfen, wenn dieser von Trauer erfüllt ist.
Der spezifische Zugang des Menschen zu seinen Mitmenschen durch ein »Einfühlen« in andere beschränkt sich dabei jedoch nicht auf eine rationale Verstehensleistung, die er erst nach dem Erwerb eines sprachlich strukturierten Zugangs zur Welt erlangt, sondern muss vielmehr als Produkt einer beim Menschen einzigartigen Phylo- und Ontogenese angesehen werden, die ihm bereits vor dem Spracherwerb eine kulturell geprägte vorreflexive Bewusstseinsebene (B1) eröffnet und den Grundstein für derart komplexe soziale Fähigkeiten wie ein reflexives Bewusstsein (B2), Empathie und ein Sprechen über die eigenen und die Emotionen anderer ermöglicht. Auf diese Weise lässt sich plausibilisieren, wieso Menschen ihre Emotionen »fühlen« (B2) und nicht nur »empfinden« (B1), wie es auch höhere Tiere können (vgl. Damasio (2000), hier: 15).
Eine tiefgehende anthropologische Untersuchung dieser auf dem vorreflexiv-emotionalen Empfinden beruhenden, kulturell geprägten vorreflexiv-körperlichen Bewusstseinsebene (B1) soll das Thema der Dissertation sein und Aufschlüsse über die Natur des reflexiven Bewusstseins des Menschen (das »Denken«) geben (B2).
Inhaltsverzeichnis
- Einleitung
- Eigene Vorarbeiten
- Stoßrichtung der Dissertation und Stand der Forschung
Zielsetzung und Themenschwerpunkte
Die Dissertation widmet sich einer anthropologischen Betrachtung des reflexiven Bewusstseins und untersucht die Rolle von Emotionen als Grundlage des Denkens. Sie setzt sich zum Ziel, das vorreflexiv-emotionale Empfinden als Basis des menschlichen Bewusstseins zu beleuchten und Aufschlüsse über die Natur des reflexiven Bewusstseins zu liefern.
- Die Bedeutung des vorreflexiven Bewusstseins (B₁) für die Entwicklung des reflexiven Bewusstseins (B₂)
- Die Rolle des »Handlungswissens« als Grundlage für das Verständnis anderer und des reflexiven Bewusstseins
- Der Einfluss von Kultur und Sprache auf die Entwicklung des menschlichen Bewusstseins
- Die Integration von Ansätzen aus der Philosophie und den Neurowissenschaften zur Erforschung des Bewusstseins
Zusammenfassung der Kapitel
Das erste Kapitel der Dissertation beleuchtet die Bedeutung von Emotionen für das menschliche Bewusstsein. Es wird argumentiert, dass das vorreflexive Empfinden als Grundlage für komplexe soziale Fähigkeiten wie Empathie und Sprache dient. Das zweite Kapitel geht auf die eigenen Vorarbeiten des Autors ein und stellt die These des »Handlungswissens« vor, die zur Erklärung der Entstehung eines grundlegenden Verständnisses anderer auf einer nonverbal-vorreflexiven Interaktionsebene dient. Im dritten Kapitel wird die Stoßrichtung der Dissertation und der aktuelle Stand der Forschung vorgestellt. Der Autor stellt dabei den Zusammenhang zwischen Friedrich Nietzsches Philosophie und der Konzeption des »Mängelwesens« von Arnold Gehlen her.
Schlüsselwörter
Die Dissertation befasst sich mit zentralen Themen wie Emotionen, Bewusstsein, vorreflexives und reflexives Bewusstsein, Handlungswissen, Körperwissen, Kultur, Sprache, Anthropologie, Philosophie, Neurowissenschaften und der Philosophie von Friedrich Nietzsche und Arnold Gehlen.
- Quote paper
- Marcel Nakoinz (Author), 2012, Emotionen als Grundlage des Denkens , Munich, GRIN Verlag, https://www.hausarbeiten.de/document/192574