Für neue Kunden:
Für bereits registrierte Kunden:
Hausarbeit, 2012
27 Seiten, Note: 2,0
1 Einleitung
2 Die Entwicklung des Lesens und Schreibens
2.1 Das Modell von Uta Frith (1985)
2.2 Das Stufenmodell nach Valtin (2000)
2.3 Kritische Betrachtung der Modelle
3 Was ist eine Lese-Rechtschreibschwäche, wann spricht man von Legasthenie?
3.1 Begriffsklärung
3.2 Zum Erscheinungsbild
3.3 Über die Ursachen
3.4 Diagnostische Verfahren
4 Kinder mit LRS in der Grundschule
4.1 Umgang und Fördermöglichkeiten durch die Lehrkraft
4.2 Grenzen der Klassenlehrer: Wenn Expertenhilfe herangezogen werden muss
5 Fazit
Literaturverzeichnis
Die Hausarbeit setzt sich mit Problemen beim Lesen und Rechtschreiben auseinander. Dabei werden besonders die Möglichkeiten zur Diagnose und Förderung betrachtet. Bevor näher auf LRS und Legasthenie eingegangen wird, erfolgt zunächst eine kurze Darstellung von zwei Modellen des Schriftspracherwerbs. Diese geben Auskunft darüber wie Kinder den Prozess des Lesen- und Schreibenlernens idealtypisch vollziehen und bilden somit die Voraussetzung für die Fähigkeit des Erkennens von Symptomen, die einen Hinweis auf Probleme beim Lesen und Rechtschreiben darstellen können. In der Wissenschaft haben zahlreiche Modelle Eingang in die Diskussion zum Schriftspracherwerb gefunden, häufig wurden sie ergänzt oder als Grundlage für weitere Modelle verwendet. Die Hausarbeit geht exemplarisch auf die Modelle von Frith und Valtin ein.
Nach kurzer Einführung in den Prozess des Schriftspracherwerbs stellt sich die Frage, wie sich bei einem Kind LRS/Legasthenie erkennen lässt. Was lässt sich zum Erscheinungsbild, zu Ursachen und Diagnosemöglichkeiten sagen? Diese Fragen sind vor allem sehr bedeutsam für Menschen, die täglich mit Kindern umgehen. Dazu gehören z.B. Eltern, Erzieher und Lehrer/-innen. Durch mein Lehramtsstudium mit dem Schwerpunkt Grundschule ist es für meinen zukünftigen Beruf unerlässlich mich mit diesem Thema so grundlegend auszukennen, dass ich betroffene Kinder erkennen und ihnen so gut es geht im Schullalltag helfen kann. Daher gibt die Hausarbeit im letzten Kapitel Informationen zum Umgang mit betroffenen Kindern sowie zu Fördermöglichkeiten. Ebenso will sie Mut machen, auf Expertenhilfe zurückzugreifen, wenn Grenzen des Helfens erreicht sind.
Die Kompetenzen richtig Lesen und Schreiben zu können gelten als notwendige Kriterien für eine erfolgreiche Teilhabe am gesellschaftlichen, kulturellen und politischen Leben, sie bilden Schlüsselqualifikationen.[1] Die Beherrschung der Schriftsprache ermöglicht den Kindern bereits in der Schule, und auch später im Beruf, Erfolg. Ihrem Erwerb muss daher in der Grundschule ein besonderer Wert beigemessen werden. Die Lehrkräfte müssen die Kinder unterstützen, begleiteten und fördern. An dieser Stelle sei darauf hingewiesen, dass mit dem Begriff Schriftspracherwerb nicht ein Prozess beschrieben wird, der Grundschulkindern am Schulanfang lesen und schreiben beibringt.[2] Diese Ansicht ist unzutreffend, denn einige Kinder können bereits mit Schuleintritt lesen. Daher setzte sich seit 1980 der Begriff Schriftspracherwerb gegen den des Erstlesens und Erstschreibens durch. Bevor im Folgenden anhand verschiedener Modelle erläutert wird, wie sich der Prozess des Lesen- und Schreibenlernens vollzieht, ist anzumerken, dass unabhängig von bestimmten Modellen gilt: Bis die Kinder Lesekompetenz erworben haben, durchlaufen sie einen langen Entwicklungsprozess.[3] Dabei können sich Entwicklungsunterschiede von bis zu vier Jahren zeigen.[4] Von großer Bedeutung für den Schriftspracherwerb sind Erfahrungen mit dem Bilderbuch und dem Vorlesen.[5] Die Entwicklung der Sprachbewusstheit wird begünstigt, indem dazu gemalt, gesehen und gesprochen wird. Weiterhin begünstigt wird der Erfolg des Lesen- und Schreibenlernens durch die gezielte Anregung der Eltern, ebenso die eigenen Spracherfahrungen des Kindes. Wenn Kinder Lesen und Schreiben als sinnvolle Handlungen verstehen und ihre vielfältigen Formen kennenlernen und umsetzen, werden sie immer sicherer in der Anwendung. Dabei sind Fehler wichtig für den Lernprozess. Die Pädagogik bezeichnet sie als „diagnostische Fenster“[6], weil sie Auskunft darüber geben, auf welcher Stufe des Schriftspracherwerbs sich ein Kind befindet.
Rechtschreiblernen vollzieht sich nicht willkürlich, sondern in Entwicklungsstufen. In der Forschung haben sich zahlreiche Modelle des Schriftspracherwerbs entwickelt. Eines dieser Modelle wurde 1985 von Uta Frith formuliert.
Dieses Modell kann herangezogen werden, um sich die Entwicklung des einzelnen Kindes bewusst zu machen und gezielt Fördermaßnahmen zu ergreifen. Ihr Modell wurde u.a. von Günther, Brügelmann, Scheerer-Neumann und Valtin erweitert.
Nach Frith vollzieht sich der Schriftspracherwerb in drei Stufen.[7] In der ersten Phase, der logographischen, erkennt das Kind Geschriebenes anhand visueller Merkmale wieder. So beispielsweise Schriftzüge wie Coca-Cola, das Eis-Schild oder U-Bahn-Schild. Als Wortbilder gespeicherte Wörter werden reproduziert. Der eigene Name ist hierbei oft eines der ersten Wörter. Wenn das Kind ein Wort liest, kann es richtig sein oder es nennt ein komplett anderes Wort. Ebenso ist das Schreiben „ein Alles oder Nichts“[8]. In der ersten Phase kann man weniger von Lesen und Schreiben sprechen als von Malen und Wiedererkennen. Es gelingt den Kindern noch nicht die Buchstaben in ihrem Lautcharakter zu entschlüsseln.
In der alphabetischen Stufe werden Wörter nicht mehr wie ein Logo wahrgenommen, sondern als Aneinanderreihung einzelner Buchstaben.[9] Die Kinder erkennen, dass den Buchstaben verschieden Laute entsprechen. Sie schreiben die Laute, die sie hören. Daher kommt es zu Schreibungen wie MZ für Maus oder FT für Pferd. Diese Beispiele lassen erkennen, dass nicht alle Laute verschriftet werden. Insgesamt ist die alphabetische Phase gekennzeichnet durch „ein mühsames Erarbeiten einzelner Grapheme und Phoneme“[10]. Selten kommt es zu einer richtigen Schreibung und oft gelingt es den Kindern noch nicht den Sinn zu entnehmen. Unsere alphabetische Schriftsprache bildet die Phoneme (Laute) eines gesprochenen Wortes durch Grapheme (Buchstaben) ab. Durch die Kombination verschiedener Buchstaben können Tausende von Wörtern abgebildet werden. Wenn Kinder das Prinzip unserer alphabetischen Schriftsprache erkennen, spricht man von einer phonologischen Bewusstheit. Diese Fertigkeit des Erkennens der Graphem-Phonem-Beziehung ermöglicht einem Kind den Schriftspracherwerb. Die phonologische Bewusstheit spielt also eine entscheidende Rolle. Ebenfalls von großer Bedeutung ist eine Orientierung an den visuellen Schriftmerkmalen.
In der dritten Phase, der orthographischen, gelingt die korrekte Schreibung von Wörtern besser.[11] Die Schüler/-innen bilden Regeln der Rechtschreibung und orientieren sich bei der Schreibung an analogen Wörtern, typischen Wortendungen, Silben und Morphemen. Auch das Lesen macht deutliche Fortschritte, die Schüler/-innen schaffen es größere Einheiten zu verarbeiten. Lesen gelingt immer schneller und flüssiger.[12] „Das laute bzw. halblaute Aussprechen der einzelnen Laute geht jetzt allmählich über in ein ´inneres Sprechen´, das für den kompetenten Leser typisch ist.“[13] In der orthographischen Phase kommt es also zur Gliederung in Morpheme, zur Nutzung von grammatikalischen Regeln und Kontextbeziehungen.
Frith gliedert den Prozess des Schriftspracherwerbs also in drei zeitlich aufeinander folgende, sich aufbauende Phasen, die von den Kindern durchlaufen werden. Ihr Modell ist rein deskriptiv.
Renate Valtin hat, basierend auf der Grundlage von Uta Frith, ein weiteres Stufenmodell zum Schriftspracherwerb entwickelt. Sie unterteilt es in sieben Entwicklungsstufen. Diese werden im Folgenden näher erläutert.[14]
0. Kritzelstufe
Befindet sich das Kind in dieser Stufe, so ahmt es Schreibungen der Erwachsenen nach. Diese Beobachtung findet sich bereits bei Dreijährigen. Das Kind hat noch keinerlei Wortkonzept entwickelt oder ein Phonembewusstsein.
1. Phase des Malens willkürlicher Buchstabenfolgen
Schreibungen erfolgen rein willkürlich, das Kind kann noch keinen Bezug zur Lautung herstellen. Pseudo-Wörter oder buchstabenähnliche Zeichen sind kennzeichnend für diese Phase.
2. Vorphonetisches Niveau
Es kommt zu ersten lautorientierten Schreibansätzen, wobei es dem Kind lediglich gelingt einzelne Lautwerte zu verschriftlichen („L“ für „Elefant“).
3. Halbphonetisches Niveau
Skelettartige Schreibungen der Kinder weisen auf die 3. Stufe hin. Es werden die wichtigsten Laute wiedergegeben (VOG àVogel; RIT àRitter), dabei finden sich kaum noch Lücken zwischen den Wörtern. Diese Schreibung resultiert aus einem Problem der Lautanalyse bei Kindern am Anfang des Schriftspracherwerbs und weist nicht auf Wahrnehmungsfehler hin. Es findet ein erster Versuch statt, die gesprochene Sprache zu übersetzen, erste Phonem- Graphem- Korrespondenzen werden erworben.
4. Phonetische bzw. alphabetische Strategie
Besonders rechtschreibschwache Kinder halten an dieser Strategie fest. Sie bilden alle zu hörenden Laute ab, dabei orientieren sie sich an der Umgangssprache. Da diese ausgedehnt gesprochen wird, bildet das Kind künstliche Laute (aien/aein àein; Rola àRoller). Da die phonetische Strategie überwiegt, werden bis dahin gelernte Wörter nicht aus dem Gedächtnis abgerufen.
5. Phonetische Umschrift und erste Verwendung orthografischer Muster
Die erkannten orthografischen Regelmäßigkeiten stellen zusätzliche Lernhilfen dar. Sie werden auf andere Fälle angewendet, auch auf ungeeignete. Es kommt zu Übergeneralisierungen (mier à mir; Oper àOpa).
In beiden Modellen liefern die Bezeichnungen der Stufen einen Hinweis darauf, welche Strategie Kinder vorwiegend verwenden. Sie bieten einen guten Überblick über das Erlernen von Lesen und Schreiben. Eine klare Abgrenzung der Stufen ist allerdings schwierig. Die Entwicklungsstufen der Modelle bleiben theoretische Konstruktionen. Kinder unterscheiden sich erheblich in ihren schriftsprachlichen Vorkenntnissen. Wie bereits erwähnt, gelingt es einigen Kindern bereits zu Schulbeginn orthographische Strukturen anzuwenden. Die Kinder können sowohl Fortschritte als auch Rückschritte machen, die Stufen dürfen nicht mit einem bestimmten Lebensalter verbunden werden. So kann es z.B. sein, dass Kind A die Stufe X bereits mit 5 Jahren beherrscht, Kind B jedoch noch nicht mit 7 Jahren. Oder aber Kind A hält sich auf einer Stufe wenige Wochen auf, während sie bei Kind B viele Monate dauert. Entwicklungsmodelle stellen vielmehr Strategien dar, die durchaus als dominant bezeichnet werden dürfen, jedoch nicht als ausschließlich. Die Modelle können nicht den einen richtigen Weg zum Schriftspracherwerb liefern, der in einer vorhersehbaren Reihenfolge abläuft, da es diesen nicht gibt. So individuell die Kinder sind, so individuell sind ihre Zugänge zur Schriftsprache. Dabei machen sie Lernsprünge, gehen Nebenwege, verharren auf einer Stufe oder können plötzlich mehr als erwartet.[15] Wird ein Modell als solches betrachtet, bietet es Möglichkeiten zur Diagnose und Förderung: Mit Hilfe des Modells kann herausgefunden werden, wo das Kind in seinem jeweiligen Lernprozess steht und wie dieser durch didaktische Maßnahmen begünstigt werden kann.
wann spricht man von Legasthenie?
In der Öffentlichkeit kursiert eine lange Liste mit Begriffen, die zur Bezeichnung für Probleme beim Lesen und Rechtschreiben verwendet wird, z.B. Lese-Rechtschreibschwäche, -schwierigkeit, -störung, Legasthenie und Dyslexie.[16] Weitere Begriffe sind MCD, Psycho-Organisches-Syndrom (POS), Teilleistungsstörung[17] oder kongenitale Legasthenie.[18] Dadurch kommt es v.a. für Laien zur Verwirrung, zumal sogar in Schulerlassen die Begriffe austauschbar verwendet werden.[19] Welche Definition liefert eine verlässliche Beschreibung von LRS/Legasthenie? Im Folgenden soll Transparenz zwischen die Bezeichnungen LRS und Legasthenie gebracht werden.
Die von Dilling et al. 2004/2005 festgelegten diagnostischen Kriterien (ICD[20] 10) legen fest, dass für LRS „eine deutliche Abweichung des Entwicklungsstandards in der Lesegenauigkeit, dem Leseverständnis und / oder im Rechtschreiben von dem nach Alter und der allgemeinen Intelligenz erwarteten gefordert (wird)“[21]. Sie verweisen abgrenzend zu LRS darauf, dass Legasthenie eine „neurobiologisch bedingte Erscheinung ist, deren Ursachen sehr vielfältig sein können“[22]. Die Bezeichnung Legasthenie wurde vom Psychologen und Neurologen Paul Ranschburg 1916 in die deutsche Forschung eingeführt.[23] Seiner Auffassung nach bezeichnete Legasthenie eine Rückständigkeit in der geistigen Entwicklung des Kindes.[24] Die Auffassung, dass legasthene Kinder unterdurchschnittlich intelligent sind, konnte die Psychologin Linder widerlegen. Sie konnte eine durchschnittliche bis überdurchschnittliche Intelligenz feststellen.[25]
Ortner & Ortner (1997) bezeichnen mit dem Begriff LRS die „individuell auftretenden Schwächen und Minderleistungen hinsichtlich grundlegender Fähigkeiten, die für das Erlernen des Lesen und Rechtschreibens notwendige Voraussetzung sind und welche in ihrer Erscheinungsweise vorübergehend (…) oder dauerhaft (…) sein können.“[26] Diesen Definitionen schließen sich auch Naegele und Valtin an.[27]
Somit lässt sich als Definition zusammenfassend festhalten, dass es sich bei LRS um eine Lernstörung handelt, die zu den Entwicklungsstörungen schulischer Fertigkeiten zählt. Die Betroffenen sind nicht in der Lage, Lesen und Rechtschreiben ausreichend zu lernen, trotz ausreichender Fähigkeiten bezüglich Kognition, Seh- und Hörvermögen und ausreichender Unterrichtung.[28]
Der Begriff der Legasthenie soll -entsprechend der Empfehlung der KMK[29] - aufgrund seiner negativen Konnotation als eine Art psychischer Störung mit Krankheitswert getilgt und durch die Bezeichnung LRS ersetzt werden.[30] Hier wird deutlich, dass LRS primär pädagogisch-didaktisch betrachtet und behandelt werden soll und nicht als eine psychische Störung, die medikamentös behandelt werden muss. Einige Verbände und Autoren von Fachliteratur kommen dieser Forderung nicht entgegen. Sie halten die Trennung der Begriffe Legasthenie und LRS weiterhin aufrecht, so auch der Bundesverband Legasthenie e.V.[31] Es heißt dort u.a., dass Lese-Rechtschreib- Störungen spezifische Schwierigkeiten beim Schriftspracherwerb darstellen, deren Ursachen neurobiologisch zu finden sind. Die Störungen beginnen oft bereits in den ersten Klassen und betreffen 5-6 % der Bevölkerung. Um diese Zahl besser einschätzen zu können: Jeder 17. Schüler in Deutschland ist von Legasthenie betroffen.[32] Die Störungen bleiben häufig bis ins Erwachsenenalter bestehen. LRS hingegen steht (nach der Definition des Bundesverbandes Legasthenie e.V.) für Lese- und Rechtschreib schwierigkeiten/-schwäche und stellt unspezifische Schwierigkeiten beim Schriftspracherwerb dar. Die Ursachen sind soziokultureller Art oder organisch. Die soziokulturellen Ursachen ergeben sich z.B. daraus, dass die Kinder weniger schreiben müssen.[33] So führt z.B. häufiger Fernsehkonsum dazu, dass Kinder weniger Zeit mit dem Lesen von Büchern verbringen. Untersuchungen konnten belegen, dass ein Zusammenhang zwischen häufigem Fernsehkonsum und einer geringen Lese- und Schreibfähigkeit besteht.[34] LRS tritt in allen Klassenstufen auf, deutlich öfter als die Lese-Rechtschreibstörungen. In Grundschuljahrgängen sind von einer LRS bis zu 20 % betroffen, in Hauptschuljahrgängen sogar ca. 40 %.[35] Die Probleme lassen sich jedoch beheben, indem man die Ursache bekämpft (Sehhilfe tragen, regelmäßiger Schulbesuch, …).
Klicpera/Schabmann kommen der Empfehlung der KMK näher, sie sprechen sich gegen eine Trennung der Begriffe LRS und Legasthenie aus. „Es besteht nach dem derzeitigen Stand der Forschung kein empirisch fundierter Grund, diese Trennung aufrechtzuerhalten.“[36] Sie betrachten es aber als sinnvoll, die Kinder nach der Schwere der Störung zu unterscheiden. Kinder mit Lese-/Rechtschreib schwierigkeiten erbringen eine Leistung im Lesen und Rechtschreiben, die unter einem Prozentrang von 10-15 liegt, Kinder mit Lese-/Rechtschreib störungen/Legasthenie zeigen Leistungen, die unter einem Prozentrang von 4-5 liegen.[37]
In diesem Kapitel soll die Frage geklärt werden, welche Symptome besorgten Eltern, Erziehern und Lehrern Aufschluss darüber geben, dass ein Kind von LRS/Legasthenie betroffen ist. Jungen weisen häufiger als Mädchen Schwierigkeiten auf.[38] Insgesamt hat aber ein großer Teil der Schüler/-innen Schwierigkeiten Lesen und Schreiben zu erlernen. Daher ist es auch nicht leicht festzulegen, wann die Schwierigkeiten als so enorm gelten, dass sie behandelt werden müssen. Wenn Schwierigkeiten bereits im Vorschulalter prognostiziert werden, können mit Hilfe von speziellen Fördermaßnahmen Vorbereitungen getroffen werden, die gezielt auf die Anforderungen des Lesens und Schreibens vorbereiten. Eine Prognose kann nur langfristig gestellt werden, weil die Erst- und Schreibleseentwicklung zu Beginn noch sehr variabel ist, sodass anfängliche Probleme häufig noch von einem Drittel bis über Fünfzig Prozent zum Ende des ersten Schuljahres überwunden werden. Die Entwicklungsverläufe der Kinder sind asynchron. In Verbindung mit LRS und Legasthenie werden immer wieder bestimmte Teilleistungsschwächen gebracht. Dazu gehören[39]:
- eine zu geringe Sprachentwicklung, v.a. in der Artikulation (also der sorgfältigen Aussprache: undeutliche Aussprache, stottern, stammeln) und/oder Hörunterscheidung. Allerdings wird diese im normalen Umgang oft nicht beobachtet
- die Buchstabenformen können nicht sicher unterschieden werden (Unsicherheit beim diskriminierenden Sehen)
- bei Silbengliederung und Koordination treten Probleme auf
- es kommt zu Verdrehungen und Verwechslungen von Buchstaben
- die Feinmotorik ist unterentwickelt, es zeigt sich eine Hyperaktivität
Zu Lernproblemen kann es auch durch soziale und psychische Beschwernisse kommen. Eichler weist auf die Gefahren hin, die ein anregungsarmes soziales Umfeld birgt, ebenso eine mangelnde Annahme in der Familie/Schule, seelische Belastungen (Scheidung, Tod) oder Schul-/ Schreibangst.[40] Emotionale Probleme oder eine ungünstige Sozialisation können dazu führen, dass Kinder das Lernangebot der Schule nicht annehmen können.[41]
Lange Zeit wurde versucht für Legastheniker typische Fehler zu erkennen, diese Annahme gilt als widerlegt. Ebenso lässt sich die Annahme von Fehlerhäufungen und einer Inkonsistenz der Fehler (also ihrer Unregelmäßigkeit: das gleiche Wort wird immer anders geschrieben, möglicherweise auch einmal richtig) als Anzeichen für LRS/Legasthenie nicht halten. Naegele und Valtin weisen darauf hin, dass Annahmen über eine „systematische Veränderung der Fehlersymptomatik bei legasthenen Kindern“[42] nicht spezifisch sind. Bei häufigen Fehlern kann es sich auch um einen zeitlich verschobenen Entwicklungsverlauf (im Vergleich zu normal lernenden Kindern) handeln.
[...]
[1] Vgl. Naegele, Ingrid/Valtin, Renate: „Vermeidung von Rechtschreibschwierigkeiten: Was kann die Grundschule tun?“ In: Valtin, Renate: Beiträge zur Reform der Grundschule. Bd. 109: Rechtschreiblernen in den Klassen 1-6. Grundlagen und didaktische Hilfen. Beiträge zur Reform der Grundschule. Frankfurt a.M: Arbeitskreis Grundschule, 2000. S. 132-133.
[2] Vgl. Schründer-Lenzen, Agi (³2009): „Eckpunkte des gegenwärtigen Verständnisses von Schriftspracherwerb.“ In: Schründer-Lenzen, Agi: Schriftspracherwerb und Unterricht. Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften, S. 29. [Im Folgenden zitiert als Schründer-Lenzen.]
[3] Vgl. ebd.
[4] Vgl. Einsiedler, Wolfgang/Götz, Margarete: Handbuch Grundschulpädagogik und Grundschuldidaktik. Bad Heilbrunn: Klinckhardt ²2005. S. 477.
[5] Vgl. ebd. S. 207.
[6] Schründer-Lenzen. S. 37.
[7] Vgl. zu folgendem Abschnitt: Hartke, Bodo/Koch, Katja: Förderung in der schulischen Eingangsstufe. Stuttgart: W. Kohlhammer 2010. S. 191. [Im Folgenden zitiert als Hartke.]
[8] Ebd.
[9] Vgl. zu diesem Abschnitt: Schründer-Lenzen. S. 31.
[10] Hartke. S. 192.
[11] Vgl. zu folgendem Abschnitt: ebd.
[12] Vgl. Schründer-Lenzen. S. 32.
[13] Ebd. S. 33.
[14] vgl. zu folgendem Abschnitt: Valtin, Renate: „Ein Entwicklungsmodell des Rechtschreibenlernens.“ In: Valtin, Renate (Hrsg.):Rechtschreiben lernen in den Klassen 1-6. Grundlagen und didaktische Hilfen. Beiträge zur Reform der Grundschule. Frankfurt a.M.: Arbeitskreis Grundschule e.V., 2000. S. 17-22.
[15] Vgl. Mann, Christine: LRS/Legasthenie. Prävention und Therapie, Weinheim und Basel: Beltz, 2001. S. 15. [Im Folgenden zitiert als: Mann.]
[16] Thomé, Günther (Hrsg.): Von Legasthenie bis LRS. Grundlagen-Diagnose-Förderung. Oldenburg: Druckzentrum der Carl von Ossietzky Universität, ²2003. S. 5. [Im Folgenden zitiert als: Thomé.]
[17] Teilleistungen sind Akustik, Optik, Raumlage, Serialität und Intermodalität (vgl. Suchodoletz, S. 70).
[18] Vgl. Bechen, Peter/Kinziger, Werner u.a.: LRS. Lese Rechtschreib- und Rechenschwäche. Ratgeber für den Weg zur Selbsthilfe. Stuttgart: Georg Riederer Corona, 2004. S. 17. [Im Folgenden zitiert als Bechen.]
[19] Vgl. Naegele, Ingrid: Lese-Rechtschreib-Schwierigkeiten. Vorbeugen -Verstehen-Helfen. Ein Elternhandbuch. Weinheim und Basel: Beltz, 1995. S. 84.
[20] ICD = internationale Klassifikation der Krankheiten
[21] Klicpera, Christian/Schabmann, Alfred: Legasthenie-LRS. Modelle, Diagnose, Therapie und Förderung. München: Ernst Reinhardt, 2010. S. 124f. [Im Folgenden zitiert als: Klicpera.]
[22] Bechen. S. 17.
[23] Vgl. Thomé. S. 12.
[24] Vgl. Bechen. S. 16.
[25] Vgl. ebd.
[26] Ortner, Alexandra/Ortner, Reinhold: Handbuch Verhaltens- und Lernschwierigkeiten. Weinheim und Basel: Beltz, 1997. S. 269. [Im Folgenden zitiert als Ortner.]
[27] Vgl. Naegele, Ingrid/Valtin, Renate (Hrsg.):LRS in den Klassen 1-10. Handbuch der Lese-Rechtschreib-Schwierigkeiten. Bd. 1: Grundlagen und Grundsätze der Lese-Rechtschreib-Förderung. Weinheim und Basel: Beltz, ⁴1997. S. 10.
[28] Vgl. Schulte-Körne, Gerd: „Lerntheoretisch begründete Therapieverfahren bei der Lese-Rechtscheib-Störung“. In: von Suchodoletz, Waldemar (Hrsg.): Therapie der Lese-Rechtschreib-Ströung (LRS). Traditionelle und alternative Behandlungsmethoden im Überblick. Stuttgart: Kohlhammer, ²2006. S. 33-57.
[29] Kultusministerkonferenz 1978
[30] Vgl. ebd.
[31] Vgl. zu folgendem Abschnitt: Eichler, Wolfgang: „Lese-Rechtschreibschwierigkeiten und Legasthenie nach dem neuropsychologischen und Teilleistungskonzept“. In: Thomé, Günther (Hrsg.): Von Legasthenie bis LRS. Grundlagen-Diagnose-Förderung. Oldenburg: Druckzentrum der Carl von Ossietzky Universität, ²2003. S. 49-71. [Im Folgenden zitiert als: Eichler.]
[32] Vgl. Bechen. S. 22.
[33] Vgl. ebd. S. 55.
[34] Klicpera. S. 194.
[35] Vgl. ebd.
[36] Klicpera. S. 14.
[37] Vgl. ebd. S. 15.
[38] Vgl. zu folgendem Abschnitt: Klicpera. S. 131-135.
[39] Vgl. Eichler. S. 54f.
[40] Vgl. ebd.
[41] Scheerer-Neumann, Gerheid: „LRS und Legasthenie: Rückblick und Bestandsaufnahme.“ In: Naegele, Ingrid/Valtin, Renate (Hrsg.):LRS in den Klassen 1-10. Handbuch der Lese-Rechtschreib-Schwierigkeiten. Bd. 1: Grundlagen und Grundsätze der Lese-Rechtschreib-Förderung. Weinheim und Basel: Beltz, ⁴1997. S. 53.
[42] Ebd. S. 49.