Für neue Kunden:
Für bereits registrierte Kunden:
Hausarbeit, 2010
19 Seiten, Note: 1,0
1 Einleitung
2 Fallbeschreibung „Die fremde Welt der Frau Müller“
3 Theorie nach Alice Salomon
4 Anwendung der Theorie nach Alice Salomon
5 Lebensweltorientierte Soziale Arbeit nach Hans Thiersch
6 Anwendung der Theorie nach Hans Thiersch
7 Theorie nach Silvia Staub-Bernasconi
8 Anwendung der Theorie nach Silvia Staub-Bernasconi
9 Fazit
Literaturverzeichnis
In unserer Hausarbeit sollen wir drei selbst ausgewählte Theorien beispielhaft beschreiben und auf einen selbst ausgewählten Fall anwenden. Hierfür stelle ich zunächst den Fall „Die fremde Welt der Frau Müller“ vor, den ich dann unter Heranziehung verschiedener Theorien betrachten werde und für den ich, im Blick der jeweiligen Theorie, Handlungsmöglichkeiten erarbeiten werde.
Anschließend stelle ich die Theorien nach Alice Salomon, Hans Thiersch und Silvia StaubBernasconi vor. Jeweils im Anschluss an die inhaltliche Beschreibung der Theorie folgt die Anwendung auf den Fall. Im abschließenden Fazit vergleiche ich die drei Theorien und überprüfe sie auf ihre Anwendbarkeit auf den Fall hin.
Den Fall der demenzkranken Frau Müller habe ich aus einem persönlichen Interesse gewählt, da meine Großmutter ebenfalls schwer an Alzheimer erkrankt ist und mich dieser Fall an die Zeit kurz nach dem Tod meines Großvaters erinnerte, der ähnlich wie Herr Müller den Alltag meiner Großeltern strukturiert und geregelt hatte.
Für Alice Salomons Theorie habe ich mich entschieden, um mich mit einer klassischen Theorie zu befassen. Hans Thierschs Theorie stellt für mich einen weiteren Klassiker dar, da die Lebensweltorientierung in vielen Bereichen der Sozialen Arbeit einen wichtigen Stellenwert hat und oft ganz oder teilweise umgesetzt wird. Um zusätzlich mit einer neueren Theorie zu arbeiten, habe ich die systemische Theorie von Silvia Staub- Bernasconi ausgewählt.
Frau Müller lebt in einer Wohnung zur Miete, das Mehrfamilienhaus, dessen Eigentümer Herr Schlegel auch im selben Haus wohnt, liegt in einem gutbürgerlichen Wohngebiet. Hier sind die Vorgärten gepflegt, die Nachbarn kennen sich und geben auf einander acht. Es gibt eine positive Form sozialer Kontrolle. Die älteren Bewohner des Gebiets treffen sich in der katholischen Kirchengemeinde. Diese leistet eine gute Seniorenarbeit. Im Kirchenchor, beim gemeinsamen Basteln oder während gemeinsamer Ausflüge können Beziehungen gepflegt werden.
Frau Müllers Mann starb vor kurzer Zeit ganz plötzlich, als die Beiden gemeinsam fern gesehen haben. Durch seinen Tod verlor Frau Müller den Menschen, der bisher rundherum für sie verantwortlich war und sich um alle Angelegenheiten kümmerte. Herr Müller hat die sozialen Kontakte des Ehepaars gepflegt und sich auch sonst um den Alltag gekümmert. Frau Müller hat durch diesen Verlust einen Schock erlitten. Sie macht ihrem Mann Vorwürfe, dass er sie einfach so alleine gelassen hat.
Frau Müller ist verwirrt und hat schon öfter den Wohnungsschlüssel verloren. Nachts hat sie Angstzustände und Halluzinationen. Sie hat in solchen Situationen schon einige Male die Polizei gerufen. Die Beamten blieben dann so lange bei ihr, bis sich sich beruhigt hatte. Mit dem Tod ihres Mannes, der im Wohngebiet sehr beliebt und angesehen war, hat Frau Müller auch die meisten sozialen Kontakte in ihrem Wohngebiet verloren. Sie hat lediglich noch zu einer Nachbarin Kontakt, die sie immer zu den Chorproben abholt. Auch mit der Alltagsgestaltung und der Regelung ihrer geschäftlicher Angelegenheiten ist Frau Müller überfordert. Auf eine ausgewogene Ernährung achtet sie nicht und vergisst manche Aufgaben innerhalb von Sekunden. Ihr Gang ist schlurfend und verschlechtert sich mit der Zeit. Sie bemerkt selbst, dass sie seelisch und geistig sehr durcheinander ist. Ihr Hausarzt vermutet, dass Frau Müller demenziell erkrankt ist und überweist sie zu einer Differentialdiagnostik ins Krankenhaus.
Die Ärzte im Krankenhaus kommen zur endgültigen Diagnose, dass Frau Müller an einer beginnenden Alzheimer Demenz leidet, deren Verlauf medikamentös verlangsamt werden kann. Vom Krankenhaussozialdienst wird für die medizinische Betreuung ein Pflegedienst mit der häuslichen Krankenpflege betraut.
Als Frau Müller wieder zu Hause ist verschlechtert sich ihre Laune, sie wird aggressiver und auch ihre Merkfähigkeit lässt weiter nach. Immer wieder vergisst sie z.B. wo sie ihr Geld versteckt hat und öfter fehlt auch einmal ein einzelner Schuh. Die Chorproben und Termine beim Arzt vergisst sie ebenfalls. Unruhe um sich verträgt sie nicht mehr.
Frau Müller singt gerne, sie kann sich an alle Strophen alter Lieder erinnern und wirkt beim Singen entspannt und gelöst. Allerdings verliert sie mit der Zeit immer mehr die Fähigkeit ihren Alltag selbst zu bewältigen und auch die Einsicht, hilfebedürftig zu sein lässt nach. Je weiter die Krankheit fortschreitet, desto mehr ändert sich Frau Müllers Gefühlswelt. Die freundliche Nachbarin, die sie immer zur Chorprobe abgeholt hat, hat sie ebenso vergrault wie den Pflegedienst. Die Chorbesuche stellt sie ebenso ein wie ihre Besuche bei den Seniorennachmittagen der Gemeinde. Bei ihrer Medikamenteneinnahme möchte sie auch nicht mehr überwacht werden, sie verweigert die Tabletteneinnahme komplett. Auch ihrem gesetzlichen Betreuer misstraut sie. Sie hört vermehrt auf Ratschläge ihrer Schwester, von der sie sich zu Beginn ihrer Erkrankung nicht unterstützen lassen wollte, weil das Verhältnis unter beiden kein vertrauensvolles ist. Diese zweifelt den korrekten Umgang des Betreuers mit Frau Müllers Geld an und bedrängt sie ihre Medikamente nicht mehr zu nehmen.
Manchmal zieht Frau Müller die alten Kleidungsstücke ihres Mannes an, z.B. seinen Wintermantel oder seine Hosen. Sie weiß nicht was sie mit diesen Stücken machen soll und würde den Platz gerne für ihre eigenen Sachen nutzen. Sie vermutet, dass sie an Alzheimer erkrankt ist, die Diagnose wurde ihr von den Ärzten jedoch nicht mitgeteilt.
Ihr Zustand verschlechtert sich weiter und sie vergisst, dass sie sich selbst für einen Betreuer entschieden hatte, der ihre geschäftlichen Angelegenheiten für sie regelt. Auch ihre Sprechweise verändert sich, sie spricht immer abgehackter und lauter. Ohne Hilfe im Alltag verliert Frau Müller an Gewicht und achtet nicht mehr auf ihr Erscheinungsbild. Ihre Haare, die sie früher sehr sorgfältig pflegte, stehen wild ab und auch ihre Kleidung sieht wüst aus. Sie trägt z.B. einen zu leichten Mantel, zwei unterschiedliche Stiefel und eine Hose, die am Boden schleift. Hilfe im Haushalt akzeptiert sie nur von männlichen Helfern und sie äußert den klaren Wunsch, nicht ins Pflegeheim zu wollen.
Trotz der fortschreitenden Krankheit und der Haushaltshilfe besteht Frau Müller darauf ihre Wohnung weiterhin selbst zu putzen. Allerdings ist sie nach einiger Zeit nicht mehr dazu in der Lage. Die Wohnung sieht immer schlimmer aus, unter Anderem weil Frau Müller nicht mehr in der Lage ist, ihren Stuhlgang zu kontrollieren. Das Bett ist verkotet, in der Wohnung stinkt es und überall liegt Unrat auf dem Boden.
Als die Krankheit weiter voranschreitet glaubt Frau Müller, dass ihr Mann wieder zu Hause sei und im Keller des Hauses lebt um für sie da zu sein. Sie glaubt er hat ein Loch vom Keller in die Wohnung gebohrt um zu ihr kommen zu können (vgl. Woog 2006, 99-115).
Bei einer Demenzerkrankung wie bei Frau Müller sind negative Veränderungen und ein konstanter Abbauprozess mit abnehmender Lebenskompetenz vorgegeben (vgl. Woog 2006, 100).
Es war Alice Salomons Anliegen, eine Handlungswissenschaft der Sozialen Arbeit zu entwerfen, die sich aus der praktischen Arbeit heraus entwickeln sollte. Die grundlegendsten Themen der Sozialen Arbeit waren für Alice Salomon: die Gründe sozialer Not zu erforschen, den Gegenstand Sozialer Arbeit zu klären sowie die Ziele und Methoden fest zu legen (vgl. Kuhlmann 2008, 38-40).
In ihrem Text „Die Theorie des Helfens.“ von 1927 beschreibt sie wie diese Handlungswissenschaft aussieht. In der phänomenalen Frage legt Alice Salomon ihr Augenmerk vor allem auf die individuelle Persönlichkeitsentwicklung des einzelnen Menschen. Probleme die ein Mensch hat, sind ihrer Auffassung nach stets Anpassungsprobleme. Der Mensch muss sich seiner gegebenen Umwelt anpassen oder diese an sein Leben anpassen. Oft treten diese Anpassungsprobleme auf, wenn sich im Leben des Menschen etwas ändert. Häufig sind dies Lebenskrisen, wie zum Beispiel der Verlust des Ehepartners (vgl. Salomon 1927, 53-54). Sie vertritt die Auffassung, wer die Anpassung meistert, beherrsche die Kunst des Lebens (vgl. Salomon 1927, 55).
Bei der Betrachtung der Ursachen betont Salomon zwar den Einfluss äußerer Ursachen, aber sie sieht den Menschen nicht bloß als Produkt dieser. Ihrer Auffassung nach trägt der Mensch für sein Leben eine eigene Verantwortung (vgl. Kuhlmann 2008, 43-44). Gerade weil die Welt nicht wie ein extra angefertigtes Kleidungsstück passt, muss sich jeder Mensch mühevoll anpassen, die notwendige Anpassung ist also ein typischer Bestandteil menschlichen Lebens (vgl. Salomon 1927, 52-53). Hierfür stehen jedem Menschen unterschiedliche Ressourcen zur Verfügung, jeder hat unterschiedliche Anlagen und Erfahrungen, die ihn ein Leben lang prägen und formen. Gelingt einem Menschen die Anpassung nicht, so liegt das nicht an seinen fehlenden Fähigkeiten, sondern er ist durch äußere oder innere Faktoren gehemmt. Grundsätzlich trägt jeder Mensch die Fähigkeit in sich, sein Leben zu meistern (vgl. Salomon 1927, 56).
Der aktionale Grundgedanke Salomons ist es einem Menschen zu helfen sich seiner Umwelt anzupassen, oder die Umwelt den Bedürfnissen des Menschen anzupassen (vgl. Salomon 1927, 60 und Engelke 2008, 245). Dabei hat sie neben der schematischen Versorgung und der Fürsorge für Gruppen auch die Fürsorge für den Einzelnen im Blick, denn jeder Mensch lebt in anderen Verhältnissen und mit anderen Voraussetzungen (vgl. Salomon 1927, 56). Am Beginn und im Verlauf der Einzelfallhilfe steht die soziale Diagnose. Zur Diagnose muss die Entstehung der Hilflosigkeit rekonstruiert werden und die aktuellen Ursachen der Situation müssen geklärt werden. Anschließend ist ein Hilfeplan zu erstellen, hierbei müssen die Ressourcen des Betreffenden und des Umfeldes berücksichtigt werden. Die Umsetzung dieses Planes muss schrittweise erfolgen und fortlaufend auf seine Wirksamkeit überprüft und gegebenenfalls verändert werden (vgl. Müller 2005, 1206 und Engelke 2008, 245).
Salomon baut bei der Planung auf die positive Kraft des Gefühls der Lebensbewältigung. Etwas das ein Mensch für sich selbst zustande bringt, hat mehr Wirkung, als Hilfe die von außen wirkt. Das Ziel der Entwicklungsförderung und Charakterstärkung kann am besten verwirklicht werden, wenn der Mensch sich seiner Schwierigkeiten selbst annimmt (vgl. Salomon 1927, 58). Um den Menschen von seinen Hemmnissen zu befreien muss ihm Hilfe zur Selbsthilfe geboten werden. Nimmt man dem Menschen diese Möglichkeit für sich selbst zu sorgen, dann „verstümmelt“ man ihn (vgl. Salomon 1927, 56-57). Ziel ist also eine führende Hilfe, bei der Vorschläge zur Verbesserung gemacht werden, aber die Umsetzung vom Betreffenden selbst ausgeht. Voraussetzung für eine gelingende Hilfe ist der Wunsch und die Bitte des Betreffenden Hilfe zu erhalten, nur bei Menschen die nicht fähig sind sich selbst zu helfen ist ein Eingreifen ohne Willenserklärung des Betreffenden gerechtfertigt (vgl. Salomon 1927, 57). Führende Hilfe im Sinne Alice Salomons beansprucht viel Zeit, denn „Wachstum ist ein Ergebnis von Jahren, nicht von Tagen“ (Salomon 1927, 58). Ein Mensch der sich über Jahre hinweg zu dem entwickelt hat der er ist, kann nicht in wenigen Tagen verändert werden. In diesem Prozess der Entwicklung muss auch die langsame und stetige Veränderung erkannt werden (vgl. Salomon 1927, 58-59).
Im Folgenden betrachte ich den vorgestellten Fall unter Anwendung der Theorie nach Alice Salomon. Um nach Salomons Theorie zu handeln muss zunächst die Entstehung der Hilflosigkeit rekonstruiert werden und die aktuellen Ursachen der Situation müssen geklärt werden. Anschließend ist die Erstellung eines Hilfeplans notwendig, dessen Umsetzung auf Wirksamkeit überprüft und gegebenenfalls angepasst werden muss.
Ausgehend von der Annahme, dass Probleme stets Anpassungsprobleme sind und diese häufig in Lebenskrisen auftreten, lässt sich der Tod von Frau Müllers Ehemann als solch eine Lebenskrise begreifen. Frau Müller muss sich an die veränderte Situation, das Leben ohne ihren Mann, anpassen, hierbei treten nun Anpassungsprobleme auf. Herr Müller hatte sich bis zu seinem Tod um alle Angelegenheiten des täglichen Lebens gekümmert, diese Aufgabe muss Frau Müller nun für sich selbst bewältigen. Auch Sozialkontakte muss Frau Müller nun selbst pflegen. Die Erkrankung Frau Müllers stellt ebenfalls eine Lebenskrise dar, die ihr ein Anpassen an die neue Situation erschwert. Sie hat nun niemanden mehr an ihrer Seite, der ihre nachlassende geistige Leistungsfähigkeit auffangen kann und niemanden mehr, der sie in der Anpassung an ihre Krankheit unterstützt.
Es gelingt Frau Müller nur schwer sich an ihre aktuelle Lebenssituation anzupassen oder ihre Lebenswelt ihren Bedürfnissen nach anzupassen.
Hat ein Mensch Anpassungsprobleme, so liegen die Ursachen nach Alice Salomon in äußeren und inneren „Hemmungen“. Als äußeres Hemmnis ist sicher der unerwartete Tod des Herrn Müller zu betrachten. Frau Müller ist plötzlich alleine und muss mit diesem Verlust umgehen. Als weiteres äußeres Hemmnis kann auch das Rollenverständnis der Müllers betrachtet werden.
[...]