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Seminararbeit, 2010
19 Seiten, Note: 2,0
Philosophie - Theoretische (Erkenntnis, Wissenschaft, Logik, Sprache)
1.Einleitung
2.Raimo Tuomela und Kaarlo Miller
3.John R. Searle
4.Margaret Gilbert
5.Michael E. Bratman
6.Zwischenresümee
7.Annette C. Baier
8.Resümee
9.Literaturverzeichnis
Kollektive Intentionalität bezeichnet ein soziales Phänomen, das gemeinsames Handeln ermöglicht. Bedenkt man, dass gemeinsame Absichten, ob nun bewusst oder unbewusst, einen Großteil zur Etablierung und Institutionalisierung einer Art Gemeinwillens beitragen, so scheint die Thematik eine sehr grundlegende und spannende für kulturelle Prozesse zu sein. Zu durchdenken und zu beschreiben, was dieses fragile Gebilde schwer nachweislicher Zwischenmenschlichkeit in seinem Wesen ausmacht und wie man es erfassen kann, haben sich verschiedene Autoren zur Aufgabe gemacht. Es wurden unterschiedliche Ansätze zu Tage gefördert, von denen einige im Rahmen dieser Arbeit miteinander verglichen, untersucht und letztlich auf ihren Erkenntnisgewinn hin überprüft werden sollen.
Zuerst werden vier Ansätze erläutert und aufeinander bezogen. Danach werden diese so gut es geht kurz resümiert, um anschließend einen reflektierenden Aufsatz aus der Debatte um kollektive Intentionalität vorzustellen. Am Ende wird das Thema unter genannten Gesichtspunkten zusammengefasst.
Der Ansatz dieser beiden finnischen Herren zeigt sich bemüht die Begrifflichkeiten in definitorischer Genauigkeit einzugrenzen. Es wird der Begriff der Wir-Absicht als eine Gruppenabsicht eingeführt, die „[…] meist zum Zweck der Erreichung eines gemeinsamen Ziels“[1] besteht. Klar auszuklammern sind dabei Handlungen von Personen, die nur unabsichtlich im Sinne eines Gruppenziels fungieren. In solchen Fällen handelt es sich um das gleiche, aber kein gemeinsames Ziel. Dies soll verdeutlichen, dass eine Wir-Absicht auch die wechselseitige Überzeugung einschließt, dass bestimmte andere Akteure beteiligt sind, und, dass die Summe von gleichen Ich-Absichten noch keine Wir-Absicht ausmacht. Nun kann man hier schon an der Schwelle stolpern und sich fragen, ob zwischen wechselseitiger Überzeugung und zufällig geteilten Absichten nicht ein fraglicher Bereich auszumachen ist, der durchaus eine Rolle für das Thema spielt. Doch es ist den Autoren natürlich selbst überlassen, wie sie ihre Begriffe definieren und wo sie die Grenze ziehen. Ob es sinnvoll scheint eine Wir-Absicht derart eng zu fassen, soll jedoch in Frage gestellt werden.[2]
Obwohl eine Wir-Absicht nicht zurückführbar ist auf Ich-Absichten, sind solche zwingend enthalten, zumeist in der Form: ich beabsichtige meinen Teil der kollektiven Handlung zu tun. Das Konglomerat von einzelnen Ich-Absichten und den wechselseitigen Überzeugungen, bildet mit einer Wir-Absicht seine eigene Dimension (sonst bedürfte es des Begriffs nicht), die aber misslicher Weise nicht explizit eingeräumt wird. D.h., dass eine Wir-Absicht ohne der Handlung zuträglich zu sein, als Intention, Motivation oder Bedingung der Einzelhandlungen existiert. Zusammengefasst bedeutet diese Untersuchung eine Zerlegung eines „[…] gemeinsamen sozialen Handelns […]“[3] in eine Wir-Absicht, in Ich-Absichten und die entsprechenden Ich-Handlungen. Die Wir-Absicht geht der Ich-Absicht quasi als Motivation oder Auslöser voraus und existiert ausschließlich bei den Individuen des Kollektivs. Eine Wir-Handlung als solche hat kein elementares Äquivalent und kann daher in Ich-Handlungen aufgelöst werden.[4]
Ganz dem Versuch folgend, eine Analyse nach den Gesetzen der Logik anzustellen, hat jede Motivation zu einer kollektiven Handlung einen mechanischen Beiklang, der sich im Vorwurf der Reduktion von Seiten der Kritiker schon artikuliert hat. Diese logische Analyse, welche auch den beschriebenen Akteuren einverleibt ist, scheint wichtige Bestandteile nicht in ihre Rechnung aufzunehmen oder nicht zu können. Zum einen, die Eingrenzung kollektiver Intentionalität durch den Begriff der Überzeugung, der als Schlüsselbegriff weiterhin fraglich bleibt. Zum anderen wird die Tatsache des Handelns nach dem Prinzip des Unwahrscheinlichen unterschlagen, obschon es der Definition nicht widerspricht. Es tritt sogar sehr häufig auf, denkt man an Hoffnung und ähnliche Beweggründe.[5]
Außerdem birgt dieses System die Gefahr, die spontanen und emotionalen Einflussnahmen auf die Qualität der Wir-Absicht selbst nicht erfassen zu können. Das begriffsanalytische Gebilde lässt den Eindruck von Unfertigkeit zurück und befriedigt daher nur bedingt.
Ein interessantes Fallbeispiel zeigt sogar, dass Tuomelas und Millers Methode in ihrer grundlegenden Definition problematisch und zu widerlegen ist.
„Angenommen, eine Gruppe von Geschäftsleuten studiert an einer Business-School, wo sie Adam Smiths Theorie der unsichtbaren Hand lernen. Jeder kommt zu der Überzeugung, dass er der Menschheit am besten helfen kann, indem er sein Eigeninteresse verfolgt, und jeder von ihnen bildet eine so lautende Absicht; […] Wir wollen ferner annehmen, dass die Gruppenmitglieder eine wechselseitig geteilte Überzeugung derart haben […]“[6]
Dieses Beispiel bewegt sich zwar stark an der Grenze, da die Art der Gewissheit der Überzeugungen angezweifelt werden kann und damit auch, ob es überhaupt erlaubt von Überzeugung zu sprechen. Doch idealtypisch sind die Bedingungen einer Wir-Absicht erfüllt. Fälle, in denen Teil-Ich-Absichten identisch sind, kann diese Analyse nicht angemessen berücksichtigen. John R. Searle legte dieses Gegenbeispiel oder besser diesen Einwand, der die Analyse für unstimmig erklärt, vor. Nach ihm handele es sich dabei nämlich nicht um eine kollektive Absicht. Dort anknüpfend begann Searle eine eigene Konzeption zu erarbeiten. Die Vorwürfe der Zirkularität, hier definitorische Selbstbezüglichkeit, oder im andern Fall einer Widerlegbarkeit kann man durchaus als Missverständnis auflösen, doch der Grundgedanke, dass sich die vorgeschlagene Methode als Analyse nicht eignet, bleibt nachvollziehbar.[7]
Schon das Beispiel mit dem Searle seine Ausführungen beginnt, sensibilisiert für die enorme Varianz und Bedeutung mentaler Zustände. In dem von ihm beschriebenen Fall, dem er eine kollektive Absicht abspricht, gibt es sogar eine von allen akzeptierte Ideologie, der zufolge es keine Wir-Absicht geben sollte. Erst wenn die Absolventen beispielsweise einen Pakt schlössen, läge eine kollektive Absicht vor. Searle lokalisiert das Problem der Analyse, die von Tuomela und Miller vorgeschlagen wurde, auf den Ausdruck »seinen Teil tun«. Dieser Ausdruck impliziert die Kooperation noch nicht, die aber für eine kollektive Handlung grundlegend ist.[8]
An dieser Stelle soll Searles Betrachtung von der vorangegangenen vorerst gelöst werden – die Übereinstimmungen und eben auch die Abweichungen sind offensichtlich. Searle knüpft kollektive Absichten an die Bedingungen, die Gesellschaft bestehe aus einzelnen Individuen als elementare soziale Kategorie, um mystisch anmutende Phänomene wie einen Gruppengeist oder ähnliches auszuschließen. Zum anderen müsse eine kollektive Absicht auch unabhängig von den sinnlichen Einflüssen und deren Interpretation des Individuums existieren können. Es handle sich also um einen mentalen Zustand, der sich auch bei einem einzelnen Gehirn simulieren ließe. „Wir müssen bloß festhalten, dass individuelle Akteure über alle Intentionalität, die für kollektives Verhalten gebraucht wird, verfügen können, obwohl die fragliche Intentionalität sich auf das Kollektiv bezieht.“[9] Im Gegensatz zu Tuomelas und Millers Ansatz stehen die Absichtsmodi hier gleichartig und beinahe gleichwertig nebeneinander, allerdings ebenfalls nur als individuelle Zustände.[10]
Searles Analyse betrachtet ein Ereignis relevanter Art als Kombination psychischer und physischer Aktionen. Für den speziellen Fall einer Absicht bedeutet das, die Absicht einer Handlung und die Handlung selbst stellen zwei Seiten einer Medaille dar. Während Absichten, ob nun individuell oder kollektiv, immer elementare oder wie es im Text heißt „primitive“[11] Zustände sind, bezeichnen die einhergehenden Handlungen hierarchisch beschreibbare Sinneinheiten – die Handlung eine Sauce zu kochen lässt sich in ihre einzelnen Handlungsschritte zergliedern.[12]
Searle hat den logischen Ansatz bei Tuomela und Miller, der seinem Wesen nach tendenziell eine außenstehende Betrachtung sein musste, um ein Innen erweitert. Die Notation, die er vorschlägt, kann sein beschriebenes Verständnis nur bedingt tragen, aber scheint durchaus praktikabel zu sein. Er empfiehlt, Ziel einer Absicht und Handlungsschritt durch einen mittels-Operator zu verbinden. Ob es sich um ein individuelles oder kollektives Vorzeichen der Absicht handelt, wird schlichtweg gekennzeichnet (B-mittels-A; Kollektives-B-mittels-A).[13]
So simpel das Ergebnis, so komplex die Voraussetzungen und doch bleibt dieser Term flexibel genug, auch andere Verständnisgrundlagen heranzutragen. Das macht die Praktikabilität dieser Konzeption aus und scheint daher vielversprechend für die Beschreibung sozialer Phänomene zu sein. Was Searles Verständnis kollektiver Intentionalität angeht, scheint es, in Anbetracht der Schwierigkeit mentale, psychische und sich beständig wandelnde Phänomene sprachlich zu erfassen, wie auch bei Tuomela und Miller, eine recht lineare Konstruktion zu sein.
Alles Weitere, wie z.B. das Individuum als Grundkategorie von Gemeinschaft anzunehmen, bleibt eine Glaubens- bzw. Perspektivenfrage, die jemandem, der nach dem Verständnis der Dinge trachtet, zweitrangig bleiben kann (solange er der Übersetzung in den eigenen Geist fähig ist).
Gilbert geht in ihrem Aufsatz dem sozialen Phänomen eines Kollektivs und damit auch dem einer kollektiven Intention anhand des Beispiels gemeinsamen Spazierengehens nach. Sie nimmt sich bewusst ein derartiges Beispiel vor, weil es zeitlich begrenzt und damit nicht in einer Weise komplex ist, die einen Einstieg erschweren würde und trotzdem alle tragenden konstitutiven Eigenschaften kollektiver Handlungen und Vereinigungen enthalten soll. Auch sie untersucht, wie die zuvor beschriebenen Autoren, das Phänomen in der Relation individueller zu kollektiver Handlung. Gilbert kommt ebenfalls zu dem Schluss, dass es notwendig scheint, wechselseitige Überzeugungen der Absichten zu teilen, um eine kollektive Absicht zu bilden. Um weiter mit dem vorangegangenen Vokabular zu arbeiten, sieht auch sie eine kooperative Komponente notwendig, um einem Handeln ein gemeinsam voranzustellen. Sie beschreibt eine solche Situation bestimmt dadurch, dass gewisse soziale Rechte und Pflichten den Kollektivbeteiligten gegenüber eröffnet sind. Interessanterweise liegt ihr Fokus der Situation noch weiter innerlich als bei Searle. Die gegenseitige Kommunikation (jeglicher Art), die beständig die Bedingungen einer kollektiven Absicht prüft, garantiert die Aufrechterhaltung derselben. Sie bleibt also nicht bei der allgemeinen Begrifflichkeit und Abstraktion mentaler Zustände stehen, sondern betrachtet in feinsinniger Vorsicht die individuellen Voraussetzungen und variierenden Formen der gegenseitigen Gewissheit (bzw. Überzeugung) von Kollektivität. Damit weicht sie den Begriff der Überzeugung in seiner Strenge auf, da sie die Möglichkeiten der Kommunikation, die Gewissheit hinreichend gestaltet, beschreibt. Sie löst also eine von außen her möglicherweise identisch aussehende Situation in ihre verschiedenen personellen Blickwinkel auf. Frei nach dem Motto, viele Wege führen nach Rom, scheint Gilbert das (ehrlich) repräsentierte Interesse bezeichnend und im wörtlichen Sinne maßgebend für die Gewissheit geteilter bzw. gemeinsamer Absicht zu sein. Ist die Bereitschaft und Akzeptanz zu einer gemeinsamen Handlung einmal kommuniziert, ist auch eine Wir-Absicht etabliert. Gilbert spricht dann von einem „Pluralsubjekt des Ziels“[14]. An dieser Stelle bzw. schon als die sozialen Berechtigungen eingeführt wurden, trennt sich ihr Ansatz von den vorangegangenen. Ebendiese Berechtigungen bedeuten, dass ein Individuum über den Willen anderer Individuen des Kollektivs verfügen kann, sofern diese Verfügung der geteilten Absicht entspricht.[15]
Gilberts Konzeption lässt sich durchaus mit der Searles in Überstimmung bringen. Die Fokussierung ist allerdings eine andere, denn Gilbert konzentriert sich vielmehr auf die kommunikativen Komponenten einer kollektiven Handlung. Diese Detailfixierung führt aber nur schwerlich in eine allgemeingültige Analysemethode und -notation. Anders ausgedrückt zeigt sie auf, wie schwer die Realität es einem macht, solche Phänomene überhaupt systematisch anzugehen. Damit trägt sie allein in ihrer Art der Herangehensweise der Wirklichkeit am meisten Rechnung. Verlässt man die spezielle Situation und verlegt den Blickwinkel der Betrachtung nach außen, fände die Notation Searles wieder Anwendung, doch die Vorsicht und Mahnung vor der Fragilität eines solchen kollektiven Gebildes scheint dann ebenfalls auf den Betrachter übertragen zu sein.
[...]
[1] Tuomela, Raimo; Miller, Kaarlo: Wir-Absichten. In: Schmid, Hans Bernhard (Hrsg.); Schweikard, David P. (Hrsg.): Kollektive Intentionalität. Eine Debatte über die Grundlagen des Sozialen. Frankfurt am Main: Suhrkamp 2009, S. 72.
[2] Vgl. ebd., S. 73 - 76.
[3] Ebd., S. 72.
[4] Vgl. ebd., S. 79 - 81.
[5] Vgl. ebd,. S. 79f.
[6] Searle, John R.: Kollektive Absichten und Handlungen. In: Schmid, Hans Bernhard (Hrsg.); Schweikard, David P. (Hrsg.): Kollektive Intentionalität. Eine Debatte über die Grundlagen des Sozialen. Frankfurt am Main: Suhrkamp 2009, S. 104.
[7] Vgl. ebd., S. 100 - 105.
[8] Vgl. ebd., S. 106.
[9] Ebd., S. 108.
[10] Vgl. ebd., S. 106 - 108.
[11] Ebd., S. 107.
[12] Vgl. ebd., S. 109 - 111.
[13] Vgl. ebd., S.114f.
[14] Gilbert, Margaret: Zusammen spazieren gehen. Ein paradigmatisches soziales Phänomen. In: Schmid, Hans Bernhard (Hrsg.); Schweikard, David P. (Hrsg.): Kollektive Intentionalität. Eine Debatte über die Grundlagen des Sozialen. Frankfurt am Main: Suhrkamp 2009, S. 164.
[15] Vgl. ebd., S. 154 - 167.
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Projektarbeit, 12 Seiten
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