Unter der beschönigenden Bezeichnung „Euthanasie“ wurden im Dritten Reich Hunderttausende behinderter Menschen ermordet. Als Motiv wurden – vor allem von den Nationalsozialisten selbst, aber auch von späteren Historikern – hauptsächlich wirtschaftliche Gründe angegeben, nämlich der dringende Bedarf an Anstaltsbetten für Wehrmachtsangehörige und allgemeine Einsparungen. Der tiefere Beweggrund lag jedoch in einer Ideologie, deren Ideal ein rassisch homogenes und gesundes Volk war, das durch Ausschaltung alles „rassisch“ oder erbmäßig „Minderwertigen“ geschaffen werden sollte.
In allen drei Phasen der Mordaktionen waren nicht nur Ärzte, sondern auch Pflegepersonen in die Taten verwickelt. Dementsprechend wurden in den Nachkriegsprozessen auch Pfleger und Pflegerinnen der Mitwirkung an der Euthanasie angeklagt und zum Teil verurteilt. Um diese Prozesse geht es in dieser Arbeit. Zwei in Deutschland und zwei in Österreich in den ersten Nachkriegsjahren geführte Prozesse werden im Detail verglichen; im besonderen werden die Anklagepunkte und die angewendeten Gesetze, die Verteidigung der Angeklagten, die Urteile und die Urteilsbegründungen in den Blick genommen.
Die Untersuchung ergab, dass sowohl in Österreich als auch in Deutschland über ähnliche Taten sehr verschiedene Urteile gefällt wurden, wobei in Österreich drei Gesetze zur Verfügung standen, in Deutschland nur eines. Bereits zwischen 1945/46 und 1948 ist in beiden Ländern ein Milderwerden der Urteile festzustellen. Die österreichischen Urteile waren in den hier untersuchten Fällen eher strenger als die deutschen. Für die vorgefundenen Unterschiede in der Urteilssprechung zwischen Deutschland und Österreich – aber auch zwischen den einzelnen Prozessen im gleichen Land – waren vermutlich verschiedene Gründe maßgebend. Unter anderem gehören dazu: tatsächliche Unterschiede bei der Begehung der Taten, Unterschiede in der Gesetzgebung und die Anwendung unterschiedlichen Rechts; größeres oder geringeres Bemühen des Gerichts um ein Urteil, das den speziellen Umständen Rechnung trägt; die prinzipielle Einstellung der Richter, verschiedene Interventionen, die allgemeine Stimmung in der Bevölkerung und ähnliche Umstände sowie auch die weitgehende Nichteignung der für „normale“ Verhältnisse geschaffenen Gesetze für die Anwendung auf die NS-Euthanasie-Verbrechen.
Inhaltsverzeichnis
- 1. Einleitung: Historische Anthropologie – ein komplexes Feld
- 2. Das Buch
- zu Inhalt und Methode
- 3. Das Leben auf einer Insel – eine Mikrogeschichte?
- 3.1. Kleiner Untersuchungsgegenstand, weite Erkenntnisperspektive
- 3.2 Möglichkeit einer „histoire totale“?
- 4. Weitere Charakteristika der Historischen Anthropologie - inwieweit treffen sie auf „Lampedusa“ zu?
- 4.1 Fremdes und Fremde
- 4.2 Neue Subjektivität
- 4.3 Kulturen statt Kultur und Geschichten statt Geschichte
- 4.4 Das Menschenbild der Historischen Anthropologie
- 5. Philosophisch orientierte Historische Anthropologie
- 6. Wie bringt die Autorin sich selbst ein?
- 7. Zur Vermittlung von Geschichte
- 8. Gesellschaftlicher Bezug
- 9. Konklusion
- Literatur
Zielsetzung und Themenschwerpunkte
Die Arbeit analysiert das Buch „Lampedusa; Historische Anthropologie einer Insel“ von Heidrun Friese im Hinblick auf dessen Anspruch, Historische Anthropologie zu sein. Das Werk wird anhand der Kriterien von Gert Dressel und der Diskussionen in der Vorlesung „Wissenschaftstheorie I. Paradigmenwechsel in der Geschichtswissenschaft“ untersucht.
- Das Werk verbindet die historische Analyse der Insel Lampedusa mit anthropologischen Perspektiven.
- Die Arbeit erörtert die Einordnung des Buches in die verschiedenen Richtungen der Historischen Anthropologie.
- Die Analyse befasst sich mit der Forschungsmethode der Autorin und dem Einsatz von Archivmaterial und Feldforschung.
- Die Arbeit untersucht die zentralen Themen des Buches, darunter die Besiedlungsgeschichte der Insel, die Lebenswelt der Bewohner und die Interaktion zwischen Fremden und Einheimischen.
- Die Analyse betrachtet den gesellschaftlichen Bezug des Buches und seine Bedeutung für das Verständnis von Geschichte und Kultur.
Zusammenfassung der Kapitel
Das erste Kapitel „Aufbruch“ thematisiert sowohl den Aufbruch der sizilianischen Siedler nach Lampedusa als auch den Beginn der Autorin mit ihrem Forschungsprojekt. Die weiteren Kapitel sind als „Bilder“ konzipiert, die wiederum in „Motive“ unterteilt werden und meist mit einem „Zwischentext“ enden, der sich auf Beobachtungen oder Angaben zur gegenwärtigen Situation der Insel bezieht. Die „Motive“ werden weiter in „Fragmente“ und „Stimmen“ gegliedert. Die einzelnen Kapitel widmen sich verschiedenen Themen, die im weiteren Verlauf der Analyse genauer betrachtet werden.
Schlüsselwörter
Die Arbeit befasst sich mit den zentralen Themen und Konzepten der Historischen Anthropologie, darunter Mikrogeschichte, „histoire totale“, Fremdes und Fremde, neue Subjektivität, Kulturen statt Kultur und Geschichten statt Geschichte, sowie dem Menschenbild der Historischen Anthropologie. Darüber hinaus werden die Forschungsmethoden der Autorin, der Einsatz von Archivmaterial und Feldforschung, sowie die Verbindung von Geschichte und Anthropologie im Fokus der Analyse stehen.
- Arbeit zitieren
- Ilsemarie Walter (Autor:in), 1998, Heidrun Friese: Lampedusa - Kann das Werk der Historischen Anthropologie im Sinne der Geschichtswissenschaften zugerechnet werden?, München, GRIN Verlag, https://www.hausarbeiten.de/document/18734