Für neue Autoren:
kostenlos, einfach und schnell
Für bereits registrierte Autoren
Examensarbeit, 2011
58 Seiten, Note: 2,2
Politik - Internationale Politik - Region: Naher Osten, Vorderer Orient
1. Einleitung
2. Begriffsklärung: Frieden - Konflikt - Krieg
3. Eine Analyse des israelisch-palästinensischen Konflikts
3.1 Konfliktgegenstände und -ursachen
3.1.1 Ein- vs. Zweistaatlichkeit
3.1.2 Flüchtlinge
3.1.3 Jerusalem
3.1.4 Siedlungen & Grenzverlauf
3.2 Die USA und ihre Rolle im Nahostkonflikt
4. Von Hoffnung zu Enttäuschung - Der Verlauf des Friedensprozesses und die Beteiligung der USA
4.1 Die Prinzipienerklärung
4.2 Die Oslo-Abkommen
4.3 Yitzhak Rabins Ermordung
4.4 Der Besuch Ariel Scharons auf dem Tempelberg
5. Die Aussichten auf Frieden eine Dekade nach der Ära Clinton - ein Resümee
6. Abbildungsverzeichnis
7. Literaturverzeichnis
Am 14. September 1993 titelte die Frankfurter Allgemeine Zeitung:
„Großer Schritt zum Frieden im Nahen Osten“1 und kommentierte somit den historischen Händedruck zwischen Yitzhak Rabin und Yassir Arafat auf dem Rasen vor dem Weißen Haus in Washington. Es war der Schlusspunkt der Verhandlungen, auf die schließlich die feierliche Un- terzeichnung der Prinzipienerklärung über die vorübergehende Selbst- verwaltung der palästinensischen Autonomiegebiete folgte. Nachdem der israelische Ministerpräsident und der Vorsitzende der Palestine Li- beration Organization kurze Erklärungen zu den in Oslo ausgehandel- ten Zielen abgegeben hatten, reichten sich die beiden Staatsmänner die Hände und schufen somit ein Bild, das in kürzester Zeit um die Welt ging und gleichzeitig zum Sinnbild für den erhofften Frieden zwischen Israelis und Palästinensern wurde. „Für viele Beobachter war dies ein historischer Moment, der den Anfang vom Ende des israelisch- palästinensischen Konfliktes symbolisierte“.2 Die Erwartungen an die Verhandlungsführer waren groß und ließen die Hoffnung auf eine fried- volle Lösung des israelisch-palästinensischen Konfliktes ins Unermess- liche steigen. Die Verleihung des Friedensnobelpreises im Dezember 1994 an Rabin und Arafat unterstrich diese positive Stimmung und ließ zum ersten Mal seit der Intifada 3 der Jahre 1987-1993 wahre Zuversicht aufkommen.
Fast genau sieben Jahre nach dem historischen Händedruck wurden eben diese Hoffnungen auf ein friedliches Ende des Konfliktes begraben, als einen Tag nach dem Besuch des israelischen Oppositi- onsführers Ariel Sharon auf dem Tempelberg am 28. September 2000 Unruhen und bewaffnete Kämpfe zwischen Israelis und Palästinensern ausbrachen. Der zweiten Intifada, die erst am 8. Februar 2005 mit einer Waffenruhe beendet wurde, fielen tausende Menschen zum Opfer. Die deutsche Sozialwissenschaftlerin Margret Johannsen sieht in dieser Gewalteskalation während der so genannten al-Aqsa-Intifada sogar den Grund für das Zerbrechen des gesamten Friedensprozesses4. Mit der vorliegenden Arbeit soll der oben beschriebene Weg von der Hoffnung auf Frieden im Nahen Osten zur großen Enttäuschung untersucht werden. Vorzugsweise richtet sich dabei das Augenmerk auf den Einfluss und die besondere Rolle der USA während der Amtsperio- de des US-amerikanischen Präsidenten Bill Clinton. Wie wichtig war das Engagement der Vereinigten Staaten während dieser Ära in Bezug auf den israelisch-palästinensischen Konflikt? Hätte Bill Clinton als Prä- sident einer Supermacht - oder vielmehr der Supermacht - größeren Einfluss auf die verfeindeten Konfliktparteien ausüben können oder scheiterte der Friedensprozess an von ihm nicht beeinflussbaren Fakto- ren?
Zum intensiveren Verständnis der Situation im Nahen Osten soll vorab eine Analyse des Konflikts erfolgen, sowie fundamentale Begriff- lichkeiten geklärt werden. Relevant sind an dieser Stelle die Einführung in die Friedens- und Konfliktforschung von Peter Imbusch und Ralf Zoll sowie die von Frank Pfetsch herausgegebene Aufsatzsammlung. Auch wenn es kaum möglich ist, den Nahostkonflikt in seiner Gänze und mit all seinen historischen Ereignissen auf wenigen Seiten zu analysieren und darzustellen, so sollen doch wenigstens dessen zentrale Konflikt- gegenstände und -ursachen aufgezeigt werden, da diese in der folgen- den Beurteilung des Friedensprozesses eine signifikante Rolle spielen und überdies von großer Interdependenz geprägt sind. Ferner werden im Anschluss an die Begrifferläuterungen die Besonderheiten der Be- ziehung zwischen Israel und den Vereinigten Staaten von Amerika dar- gestellt, um die maßgebliche Vermittlerrolle der USA im Nahostkonflikt zu verbildlichen.
Ganz bewusst soll hier allerdings auf einen historischen Abriss des Nahostkonflikts verzichtet werden, wenngleich die zahlreichen Ereignis- se vor und nach dem Friedensprozess auf Grund ihrer besonderen Zu- sammenhänge nicht außer Acht gelassen werden sollen. Ebenfalls sei an dieser Stelle erwähnt, dass sich der in dieser Arbeit verwendete Begriff ‚Nahostkonflikt’ auf den Konflikt im engsten Sinne, also ausschließlich auf den israelisch-palästinensischen bezieht. Kurze, aber prägnante Details zur Eingrenzung der Begrifflichkeit und weiterer Konfliktkonstellationen in der Region des Nahen Ostens finden sich bei Martin List, der den Problemkomplex im Heiligen Land treffend beschreibt als „Israel/Palästina-Konflikt um die Sicherung der Ko- Existenz sowohl des jüdischen als auch des palästinensischen Vol- kes“5. Wenn nicht explizit erwähnt, so bezieht sich gleichermaßen die Bezeichnung der Region des Nahen Ostens auf Israel sowie die heuti- gen palästinensischen Autonomiegebiete.
Ein kurzer, aber herzlicher Dank geht an dieser Stelle an den nord- rheinwestfälischen Landesverband der Jusos, der es mir ermöglichte, 2010 an einer Delegationsreise nach Israel und in die Westbank teilzunehmen6. Diese Reise bestand aus einem Vor- und Nachbereitungsseminar in Soest und Dortmund sowie zahlreichen trilateralen Treffen zwischen den Jusos, der Shabibeh Fatah, der Young Labour sowie der Jugendorganisation der Meretz und wurde maßgeblich vom Willy-Brandt-Center7 in Jerusalem organisiert. In Gesprächen und Diskussionsrunden mit den oben genannten politischen Organisationen und zahlreichen Vertretern und Vertreterinnen verschiedener Nichtregierungsorganisationen, wie zum Beispiel „Breaking the Silence“ oder „The Other Voice“, konnte ich abseits von Fachliteratur und eventuell parteiergreifenden Medien ganz persönliche Eindrücke über den Konflikt zwischen Israel und Palästina schen Israel und Palästina sammeln. Diese Reise ermöglichte mir au- ßerdem Handlungen der beiden Akteure besser zu verstehen und im Sinne der ‚doppelten Solidarität’8 in angemessener Form interpretieren zu können.
Beschäftigt man sich mit dem sogenannten Nahostkonflikt, so liegt es nahe, dass die Frage aufkommt, warum in dieser Region bereits so lange um Frieden gerungen wird und alle diplomatischen Bemühungen um eine Lösung des Konflikts bisher scheinbar ergebnislos verliefen. Die Spannungen zwischen Israelis und Palästinensern reichen bis ins späte 19. Jahrhundert zurück, lange vor der Gründung des Staates Is- raels als jüdischer Staat. Bis heute gilt der Nahostkonflikt als ältester ungelöster Regionalkonflikt mit internationaler Reichweite und Bedeu- tung.9 Dem ist hinzuzufügen, dass dieser Region nicht nur gemessen an der Dauer des Nahostkonflikts eine Besonderheit zugeschrieben wird, sondern dass sie sich auch rein quantitativ als äußerst konflikt- reich beschreiben lässt. Dort10 gebe es laut Pamela Jawad keinen Staat, der seit 1945 nicht an einem gewaltsam ausgetragenen Konflikt beteiligt war. Israel werde hierbei eine besondere Rolle zugeschrieben. Jawad hebt in diesem Zusammenhang die mit der Staatsgründung Is- raels verbundenen Konflikte hervor. Diese würden seit fast 60 Jahren andauern, mitunter immer noch gewaltsam ausgetragen und seien von einer dauerhaften Beilegung weit entfernt.11
Wie lässt sich der Begriff des ‚Konflikts’ aber genau definieren und inwieweit grenzt er sich von den verwandten Begriffen ‚Krieg’ und ‚Frieden’ ab?
Pauschal und einfach formuliert lässt sich sagen, dass zu einem friedlichen Zusammenleben mehr gehört als die Abwesenheit von Krieg. Dort, wo kein Krieg herrscht, ist nicht im Umkehrschluss Frieden. Bonacker und Imbusch definieren den Zustand des Krieges als „eine staatlich angeordnete und eigens autorisierte Form der Gewaltaus- übung, [deren] zentrales Element der von Staaten organisierte und von Menschen gemachte Massentod ist.“12
Übertragen auf den Nahen Osten heißt dies also:
Auch wenn Israel und seine Nachbarn seit der Staatsgründung am 14. Mai 1948 mehrmals unter kriegerischen Handlungen, wie dem Suez- krieg im Oktober/November 1956 sowie dem Sechstagekrieg in Juni 1967, gelitten haben, so heißt dies nicht, dass die Phasen zwischen der gewaltsam ausgetragenen Form des Konflikts in dieser Region als friedlich zu bewerten sind. Die Zustände während der ersten und zwei- ten Intifada sowie zahlreiche Unruhen und Terrorakte sind hierfür bei- spielhaft zu nennen.
Zu beachten ist jedoch, dass nicht der Konflikt an sich negativ be- haftet ist, da dieser in Bezug auf sämtliche Ebenen des menschlichen Handelns (individuell, gesellschaftlich oder staatlich) zunächst neutral einzustufen ist. Geht man also davon aus, dass Konflikte soziale Tatbe- stände sind, die eine Beteiligung von mindestens zwei Parteien benöti- gen und diese Parteien wiederum aus Menschen und ihrem Handeln, ihren Ansichten und Wertorientierungen bestehen, so wundert die Mög- lichkeit nicht, dass eben jene auf Grund ihrer Unterschiede Verursacher des Konflikts sind.13 Erst bei einer gewaltsamen Austragung des Kon- flikts, bei der eine Unversehrtheit der Individuen nicht garantiert ist und eventuelle Asymmetrien der Beteiligten in Unterdrückung, Erniedrigung und Ungerechtigkeit münden, erhält der Konflikt eine negative Bewer- tung in Folge seiner zu verachtenden Austragungsform. Eine (Be-) Wertung eines Konflikts erfolgt somit über die Art des Handelns und dessen Konsequenzen für die im Konflikt involvierten Personen. Die Politik und das Handeln ihrer Beteiligten müssten daher darauf abzielen, Konflikte in ihrem Eskalationspotential über den Abbau direkter physischer und psychischer sowie struktureller Gewalt zu reduzieren und über die Orientierung an Werten wie sozialer Gerechtigkeit friedliche Verhältnisse zu fördern.14
In Bezug auf den israelisch-palästinensischen Konflikt hieße dies also, dass eine friedliche Lösung darauf abzielen muss, dass sich beide Par- teien an ein Vorhaben des Gewaltverzichts halten und sich auf der Ba- sis vergleichbarer Wertorientierungen begegnen. Insbesondere die Spi- rale aus Gewalt und Gegengewalt nach dem Beginn der zweiten Intifa- da im Jahre 2000 machen deutlich, dass der Gewaltprozess nicht als Selbstverständlichkeit angesehen werden kann. Diese oben erwähnten Werte sollten vor allem auf eine Stabilität bezüglich einer „sozial ge- rechten Verteilung von Lebenschancen“15 abzielen, um asymmetrische Verhältnisse zwischen den Konfliktparteien und einer daraus resultie- renden Unzufriedenheit der einen, in diesem Fall vermeintlich schwächeren/unterlegenen Seite zu vermeiden. Zur Unterscheidung zwischen Frieden als Verzicht auf Gewalt und demjenigen Frieden, der auf soziale Gerechtigkeit abzielt und bei dem keine Anwendung von struktureller Gewalt vorzufinden ist, benutzt Ernst-Otto Czempiel in Anlehnung an Johan Galtung die Begriffe des negativen und positiven Friedens.16 In Anbetracht dieser Prämisse werden insbesondere die alltäglichen Lebensumstände der palästinensischen Bevölkerung (Checkpoints, Arbeitslosigkeit etc.) im Folgenden noch eine Rolle spielen. An dieser Stelle seien Bonacker und Imbusch zitiert, die - be- rufend auf Dieter Senghaas - Frieden beschreiben als „eine Folge von lang anhaltenden und nachhaltig wirkenden Zivilisierungsprozessen, die und nachhaltig wirkenden Zivilisierungsprozessen, die letzten Endes dazu führen, dass Konflikte gewaltfrei ausgetragen werden“.17 Um einen nachhaltigen Friedensprozess in die Wege zu leiten, seien unter der Voraussetzung des absoluten Gewaltverzichts folgende Punk- te zu beachten:
Zunächst müssten die am Konflikt Beteiligten zum Frieden bereit sein. Hierzu zählten aber auch die Folgen und Pflichten, die die Konfliktpar- teien im Zuge ihrer Verantwortung übernehmen müssten, da ein Ende von Gewalteskalationen auch immer einen Neuanfang und Verände- rungen mit sich bringe. Zweitens müsse ein beidseitiges Interesse an der Wiederherstellung von Ordnung und Gerechtigkeit vorhanden sein, für die drittens verbindliche Regeln aufgestellt werden müssten, um gemeinsame Orientierungspunkte zu gewährleisten. Ferner könnten externe Vermittler den Druck auf die Konfliktparteien unter anderem mit der Bereitstellung von Aufbauhilfe erhöhen. Fünftens sollten - demokra- tischen Prinzipien folgend - alle gesellschaftlichen Gruppen am Prozess beteiligt werden, die sich wiederum sechstens in Nichtregierungsorga- nisationen oder Ähnlichem organisietren. Zuletzt müssten sozialstaatli- che Maßnahmen entwickelt werden, um das friedvolle Miteinander so- zial gerecht zu gestalten.18 Dies sei nämlich - wie bereits erwähnt - eine Voraussetzung für gleichwertige Lebenschancen. Unter Berücksichti- gung dieser sieben Punkte19 lässt sich Czempiels Definition des Frie- dens als einen veränderten Systemzustand nachvollziehen. Bei ihm heißt es zusammenfassend:
Um die Situation des Nicht-Krieges herzustellen, muß [sic] also der Krieg als Austragsmodus internationaler Konflikte beseitigt werden beseitigt und durch andere Austragsmodi ersetzt werden. […] Er [der Frieden] ist vielmehr ein ganz anderer Systemzustand, in dem die zwischenstaatlichen Konflikte überhaupt nicht mehr durch die Anwendung militärischer Gewalt, sondern durch andere, nicht-gewaltsame Prozesse bearbeitet werden.20
Die Auseinandersetzungen zwischen Israel und Palästina basieren auf unzähligen Ursachen, Mythen und Umständen, die auf Grund des Platzmangels in dieser Arbeit nicht ganzheitlich dargestellt werden kön- nen. Ebenso variieren die Darstellungen der Konfliktgegenstände in der Literatur bezüglich ihrer Anzahl, Begriffe und Relevanz. Somit soll an dieser Stelle besonderes Augenmerk auf diejenigen Punkte des israe- lisch-palästinensischen Konflikts gelegt werden, die im Friedensprozess der 90er Jahre unter Vermittlung von Bill Clinton Gegenstand der Ver- handlungsgespräche waren bzw. eine besondere Rolle spielten und exemplarisch die Natur des heute noch andauernden Konflikts wider- spiegeln. Als weitere, im Folgenden nicht detailliert beschriebene Kon- fliktgegenstände, seien beispielsweise Wasserversorgung, Sicherheit und Wirtschaft genannt.
Darüber hinaus sei noch erwähnt, dass sämtliche Problemfelder miteinander verknüpft sind und deren Interpretation je nach Selbstver- ständnis der beiden Konfliktparteien variabel ist. Als Gründe sind hierfür immer wiederkehrende religiöse Mythen und/oder unterschiedliche Lesarten der historischen Ereignisse zu nennen. Palästinenser verbin- den den Tag der Staatsgründung Israels aufgrund der darauf folgenden Vertreibungen eines großen Teils ihrer Bevölkerung (nach dem Ende des ersten israelisch-arabischen Krieges sind mehrere hunderttausend Palästinenser vertrieben worden bzw. geflohen) als al-Naqba (arab., etwa: Katastrophe, Unglück) bezeichnen und mit dem 14. Mai 1948 Massaker, Vertreibung und Enteignung. Juden feiern wiederum in Israel und in Gemeinden der Diaspora den gleichen Tag als Nationalfeiertag namens Jom haAtzma'ut (hebr. für ‚Tag der Unabhängigkeit’) und wür- digen den oben genannten Sachverhalt als „Unabhängigkeitskrieg“.
Die Proklamation des Staates Israel am 14. Mai 1948 gilt als Höhepunkt der modernen zionistischen Bewegung, welche ihre Wurzeln in einer von Theodor Herzl verfassten programmatischen Schrift findet. In dieser forderte er unter dem Titel „Der Judenstaat“ die Umsetzung eines für die zionistische Bewegung uralten Gedankens: Die Errichtung einer nationale, jüdische Heimstätte auf dem Land ihrer Vorfahren. Nach Meinung der zionistischen Bewegung habe das jüdische Volk beste- hend aus Nachfahren der Hebräer nach Jahrhunderten in der Diaspora Anspruch auf Eretz Israel, das Heilige Land.
Die Balfour-Deklaration vom 2. November 1917 legte den Grundstein für die Umsetzung des oben genannten Gedankens. In ihr gab die britische Regierung durch den damaligen Außenminister Arthur James Balfour bekannt, dass sie eine „Errichtung einer nationalen Heimstätte für das jüdische Volk in Palästina mit Wohlwollen“21 betrach- te. Voraussetzung sei hierbei ausdrücklich der Schutz der Rechte der nicht-jüdischen Bevölkerung. Allerdings wurde in der Balfour- Deklaration mit keinem Wort detailliert geschildert, welches Gebiet un- ter den Begriff Pal ä stina falle. Ein Umstand, der den in den folgenden Jahrzehnten andauernden Konflikt nicht vereinfachte und stets für Aus- einandersetzungen und Uneinigkeit bezüglich des Grenzverlaufs sorg- te.
Trotz der von der UN-Generalversammlung am 29. November 1947 verabschiedeten Resolution 181 (II), durch die eine Teilung des damals britischen Mandatsgebietes in einen arabischen und jüdischen Staat sowie durch einen internationalen Sonderstatus für die Stadt Je- rusalem22 vorgesehen war, erfolgte ein halbes Jahr später durch Ben Gurion die Unabhängigkeitserklärung des jüdischen Staates Israel, wel- cher bereits wenige e Minuten später von den USA de facto anerkannt wurde. Einen Tag nach der Proklamation des Staates Israel begann der erste israelisch-arabische Krieg: Israel wurde am Sabbat, dem jüdi- schen Ruhetag, von Kampftruppen aus Ägypten, dem Irak, Jordanien und Syrien angegriffen. Nicht zuletzt dieses traumatische Ereignis be- einflusst bis heute Israels tiefes Bedürfnis nach Sicherheit. Auch wenn das Existenzrecht des Staates Israel international anerkannt und gesichert ist, so ist und bleibt das Problem einer Ko-Existenz der israelischen und palästinensischen Bevölkerung eines der Kernelemente des Nah- ostkonflikts. Dessen realistische Lösung liege nach Martin List seit geraumer Zeit bereits auf dem Tisch. Für ihn sei eine wechselseitig anerkannte
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung I: Karte des israelischen und arabischen Staates gemäß UN-Teilungsplans
Zweistaatlichkeit der einzige Ausweg aus dem Konflikt im Heiligen Land.23 In Kontext einer angestrebten Zweistaatlichkeit bilden folgende Fragen ein zentrales Element im Nahostkonflikt: „Wie kann ein palästi- nensischer Staat geschaffen und der Staat Israel [gleichzeitig] abgesi- chert werden? Wie können beide Staaten im Einvernehmen miteinan- der existieren?“.24
Die Zweistaatlichkeit hat als Problemlösung sowohl international als auch innerhalb der israelischen und palästinensischen Gesellschaft An- erkennung gefunden und wird nur noch selten infrage gestellt.25 Ab- schließend lässt sich sagen, dass „die UN-Resolution bis heute als völ- kerrechtliche Legitimation sowohl des Staates Israel als auch des pa- lästinensischen Rechtsanspruchs auf einen eigenen Staat“26 gilt. Im Verlauf dieser Arbeit werden Komplikationen, die den Aufbau der Zweistaatlichkeit betreffen, im Detail dargestellt. Zu nennen seien an dieser Stelle die jüdischen Siedlungen und ihre Zugangsstraßen so- wie Checkpoints, die insbesondere das Gebiet des Westjordanlandes zerteilt und der so genannte Schutzwall, der von Israel nach der zwei- ten Intifada zum Schutz vor Terrorakten errichtet wurde. Die räumliche Entfernung zwischen dem Gazastreifen und dem Westjordanland stellt ebenfalls eine Problematik dar, weil zwischen diesen beiden Teilen des palästinensischen Autonomiegebietes keine direkte geografische Ver- bindung besteht. Diese Situation fordert spezielle Lösungsmöglichkei- ten.
Nach der Staatsgründung Israels erfolgten zwei große Flüchtlingswel- len, die im Bezug auf die Endstatusverhandlungen von Bedeutung sind27: In der ersten verließen im Jahr 1948 über 700 000 Menschen palästinensischer Herkunft Israel und flohen somit vor den gewaltsa- men Auseinandersetzungen während des ersten israelisch-arabischen Krieges. Die meisten Vertriebenen fanden im Gazasatreifen, der West- bank und vor allem den arabischen Nachbarstaaten eine neue Heimat. Bislang herrscht keine genaue Einigkeit darüber, ob dieser Teil der Be- völkerung nun als Flüchtlinge oder Vertriebene eingestuft werden kann. Einerseits verließen viele Palästinenser das israelische Staatsgebiet, da sie der Ankündigung der Nachbarstaaten Glauben schenkten, dass der Krieg nur von kurzer Dauer sei und mit einem Sieg der arabischen Streitkräfte enden würde. Sie flohen aus Gründen der eigenen Sicher- heit und hofften auf eine baldige Rückkehr. Wie sich später herausstell- te, war dies eine Fehleinschätzung. Andererseits kann der israelischen Armee aktive Vertreibungspolitik während des ersten israelisch- arabischen Krieges von 1948/49 nachgewiesen werden. Unter anderem besetzten die jüdischen Untergrundorganisationen Etzel und Lechi - die brutaler und entschlossener vorgingen als die Hagana28 - das für den weiteren Kriegsverlauf unbedeutende und bereits eroberte Dorf Dir Jas- sin bei Jerusalem und verübten ein Massaker, dem 254 Menschen, meist Frauen und Kinder, zum Opfer fielen. Von dieser Gewalttat dis- tanzierten sich unmittelbar danach die Jewish Agency sowie die israeli- schen Streitkräfte. Das Massaker von Dir Jassin sowie eine darauf fol- gende Verbreitung von Panik von Seiten israelischer Radiosender, die auf Arabisch sendeten und über blutige Anschläge auf arabische Zivilis- ten berichteten, um ein Gefühl von Chaos und Panik zu verursachen, sorgten für einen enormen Anstieg der bis dato stattgefundenen Flücht- lingsbewegungen.29 Unter Berücksichtigung dieser Umstände ist es möglich, sowohl von Vertreibung als auch von Flucht der arabischen Bevölkerung zu sprechen.
Bei einer Diskussion der Flüchtlingsfrage muss allerdings be- rücksichtigt werden, dass es sich lediglich bei den in den Jahren 1948/49 geflohenen/vertriebenen Palästinensern um Flüchtlinge han- delt, während diejenigen, die in der zweiten großen Flüchtlingswelle während des Sechstagekrieges im Jahr 1967 ihre Heimat verließen, korrekterweise als so genannte Displaced Persons bezeichnet werden. Laut Internationalem Recht sind nur Personen sowie ihre Nachkommen als Flüchtlinge zu bezeichnen, die bei ihrer Flucht eine internationale Grenze überschritten haben. Da aber zum Zeitpunkt des Sechstage- krieges das von Israel eroberte Gebiet der Westbank dem jordanischen Staatsgebiet zuzuordnen war und die meisten Palästinenser demzufol- ge in das Nachbarland Jordanien flohen, haben sie rechtlich betrachtet keine internationale Grenze überschritten. Ihnen wird darum der Flücht- lingsstatus verwehrt. Folglich trifft auf sie auch nicht die Resolution der Generalversammlung der Vereinten Nationen von 1948 zu, in der das Rückkehrrecht der palästinensischen Flüchtlinge manifestiert ist. Im Wortlaut heißt es in der Resolution:
The General Assembly […] resolves that the refugees wishing to return to their home and live at peace with their neighbours should be permitted to do so at the earliest practicable date, and that compensation should be paid for the property of those choosing not to return and for loss of or damage to property which, under principles of international law or in equity, should be made good by the Governments or authorities responsible […]30
Die Knesset, das israelische Parlament, lehnte jedoch mit ihrem Be- schluss vom Juni 1948 die Rückkehr palästinensischer Flüchtlinge ka- tegorisch ab und verweigerte ebenso die Umsetzung der Resolution, die seit 1948 jährlich durch ergänzende Beschlüsse bekräftigt wurde, „ohne daß [sic] bisher auch nur ein konkreter Schritt in diese Richtung realisiert werden konnte.“31
Israel schaffte mit seinen Entscheidungen somit eine Tatsache, die eine politische Lösung des Flüchtlingsproblems in weite Ferne rück- te, sodass die Generalversammlung der Vereinten Nationen die zu- nächst für kurze Zeit geplante UNRWA (United Nations Relief and Works Agency for Palestine Refugees in the Near East, engl. für ‚Hilfs- werk der Vereinten Nationen für Palästina-Flüchtlinge im Nahen Osten’)
[...]
1 Frankfurter Allgemeine Zeitung, 14.09.1993, Nr. 213/37, S.1.
2 Steininger, Rolf 2006: Der Nahostkonflikt. 3. Auflage. Frankfurt am Main: Fischer Taschenbuch Verlag, S. 57.
3 Intifada: arab. „Erhebung“.
4 Vgl. Johannsen, Margret 2009: Der Nahostkonflikt. Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften, S. 53.
5 List, Martin 2006: Internationale Politik studieren - Eine Einführung. VS-Verlag, S.132.
6 Ein Reiseblog sowie der im Nachbereitungsseminar entstandene Delegationsbericht sind abrufbar unter http://blog.nrwjusos.de/kategorie/israel/
7 Das Willy-Brandt-Center ist ein Projekt im Brennpunkt des Konflikts auf der Grünen Linie in Jerusalem. Es wurde 2003 von der SPD-Generalsekretärin Andrea Nahles eröffnet und lässt sich kurz gefasst als Begegnungszentrum für israelische und paläs- tinensische junge Menschen beschreiben. Weitere Informationen sind unter http://willybrandtcenter.org/neu/de/start.html zu finden. Ferner wird das Center im Argumente-Heft 1/2008 der Bundesjusos vorgestellt.
8 Siehe zum Begriff der ‚doppelten Solidarität’ Engelhardt, Paulus 2006: Religion als Motiv für Krieg am Beispiel Jerusalem. In: Sahm, Astrid/ Sapper, Manfred/ Weichsel, Volker (Hrsg.): Die Zukunft des Friedens. Band 1. Eine Bilanz der Friedens- und Kon- fliktforschung. Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften. S. 287-306. Ebenso agieren die Jusos in ihrem Engagement im Nahen Osten unter der Prämisse der ‚doppelten Solidarität’.
9 Vgl. Johannsen, S. 9.
10 Gemeint ist hier der vordere und mittlere Orient.
11 vgl. Jawad, Pamela 2005: Konflikte im Vorderen und Mittleren Orient. In: Pfetsch, Frank R. (Hrsg.): Konflikt. Berlin: Springer-Verlag, S. 81-100, hier: S. 86.
12 Bonacker, Thorsten/Imbusch, Peter 2006: Zentrale Begriffe der Friedens- und Konfliktforschung: Konflikt, Gewalt, Krieg, Frieden. In: Imbusch, Peter/ Zoll, Ralf (Hrsg.): Friedens- und Konfliktforschung. Wiesbaden: VS-Verlag, 67-142, hier: S. 95.
13 Vgl. ebd. S. 69.
14 ebd. S. 75f.
15 ebd. S. 135.
16 vgl. Czempiel, Ernst-Otto 2006: Der Friedensbegriff der Friedensforschung. In:
Sahm, Astrid/ Sapper, Manfred/ Weichsel, Volker (Hrsg.): Die Zukunft des Friedens. Band 1. Eine Bilanz der Friedens- und Konfliktforschung. Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften, 83-93, hier: S. 83.
17 Bonacker/Imbusch, S. 136.
18 ebd. 139f.
19 Czempiel hingegen spricht von sechs Voraussetzungen (Kooperation, Verteilungs- gerechtigkeit, Demokratie, Transparenz und Kontrolle, Interaktion sowie Kompetenz der Akteure), die inhaltlich als deckungsgleich mit den Punkten bei Bonacker/Imbusch zu bewerten sind.
20 Czempiel, S. 85.
21 Wortlaut der Balfour-Deklaration, zitiert nach Steininger, S. 73.
22 Jerusalem sollte wegen seiner fundamentalen Bedeutung für die drei monotheistischen Weltreligionen internationales Mandatsgebiet werden und somit den freien Zugang für Gläubige zu den jeweiligen heiligen Stätten ermöglichen. Das somit dreigeteilte Gebiet sollte zu einer Wirtschaftsunion zusammengefasst werden.
23 vgl. List 2006, S. 133.
24 Dethlefsen, Knut 2008. Umbruch im Nahen Osten. Friedenslösung oder Eskalation? In: Bundesverband der Jungsozialistinnen und Jungsozialisten in der SPD (Hrsg.). Nahost - Argumente 1/2008, S. 29-33, hier: S. 29.
25 Die Zwei-Staaten-Lösung ist bis dato in der Fachliteratur als allgemein anerkannt dargestellt. Aktuell gibt es jedoch insbesondere bei der jungen Bevölkerung in Israel Tendenzen, in Anbetracht des momentan stagnierenden Friedensprozesses über andere Lösungsmöglichkeiten wie z.B. einer Ein-Staat-Lösung nachzudenken, wie bei der Delegationsreise in Gesprächen mit Vertretern und Vertreterinnen der Meretz- Jugend zu erfahren war. Die Ergebnisse dieser Gespräche sind allerdings nicht reprä- sentativ und sollen lediglich als Erfahrungsaspekt der Delegation betrachtet werden.
26 Bundeszentrale für politische Bildung 2008: Informationen zur politischen Bildung: Israel. Nr. 278, S. 10.
27 Nach dem zweiten Golfkrieg erfolgte eine weitere Flüchtlingswelle, bei der mehr als 300 000 Palästinenser meist nach Jordanien flohen. Bei diesen handelt es sich zum größten Teil aus Arbeitsmigranten der Golfstaaten. Da diese Flüchtlingswelle bezüg- lich des Rückkehrrechts irrelevant ist, bleibt sie an dieser Stelle außen vor.
28 Etzel, Lechi und Hagana: Israelische Untergrundorganisationen. Die Hagana wurde nach der Staatsgründung Israels in dessen Streitkräfte überführt.
29 vgl. Schreiber, Friedrich 1998: Schalom Israel. Nachrichten aus einem friedlosen Land. München: Verlag C.H. Beck, S. 106 ff.
30 Resolution der Generalversammlung der Vereinten Nationen Nr. 194 (III) vom 11. Dezember 1948, abrufbar unter: http://www.un.org/documents/ga/res/3/ares3.htm
31 Rotter, Gernot/ Fathi, Schirin 2001: Nahostlexikon. Der israelisch-palästinensische Konflikt von A-Z. Heidelberg: Palmyra Verlag, S. 101.
Geschichte Europa - and. Länder - Neueste Geschichte, Europäische Einigung
Hausarbeit (Hauptseminar), 27 Seiten
Soziologie - Soziales System, Sozialstruktur, Klasse, Schichtung
Hausarbeit, 13 Seiten
Politik - Internationale Politik - Thema: Frieden und Konflikte, Sicherheit
Hausarbeit (Hauptseminar), 30 Seiten
Politik - Internationale Politik - Region: Naher Osten, Vorderer Orient
Hausarbeit, 34 Seiten
Politik - Internationale Politik - Region: Sonstige Staaten
Hausarbeit, 17 Seiten
Politik - Internationale Politik - Region: Naher Osten, Vorderer Orient
Hausarbeit (Hauptseminar), 32 Seiten
Seminararbeit, 29 Seiten
Politik - Internationale Politik - Region: Naher Osten, Vorderer Orient
Hausarbeit (Hauptseminar), 39 Seiten
Politik - Internationale Politik - Region: Naher Osten, Vorderer Orient
Hausarbeit (Hauptseminar), 26 Seiten
Politik - Internationale Politik - Region: Naher Osten, Vorderer Orient
Hausarbeit (Hauptseminar), 22 Seiten
Geschichte Europa - and. Länder - Neueste Geschichte, Europäische Einigung
Hausarbeit (Hauptseminar), 27 Seiten
Soziologie - Soziales System, Sozialstruktur, Klasse, Schichtung
Hausarbeit, 13 Seiten
Politik - Internationale Politik - Thema: Frieden und Konflikte, Sicherheit
Hausarbeit (Hauptseminar), 30 Seiten
Politik - Internationale Politik - Region: Naher Osten, Vorderer Orient
Hausarbeit, 34 Seiten
Politik - Internationale Politik - Region: Sonstige Staaten
Hausarbeit, 17 Seiten
Politik - Internationale Politik - Region: Naher Osten, Vorderer Orient
Hausarbeit (Hauptseminar), 32 Seiten
Seminararbeit, 29 Seiten
Politik - Internationale Politik - Region: Naher Osten, Vorderer Orient
Hausarbeit (Hauptseminar), 39 Seiten
Politik - Internationale Politik - Region: Naher Osten, Vorderer Orient
Hausarbeit (Hauptseminar), 26 Seiten
Politik - Internationale Politik - Region: Naher Osten, Vorderer Orient
Hausarbeit (Hauptseminar), 22 Seiten
Der GRIN Verlag hat sich seit 1998 auf die Veröffentlichung akademischer eBooks und Bücher spezialisiert. Der GRIN Verlag steht damit als erstes Unternehmen für User Generated Quality Content. Die Verlagsseiten GRIN.com, Hausarbeiten.de und Diplomarbeiten24 bieten für Hochschullehrer, Absolventen und Studenten die ideale Plattform, wissenschaftliche Texte wie Hausarbeiten, Referate, Bachelorarbeiten, Masterarbeiten, Diplomarbeiten, Dissertationen und wissenschaftliche Aufsätze einem breiten Publikum zu präsentieren.
Kostenfreie Veröffentlichung: Hausarbeit, Bachelorarbeit, Diplomarbeit, Dissertation, Masterarbeit, Interpretation oder Referat jetzt veröffentlichen!
Kommentare