Für neue Kunden:
Für bereits registrierte Kunden:
Hausarbeit (Hauptseminar), 2009
44 Seiten, Note: 1,75
1. Prolog
2. Die Ganztagsschule
2.1 Historische Betrachtungsweise
2.1.1 Entwicklung der Schulformen
2.1.2 Entwicklung seit Gründung der Bundesrepublik Deutschland
2.2 Verschiedene Formen der Ganztagsschule
2.2.1 Die offene Ganztagsschule
2.2.2 Die voll gebundene Ganztagsschule
2.2.3 Die Teilweise Gebundene Ganztagsschule
2.3 Gründe für die Umsetzung der ganztägigen Konzeption
2.3.1 Pädagogische Begründungen
2.3.2 Sozialpolitische Argumentationen zur Ganztagesschule
2.4 Kritische Betrachtung
3. Ganztagsschule in Baden-Württemberg
4. Ganztagesschule in Frankreich
4.1 Aufbau des Schulsystems
4.2 Schultag
4.3 Probleme
5. Stellenwert von Bewegung, Spiel und Sport in der Ganztagesschule
5.1 Argumente für einen hohen Stellenwert von Bewegung, Spiel und Sport in der Ganztagsschule:
5.1.1 Entwicklungs- und lerntheoretische Begründung
5.1.2 Medizinisch- gesundheitswissenschaftliche Begründung
5.2 Bildungsplanbezüge
6. Bewegungsgestaltung in der Ganztagsschule
6.1 Kooperation Schule und Verein
(Landeskooperationsprogramm Baden-Württemberg)
6.1.2 Ziele der Zusammenarbeit
6.1.3 Allgemeine Ziele
6.1.4 Ziele und Motive der Schule zur Zusammenarbeit
6.1.5 Ziele und Motive des Vereins zur Zusammenarbeit
6.2 Schülermentorenausbildung in Baden-Württemberg
6.2.2 Schülermentorin/-mentor Sport an Gymnasium und Realschule
6.2.3 Schülermentorin/-mentor Sport an der Hauptschule
6.2.4 Ziele der Ausbildung
6.3 Jugendbegleiter-Programm
6.3.1 Ziele des Programms
7. Legitimation des Sports als Unterrichtsfach
8. Literaturverzeichnis
Wenn man die Politik in den Medien verfolgt, dann stellt man fest, dass unser hoch verschuldeter Staat, Stand Ende 2010 1799 Mrd. Euro, sich mit der Frage auseinandersetzen muss, wo er Einsparungen tätigen kann und welche Investitionen für die momentane und zukünftige Situation relevant sind (Först, 2009).
Im Bildungsbereich wird selbstverständlich auch über Einsparmöglichkeiten nachgedacht. So finden sich auch politische Vertreter, die der Meinung sind, dass man Sport als Unterrichtsfach abschaffen und durch den Vereinssport ersetzen solle. Sogar sehr bekannte Erziehungswissenschaftler wie Lenzen, einst der Direktor der freien Universität Berlin, fordern die Abschaffung des Schulsports, da die Argumente, mit denen sich der Sport in der Schule versucht zu begründen, nicht nachvollziehbar und seine funktionalen Begründungen empirisch nicht belegbar seien (Gerlinger). Auch bei der Lehrerschaft und in der Gesellschaft sinkt die Anerkennung des Schulsports. Sport wird vom Lehrpersonal in der Bedeutung vergleichend mit den anderen Fächern teilweise an letzter Stelle gesehen (Gerlinger). Mit lauthalsem Protest wehren sich Eltern, wenn Unterricht der Hauptfächer nicht stattfinden kann. Hingegen ist der Ausfall des Sportunterrichts überhaupt nicht dramatisch.
Eltern unterstützen sogar ihre Kinder vom Fernhalten des Unterrichts mit selbstgeschriebenen Entschuldigungen (Gerlinger). Durch die aufkommenden Ergebnisse der 3. PISA-Studie aus dem Jahre 2006 rückt der Sport zusätzlich in den Hintergrund, da die Kompetenzen der Schüler in Deutschland in den Bereichen Lesen, Mathematik und Naturwissenschaften im Ländervergleich nicht die gewünschten Resultate aufweisen, sodass nach immer mehr Förderungsmaßnahmen in diesen Bereichen gerufen werde. Für die Belegschaft der einzelnen Schulen bedeutet das einen Kampf um das Fächerkontingent.
Dagegen müsste man keine empirische Untersuchung betreiben, um herauszufinden, dass der Stellenwert des Faches Sport bei den Schülern, im Vergleich zu den kognitiv lehrbaren Fächern, ein immens hoher ist (Bildungsweb Media GmbH). Auch der Autor Zimmermann (2005b) bestätigt ähnliche Feststellungen, wie die Problematik und den „Kampf ums Überleben“ des Schulsports.
Aus den oben genannten Gründen kann der Sport, neudeutsch Bewegung, Spiel und Sport, an den immer mehr entstehenden Ganztagsschulen als eine große Chance gesehen werden, sowohl im als auch außerhalb des Unterrichts. Denn in der Theorie hätte man an den Ganztagsschulen mehr verfügbare Zeit, um Sozialisationskrankheiten wie Diabetes, Übergewicht vorzubeugen, die aufgrund mangelnder Bewegung entstehen (Zimmermann, 2005a). Deshalb werden im Rahmen dieser wissenschaftlichen Hausarbeit die verschiedenen Aspekte aus unterschiedlicher Betrachtungsweise charakterisiert, die im Zusammenhang mit Schulsport und Ganztagsschule wichtig sind. Als allererstes ziehen wir die historische Lupe heran. Die Ganztagsschule wird aus vergangener Zeit betrachtet, ihre Entwicklung bis zum heutigen Zeitpunkt dargestellt, aber auch ihre unterschiedlichen Formen mit ihren speziellen Besonderheiten wiedergegeben. Zusätzlich werden im Verlauf der Arbeit nach Argumenten gesucht, die den hohen Stellenwert von Bewegung, Spiel und Sport begründen. Selbstverständlich darf nicht die Überprüfung des Bildungsplans auf dessen Bezüge zur Ausarbeitung der Bewegungsfelder in der Ganztagsschule fehlen, die im Anschluss folgen werden. In diesem Kontext werden auch die außerunterrichtlichen Angebote genannt und beschrieben, die auf der Hand liegen, wenn es um die Bewegungsgestaltung in der Ganztagsschule geht. Der wesentliche Kern der abschließenden Fragestellung wird sein, wie eingangs eingeführt, ob ein Bedarf an dem Schulfach Sport und dessen Vertreter, dem pädagogisch ausgebildeten Sportlehrer, überhaupt noch bestehe und dadurch resultierend man sich fragen muss, ob Bewegung, Spiel und Sport in außerunterrichtlicher Form ersatzweise angeboten werden kann?
Einleitend soll erwähnt werden, dass die Diskussionen um die Ganztagsschule, wie sie in der heutigen Zeit in Deutschland nach und nach immer häufiger etabliert wird, keine brandaktuellen Themen sind. Nein, die Auseinandersetzungen um die zeitgemäße Ganztagsschule haben einen längeren traditionellen Hintergrund.
Was heute die wenigsten Menschen wissen, ist die Tatsache, dass im deutschen Schulsystem vor rund 300 Jahren die moderne Schulform eine ganztägige war. Die Voraussetzungen dafür bildete Friedrich Wilhelm der Erste im Jahre 1717, der die Schulpflicht hervorrief und einige Jahre später 1736 die „Principia Regulativa“, eine Art gesetzliche Vorschrift in ganz Preußen, zu verankern versuchte.
Allerdings waren Eltern überwiegend aus den schwächeren sozialen Schichten an ihre Kinder, die für die Mitarbeit eingesetzt wurden, gebunden. Deshalb konnten sie ihren Kindern keine ganztätige Betreuung bieten. Aus diesem Grund wurde der Unterricht nach und nach auf den Vormittag herabgesetzt, aber auch wegen organisatorischen Problemen. Beispielsweise waren die Klassenräume zu klein, eine hohe Anzahl der Schulkinder innerhalb einer Klasse und eine geringer Zahl der Lehrer boten zusätzliche Erschwernisse (Zickgraf, 2006).
Für diejenigen Familien, die also auf ihre Kinder angewiesen waren, entstanden notwendigerweise sogenannte Teilzeitschulen. Zwei Formen dieser Schularten waren die Fabrikschulen und die Sommerschulen. Diese konnten einerseits den Fabrikarbeitern und Bauern die „Arbeitskraft“ ihrer eigenen Kinder weiterhin garantieren und andererseits ersatzweise zur Volksschule, Schule für das einfache Volk, den Kindern eine „Mindestbildung“ bieten (Zickgraf, 2006).
Nun etablierten sich nicht nur die Halbtagsschulen, sondern sie weiteten sich auch Ende des 19. Jahrhunderts aus. Bei den unteren Schichten der Gesellschaft, also bei den Volksschulen, aus den bereits erwähnten Gründen. Für die Schulkinder, welche die höheren Schulen besuchten (Gymnasium, Realschule und höhere Bürgerschule) fielen die weiten Schulwege zur Last, die mehrmals am Tag zurückgelegt werden mussten. Denn über Mittag waren die meisten Schüler aufgrund des gemeinsamen Mittagessens bei ihren Familien wieder zu Hause. Des Weiteren klagten viele, dass ihre Kinder aufgrund der gewöhnlichen Form des Vor- und Nachmittagunterrichts und dem nachträglichen Erledigen der Hausaufgaben am späten Nachmittag schlichtweg überlastet waren (Zickgraf, 2006). In Deutschland erfolgte nun ein Wandel, welcher von den übrigen Ländern in Europa nicht nachvollzogen werden konnte (Appel & Rutz, 2009).
In diesen europäischen Ländern war das Ausbilden der Lerninhalte wichtig, aber auch erzieherische Schularbeit seitens der Lehrenden bildete einen wichtigen Kern des Schulwesens. Hingegen versteifte sich die deutsche Schule an ihre Tradition, nämlich der reinen Unterrichtsschule( Appel & Rutz, 2009).
Die Bestrebungen nach Veränderungen, maßgeblich durch die Einwirkungen der angelsächsischen Schulen, setzten zeitgleich in Deutschland ein.
Wesentliche Impulsgeber waren die Wald- und Freiluftschulbewegungen, die allerdings mit dem Ersten Weltkrieg an Bedeutung verloren. Im Jahre 1904 gründeten der Stadtschulrat Neufert und der Medizinalrat Bendix die Waldschule Charlottenburg, die als eine Schule im Kiefernwald am Rande der Stadt beschrieben werden kann. In dieser Schule sollten „kränkliche, gesundheitlich gefährdete Großstadtkinder“ den ganzen Tag betreut und „pädagogisch gefördert“ werden (Holtappels, 1995). Man kann diese „Kiefernwaldschule“ als eine der ersten Verwirklichung moderner Ganztagsschulen nennen (Ludwig, 2008).
Zu Beginn der Weimarer Zeit (1918- 1933) wurden wieder Ganztagsschulen errichtet, allerdings in überschaubarer Anzahl. Weiteren Antrieb gaben vor allem in den 20er-Jahren zum Ganztagesbetrieb die Arbeitsschulbewegungen und das Modell der elastischen Einheitsschule aus. Einen konsequenten Entwurf des Schulplans lieferte des Berliner Reformpädagoge Fritz Karsen. Er wollte den Ganztagsschulgedanken mit dem Gesamtschulgedanken verbinden und hielt damit die Aspekte moderner Schulreform schriftlich, wie sie heute für „Lebensschulen“ ganzheitlicher Art gefordert werden, in seinem Aufsatz fest. Mit dem Beginn des Nationalsozialismus mussten die Reformpädagogen ihre Ideen und Hinweise zur Veränderung des deutschen Schulwesens naturgemäß beenden (Appel & Rutz, 2009).
Die Wegbereiter, die sich um die Einrichtungen von ganztätig gestalteten Schulen bemühten, waren nach dem Kriegsende Hermann Nohl und Lina Mayer –Kulenkampff. Allerdings eher mit sozialem Hintergedanken, wie es schon vor dem Ersten Weltkrieg gewesen war. Man wollte die „Schlüsselkinder“ und vaterlosen Familien unterstützen, da aus den Folgen des Krieges die Mütter quasi die Arbeiterrollen übernehmen mussten und ihre Kinder ohne Aufsicht die Nachmittage verbrachten.
Der eifrige Einsatz der Schulpädagogen um neue Schulkonzeptionen in den 50er-Jahren hat Gehör bekommen. Einige dieser Vertreter schlossen sich zusammen und gründeten 1955 den Ganztagsschulverband Gemeinnützige Gesellschaft Tagesheimschule in Frankfurt am Main. Noch heute ist dieser Verband dafür berüchtigt, neue Ganztagsschulen zu gründen, zu etablieren und weiterzuentwickeln und damals stand er der Umsetzung einiger ganztätiger Schulversuche zur Seite. Dieser Reformgedanke, nämlich die Abkehr von der Unterrichtsschule und dem Zudrehen zu erzieherisch eingestellten Schule, festigte sich immer mehr und fand Zustimmung vom Deutschen Bildungsrat im Jahre 1968 und 1969. Somit wurden nun den politischen Entscheidungsträger „die Hände gebunden“ und die Wege für weitere Ganztagsschulen etwa Mitte der 70er-Jahre wurden geebnet.
Zu diesem Augenblick trat eine Rückbesinnung auf reformpädagogisches Denken ein, die Ganztagsschulkonzeption erhielt wieder einmal Antrieb. Dieses Mal wurde sie von der Sozial-, Freizeit- und Ausländerpädagogik getragen. Aber in der Gesellschaft wurden die neuen Lehr- und Lernformen, die bezüglich der politischen und technischen Veränderungen in der Welt und damit verbundenen Umbruch in der Familie, nicht zur Kenntnis genommen. Einen Fortschritt erlangte die ganztätige Schulkonzeption Mitte der 80er-Jahre, als sich der Ganztagesschulverband Gemeinnützige Gesellschaft Tagesheimschule auf die zahlreichen negativen Äußerungen in der Öffentlichkeit wehren musste. Beispielsweise wurden ihr angeprangert, dass das Modell das finanziell kostspieligste aber nicht das Adäquateste sei. Nützlich in diesem Zusammenhang war eine zeitgleiche und sehr bewegt geführte frauenpolitische Debatte, die folgendermaßen in den Medien sinnvoll eingesetzt wurde. Einerseits waren die veränderten familiären Verhältnisse Gesprächsthema und andererseits im Kontext dazu die nicht vorhandenen Ganztagsschulplätze (Appel & Rutz, 2009). Eine empirische Untersuchung aus dem Jahre 1991 untermauerte zusätzlich die weiter auseinanderklaffende Schere zwischen dem Bedarf an und dem Vorhandensein von Ganztagesschulbetreuung. Ferner ermöglichten, wie eingangs schon angeführt, die schlechten Ergebnisse der TIMSS- und PISA- Studien deutscher Schüler im internationalen Vergleich eine Aufrollung dieses Themas. Sodass alle diese genannten Faktoren einen Druck auf die Politik ausgelöst haben und einen Schub zur weiterer Umsetzungen neuer ganztägig betreuten Schulen verleihen konnte (Ludwig, 2008).
Auch wenn nun permanent die Rede von der „Ganztagsschule“ gewesen ist und über die Entwicklung und Etablierung dieser Konzeption gesprochen wurde, sollte man wissen, dass es in der Praxis vor dem Hintergrund inhaltlicher, zeitlicher und konzeptioneller Rahmenvorgaben verschiedene Modelle der Ganztagesschule gibt. Die KMK unterscheidet zwischen der voll gebundenen Form, der teilweise gebundenen Form und der offenen Form der Ganztagsschule, die im Folgenden in ihrer Unterschiedlichkeit präsentiert werden.
„In der offenen Form können einzelne Schülerinnen und Schüler auf Wunsch an den ganztägigen Angeboten dieser Schulform teilnehmen. Für die Schülerinnen und Schüler ist ein Aufenthalt, verbunden mit einem Bildungs- und Betreuungsangebot in der Schule, an mindestens drei Wochentagen im Umfang von täglich mindestens sieben Zeitstunden möglich.“( Kultusministerkonferenz, 2008).
Offene Ganztagesschulen zeichnen sich strukturell dadurch aus, dass es den Eltern bzw. Schülern frei überlassen ist, ob ihre Kinder an der Ganztagesbetreuung partizipieren oder nur das verbindliche Halbtagesangebot der Schulen nutzen. Der Pflichtunterricht findet daher im üblichen 45-Minuten-Takt am Vormittag statt.
Für die Schüler- und Schülerinnen, die das Ganztagesangebot nutzen und deren Eltern sich es leisten können, gibt es danach ein betreutes Mittagessen in der Gemeinschaft. In Folge dessen werden die Hausaufgaben besprochen und erarbeitet. Da hierbei immer eine Aufsichtsperson vertreten ist, spricht man von Hausaufgabenbetreuung.
Anschließend sind noch zahlreiche Wahlangebote und vielseitige Spiel- und Freizeitvorhaben vorgesehen, wobei für das Nachmittagsprogramm Kosten entstehen, welche die Eltern selbst finanzieren müssen. In der Regel bewegen sich die Kosten hierfür zwischen 30 und 150 Euro im Monat.
Oftmals wird zur Errechnung der Kosten das Bruttoeinkommen der Eltern in Betracht gezogen und der zu entrichtende Schulbetrag somit angeglichen. Die Schüler- und Schülerinnen der Ganztagsschule haben die Möglichkeit sich an mindestens drei Schultagen pro Woche von ca. 8.00 bis 16.15 Uhr in der Institution Schule aufzuhalten (Portmann, 2004).
Lehrer und Lehrerinnen müssen sich in der Nachmittagszeit der offenen Ganztagsschule nicht unbedingt beteiligen, denn die Betreuung der Schüler- und Schülerinnen wird hier größtenteils von Sozialpädagogen, Fachkräften und Erziehern übernommen. Bei Kooperationen mit außerschulischen Partnern wie Vereinen, Betrieben, Verbänden und der Jugendhilfe können auch Vereinsmitglieder, Ehrenamtliche oder Eltern bei der Nachmittagsgestaltung und Betreuung mitwirken (Portmann, 2004).
„In der voll gebundenen Form sind alle Schülerinnen und Schüler verpflichtet, an mindestens drei Wochentagen für jeweils mindestens sieben Zeitstunden an den ganztägigen Angeboten der Schule teilzunehmen.“ ( Kultusministerkonferenz, 2008)
Eine gewisse Gebundenheit weist der Begriff „voll gebundene Ganztagsschule“ bereits im Wortlaut auf. Die Definition unterstützt diese Annahme, denn Ganztagsschulen mit voll gebundener Betreuung zeichnen sich grundsätzlich dadurch aus, dass sie für alle Schüler- und Schülerinnen verbindlich sind.
An mindestens 3 Wochentagen findet der Unterricht von 8 Uhr bis ca. 16.15 Uhr statt, wobei es meistens ein Abwechseln von Konzentrations- und Entspannungsphasen gibt. Das bedeutet, dass Fächer wie Mathematik, Biologie und Deutsch durch Projektunterricht, Neigungskurse, AGs, Freizeit und andere Arbeitsgruppen voneinander getrennt werden. Die Lehrer als auch die Schüler können von dieser Situation profitieren, denn es entsteht ein völlig differentes Lehrer-Schüler Verhältnis.
Ein Vorteil besteht darin, dass die Lehrer ihre Schüler einiges vielseitiger kennenlernen und somit auf Schwächen und Stärken besser eingehen können.
Aus Sicht der Schüler ergibt sich ein völlig anderer Lernzugang, welcher den Schüler -und Schülerinnen sicherlich Erleichterungen bringt.
Auch die Hausaufgaben werden innerhalb der Schulzeit erledigt, sodass die Schüler -und Schülerinnen bei Fragen oder Unklarheiten immer einen Ansprechpartner haben. Die Hausaufgabenbetreuung kann entweder vormittags oder nachmittags genutzt werden, sodass die Möglichkeit besteht den Klassenverband für kleinere Gruppen aufzulösen.
Seit der Entstehung der Schulprogramme darf jede Schule ihr eigenes Konzept entwickeln. Meistens werden hierzu die Eltern in die Planung mit einbezogen um möglichst individuell auf die Bedürfnisse der einzelnen Schüler -und Schülerinnen eingehen zu können.
Ein wichtiges Merkmal für soziales Miteinander in der Ganztagsbetreuung stellt der gemeinsame Mittagstisch dar. Das Mittagessen wird entweder in der schuleigenen Kantine gekocht oder von Großküchen aus der Region geliefert (Appel & Rutz, 2009).
„In der teilweise gebundenen Form verpflichtet sich ein Teil der Schülerinnen und Schüler an mindestens drei Wochentagen für jeweils mindestens sieben Zeitstunden an den ganztägigen Angeboten der Schule teilzunehmen.“ (Kultusministerkonferenz, 2008)
Die teilweise gebundene Ganztagsorganisation kommt der Beschreibung zur offenen Form sehr nahe. Der schwerwiegendste Unterschied besteht darin, dass nicht nur einzelne Schüler -und Schülerinnen das Angebot freiwillig nutzen, sondern dass sich ein Teil einer Klassenstufe dazu verpflichtet an mindestens drei Tagen das Ganztagsangebot zu nutzen.
Wie wir schon feststellen konnten, gab es verschiedene Motive, die dazu beigetragen haben, dass sich eine häufende Anzahl an Schulen der ganztägigen Schulkonzeption widmen. Nicht immer sind die Veränderungsmaßnahmen vorrangig pädagogisch orientiert, das heißt dem Kinde gewidmet, sonder teilweise aufgrund veränderter gesellschaftlicher Muster oder gar als Instrument der Politiker für ihre aufkommenden Wahlen eingesetzt (Appel & Rutz, 2009). Welche Motive und Gedanken gehören aber aus pädagogischer Sicht zu den Ganztagsschulen, mit denen ihre Vertreter um der Erneuerung ihres Willens argumentieren?
Faktor Zeit: „Mehr Zeit für die Kinder“. [...] „Schule ist mehr als Unterricht“ Lernprozesse und zwischenmenschliche Beziehungen brauchen Zeit und müssen in Ruhe und dem Versuch Stresssituationen zu vermeiden, angegangen werden.
Unterrichtsplanung: Aus der Lernpsychologie weiß man, dass die Lern- und Leistungsbereitschaft nicht konstant gehalten werden kann. Diese Schwankungen könnten mit Hilfe flexiblem, abwechslungsreichem Unterricht, dem „rhythmisierten Tagesablauf“ abgefangen werden. Ferner gewährt es zusätzlichen Freiraum, um neu konzipierte Fächer zu integrieren und weitere Angebote zu offerieren. Des Weiteren kann man sich nun mehr Zeit nehmen für Unterrichtsformen, die in den „Fängen“ der Halbtagsschule bezogen auf das Zeitbudget nicht einwandfrei umgesetzt werden könnte. Dabei zu denken, ist an den Projektunterricht oder an die verschiedenen Methoden des selbstständigen Lernens im offenen Unterricht, wie die freie Stillarbeit.
Individuelle Förderung: Positive Voraussetzungen im Sinne der Chancengleichheit. Durch die angemessene Förderung bleiben die Kinder, deren Eltern aus erzieherischen und zeitlichen Gründen nicht als Stütze dienen können, nicht auf der Strecke. Der Flexibilität stehen keine Grenzen gegenüber, Förderungsmaßnahmen können sowohl individuell oder auch in Kleingruppen betrieben werden. Das Verbessern von Schwächen nicht nur bei Kindern mit Migrationshintergrund, sondern auch Rückstände bei deutschen Kindern kann im erweiterten Tagesablauf der Möglichkeit geboten werden. Aber gerade bei Kindern mit ausländischen Eltern zeigten sich Fortschritte in der Sprachentwicklung, wenn sie in dem ausgedehnten Schulablauf und somit in der deutschsprachigen Umgebung verbleiben.
Hausaufgaben: Ein leidvolles Unterfangen bleibt gerade den Müttern, „Nachhilfelehrerinnen der Nation“, erspart. Dazu gehört auch der sehr kostspielige Nachhilfeunterricht, der sich in den letzten Jahren aufgebaut hat.
Freizeit: Die immer wichtiger werdende Freizeitgestaltung in Zusammengehörigkeit mit der Konsum- und Medienerziehung wird durch die Anwesenheit der Schüler und ihrer teilweise selbst gewählten Gestaltung in der Ganztagsschule eingeschlossen.
Lebensstätte: Die Schule wird zur Lebensstätte und zum Ort der Gemeinsamkeit. Kinder haben eine vielfältige Auswahl an Beschäftigungsmöglichkeiten für sich selbst, aber auch mannigfaltige Mitwirkungsgelegenheiten in der Gruppe, welche von einem geselligen Miteinander und Sichwohlfühlens getragen wird.
Demokratieerprobungen: Wir leben in einer demokratischen Republik. Diese Erfahrungen sollen nicht nur außerhalb oder nach der Schulzeit erprobt werden, sondern auch während der Entwicklungsphase der Kinder in der Schule. Sie sollen Sachkenntnisse erlangen ihm selbständigen und eigenverantwortlichen Handeln. Akzeptanz von unterschiedlichen Altersgruppen, unterschiedlicher Meinungen und Denken kann beispielsweise in der SMV einstudiert werde (Appel & Rutz, 2009).
Familiensituation: sozialer Ausgleich für die Kinder, bei denen Erziehungspersonen ihren erzieherischen Aufgaben aus diversen Gründen nicht nachkommen können. Dabei zu denken, ist an Wohnheimkinder, milieugeschädigte Kinder, Kinder von Eltern mit psychischen Störungen. Viele Erziehungspersonen befürworten Ganztagschulen, die ihre eigene, persönliche oder berufliche Interessen auf höhere Priorität stellen. Wie z.B. Einelternfamilien, oder Eltern, die beide berufstätig sind, bzw. Selbstverwirklichungswünsche verfolgen. Für sie bewirkt ein ganztätiges Konzept Entlastung in jeglicher Hinsicht. Was nun mit dem Begriff „sozialer Wandel“ definiert werden kann, blockiert und beeinträchtigt die Entwicklung ihrer Kinder. Die Schule wird aber nicht als Kompensationsinstanz gesehen, was die Lehrenden auch verneinen. Die Schule soll eher die auftauchenden Defizite ausgleichen und ergänzen.
Verändertes Umfeld für Heranwachsende: Feststellbar ist, dass die Räume in der Natur, in denen die Kinder sich aufhalten und persönliche Erfahrungen sammeln können, drastisch reduziert sind. Hingegen haben sich die Gebiete der Informationsaufnahme aus der Medienwelt vergrößert. Völlig neue Züge haben das Wohnumfeld durch städtebaulichen Wandel genommen. Es sind kaum noch Straßengemeinschaften vorhanden. Kinderlose Wohnviertel sorgen in früheren Neubaugebieten für Stille. Die Rückbildung der innerfamilialen Kontaktmöglichkeiten steht in Wechselwirkung mit dem Rückgang sozialer Kontaktgelegenheiten im äußeren Umfeld, sodass Ganztagsangebote als „Ort der sozialen Geschwister“ in Bedeutung von einer gleichmäßigen Sozialisation von Peergroups mit der Zielsetzung, Kinder und Jugendliche zu erziehen , angesehen werden kann
Ganztagsschule als Ergänzung der Familienerziehung: Die Ganztagsschule ist nur dann gerechtfertigt, wenn sie die Fähigkeit besitzt, Familien zu helfen und zu entlasten und Kindern bei der Entwicklung ihrer Persönlichkeit und Individualität mitzuwirken. Auf keinen Fall darf sie aber eine Ersatzaufgabe übernehmen (Appel & Rutz, 2009).
Anhand der öffentlichen Meinungen und Berichte verleitet es das eigene Gemüt dazu, die Einführung und Entwicklung des Ganztagsschulwesens nur positiv und daher auch einseitig zu betrachten. Allerdings verlaufe die Diskussion vor Ort an den Schulen kontrovers. Zusätzlich stehen viele Schüler einer Ausweitung schulischer Zwangsaktivitäten in den Nachmittagen hinein misstrauisch und zweifelnd gegenüber. Auf die größte Meinungsvielfalt treffen wir auf Seiten der Eltern (Bildungsserver Rheinland-Pfalz).
Steht man dem Vorhaben bedenklich gegenüber, dann entstehen ganz andere Sichtweisen und verbindet man mit dem Begriff „Familie“ einen Ort des Miteinanders und der intensiven Gemeinschaft, die auf Zuwendungen, Zärtlichkeiten und sich Wohlfühlens beruht, dann ergeben sich andere Argumente.
In diesem Kontext wird die Ganztagsschule eher als reine Institution gesehen, die dazu beiträgt, dass die eigentliche Aufgabe der Familie, nämlich die der Erziehung, verloren geht und auf die Schule übertragen wird.
Aus diesem Aspekt leitet man eine Ausbreitung der Schule und dem Zurückstoßen der Familie ein; die Verschulung der Kinder wird in Gang gebracht (Bildungsserver Rheinland-Pfalz).
Ganztagsschulbetreuung wird dann vielmehr als eine Erprobung in „fremde Bereiche“ einzugreifen, die die Institution Schule nicht anbelangen. Wie z.B. Erziehungsbeiträge in unterschiedlicher Hinsicht. Dabei zu denken ist an die persönliche Zuwendung, an ein überdauerndes Angenommenseins, an persönliche Unterstützung bei intimen Fragen wie die Sexualität, Liebeskummer, Schul- und Berufswahlprobleme usw. Des Weiteren finden wir eine Gruppe wieder, die entsprechend der Umsetzung mit einem „ mulmigen Bauchgefühl“ entgegensteht. Und zwar haben wir uns noch nicht die Lehrerschaft angeschaut.
Die Hauptschwierigkeit bei dieser Personengruppe liegt darin, dass sie mit dem zusätzlichen Aufgabenfeld schlicht und einfach überlastet werden!
Diese zusätzlichen Erziehungsaufgaben, mit denen sich die Lehrer nicht identifizieren können, werden als unangenehm empfunden. Man denke aber auch an die Arbeitszeiten. Der Umfang der Anwesenheitspflicht wird erweitert. Daraus resultiert, dass die Lehrer nun das Korrigieren der Hausaufgaben und das Vorbereiten des Unterrichts für nachstehende Wochen auf den späten Abend verschieben müssen. Nun sind sie nicht nur die übermüdet und „ausgepowert“, sondern ihr Unterricht leidet zusätzlich, was nicht förderlich für die Schüler ist (Bildungsserver Rheinland-Pfalz).
Das Investitionsprogramm „Zukunft, Bildung und Betreuung“ 2003-2007 wurde am 12. Mai 2003 gemeinsam vom Bund und Ländern unterzeichnet. Auf alle 16 Bundesländer wurde nach einem festen Verteilungsschlüssel ein Fördervolumen von 4 Milliarden € ausgegeben. Somit unterstützt der Bund die Ausweitung und den Ausbau von Ganztagsschulen. Das IZBB- Förderprogramm möchte die einzelnen Bundesländer dazu veranlassen, eine moderne Infrastruktur im Ganztagsschulbereich zu schaffen und eine Verbesserung der Qualität des Bildungssystems zu erreichen. Wie im Detail die Umsetzung erfolgt, liegt in den Händen der einzelnen Länder. Dem Bundesland Baden-Württemberg wurden knapp 530 Millionen Euro für die Finanzierungen der Ganztagsbetreuung zu Verfügung gestellt (STB, 2006).
Das Programm „Chancen durch Bildung- Investitionsoffensive Ganztagsschule, welches von der Landesregierung und den kommunalen Spitzenverbänden im November 2005 vereinbart wurde, griff erst im Jahr 2006 mit der Bezuschussung von Baumaßnahmen für Ganztagsschulen. 176 Anträge konnten zu Beginn bewilligt werden und der Zuschuss lag bei ca. 50 Mio. Euro. Dieses Investitionsprogramm wird im Rahmen der kommunalen Schulbauförderung umgesetzt und soll den Ausbau der Ganztagsschulen in Baden-Württemberg unterstützen.
Am 20. Februar 2006 hat der Ministerrat eine Entscheidung über den Ausbau von Ganztagsschulen an allen allgemein bildenden Schulen und den Grund- sowie Hauptschulen mit besonderer pädagogischer und sozialer Aufgabenstellung getroffen. Ziel dieses neuen Ganztagesschulprogramm ist es, ein flächendeckendes und bedarfsorientiertes Netz von Ganztagsschulen zu schaffen.
In den nächsten neun Jahren stehen für die benötigten Investitionsvorkehrungen summa summarum eine Milliarde Euro zur Verfügung. Das Land Baden-Württemberg übernimmt mit 450 Mio. Euro fast die Hälfte davon, auf die Kommunen kommen 550 Mio. Euro zu. Der Plan bis 2015 ist, dass rund 40 % der öffentlichen allgemein bildenden Schulen als Ganztagesschule eingerichtet werden. Es wird ein Ausbau von 200 auf 400 Ganztagshauptschulen mit besondere pädagogischer und sozialer Aufgabenstellung geplant. Weitere 300 Ganztagsgrundschulen im Verbund mit einer Ganztagshauptschule mit besonderer pädagogischer und sozialer Aufgabenstellung und 50 selbstständige Ganztagsgrundschulen mit besonderer pädagogischer und sozialer Aufgabenstellung (Bundesministerium für Bildung und Forschung, 2006).
[...]