Für neue Kunden:
Für bereits registrierte Kunden:
Hausarbeit (Hauptseminar), 2011
20 Seiten, Note: 1,7
1. Einleitung
2. Theoretische Grundlagen - Kleinpartei und Volkspartei
3. Empirische Parteianalyse
3.1 Wähler, Wahlen, Potenziale
3.2 Grüne Programmatik im Wandel der Zeit
3.3 Die Mitglieder der Grünen
4. Fazit
5. Literaturverzeichnis
Anti-Parteien-Partei, Protestpartei, Regierungspartei, Oppositionspartei, Reformpartei - in ihrer knapp 30-jährigen Geschichte wurden die Grünen schon mit vielen Etiketten versehen (vgl. Leistner/Rahlf 2009: 129). Aktuelle Konflikte, wie beispielsweise ‚Stuttgart 21‘ oder der mögliche Super-GAU in Japan greifen Kernthemen von Bündnis 90/Die Grünen auf und bringen der Partei neben dem medialen Interesse hohe Umfragewerte. Bei der Sonntagsfrage erreichten sie auf Bundesebene in den letzten Monaten stets Werte um 20 Prozent (vgl. Infra- test-dimap 2011). Auf Landesebene sieht es für die Partei gar so gut aus, dass die Parteifüh- rung schon das Mantra „Auf dem Teppich bleiben“ (Gathmann 2011) ausgibt. Zeitgleich mit den Umfragewerten stiegen bei den Grünen in den letzten Jahren auch die Mitgliederzahlen. Von 10.000 Mitgliedern zu Gründungszeiten stieg die Mitgliederzahl auf rund 52.000 Mitg- lieder. Absolut gesehen liegen die Grünen damit zwar noch immer hinter den anderen Bun- destagsparteien, nichtsdestotrotz ist sie (zusammen mit DIE Linke) die einzige Partei, die in Zeiten von rapidem Mitgliederschwund Zuwächse verbuchen kann (vgl. SPIEGEL Online 2010).
Blickt man auf die Entwicklungsgeschichte von Bündnis 90/Die Grünen, verlief der bisherige Weg über fünf Entwicklungsstufen. Die Formierungs- und Gründungsphase 1977 - 1980, die Phase des Aufbaus und der Etablierung von 1980 - 1983 gefolgt von der Parlamentisie- rungsphase 1983 - 1990. Daran anschließend traten die Grünen in eine Phase der Restruktu- rierung ein, sie vereinigten sich mit Bündnis 90 und entwickelten sich zu einer Reformpartei (1990 - 1998). In der folgenden Phase befanden sich die Bündnisgrünen an der Bundesregie- rung, bevor sie 2005 wieder in die Opposition zurückkehrten, in der sie sich bis heute befin- den (siehe hierzu Probst 2007: 173ff.).
Dabei war die Partei in jeder dieser Entwicklungsphasen geprägt durch einen anderen partei- theoretischen Funktionstyp, der ihr jeweils den Platz im bundesdeutschen Parteiensystem zu- wies. Zunächst als Bewegungspartei, welche die Forderungen der Friedens-, Ökologie- und Frauenbewegung organisatorisch bündeln und in den elektoralen Wettbewerb tragen sollte. In ihrer zweiten Phase wurden die Grünen als Randpartei in Parlamenten auf Bundes- und Lan- desebene eingestuft, die es ermöglichte, das Lebensgefühl und den Protest eines neu entstan- denen Milieus politisch verhandelbar zu repräsentieren. Während ihrer dritten Phase in den 1990er Jahre wurden die Grünen als eine sich etablierende Funktionspartei zur Organisierung rot-grüner Mehrheiten in Bund und Ländern gesehen und letztlich als eine professionelle Re- gierungs- und Reformpartei in einer Koalition mit der SPD. Doch welchen Platz und welche Rolle können die Grünen nun im aufgefächerten bundesdeutschen Parteiensystem einnehmen (vgl. Haas 2008: 102)? Aktuell werden die Grünen von der Parteienforschung als etablierte Kleinpartei eingeordnet, im Unterschied zu CDU/CSU und SPD, denen trotz sinkender Wahl- ergebnisse der Status von Volksparteien zukommt (vgl. Schubert 2010: 234).
Unabhängig vom eigenen Anspruch der Partei stellt sich daher die Frage, inwieweit haben sich die Grünen bereits von einer Kleinpartei zu einer Volkspartei gewandelt beziehungsweise sind sie im Wandel begriffen?
Um auf diese Frage eine Antwort geben zu können, werden im Kapitel 2 zunächst die theoretischen Grundlagen zu Kleinpartei und Volkspartei erarbeitet. Dabei wird auf die Definition einer Volkspartei von Peter Lösche und dessen Indikatoren zurückgegriffen. Zur Anwendung dieser Definition auf die Realität und Analyse der aktuellen Situation werden die vier Indikatoren von Lösche zu dreien zusammengefasst und im folgenden Kapitel 3 untersucht. Dies werden die Wähler und Wahlergebnisse der Grünen, ihre Programmatik und abschließend ihre Mitglieder, alle im Zeitverlauf seit ihrer Gründung 1980, sein. Diese werden im Fazit bewertet und eine Antwort auf die Leitfrage der Arbeit gegeben.
In der Literaturauswahl wurde der Fokus vor allem auf neuere Publikationen zu Bündnis 90/Die Grünen gelegt, um ein möglichst aktuelles Bild des Forschungsstands zu zeichnen. Wichtige Autoren sind hierbei Serkan Agci, Melanie Haas und Lothar Probst sowie die Verfasser des Standardwerks zu den Bündnisgrünen, Markus Klein und Jürgen Falter.
In der Parteienforschung werden die Grünen aktuell als etablierte Kleinpartei bezeichnet (vgl. Schubert 2010: 234). Kleinparteien sind dabei als Parteien definiert, denen der Sprung in mindestens zwei Landtage bzw. den Bundestag gelungen ist und die einen Stimmanteil von unter 10 Prozent auf sich vereinigen können (vgl. Jandura 2006: 20). Sie sprechen stärker spezifische Wählergruppen an und verzichten in ihren Wahlkämpfen auf eine ausgreifende Mobilisierung. Wegen ihres eingeschränkten elektoralen Status verfügen sie über einen signi- fikanten, wenn auch begrenzten Zuspruch, was zu ungesicherter Parlaments- und Regierungs- teilhabe führt. Kleinparteien sind keine Mehrheitsbildner, sondern Mehrheitsbeschaffer. Sie greifen oft vernachlässigte Themen auf, bilden ihre ideologische Ausrichtung entlang umstrit- tener Positionen und bedienen damit regionale Konfliktlinien oder milieuspezifische Bedürf- nisstrukturen (vgl Schubert 2010: 234).
Diese Arbeit geht der Frage nach, ob sich die Grünen in eine Volkspartei gewandelt haben beziehungsweise wandeln. Die Verwendungsgeschichte des Begriffs Volkspartei reicht in Deutschland bis in das zweite Drittel des 19. Jahrhunderts zurück. Hier formte sich der Be- griff parallel zur Demokratisierungsbewegung in den deutschen Staaten. Laut Hofmann han- delt es sich dabei aber nicht um einen wissenschaftlich-analytischen Terminus, sondern um eine Selbst- oder Fremdzuschreibung der politischen Akteure (vgl. Hofmann 2004: 33). Kon sens herrscht nur darüber, dass Volkspartei nicht eindeutig zu definieren ist und synonym ge- nutzt wird mit Massenpartei, Mitgliederpartei, Massenintegrationspartei, Allerweltspartei, Großpartei, Kartellpartei (vgl. Lösche: 2009: 6). Zentraler Orientierungspunkt des Parteihan- delns ist die Wählerschaft. Um als Großpartei mehrheitsfähig zu bleiben, kommt es dabei aber weniger auf die feste soziale Verankerung als vielmehr auf poltische Inhalte und auf vermit- telbare, populäre Kandidaten an. Taktische Überlegungen zur Stimmenmaximierung haben dabei Vorrang vor ideologischen Gesichtspunkten (vgl. Jun/Kreikenbom 2006: 18f.).
Als weitere strukturvergleichende Merkmale zwischen Klein- und Großparteien werden unter anderem die Funktion der Parteien im Parteiensystem, die Anfälligkeit für volatiles Wahlver- halten, die Zahl der Mitglieder beziehungsweise die Organisationsdichte und die Kommuni- kationsgeschwindigkeit sowie der Vertretungsanspruch angeführt (vgl. Jandura 2006: 21).
Im Laufe der Jahre haben sich verschiedene Definitionen des Begriffs ‚Volkspartei‘ ange- sammelt. Für diese Arbeit wird auf die Typologie von Peter Lösche zurückgegriffen.1 Zur Be- stimmung einer Volkspartei hat Lösche vier Indikatoren herausgearbeitet. Als eine Volkspartei gilt demnach eine politische Organisation, die in der sozialen Zusam- mensetzung ihrer Mitglieder, Parteiaktivisten und Wähler nicht auf eine Schicht, Klasse oder anders definierte Gruppe beschränkt ist, mithin als sozial heterogen zu gelten hat und sich an tendenzielle Änderungen in der Gesellschaft anpassen kann. Dabei findet allerdings keine spiegelbildliche Abbildung der Gesellschaft statt, sondern es bleibt durchaus eine eigene Kon- tur erhalten.
Die Volkspartei ist eine Massenwähler-, Mitglieder- und Funktionärspartei. Dafür muss sie auf Dauer 35 Prozent der Wähler für sich gewinnen, ein Prozent der Wahlberechtigten als Mitglieder überzeugen und davon wiederum zehn Prozent als Funktionäre motivieren. Volksparteien können nur in repräsentativ-demokratischen poltischen Systemen parlamentarischer oder präsidentieller Prägung vorkommen und müssen Willens, bereit und in der Lage sein, allein oder in Koalition mit anderen Parteien die Regierungsverantwortung zu übernehmen. Sie dürfen also keinen absoluten Herrschafts- und Durchsetzungsanspruch haben, was Kompromisse und somit gemeinsames Regieren ausschließen würde.
Beim letzten Indikator bezieht sich Lösche auf die Stammwählerschaft der Parteien. Volks- parteien basieren, wenn auch nicht vollständig, auf sozial-moralischen Milieus und rekrutie ren aus diesen ihre Stammwählerschaft. Diese ist das Fundament und hat einen Anteil zwi schen 20 und 25 Prozent der Bevölkerung. Erst mit dieser Milieubasis sind Wahlergebnisse von 40 Prozent und mehr möglich (vgl. Lösche 2009: 6-8.).
Zur Überprüfung der Leitfrage werden in Anlehnung an diese Indikatoren die Wähler der Grünen, ihre Wahlergebnisse im Laufe der Jahre, ihre Programmatik und deren Wandel und abschließend ihre Mitglieder und deren gesellschaftliche Zusammensetzung untersucht. Warum Mitglieder und Wähler untersucht werden, ist im Gegensatz zu einer Untersuchung der Programmatik offensichtlich. Diese bestimmt zwei ganz wesentliche Punkte des Auftretens einer Partei. Sie gibt Aufschluss über den oben angesprochenen Herrschaftsanspruch sowie den Willen oder Nicht-Willen überhaupt, Regierungsverantwortung zu übernehmen. Zum anderen bestimmt die Programmatik ganz wesentlich, inwieweit eine Partei überhaupt aktuell beziehungsweise in Zukunft alle Bevölkerungsschichten als mögliche Wähler/Mitglieder ansprechen und somit den Status einer Volkspartei erlangen kann.
Auf Bundesebene traten die Grünen das erste Mal bei der Bundestagswahl 1980 in Erscheinung. Mit 1,5 Prozent der Zweitstimmen scheiterten sie klar an der 5-Prozent-Hürde und somit am Einzug in den Bundestag. Dieser gelang aber bereits drei Jahre später bei den vorgezogenen Bundestagwahlen 1983 mit einem Zuwachs von 4,1 Prozentpunkten auf nunmehr 5,6 Prozent (vgl. Hoffmann 2005: 118).
Dieses Ergebnis konnten sie bei der Bundestagswahl 1987 mit 8,3 Prozent der gültigen Zweit- stimmen (vgl. Klein/Falter 2003: 112) noch einmal übertreffen und schienen damit auf einem stabilen Kurs in der Bundespolitik zu sein. In den ersten Jahren nach ihrer Gründung konnten die Grünen vor allem jene Wähler für sich gewinnen, die sich mit ihren Forderungen nach Umweltschutz, Gleichberechtigung und politischer Partizipation von den bestehenden Partei- en nicht mehr repräsentiert fühlten (vgl. Probst 2007: 179). Die Wählerschaft der Grünen un- terschied sich somit signifikant von der Wählerschaft anderer Parteien. Seit den 1970er und 1980er Jahren waren die Wähler der Grünen auch im Milieu der Neuen Sozialen Bewegungen beheimatet. Sie waren eher jung, gut ausgebildet und im öffentlichen Dienst angestellt (vgl. Richter 2009: 7). Bei Arbeitern, Selbstständigen und über 60-Jährigen hingegen fanden sie kaum Zuspruch (vgl. Leistner/Rahlf 2009: 141). Im Gegensatz zu den bereits etablierten Par- teien, wie CDU/CSU, FDP und SPD waren die Grünen an einer neu aufkommenden Konflikt- linie zwischen libertären und autoritären Wertesystemen entstanden. Als Katalysatoren wirk ten dabei die Auseinandersetzung um die Atomkraft, die Debatte um den NATO Doppelbeschluss, eine steigende Anzahl von Asylanten und Umsiedlerzahlen. Zudem profitierten die Grünen von dem Mobilisierungshintergrund, der mit den Neuen Sozialen Bewegungen der 1970er Jahre entstanden war (vgl. Richter 2009: 4).
Bei der Bundestagswahl im Dezember 1990 scheiterten die West-Grünen an der Fünf- Prozent-Hürde (vgl. Volmer 2009: 299). Im Wahlgebiet Ost hingegen zogen Die Grü- nen/Bündnis 90 mit 6 Prozent in den Bundestag ein und bildeten, da sie zu klein für eine Fraktion waren, eine parlamentarische Gruppe. Hätte man den Zusammenschluss von Grünen in Ost und West vor der Bundestagswahl vollzogen, hätten sie gesamtdeutsch die Fünf- Prozent-Hürde übersprungen (vgl. Volmer 2009: 303). Bei der nächsten Bundestagswahl 1994, nunmehr als gesamtdeutsche Partei, schafften die Bündnisgrünen ein Wahlergebnis von 7,3 Prozent. Wie auch in den Folgejahren war dies vor allem einem stärkeren Abschneiden in Westdeutschland zu verdanken, während die Ergebnisse in Ostdeutschland zwischen vier und fünf Prozent verharrten (vgl. Jesse 2005: 20). Typisch für grüne Wähler Mitte der 1990er Jah- re war, dass das individuelle Freiheitsstreben und der Drang nach Selbstverwirklichung stär- ker verankert waren als die Werte Fleiß, Leistungsbereitschaft, Ruhe und Ordnung. Sie waren mehrheitlich den neuen Mittelschichten zugehörig, die postmaterialistische, linksalternati- ve/linksliberale Ideen vertraten (vgl. Jandura 2006: 25).
Trotz eines Strauchelns im Wahljahr 1998 schafften die Grünen den Schritt zur Regierungsbe- teiligung. Ungeachtet eines Rückgangs der Wählerstimmen auf 6,7 Prozent reichte es zur ers- ten rot-grünen Koalition auf Bundesebene. Zwanzig Jahre nach ihrer Gründung war die ehe- malige ‚Anti-Parteien-Partei‘ damit endgültig Teil des politischen Systems der Bundesrepub- lik geworden. Die erstmalige Beteiligung der Bündnisgrünen an einer Bundesregierung führte schon nach kurzer Zeit zu innerparteilichen Turbulenzen, die die Partei nach außen schwäch- ten (vgl. Probst 2007: 176f.).
Wider Erwarten errangen die Grünen bei der Bundestagswahl 2002 mit einer atypisch auf Joschka Fischer abgestimmten Kampagne (‚Zweitstimme ist Joschkastimme‘) 8,6 Prozent und sicherten so die rot-grüne Weiterarbeit (vgl. Schubert 2010: 235). Den größten Zuspruch fan- den die Grünen dabei mit 30,5 Prozent bei der Gruppe der 35- bis 45-Jährigen (vgl. Langguth 2003: 143). Allgemein charakterisierten drei soziokulturelle Merkmale die Wählerschaft der Grünen zum Anfang des Jahrtausends. Sie repräsentierten die jüngeren und mittleren Genera- tionen circa unter 50 Jahren. Der Anteil an Akademikern lag überdurchschnittlich hoch und bevorzugte Arbeitsbereiche der grünen Wählerschaft waren Dienstleistungsberufe (vgl. Raschke/Hohlfeld 2003).
[...]
1 Für weitere Definitionen und genauere Abgrenzungen zur Kleinpartei siehe den Artikel von Jun, Uwe; Kreikenbom, Henry (2006): Nicht nur im Schatten der Macht. Zur Situation kleiner Parteien im deutschen Parteiensystem. In: Jun, Uwe; Kreikenbom, Henry; Neu, Viola (Hg.): Kleine Parteien im Aufwind: Zur Veränderung der deutschen Parteienlandschaft. Frankfurt am Main. S. 13-36.