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Essay, 2010
4 Seiten, Note: 1.0
1. Einleitung
2. Reproduktion sozialer Ungleichheit im Bildungssystem
3. Literaturangaben
Im Folgenden soll es um die Reproduktion sozialer Ungleichheit im Bildungssystem gehen, da sich der schulische Werdegang, und damit einhergehend die Institution Schule als wichtige Sozialisationsinstanz neben der Familie, den Freunden und den Medien ebenfalls auf die Biografie auswirkt.
Ein enger Zusammenhang zwischen der sozialen Herkunft und dem erzielten Schulerfolg ist nicht mehr zu leugnen, so wiesen auch verschiedene Studien, so beispielsweise PISA, in den letzten Jahren immer wieder nach, dass das Bildungssystem in die Reproduktion, also die ständige Wiederherstellung sozialer Ungleichheit, involviert ist (vgl. Gill 2008, S.40). Zwar führte die Bildungsreform der 1960-er dazu, dass mehr Menschen an der Bildung teilhaben können, jedoch geht damit keine reell existierende Chancengleichheit aller Schüler, unabhängig ihrer Herkunft, einher: So müssen die „Leistungen von Kindern bildungsschwacher Familien […] um 50% höher liegen, um eine Empfehlung für das Gymnasium zu erhalten, als die Leistungen von Kindern bildungsstarker Familien“ (Otto/Schrödter 2008, S.56). Hierzulande entscheidet der Lehrer (mit den Eltern gemeinsam) über den schulischen Weg des Kindes nach der Grundschulzeit. Diese Tatsache führt neben den schulischen Leistungen der Lernenden dazu, dass Schüler aus sozial benachteiligten Familien erheblich schlechtere Chancen haben, ein Gymnasium zu besuchen als beispielsweise Beamtenkinder: „Lehrer reagieren (unterbewusst) oft positiver auf den Habitus von Kindern aus Mittel- und Oberschicht, und zwar unabhängig von deren Begabungen […]. In mehreren Studien wurde nachgewiesen, dass Kinder von Eltern mit niedrigerem Bildungsstand sehr viel bessere Leistungen aufweisen müssen, um die Übergangsempfehlung zum Gymnasium zu erhalten, als Kinder von Eltern mit gehobenen Bildungstiteln“ (Gill 2008, S.50). Noch genauer formulieren es Spies und Tredop: Vergleicht man Kinder verschiedener sozialer Herkunft, die gleiche kognitive Grundfähigkeiten und Lesekompetenzen aufweisen, „sind die gymnasialen Chancen von Kindern aus der oberen Dienstklasse um fast das Vierfache höher als bei Facharbeiterkindern“ (Spies/Tredop 2006, S.70) Hier wirkt ein leistungsunabhängiger sozialer Filter, der Kinder sozial schwächerer Milieus benachteiligt, zu diesem Ergebnis kamen auch die Studien PISA und LAU. Gründe hierfür liegen zum einen darin, dass Lehrer selbst Angehörige der Mittel- und Oberschicht sind. Hier wirkt die soziale Nähe zu Kindern aus gut situierten Elternhäusern, denn sie weisen einen ähnlichen Habitus auf wie ihre Lehrer, auch wehren sich Eltern mittlerer und oberer Sozialmilieus heftiger gegen den sozialen Abstieg ihrer Kinder. Die Ausgangslage des Schülers bei Eintritt in die Schule und am Übergang von der Grundschule in das dreigliedrige Schulsystem ist somit abhängig vom, mit der sozialen Herkunft verbundenen, „Kapital“ der Eltern, also von ihren Ressourcen zur Beeinflussung des gesellschaftlichen Geschehens. So ist die Wahrscheinlichkeit, die Schule letztendlich ohne Abschluss zu verlassen, „bei Jugendlichen aus Arbeiterfamilien 4,7mal, (und) bei Jugendlichen aus Beamten- und Angestelltenfamilien 1,6mal höher als bei Jugendlichen aus Familien von Selbstständigen“ (Geßner 2002, S.63).
Reymond Boudon hat zwei Ursachenkomplexe herausgestellt, die auf die Bildungschancen und Erfolge der Kinder wirken: Er nennt hier primäre und sekundäre Effekte der sozialen Herkunft. Als primäre Effekte wirken demnach Ausstattung, Erziehung und gezielte Förderung der Eltern. Kinder aus höheren sozialen Milieus sind dadurch mit günstigen Voraussetzungen ausgestattet, die in der Schule von Vorteil sein können - Kinder aus sozial benachteiligten Familien haben demgegenüber aufgrund ihrer Herkunft oft kognitive Nachteile in der Schule. Mit sekundären Effekten der sozialen Herkunft bezeichnet Boudon die elterlichen Bildungsentscheidungen im Familien- und Haushaltskontext, die ausschlaggebend für den weiteren Bildungsweg des Kindes sind, diese Entscheidungen sind abhängig von ökonomischen Ressourcen der Familie und variieren demnach je nach Milieuzugehörigkeit (Becker/Lauterbach 2007, S.14). Gemeinsam mit Hartmut Esser erklärt Boudon anhand der Rational-Choice-Theorie das Investitionsverhalten, welches Eltern gegenüber der Bildung ihrer Kinder äußern. Demnach investieren Eltern nur so lange in die Bildung des Kindes, wie der zu erwartende Nutzen die in die Bildung investierten Kosten übersteigt (vgl. Becker/Lauterbach 2007, S.17).
Pierre Bourdieu schließlich entwickelte eine Theorie, in der drei Kapitalarten den Kampf der Familien um sozialen Rang und schließlich die Position in der Gesellschaft erklären: Er unterscheidet hier soziales, kulturelles und ökonomisches Kapital[1]. Bourdieu erklärt, dass alle Arten von Kapital auf das Bildungsverhalten der Familie Auswirkungen haben: Das ökonomische Kapital der Familie beeinflusst den Bildungsweg des Kindes mit, denn nicht alle Eltern können es sich leisten, den Nachwuchs so lange zu finanzieren, bis dieser Abitur oder Studium absolviert hat, oft ist es daher für sozial schlechter gestellte Familien erstrebenswert, dass das Kind so schnell wie möglich einen eigenen Lebensunterhalt verdient. Das kulturelle Kapital wirkt ebenfalls darauf, welchen Bildungsweg das Kind einschlagen wird, denn die Eltern haben eine bestimmte Vorstellung davon, was das Kind erreichen soll. Während Angehörige der oberen sozialen Milieus sich wünschen, dass das Kind den bestmöglichen Bildungsweg einschlägt, erscheint insbesondere der Hochschulbesuch für Eltern sozial schwacher Milieus oft fremd und unheimlich. Weiter beeinflusst auch das soziale Kapital der Familie den Bildungsweg des Kindes. Durch elterliche Kontakte kann der Nachwuchs beispielsweise trotz mangelnder Leistungen gegebenenfalls eine Gymnasialempfehlung erhalten, auch führen Beteiligung im schulischen Elternrat und Kommunikation mit Lehrern zur sozialen Integration des Schülers (vgl. Gill 2008, S.47ff).
Besucht ein Kind nun, mitbestimmt durch seine soziale Herkunft und die schulischen Segregationsprozesse die Hauptschule, ist es in mehrfacher Hinsicht benachteiligt. Aufgrund der aktuellen Arbeitsmarktlage und des damit verbundenen, dort auftretenden Verdrängungswettbewerbs kann nicht mehr garantiert werden, dass diese Schüler mit einem Hauptschulabschluss überhaupt in ein Ausbildungs- oder Beschäftigungsverhältnis münden. Hauptschüler gelten in unserer Gesellschaft als dreifach benachteiligt: Aufgrund ihrer schlechten familiären Ressourcen, durch die inhaltliche Reduktion der Lerninhalte und dem schlechteren Lernklima in der Hauptschule, und schließlich aufgrund der Isolierung infolge sozialer Homogenisierung und Stigmatisierung, die Hauptschülern entgegengebracht wird (vgl. Spies/Tredop 2007, S.72).
Hier wird die prekäre Lage unseres Bildungssystems deutlich, Konzepte und Ansätze zur Verbesserung unseres dreigliedrigen Schulsystems gibt es jede Menge, einige davon würden zweifelsfrei „Blüten tragen“, die bestehende Ungleichheit im Bildungssystem mindern[2]: Beispielsweise könnten Vorschule und Ganztagsschule einen Beitrag dazu leisten, (negative) Wirkungen des familiären Milieus zu kompensieren und Kompetenzen stärken (vgl. Gill 2008, S.49). Um dies zu erreichen, müsste auch hier an der Finanzierung dieser Konzepte gearbeitet werden, denn nicht alle Eltern können sich einen KITA- oder Vorschulbesuch für ihr Kind leisten. Ein weiterer Kritikpunkt am deutschen Bildungssystem gilt der vergleichsweise frühen Selektion der Schüler. So wird hierzulande eine heterogene Schülerschaft nach dem 4.Schuljahr durch die Dreigliedrigkeit des Schulsystems zunehmend homogenisiert, hierdurch wird möglicherweise „das Ausmaß und die Dauerhaftigkeit von Bildungsungleichheiten“ (Becker/Lauterbach 2007, S.16) verfestigt.
[...]
[1] Bourdieu erwähnt neben diesen Kapitalarten noch andere, bspw. Symolisches Kapital oder Bildungskapital. Mehr dazu in: Fuchs-Heinritz, W.; König, A.: Pierre Borudieu. Eine Einführung. Konstanz. UVK Verlagsgesellschaft mbH 2005.
[2] In diesem Beitrag konnten nur einige wenige Ansätze zur Reformierung des Schulsystems aufgegriffen werden, näheres dazu bspw. in: Rendtorff, B. (Hrsg.): Schule, Jugend und Gesellschaft, S.40-53. Ein Studienbuch zur Pädagogik der Sekundarstufe. Stuttgart. Kohlhammer 2008.