Abstract:
Deutschland ist vor allem durch seine zentrale Lage in Europa und durch seine relativ stabilen politischen und wirtschaftlichen Verhältnisse ein Zuwanderungsland. 18,4% der Bevölkerung haben einen direkten oder indirekten Migrationshintergrund, d.h. sie sind selbst eingewandert oder in einer zugewanderten Familie aufgewachsen. Migranten finden sich in allen Bereichen des gesellschaftlichen Lebens und sind aufgrund ihres häufig schwierigen sozioökonomischen Status und der damit einhergehenden Risiken somit auch Zielgruppe des psychosozialen Versorgungsnetzes und „entsprechend groß ist die gesundheitspolitische und sozialmedizinische Bedeutung für die ärztliche, psychologische und soziale Versorgung dieses Teils der Bevölkerung“ (Assion 2004, S. 105).
Vor allem im psychosozialen Versorgungsbereich scheint eine genauere Betrachtung dieser Gruppe notwendig. So waren Migranten 2008 beispielsweise bei psychiatrischen Zwangseinweisungen überrepräsentiert, aber bei der psychotherapeutischen Versorgung deutlich unter dem Durchschnitt vertreten. Als Ursache wird hier meist die „mangelnde Patientenorientierung der vorhandenden Versorgungsstrukturen“ und die mangelnde Orientierung an den Bedürfnissen ausländischer Patienten genannt.
Die vorliegende Arbeit zielt darauf ab, einen Beitrag dazu zu leisten, dass Problemstellungen besser identifiziert und so Handlungsmöglichkeiten für eine Optimierung der vorhandenen Versorgungsstrukturen festgestellt werden können. Um die Ansprüche und Defizite von Therapie, Diagnostik und Beratung bei psychisch Kranken mit Migrationshintergrund genauer zu ermitteln, wird hier exemplarisch das Phänomen des Wahns und seine kulturspezifische Ausgestaltung untersucht. Weil Personen türkischer Abstammung die größte Gruppe der in Deutschland lebenden Ausländer darstellen, werden sie in der vorliegenden Studie exemplarisch in den Vordergrund gerückt.
Die in der vorliegenden Arbeit verfolgte Ausgangsfragestellung lässt sich folgendermaßen zusammenfassen: Welche religionsspezifischen Aspekte spielen bei der Ausprägung, Diagnostik und Behandlung von Wahnerkrankungen bei Patienten mit türkischem Migrationshintergrund eine Rolle? Welche Ansprüche ergeben sich daraus an eine optimale Versorgung der in Deutschland lebenden türkischstämmigen Migranten, und welche Weichenstellungen sind erforderlich, damit diesen bei der Umsetzung von Therapie, Diagnostik und Behandlung Rechnung getragen wird?
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
2. Migranten in Deutschland unter besonderer Berücksichtigung der türkischstämmigen Anteile
2.1 Begriffsbestimmung und Eingrenzung
2.2 Lebens- und Gesundheitssituation türkischstämmiger Migranten in Deutschland
3. Das religiöse Leben praktizierender Muslime
3.1 Grundlegendes zum Islam und den muslimischen Glaubenspraktiken
3.2 Das islamische Krankheitsverständnis und seine unterschiedlichen Einflüsse
3.3 Traditionelle Heilvorstellungen als Bestandteil der muslimischen Glaubenstradition
4. Wahn als kulturspezifisch geprägtes Syndrom
4.1 Definition des Wahnbegriffs - Symptomatik und Inhalte von paranoidem Erleben
4.2 Krankheitsbilder mit paranoidem Verhalten und ihre Behandlung
4.3 Wahnentstehung unter Berücksichtigung kultur- und religionsspezifischer Aspekte
5. Besonderheiten bei Therapie und Diagnostik von Wahnstörungen bei muslimischen Migranten
5.1 Die Diagnose von Wahnerkrankungen in Bezug zu religions- und kulturspezifischen Einflussfaktoren
5.2 Die Therapie von Wahnerkrankungen in Bezug zu religions- und kulturspezifischen Einflussfaktoren
5.3 Voraussetzungen für eine bedarfsgerechte psychosoziale Versorgung von Migranten
6. Zusammenfassung und Ausblick
Quellenverzeichnis
Anhang
- Anhang 1: Modell der Kulturkompetenz nach Orlandi (1992)
- Anhang 2: Die 12 Sonnenbergerleitlinien nach Machleidt (2002)