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Seminararbeit, 2011
19 Seiten, Note: 1,0
1. Einleitung Die digitale Fotografie - Eine Fotografie nach der Fotografie?
2. Theoretische Ansätze zur Ontologie der Fotografie
2.1 Der semiotische Ansatz: Im Moment der Bildproduktion
2.2 Die Vertiefung des Referenten
2.3. Fotografie als soziale Praxis
3. Fazit
Literaturverzeichnis
Schaut man sich einschlägige Titel kulturwissenschaftlichen Arbeiten zur analogen und digitalen Fotografie an, so erweckt dies den Eindruck als unterscheide sich das Wesen der digitalen Fotografie so fundamental von dem der analogen, als sei letztere tot. Herta Wolf sieht das „Ende des fotografischen Zeitalters"[1] gekommen, Rotzer beschreibt die digitale Fotografie als „Fotografie nach der Fotografie"[2], und für W. J. Mitchel ist die Fotografie seit 1989 tot bzw. verdrängt.[3] Weiterhin findet nicht nur Lunenfeld das digitale Foto doch sehr „dubitativ".[4] Doch wie kommen die Autoren auf eine solche Annahme?
Die Autoren begründen Ihre Annahmen zumeist mit der „Ontologie der Fotografie". Diese Ontologie ist für sie an eine Realitätsannahme des fotografischen Bildes gekoppelt. Sieht man auch an dieser Stelle die einschlägigen kulturwissenschaftlichen Titel von Arbeiten zur analogen Fotografie an, so liest man: „Was ich sehe ist gewesen"[5]. W. J. Mitchel findet die analoge Fotografie sei ein „unmittelbarer Abdruck, so wie ein am Tatort zurückgelassener Fingerabdruck oder Spuren von Lippenstift am Ihrem Hemdkragen."[6] Bernd Stiegler schreibt: „Fotografie ist das technische Medium des Realismus"[7]. Auch andere Autoren gehen in diese Richtung: „Fotografie - Die objektive Sehform unserer Zeit"[8] oder „Fotografie als Spur des Wirklichen"[9]. Auch in der Frühzeit der Fotografie beschrieben die Betrachter Fotografien als „Zeichenstift der Natur"[10], „Errettung der äußerlichen Wirklichkeit"[11], „eine Art visuelle [r] Materialisation der Wirklichkeit" und sprechen über „vom Himmel gefallene Abdrücke" oder von „fotografischen Eidola"11[12], die auf der Platte festgehalten wurden. Diese Ansichten haben ihren Ursprung im frühfotografischen „Bild der Objektivität", dass Fotografie dem Ideal der sich selbst aufzeichnenden Natur entsprechen sollte, und nicht durch einen menschlich-ästhetisch motivierten Eingriff gestört werden sollte.[13] Es fällt also auf, dass die bisherige Fotografie traditionell eng mit dem .Realen' und seiner theoretischen Bedeutung verknüpft scheint. Viele der frühen Texte beschreiben etwa die visuelle Erfahrung, in den Fotografien die Realität nicht nur wiederzuentdecken - sondern überhaupt erst zu entdecken. Die Fotografie wurde also kulturell also objektives Aufzeichnungsmedium codiert und ihre Aufgabe darin gesehen, das Reale in Bilder zu fassen. Auch bei Theorien, die von der Auffassung der Fotografie als objektive Sehform längst Abstand genommen haben, bleibt das .Reale' und die Frage nach seiner möglichen Präsentation gegenwärtig. Diese „Ontologie der Fotografie"[14] scheint in der digitalen Fotografie grundsätzlich in Frage gestellt, wenn nicht sogar vollkommen verneint (siehe Titel obiger Arbeiten unter 1.1). Dabei stellte bereits Sartre fest, dass jede Fotografie von Ihrem Wesen her ein Betrug sei.[15] Die zumindest offensichtlichen technischen Unterschiede in der Bildproduktion und Weiterverarbeitung zwischen analoger und digitaler Fotografie sind nicht von der Hand zu weisen, so dass digitale Fotografien sich von ihrer Materialität her bereits von analogen Fotografien unterscheiden. Die Digitalisierung erzwingt damit ein neues Verständnis der Herstellung, Bearbeitung und Distribution von Bildern. Vor allem aber führt die Möglichkeit der digitalen Bildbearbeitung die althergebrachten Argumentationen für einen Realitätsanspruch in Fotografien ad absurdum. So stellt sich aktuell die Frage nach der Authentizität - und nicht zuletzt ihrer Bedeutung für die Gesellschaft - durch die fotorealistische Darstellung, erneut. An dieser Stelle ist es wich- tig, zwischen den verschiedenen fotografischen Akten des digitalen Bildes zu unterscheiden: Die digitale Bildproduktion (also dem Augenblick des Auslösens der Kamera], die digitale Weiterverarbeitung (z.B. durch Bildbearbeitungsprogramme wie Photoshop] und weitere Phänomene, wie beispielsweise die Zirkulation und Dissemination von digitalen Bildern, müssen unterschieden werden, um jedem einzelnen Akt differenziert gerecht werden zu können. Denn anderweitig droht die Verallgemeinerung des digitalen Bildes.[16]
Diese Arbeit untersucht unter Rückgriff auf die Theoriegeschichte der Fotografie die Grundlage der Argumente für und gegen eine Authentizitätsannahme von digitalen Bildern und versucht dabei den Ort der Ontologie der Fotografie zu bestimmen. Dabei stelle ich die These auf, dass sich das .Reale' nicht in der acheiropoitischen Materialität technischer Werdungsprozesse findet, da das .Reale' selbst durch eine Konstruktion durch den Menschen entstanden ist. Da es das .Reale' dann nicht mehr in dem Sinne gäbe, als dass es frei vom menschlichen Eingriff ist, kann sich die Ontologie der Fotografie auch nicht hierüber bestimmen. Die Fotografie ist vielmehr dass, was der Mensch ihr und ihren Bildern zuschreibt und hat selbst keine eigenständige, vom Menschen losgelöste Ontologie. Dies besteht unabhängig davon, ob es sich um analoge oder digitale Fotografie handelt.
Es existieren verschiedene Ansätze, die die Ontologie der Fotografie zu bestimmen versuchen. Der semiotische Ansatz geht davon aus, dass die Ontologie der Fotografie im Realitätsbezug und durch ihre Verbindung zum Referenten besteht. Sie richtet ihren Fokus dabei auf die technische Bildproduktion der Fotografie. Andere Ansätze ziehen Ihren Betrachtungsradius größer und beziehen auch kulturelle Werte, Normen, den Zweck, die Verwendung sowie andere Aspekte des fotografischen Akts mit ein und stellen die Realität als Konstruktion durch den Menschen selbst überhaupt in Frage.
Fotografie bedeutet „Lichtschrift"[17], also eine Visualisierung von Lichtimpulsen, die zu Bildern werden. In der klassischen Definition ist sie also eigentlich nichts anderes als ein Aufzeichnungsverfahren, eine Technik der Einschreibung eines stabilen, durch Lichtstrahlung erzeugten Bildes. Die Verwendung eines Apparates ist dafür nicht notwendig, ebenso wenig, dass der Gegenstand auf dem Bild tatsächlich der Gegenstand der Außenwelt ist. Das Merkmal dieses Bildes aber hegt darin, dass es als Ergebnis eines natürlichen Prozesses auftritt: Die Figuren, die die Lichtbündel auf der Platte oder auf dem Film erzeugen, erscheinen als die Spur eines Objekts der wirklichen Welt, dessen Bild sich ohne Eingriff des Menschen in den Film einschreibt. Hierher kommt die vermeintliche Realität, die viele Wissenschaftler[18] im analogen Bild sehen. Roland Barthes konstatierte, dass die Fotografie „mit dem Finger auf ein bestimmtes Gegenüber" deute und „an diese reine Hinweis-Sprache gebunden"[19] sei. Für diese „langage déictique" hält er den linguistischen Begriff der „Referenz" beziehungsweise den des „Referenten" bereit.[20] Damit meint Barthes das „Bezugsobjekt" der Fotografie, also das, „was sie darstellt. [...] .Photographischen Referenten' nenne ich nicht die möglicherweise reale Sache, auf die ein Bild [...] verweist, sondern die notwendig reale Sache, die vor dem Objekt platziert war und ohne die es keine Photographie gäbe."[21] Zwar ist fraglich, ob sich linguistische beziehungsweise sprachphilosophische Theoreme überhaupt bildtheoretisch analogisieren und auf Bilder übertragen lassen (ein fraglicher Punkt wäre die Ausdrucks-Bezugnahme in eine BildBezugnahme). Damit wäre zunächst erst einmal zu klären, ob es so etwas wie eine unmittelbare Bezugnahme von Bildern überhaupt geben kann oder ob bei der Frage nach bildlicher Referenz nicht „stärker auf Aspekte ihres kommunikati- ven Einsatzes, das heißt auf pragmatische Aspekte"[22] eingegangen werden müsste. Doch wie immer man diese Frage beantwortet, Barthes folgend würden Fotografien direkt Bezug nehmen, wenn auch weniger durch das, was sie darstellen als durch die Weise, wie sie darstellen, nämlich deiktisch beziehungsweise indexikalisch. Entscheidend ist dabei, dass Barthes diese Referenz als unmittelbar gedacht zu haben scheint, jegliche vermittelnde Instanz ist verschwunden, das, „was sie darstellt", ohne jegliche „Semio-Pragmatik" optisch präsent. Mit der Annahme einer solchen „Referenz" als, „Grundprinzip der Photographie [l’ordre fondateur de la Photographie]"[23] variierte er damit die Fotografie-Auffassung des amerikanischen Semiotikers Charles Sanders Peirce. Peirce hatte bereit 1893 bezüglich der Zeichenfunktion der Fotografie bemerkt:
„Photographien, besonders Momentaufnahmen [instantaneous photographs], sind sehr lehrreich, denn wir wissen, daß sie in gewisser Hinsicht den von ihnen dargestellten Gegenständen genau gleichen."[24]
Peirce versucht, die Fotografie der Zeichenart des Ikon zuzuordnen (Peirce unterschied in seiner Zeichentaxonomie drei Arten von Zeichen, beziehungsweise drei Zeichenklassen (Ikons, Indizes und Symbole] und ordnet, die Fotografie aufgrund des kausal-physikalischen Konnexes zwischen Fotografie und Referent der Zeichenart des Index' zu, da beim Index das „indizierte Objekt [...] tatsächlich vorhanden sein"[25] müsse. Aus diesem Grund wäre die ikonische Zeichenfunktion der Fotografie „davon abhängig, daß Photographien unter Bedingungen entstehen, die sie physisch dazu zwingen, Punkt für Punkt dem Original zu entsprechen.
In dieser Hinsicht gehören sie also zu der zweiten Zeichenklasse, die Zeichen aufgrund ihrer physischen Verbindung sind",[26] also Indizes.
[...]
[1] Herta Wolf nennt Ihre Schriftensammlung zur Fotografie: „Fotokritik am Ende des fotografischen Zeitalters“, Wolf (2002].
[2] Rotzer (1995] S. 21.
[3] Mitchell (1992] S. 4.
[4] Lunenfeld (2010].
[5] Wolf (2010].
[6] Vgl. Mittchel, W.J. (2001]; Molderings (2008], S. 93-96.
[7] Stiegler (2010], S. 21.
[8] Moholy-Nagy (2010].
[9] Dubois (2010].
[10] Talbot (2010].
[11] Kracauer (2010).
[12] Stiegler (2010), S. 14.
[13] Geimer (2002), S. 16.
[14] Bazin (2002).
[15] Sartre (1995).
[16] So auch Hagen (2002), S. 195: „Sonst werden alle Katzen grau".
[17] Stiegler (2010), S. 17.
[18] Zum Beispiel Barthes (1989); Damisch (2000), S. 9; Cavell (1980), Rodowick (2007), S. 114;
[19] Barthes (1989), S. 13.
[20] Derselbe (1989), S. 16.
[21] Derselbe (1989), S. 16; Krauss (2002), S. 151.
[22] Harth (2001), S. 42.
23 Barthes (1989), S. 87.
[24] Pierce (2000), S. 193.
[25] Derselbe, S. 65.
[26] Derselbe, S. 136.