Die Kluft zwischen der Theorie und den gut gemeinten Plänen und Vorplanung über Auslandsgermanistik soll überbrückt werden.Ansonsten wird man kaum verstehen, warum so viel Geld und Haushalt für Auslandsgermanistik eingeplant und verabschiedet wird, während Politiker wie Angela Merkel beim Jugendtreffen in Potsdam 2010 konstatierten: deutscher Multikulturalismus gescheitert sei. Dabei habe ich recherchiert, warum die deutsche Sprache, Literatur und Landeskunde im Vergleich mit den anderen wichtigen europäischen Sprachen etwa Französisch und Englisch beim Ausbreiten und bei der Vermittlung besonders in Nigeria schlechte Note kriegt.
Einleitende Bemerkungen
Angesichts einer Gesellschaft, die das Fach Deutsch als Fremdsprache als Makler der Propagierung ihrer gesamten kulturellen Produkte attraktiver machen will, um dadurch die drei Komponenten der Germanistik: Linguistik, Literaturwissenschaft und deutsche Landeskunde in die Zukunft unserer globalisierten Welt projizieren zu können, möchte ich in der vorliegenden Arbeit die Problematik solch eines Projekts in Afrika bzw. Nigeria in Betracht ziehen. Diese Neubestimmung und aufklärerische Tätigkeit des deutschen Bildungsministeriums ist dringender geworden in Anbetracht dessen, dass im Vergleich mit der Verbreitungsgeschwindigkeit der anderen europäischen Sprachen, etwa des Englischen, des Französischen und des Spanischen, die deutsche Sprache schlechte Noten bekommt. So konstatiert Zimmermann (1989:14):
Seit die Zahl der Deutschlernenden in der Welt zurückläuft, wird Deutsch als Fremdsprache von der auswärtigen Kulturpolitik der Bundesrepublik verstärkt gefördert. Jetzt müssen die Politiker aber auch endlich erkennen, so fordert Wierlacher gemeinsam mit Großklaus ('Zur kulturpolitischen Situierung fremdsprachlicher Germanistik, insbesondere in Entwicklungsländern' 1980), dass die Attraktivität des Faches zum Teil von seinen Kultur- und wissenschaftlichen Komponenten abhängt. Insbesondere in Ländern der Dritten Welt muss die wirtschaftlich- technische Entwicklungshilfe ergänzt werden durch eine kulturwissenschaftlich-pädagogische.
Im Fall eines großen Industrielandes, das vom Verkauf von Produkten abhängig ist, darf es skandalös genannt werden, dass weder in den sogenannten Entwicklungsländern noch in den sogenannten entwickelten Ländern seine Sprache verbreitet ist. Sobald sich ein Deutscher im Ausland befindet, würde er automatisch sprachlich ein Englände r. Da die deutsche Sprache in einem konsumorientierten Kontinent wie Afrika so mangelhaft und schwach platziert ist, verschlechterte sich konsequenterweise die Rezeptions- und Vermittlungslage der zugehörigen Literatur und weiterhin des Dialogs der Kulturen.
Zu fragen ist, wie es zu diesem wenig zufriedenstellenden Zustand gekommen ist. Als erstes ist festzuhalten, dass bisher das Lehr- und Lernziel der deutschen Literaturwissenschaft eine ungenügende Kulturmündigkeit geliefert hat. Literatur soll sich des sprachlichen Zeichensystems zur Vermittlung bedienen. Die Germanisten in unserem Kontext haben zwar die korrekten Vermittlungsgegenstände, können aber den Empfänger kaum erreichen. Dieser Fehlgeburt liegt eigen- und fremdkulturelle Inkompetenz der Vermittler zugrunde. Deswegen haben bisher die afrikanischen Empfänger sowohl den Inhalt als auch die Darstellungsmittel kaum aufgenommen. Der Prozess der Gegenstandsrezeption des Kunstwerks kann nur erfolgen, nachdem der Empfänger die literarische Mitteilung wahrgenommen hat. In diesem Sinne werde ich die Rolle der Literatur in der Gesellschaft analysieren. Das dialogische Verhältnis zwischen den deutschen Künstlern und den afrikanischen Lesern in der ganzen Rezeptionsästhetik bleibt immer noch gestört, weil den Auslandsgermanisten sowohl die Vermittlungskompetenz als auch die Immersion in die Xenologie, das Bad in der fremden Kultur, als auch in die Aufsatz-Kultur fehlen.
Der Empfänger soll das literarische Produkt vor dem Hintergrund seines literarischen und kulturellen Erwartungshorizonts und seiner Lebenserfahrung sowie seiner Weltanschauung rezipieren. Die Grundlegung der >Konstanzer Schule< von Hans R. Jauß (Literaturgeschichte als Provokation, Suhrkamp, Frankfurt am Main, 1970) war auf sieben Thesen gegründet. Insgesamt stellt Jauß die Rolle des Lesers beim literarischen Schaffen dar; diese Funktion aber kann der Rezipient nur erfüllen, wenn der Autor bzw. der Künstler gewisse Bedingungen zur Verfügung gestellt hat. Erstens ist der Prozess der Produktion und Rezeption eines literarischen Werkes nicht konstant. Er verhält sich sowohl bei den zeitgenössischen Rezipienten als auch bei den nachfolgenden Lesern je nach Rezeptionsbedingungen unterschiedlich. Zweitens soll jedes Kunstwerk für die Leser ein Zusammenspiel von Fiktion und Wirklichkeit auf der einen Seite und auf der anderen Seite eine Wechselwirkung zwischen ihrer Lebenserfahrung und ihrem Erwartungshorizont sein. Drittens existiert eine ästhetische Distanz zwischen den sich wandelnden Horizonten früherer und späterer Werke. Der Künstler muss damit rechnen, die Publikumserwartungen regelmäßig unterhalten zu können. Viertens könnten die Einschätzungen und Auswertungen des Erstpublikums von späteren Rezipienten begutachtet und rekonstruiert werden. Fünftens ist der Verlauf der literarischen Evolution unberechenbar. Daher müssen sowohl die Künstler als auch die Literaten ihre Bildung und Weiterbildung stets akribisch und heuristisch aktualisieren. Sechstens sind literarische Reihen aus produktionsästhetischer Perspektive immer heterogen; was dabei konstant bleibt, ist die Syntax: Gattungen, Stilarten, rhetorische Figuren, während variable Faktoren die Semantik ausmachen: Themen, Motive und Bilder. Außer diesen ist nichts homogen. Siebtens ist keine Literaturgeschichte eine literarische Insel außerhalb der allgemeinen gesellschaftlichen Geschichte. In dieser Weise soll die Literatur für die entsprechende Gesellschaft relevant sein. Jeßling und Köhnen (2007: 296) haben diese Leitthesen Jauß‘ im Folgenden weiter erklärt:
Jauß hat für seinen Ansatz, dass nun die Mitarbeit des Lesers am Text untersucht wird, einen Paradigmenwechsel proklamiert. Denn es sei der Leser, der prinzipiell erst das Kunstwerk >realisiert<, das heißt es durch seine Arbeit in seinen mannigfachen Aspekten einlöst bzw. zur Geltung bringt. Insofern sei auch die Literaturgeschichtsschreibung so zu konzipieren, dass sie vor allem die Leserreaktion auf Texte beschreibt. Diese sollen im Spiegel ihrer Wirkungsgeschichte dargestellt werden, die sie in unterschiedlichen historischen Epochen entfaltet haben. Erst
im Lauf einer langen Rezeptionsgeschichte - so die Arbeitshypothese der von Jauß begründeten >Konstanzer Schule< - entfaltet ein Text seine Potenziale, und deshalb sollte man sollte man ihn vor allem dadurch bestimmen, wie er gelesen worden ist. Dabei sollen nicht nur wissenschaftliche, sondern ebenso Laienlektüren zu Wort kommen - auch sie stehen zu den Texten in einem dialogischen Verhältnis.
Die entscheidende Frage, die dabei geklärt werden soll, ist das ganze Phänomen ästhetischer Wahrnehmung und des Erwartungshorizonts afrikanischer Leser/Partner im Prozess der Propagierung und Situierung deutscher Literatur in Afrika. Hier gehe ich auf die Schwierigkeiten ein, die bisher die Germanisten bei ihren Bemühungen um die Hochschulgermanistik in Afrika haben. Meines Erachtens ist insofern die Anwendung der Adressaten-orientierten und kulturkontrastiven Methode der Betrachtung deutscher Literatur in Afrika unerlässlich. Die Gesellschaft für interkulturelle Germanistik (GIG) und seine zahlreichen Mitarbeiter haben unter ihrem Gründer Alois Wierlacher zwar die Problematik der Konzeption und der Praxis der Auslandsgermanistik identifiziert und konsequenterweise entsprechende wissenschaftliche Debatten, Sammelbände, einzelne Veröffentlichung, Konferenzen, gelehrte Abhandlungen zwischen Wirtschaftsführern, Medienexperten, Politikern und Akademikern gründlich in Gang gesetzt, um anschließend Prolegomena einer neuen Disziplin zu diskutieren. Fraglich aber ist, inwiefern diese theoretischen und ideologischen Schritte durch methodische und praktikable Gründlichkeit untermauert sind. Um mögliche Wege zur Praktikabilität dieser regionalen und Adressatenspezifischen Vermittlung der deutschen Sprache, Literatur und Kultur insbesondere in Afrika bzw. Nigeria zu finden, werde ich zunächst einen aktuellen Lagebericht der Auslandsgermanistik in Nigeria präsentieren.
Im Bereich Literaturwissenschaft zum Beispiel wird bisher der Frage der afrikanisch orientierten Methode der Interpretation deutscher literarischer Texte keine Beachtung geschenkt - oder man hat sich dazu entschieden, dasselbe Grundmuster wie bei der Begegnung mit anderen Kulturen auch in Afrika anzuwenden. Hier werde ich eine Lösung finden, indem ich den Womanismus als geeignete Methode der Interpretation ausgewählter deutscher literarischer Texte in Afrika ausweise. Obwohl dieser ideologisch feministisch orientiert ist, zielt er grundsätzlich auf das holistische Wohl beider Geschlechter ab, und darauf, das Wohl der ganzen Familie zu fördern. In diesem Zusammenhang versuche ich also die deutsche Literatur Afrika- spezifisch zu machen und dadurch ihrer ästhetischen Wahrnehmung und dem angetroffenen Erwartungshorizont bei den Afrikanern einen fruchtbaren Boden zu schaffen.
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