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Quellenexegese, 2006
19 Seiten, Note: 1,7
I. Der Text
1. Übersetzung
2. Textkritik
II. Literarkritik
1. Stellung im Kontext
2. Abgrenzung
3. Gliederung
4. Einheitlichkeit des Textes
5. Quellenanalyse und synoptischer Vergleich
III. Formgeschichte
1. Feststellung der Gattung
2. Erhebung des Sitzes im Leben
3. Rekonstruktion der Überlieferungsgeschichte
IV. Traditionsgeschichte
1. Der Sabbat
2. Die Pharisäer
V. Redaktionsgeschichte
VI. Einzelauslegung
VII. Biblisch-theologische Reflexion
Literaturverzeichnis
Ausgangstext der Übersetzung von Mt 12, 9-14 ist der griechische Text nach Nestle-Aland in „Das Neue Testament Griechisch und Deutsch“ (entspricht der 27. Auflage des Novum Testamentum Graece).
V 9 Und nachdem er [Jesus] von dort weggegangen war, ging er in ihre Synagoge.
V 10 Und siehe (da war) ein Mensch, der eine vertrocknete Hand[1] hatte. Und sie befragten[2] ihn [Jesus], indem sie sagten: „Ist es erlaubt, an Sabbaten zu heilen?“, damit sie ihn anklagen könnten.
V 11 Er aber sagte ihnen: „Wer von euch, der ein einzelnes Schaf hat, wird es, wenn dieses am Sabbat in eine Grube fällt, nicht ergreifen und herausholen?
V 12 Wie viel mehr wert ist ein Mensch als ein Schaf! Demnach ist es erlaubt, an Sabbaten Gutes zu tun.“
V 13 Dann sagte[3] er zu dem Menschen: „Strecke deine Hand aus!“ Dieser streckte sie aus, und sie wurde wieder gesund wie die andere.
V 14 Die Pharisäer aber gingen hinaus und hielten Rat gegen ihn, wie sie ihn zugrunde richten könnten.
Der Text ist an einigen Stellen in verschiedenen Lesarten überliefert, die sich allerdings meist nicht auf den Sinn des Texts auswirken. Beispielsweise ist Vers 9 (nur Bezeugung contra textum) in den Manuskripten des Codex Ephraemi Syri rescriptus (5. Jh., Kat. II), des Codex Petropolitanus Purpureus (6. Jh., Kat. V), des Codex Rossanensis (6. Jh., Kat. V), in anderen Majuskelhandschriften sowie einzelnen altlateinischen Handschriften (Codex Colbertinus, Codex Sangermanensis I aus erster Hand, h) und der Peschitta um das explizite Subjekt ὁ Ίησου̃ς ergänzt:
Καὶ μεταβὰς ε̉κει̃θεν ὁ Ίησου̃ς η̉̃λθεν ει̉ς τὴν συναγωγὴν αυ̉τω̃ν
Äußere Kritik:
Kein Codex erster Kategorie und nur ein Codex zweiter Kategorie bezeugen diese Lesart, was gegen diese Variante als ursprüngliche Lesart spricht.
Innere Kritik:
Dass Jesus das Subjekt der Verbform η̉̃λθεν sein muss, ergibt sich aus dem Kontext der vorhergehenden Verse (6 und 8). Die explizite Erwähnung des Subjekts ist also nicht zwingend notwendig. Außerdem kann an dieser Stelle die Maxime „lectio brevior = lectio potior“[4] angewendet werden.
Entscheidung: Der Nestle-Aland Text ist die weitaus wahrscheinlichere Variante.
Textkritischer Befund:
Die im Nestle-Aland dargebotene Variante des Ausschnitts von Vers 10c ist:
(a) ει̉ ε̉́ξεστιν τοι̃ς σάββασιν θεραπευ̃σαι[5]. Diese Lesart bieten der Codex Sinaiticus (4. Jh., Kat. I), der Codex Bezae Cantabrigiensis (5. Jh., Kat. IV), der Codex Regius (8. Jh., Kat. II), der Codex Freerianus (8. Jh., Kat. III) sowie wenige weitere Handschriften.
Die Lesart (b) ει̉ ε̉́ξεστιν τοι̃ς σάββασιν θεραπεύειν findet sich im Codex Vaticanus (4. Jh., Kat. I), Codex Ephraemi Syri rescriptus (5. Jh., Kat. II), Codex Coridethianus (9. Jh., Kat. II) und der Majuskel 0233 (8. Jh., Kat. III). Außerdem lesen so die Minuskelfamilien f1 (Lake-Gruppe) und f13 (Ferrar-Gruppe), die Minuskel 33 (9. Jh., Kat. II) und der Mehrheitstext.
Äußere Kritik:
Die Lesart θεραπεύειν (b) ist nach äußeren Kriterien besser bezeugt. Zwar werden die beiden Varianten (a) und (b) von je einem Codex der Kategorie I unterstützt, doch ansonsten ist (b) besser belegt als (a), nämlich von zwei Codices der Kategorie II (a nur von einem), von zwei Minuskelfamilien sowie von der „Königin der Minuskeln“[6] 33. Diese Minuskelhandschriften sind für das Matthäusevangelium Zeugen erster Ordnung[7]. Zusätzlich wird (b) bezeugt von der Majuskel 0233 und dem Mehrheitstext.
Innere Kritik:
Die beiden Varianten unterscheiden sich grammatikalisch im Aspekt des Verbs. Bei der Form θεραπευ̃σαι handelt es sich um einen Infinitiv Aorist Aktiv, bei θεραπεύειν um einen Infinitiv Präsens Aktiv. Üblicherweise drückt der Aorist den punktuellen Aspekt aus oder gibt wieder, dass der Sprecher von einer konkreten, aktuellen Handlung redet[8]. Der Infinitiv Präsens weist auf den durativen Aspekt hin. Er wird auch verwendet, wenn ein Sprecher von einer Handlung als etwas Grundsätzlichem redet.
Für beide Versionen lassen sich Argumente finden. Steht in Vers 10 θεραπεύειν, ist davon auszugehen, dass die Pharisäer die prinzipielle Frage stellen, ob es generell am Sabbat erlaubt ist, zu heilen / pflegen.
Steht hingegen θεραπευ̃σαι, haben die Pharisäer eher die konkrete Situation, d.h. den Mann mit der kranken Hand, im Blick.
Meines Erachtens ist die Lesart θεραπεύειν passender. Gestützt wird dies auch durch den Aspekt des Verbs ποιει̃ν (Infinitiv Präsens) in der parallel zur Frage aufgebauten Antwort in Vers 12: w[στe e;ξeστιν τοι̃ς σάββασιν καλω̃ς ποιeι̃ν. Bei der Lesart θεραπεύειν erhält man hier zwischen beiden Verbformen grammatikalische Kongruenz, was zur ringförmigen Komposition[9] des Textes passt.
Entscheidung: Die Variante (b) θεραπεύειν ziehe ich aufgrund der inneren und äußeren Kritik vor.
Da das Matthäusevangelium in 28 Kapitel eingeteilt wurde, befindet sich die Perikope der Sabbatheilung in Kapitel 12 kurz vor der Mitte des Evangeliums. Nach Wiefel[10] findet sie in dem vierten Großabschnitt „Auseinandersetzung um Jesu Wirken in Galiläa“[11] (Mt 10,1-13,53) im Kontext „C. Galiläische Streitgespräche und Konflikte“[12] (Mt 12,1-50) statt, der sich an die thematischen Blöcke der Aussendung der Zwölf / Aussendungsrede (A.) und Abgrenzung von Johannes, dem Täufer (B.), anschließt. Direkt vor der Perikope kommt es zu einem ersten Sabbatkonflikt um das Ährenrupfen. Nach der Perikope der Sabbatheilung folgen die Identifizierung Jesu als Gottesknecht unter Bezugnahme auf Jes 42,1-4 und weitere Konflikte (u.a. Vorwurf des Teufelsbündnises und Zeichenforderung). Der darauf folgende fünfte große Abschnitt des Evangeliums „Die Sonderung Jesu und der Jüngergemeinde vom Volk“[13] (Mt 13,54-20,28) beginnt mit der Verwerfung Jesu in seiner Heimatstadt.
Die Heilung am Sabbat ist also ein Konflikt in einer Reihe von Schwierigkeiten und Zerwürfnissen mit den Phärisäern und dem jüdischen Volk, woraus die Verwerfung und letztlich die Verurteilung und Hinrichtung Jesu resultieren werden.
Die Perikope der Heilung am Sabbat ist je nach Bibelausgabe und Übersetzung unterschiedlich abgegrenzt und benannt. In „Das Neue Testament Griechisch und Deutsch“ von Nestle-Aland ist die Heilung der Hand zusammen mit der Perikope des Ährenausreißens unter der Überschrift „Jesus und der Sabbat“ zu finden. Sie ist durch einen Absatz abgetrennt, beginnt mit Vers 9 und endet mit Vers 14. Vers 15 stellt den Anfang der Einheit „Jesus – der Gottesknecht“ dar.
In der neuen revidierten Schlachter-Übersetzung (Version 2000) hingegen umfasst die Perikope Vers 9-13 und ist mit „Der Mann mit der verdorrten Hand“ überschrieben. Vers 14 fällt bereits unter die Überschrift „Jesus, der Knecht Gottes“. Dies ist meines Erachtens keine logische Gliederung, denn inhaltlich gehört Vers 14 noch zur Sabbatfrage und nicht zur Thematik der Gottesknechtschaft.
Es ist sinnvoll, den Anfang der Perikope im Ortswechsel in Vers 9 zu sehen. Dabei ist jedoch anzumerken, dass die Heilung in der Synagoge thematisch und sprachlich eng an das Ährenrupfen anschließt. Dies zeigt sich darin, dass Jesus in „ihre Synagoge“ (έν ει̉ς τὴν συναγωγὴν αυ̉τω̃ν, Mt 9,9) geht und sich αυ̉τω̃ν wohl auf die Pharisäer in 12,2 bezieht.[14]
[...]
[1] Vermutlich ist eine Form von Muskelatrophie gemeint, vgl. Luz, S. 147.
[2] Laut dem Wörterbucheintrag in Gemoll bezieht sich ε̉περωτάω in der Bedeutung „befragen“ besonders auf Instanzen wie das Volk oder ein Orakel.
[3] Im Griechischen: λέγει historisches Präsenz.
[4] Aland / Aland, S. 282.
[5] Zu betrachtendes Wort ist unterstrichen; Hervorhebung durch den Verfasser.
[6] Aland / Aland, S. 143.
[7] Nestle-Aland, S. 16f.
[8] Vgl. Lahmer, S. 59f.
[9] Vgl. Luz, S. 237.
[10] Wiefel, S. VI-XI.
[11] A.a.O., S. VIII.
[12] Ebd.
[13] Ebd.
[14] Der Ausdruck ist allerdings auch eine wiederkehrende Wendung in Mt. S.u., Kap. V.