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Hausarbeit, 2010
12 Seiten, Note: 1,3
1. Einleitung
2. Hauptteil
2.1 Merkmale prozessual-systemischer Sozialarbeit nach S. Staub-Bernasconi
2.1.1 Grundannahmen
2.1.2 Funktion Sozialer Arbeit
2.1.3 Behinderung als Ausstattungs-, Austausch-, Macht- und Kriterienproblem
2.3 Umsetzung in der Behindertenhilfe
2.3.1 Umsetzung von Grundannahmen am Beispiel der Ganzheitlichkeit
2.3.2 Umsetzung von Methoden am Beispiel vom Umgang mit Machtquellen und Machtstrukturen bzw. des Empowerments
3. Fazit
Literaturverzeichnis
Silvia Staub-Bernasconi wurde am 12. Mai 1936 in Zürich, Schweiz, geboren. Sie studierte Soziale Arbeit in Zürich und in den USA sowie Soziologie, Sozialpsychologie, Pädagogik und Sozialethik (vgl. Staub-Bernasconi, 2007, S. 4). Sie war mehrere Jahre als sogenannte Gassenarbeiterin und in einem allgemeinen Sozialdienst tätig sowie als Studienleiterin in einem Tagungszentrum (vgl. Staub-Bernasconi, 1995, S. 4). Zwischen 1976 und 1997 war sie u.a. Dozentin für Soziale Arbeit und Menschenrechte an der Hochschule für Soziale Arbeit Zürich, von 1997 bis 2003 an der Technischen Universität Berlin (vgl. Staub-Bernasconi, 2007, S. 4). Ab ca. 1999 entwickelt und gestaltet sie als Vorsitzende des Vereins „Zentrum für postgraduale Studien der Sozialen Arbeit“ (ZPSA) sowie Lehrgangsleitung und wissenschaftliche Leiterin den Masterstudiengang „Master of Social Work- Soziale Arbeit als Menschenrechtsprofession“ wesentlich mit (vgl. Meinhold, 2006).
Aus dem immer wiederkehrenden Erleben einer, wie sie es nennt, praktizierten psychischen Einschüchterung und theoretischen Disziplinierung der Sozialen Arbeit zur "bescheidenen Profession" wird ihr die wissenschaftliche Begründung des sozialarbeiterischen Handelns ein wichtiges Anliegen (vgl. Staub-Bernasconi). Weitere Schwerpunkte ihrer Arbeit waren Themen wie die Integration von Flüchtlingen, die UNO und die Soziale Arbeit als Menschenrechtsprofession, das globalisierte Liberalismusprogramm, vor allem aber Frauen und ihre Rechte. Diese Hausarbeit beschäftigt sich mit der Umsetzung der von Silvia Staub-Bernasconi entwickelten Theorie der prozessual-systemischen Sozialarbeit in der Behindertenhilfe. Schwerpunkt ist das Arbeitsfeld der geistigen Behinderung. Staub-Bernasconi beschäftigt sich in ihren Hauptwerken nicht explizit mit dem Thema der geistigen Behinderung. Aktuelle Entwicklungen wie die Verabschiedung der UN-Behindertenrechtskonvention im Jahr 2009 und der Auseinandersetzung mit Machtproblemen in der Behindertenhilfe (Empowerment und Selbstbestimmung) weisen jedoch Verbindungen zur Arbeit von Silvia Staub-Bernasconi auf. Diese werden in dieser Hausarbeit genauer betrachtet.
Dazu werden zuerst die Merkmale und Methoden der prozessual-systemischen Sozialarbeit herausgearbeitet, um anschließend ihre Umsetzung in der Behindertenhilfe zu untersuchen.
Staub-Bernasconi geht von der Hypothese einer naturalistischen Ontologie[1] aus, also von der Annahme einer unabhängig vom Beobachter existierenden Welt (vgl. Klassen, 2001, S. 110). Diese Sichtweise bildet den Gegensatz zum Konstruktivismus, der die Wirklichkeit als subjektabhängige Konstruktion ansieht (vgl. Kleve, 2009, S. 162)
Staub-Bernasconi sieht den Menschen als ein biopsychosoziales Wesen, welches durch Bedürftigkeit und Kompetenz gleichermaßen definiert ist (vgl. Röh, 2009, S. 163f.). „Bedürfnisse des Menschen sind biologischer, psychischer, sozialer und kultureller Natur“ (Engelke, 2008, S. 451). Beispiele sind das Bedürfnis nach Identität, Autonomie und sozialer Zugehörigkeit (vgl. Staub-Bernasconi, 1995, S. 128)
Systeme entstehen laut Staub–Bernasconi durch Interaktionsprozesse. Alles was ist, ist System, Teil eines Systems oder Interaktionsfeldes (vgl. Röh, 2009, S. 164). Gleichzeitig verweist der Begriff der Interaktionsprozesse bereits auf eine Dynamik in den Systemen: Alles was ist, ist in Bewegung, ist vergänglich und veränderbar und somit Prozessen unterworfen (vgl. Engelke, 2008, S. 450). Daher wird die Systemtheorie von Staub-Bernasconi auch als prozessual-systemisch bezeichnet.
Staub-Bernasconi wehrt sich gegen eine Aufspaltung von Natur, Geist, Leib, Seele, Individuum und Gesellschaft (vgl. Sahle, 2006, S. 364). So sind Interaktionsprozesse ohne psychische Systeme aus ihrer Sicht nicht denkbar (vgl. Röh, 2009, S. 164). Menschen werden in soziale Systeme hineingeboren, sie können nur in Gesellschaft existieren. Menschsein, so Staub-Bernasconi heißt immer „Mensch- in- der- Gesellschaft“ sein (vgl. Sahle, 2006, S. 365f). Im Weiteren werden diese Annahmen als Ganzheitlichkeit bezeichnet.
Autopoiesis[2] ist eine Definition von Leben bzw. Lebewesen. Sie besagt dass Leben sich dadurch charakterisiert, dass es sich andauernd selbst erzeugt, organisiert oder strukturiert (vgl. Kleve, 2009, S. 157). Die Teilsysteme sind dabei untereinander verbunden. Staub–Bernasconi nennt dies „stabile Bindungen“ und erkennt sie im Sinne der ontologischen Sichtweise als existent an (im Gegensatz zu Luhmann, der diese konstruktivistisch auffasst)(vgl. Röh, 2009, S. 164).
Soziale Arbeit ist eine Antwort auf soziale Probleme. Sie reagiert auf soziale Probleme, die mit besonderer Intensität, meist längerer Dauer und vor allem sich überlagernd (kumulativ) auftreten (vgl. Engelke, 2008, S. 450). Menschen sollen befähigt werden, ihre Bedürfnisse so weit wie möglich aus eigener Kraft zu befriedigen. Soziale Arbeit bezieht sich hierbei sowohl auf das Individuum, als auch auf die Gesellschaft. Dabei bietet Soziale Arbeit Lernprozesse und transformiert behindernde und begrenzende Machtstrukturen (vgl. Staub-Bernasconi, 2005, S. 254)
Staub-Bernasconi sieht Behinderung unter zwei Aspekten: Zum einen als Form der Machtausübung im Sinne von Ungleichheitsordnung. Staub-Bernasconi spricht in diesem Zusammenhang von Behinderungsmacht bzw. Behinderungsregeln. (vgl. Staub-Bernasconi, 2007, S. 384f.)
Der zweite Aspekt umfasst Behinderung als Soziales Problem, das nicht nur Problem eines Individuums, sondern auch Problem einer Sozialstruktur und Kultur ihrer Beziehung zu einander ist. Als Soziales Problem definiert Staub-Bernasconi die vorrübergehende oder dauerhafte Unfähigkeit eines Individuums, seine Bedürfnisse und Wünsche zu befriedigen. (vgl. Staub-Bernasconi, 2007, S. 182). Sie beschreibt dies als Ausstattungs-, Austausch- und Macht- und Kriterienproblem, die im Folgenden in Auszügen anhand des Beispiels der geistigen Behinderung abschnittsweise aufgeführt werden:
Zu den Ausstattungsproblemen gehören unter anderem die sogenannten direkten Folgen, beispielsweise eine Hirnschädigung und die geistige Behinderung als direkte Folge. Einem Menschen mit geistiger Behinderung ist in der Regel kein höherer Bildungsabschluss möglich. Damit ist ein (höheres) Einkommen meist ebenfalls ausgeschlossen. Dieser Zusammenhang wird als sozioökonomische Folge bezeichnet. Oft liegen entwicklungsbedingte Probleme vor, die Stimulation verhindern und Probleme mit der Orientierung bedingen. Staub-Bernasconi nennt dies fehlende, gesellschaftlich be- oder verhinderte Entwicklung von Erkenntniskompetenzen. Vielen Menschen mit geistiger Behinderung/ Behinderungserfahrung ist es nicht möglich, ein positives Selbstkonzept zu entwickeln. Oft fehlen persönliche Zukunftsperspektiven. Dies wird als problematische Selbst-, Fremd- und Gesellschaftsbilder bezeichnet. Als fehlende, gesellschaftlich be- oder verhinderte Entwicklung von Handlungskompetenzen werden die Schwierigkeiten von Menschen mit geistiger Behinderung bei der Bewältigung ihres Alltags trotz bekannter Situationen bezeichnet. Bei vielen Menschen mit geistiger Behinderung liegen fehlende, gesellschaftlich be- oder verhinderte soziale Mitgliedschaften vor, z.B. durch mangelndes Bewusstsein für Pflege bzw. adäquate Pflege von Freundschaften, aber auch durch erzwungenen Ausschluss, beispielsweise durch mangelnde Barrierefreiheit z.B. im Internet.
[...]
[1] Ontologie = griechisch „Seinswissenschaft“ (vgl. Kleve, 2009, S.162)
[2] Griechisch „Selbsterzeugung“ (vgl. Kleve, 2009, S. 157)