„Zwei Dinge sollen Kinder von ihren Eltern bekommen: Wurzeln und Flügel“
Johann Wolfgang von Goethe.
In diesem Sinne sollen in dieser Arbeit die Sozialisationsprozesse im Jugendalter Gegenstand der Beobachtung sein. Nachdem die soziologischen Konzepte zur Sozialisation meistens "in Konkurrenz" zu den psychologischen Modellen stehen oder empfunden werden, besteht bei zwei Sozialisationstheorien die Möglichkeit einer Verknüpfung: Dies ist zum einen der soziologische Ansatz Shmul N.Eisenstadts und zum anderen der psychoanalytische Entwurf Erik H. Eriksons. Bisher hat dies lediglich der Sozialisationstheoretiker Klaus-Jürgen Tillmann ausformuliert und das auch nur auf wenigen Seiten. Darin besteht nun Reiz und Aufgabe an diese vorgegebene Grundlage anzuknüpfen, die kurz aufgeführten Kritikpunkte näher auszuführen und eigene Gedankengänge zur Kritik mit einfließen zu lassen.
Die beiden Theorien werde ich jeweils einzelnd, möglichst knapp aber verdeutlichend vorstellen. Die Darstellung der beiden Theorien kann deshalb keinen umfassenden Charakter tragen. Dementsprechend ist innerhalb des Hauptteils alles zu Punkt 1 der notwendige, materiale Part; ab Punkt 2 beginnt der inhaltliche und kreative Teil, in dem ich mich der Darstellung und besonders der Kritik des Theorienverbundes widmen werde, dabei soll den Formen des ‚abweichenden Verhaltens’ von Jugendlichen besondere Aufmerksamkeit zukommen.
Inhaltsverzeichnis
Einleitung
A. Hauptteil
1.1 Der Sozialisations- und Jugendbegriff
1.2 Eriksons psychologisches Modell
1.2.1 Darstellung
1.2.2 Kritik
1.3 Eisenstadts soziologisches Modell
1.3.1 Darstellung
1.3.2 Kritik
2.1 Verbindungen von Eisenstadts und Eriksons Konzepten
2.1.1 Darstellung
2.2.2 Kritik
B. Persönliches Fazit
C. Literaturverzeichnis
Einleitung
„Zwei Dinge sollen Kinder von ihren Eltern bekommen: Wurzeln und Flügel“
Johann Wolfgang von Goethe.[1]
In diesem Sinne sollen in dieser Arbeit die Sozialisationsprozesse im Jugendalter Gegenstand der Beobachtung sein. Nachdem die soziologischen Konzepte zur Sozialisation eigentlich meistens in Konkurrenz zu den psychologischen Modellen stehen oder empfunden werden, besteht bei zwei Sozialisationstheorien die Möglichkeit einer Verknüpfung: Dies ist zum einen der soziologische Ansatz Shmul N.Eisenstadts und zum anderen der psychoanalytische Entwurf Erik H. Eriksons. Bisher hat dies lediglich der Sozialisationstheoretiker Klaus-Jürgen Tillmann[2] ausformuliert und das auch nur auf wenigen Seiten. Darin besteht nun Reiz und Aufgabe an diese vorgegebene Grundlage möglichst kreativ anzuknüpfen, die kurz aufgeführten Kritikpunkte näher ausführen und eigene Gedankengänge zur Kritik mit einfließen zu lassen.
Die beiden Theorien werde ich jeweils einzelnd, möglichst knapp aber verdeutlichend vorstellen. Die Darstellung der beiden Theorien kann deshalb keinen umfassenden Charakter tragen. Dementsprechend ist innerhalb des Hauptteils alles zu Punkt 1 der notwendige, materiale Part; ab Punkt 2 beginnt der inhaltliche und kreative Teil, in dem ich mich der Darstellung und besonders der Kritik des Theorienverbundes widmen werde, dabei soll den Formen des ‚abweichenden Verhaltens’ von Jugendlichen besondere Aufmerksamkeit zukommen.
A Hauptteil
1.1 Der Sozialisations- und Jugendbegriff
Definition des Begriffes Sozialisation:
„Sozialisation ist der Prozess der Entstehung und Entwicklung der Persönlichkeit in wechselseitiger Abhängigkeit von der gesellschaftlich vermittelten sozialen und materiellen Umwelt. Vorrangig thematisch ist dabei…, wie sich der Mensch zu einem gesellschaftlich handlungsfähigen Subjekt bildet“[3]
Definition von Jugend bzw. Adoleszenz:
„Adoleszenz gehört zu dem Prozess des Erwachsenwerdens. In dieser Zeit finden körperliche Veränderungen sowie Veränderungen sozialer Einstellungen und Verhaltensweisen statt. Der Jugendliche löst sich zunehmend von der elterlichen Autorität. Bezeichnend für diesen Lebensabschnitt sind zunehmender Selbstständigkeits- und Freiheitsdrang sowie wachsendes Selbstbewusstsein und Persönlichkeitsfestigung. Der Jugendliche gliedert sich in die Welt der Erwachsenen und ihre Aufgaben ein“[4]
1.2 Eriksons psychologisches Modell
1.2.1 Darstellung
Der Psychoanalytiker Erik H. Erikson hat eine Theorie der Identität als lebenslange Entwicklung erarbeitet. Sein Modell wurde Mitte der 60er Jahre in Deutschland bekannt. Obwohl er als Schüler Freuds bezeichnet werden kann, unterscheidet sich sein Modell in einem Punkt grundlegend von bisherigen psychoanalytischen Modellen: Er hat sich für eine „Einbeziehung der triebtheoretischen Elemente in einen sozialpsychologischen Rahmen der Persönlichkeitstheorie eingesetzt“.[5] Persönlichkeitsentwicklung, von Erikson auch ‚Lebensgeschichte’ genannt, findet bei ihm in „drei wesentlichen voneinander abhängigen Prozessen statt, die die Formen des menschlichen Wesens bestimmen:
1. Der Prozess der Organisation des menschlichen Körpers innerhalb des Zeit-Raums eines Lebenszyklus (Evolution, Epigenese, Libidoentwicklung usw.)
2. Der Prozess der Organisierung der Erfahrung durch die Ich Synthese ( Ich-Raum-Zeit; Ich–Abwehrmechanismen; Ich-Identität usw.)
3. Der Prozess der sozialen Organisation der Ich-Organismen in geographisch-historischen Einheiten (kollektive Raum-Zeit, kollektiver Lebensplan, Produktionsethos usw.)“[6]
Menschliche Entwicklung ist bei ihm ein lebenslanger Prozess, den er in 8 Phasen, bzw. 8 Krisen aufteilt (siehe Anhang)[7], wobei das Wort ‚Krise’ bei Erikson keine drohende Katastrophe andeutet, sondern die Bezeichnung für einen notwendigen Wendepunkt im Lebenszyklus ist.[8] Diese aufeinander aufbauenden Krisen , die nur im Zusammenhang mit dem Umkreis der Beziehungspersonen ( Eltern, Gleichaltrige), den Bestandteilen der Sozialordnung (Gesetze, Wirtschaftsleben usw.) und den psychosozialen und psychosexuellen Modalitäten (z.B. Festhalten/ Loslassen in analer Phase) verstanden werden können, müssen vom Individuum bewältigt werden, damit die angestrebte ‚Identität’ entstehen kann. Dabei definiert Erikson ‚Identität’ so: „…eine persönliche Identität zu besitzen beruht auf zwei gleichzeitigen Beobachtungen: der unmittelbaren Wahrnehmung der eigenen Gleichheit und Kontinuität in der Zeit, und der damit verbundenen Wahrnehmung, dass auch andere diese Gleichheit und Kontinuität erkennen“[9] Im Jugendalter ist die kognitive Entwicklung soweit ausgereift, dass sich der Heranwachsende erstmals gefühlsmäßig als eigenständig verstehen und wahrnehmen kann. Aus diesem Grunde ist die ‚Identitätskrise’ in dieser Lebensphase besonders stark ausgeprägt. Der Jugendliche leidet in dieser Zeit unter einer doppelten Verunsicherung:1. Der massiven körperlichen Veränderung (schnelles Wachstum, Geschlechtsreife) und 2. den sozialen Anforderungen (Berufswahl >endgültige Selbstdefinition)[10] Die Jugendlichen entwickeln Abwehrmechanismen gegen die drohende ‚Identitätsdiffusion’ (Unsicherheit über das eigene Selbst) u.a. indem sie „Cliqen bilden und sich selbst, ihre Ideale und ihre Feinde zu Stereotypen vereinfachen“.[11] Der Ausgang der ‚Adoleszenzkrise’ bzw. das Gelingen der Sozialisation, also die konfliktfreie Integration in die Gesellschaft, ist bei Erikson offen. Er könne sowohl zur ‚Identitätsdiffusion’ als auch zu einer gefestigten Identität führen.[12]
1.2.2 Kritik
Die zentrale Aussage der Theorie von Erikson ist, dass der Mensch ständig dabei ist Konflikte bzw. Anforderungen und Probleme in phasenhaften Situationen zu lösen „um im psychologischen Sinne am Leben zu bleiben.“[13] Ziel der Entwicklung ist, insbesondere was die ‚Adoleszenzkrise’ des Jugendlichen betrifft, eine gefestigte Identität zu erlangen und damit eine gelungene Sozialisation bzw. Integration zu ermöglichen. Er führt auf, was ‚gelungene’ Sozialisation bzw. Integration in die Gesellschaft voraussetzt: Erstrebenswert ist eine Identität die bereit und fähig ist, „unvorhergesehene Chancen zu ergreifen und sich dem Wechsel von Boom und Baisse,…Mobilität und Sesshaftigkeit anzupassen.“[14] Damit ist klar, dass er ‚gelungene Sozialisation’ als die reibungslose Integration in die bestehenden Gesellschaftsverhältnisse westlich geprägter, arbeitsteiliger Industriegesellschaften, bzw. den nordamerikanischen Verhältnissen als ‚gelungen’ ansieht. Seinem Heimatland. Dieses Gesellschaftssystem als solches wird von ihm nie hinterfragt und somit unkritisiert als existent vorausgesetzt. Weicht ein Subjekt in seiner Entwicklung von diesen Verhältnissen ab, ist seine Sozialisation bzw. Integration misslungen. Diesem Vorwurf schließen sich mehrere Sozialisationstheoretiker einheitlich an.[15] Andere Randfaktoren die den Sozialisationsprozess beeinflussen könnten, wie der geschlechtsspezifische Aspekt oder die verschiedenen sozialen Schichten, werden von ihm an keiner Stelle erwähnt. Man kann deshalb zu dem Schluss kommen, dass man Eriksons Modell als das der normalen, angepassten Persönlichkeit ansieht, die sich phasenweise entwickelt.
1.3 Eisenstadts soziologisches Modell
1.3.1 Darstellung
Der struktur-funktionale Ansatz von Eisenstadt setzt im wesentlichen Parsons soziologisches Modell voraus.[16] Zur Beantwortung der Frage unter welche Umständen ‚Jugend’ als herausgehobener Altersabschnitt generell auftritt und welchen Nutzen diese Jugend für die Stabilität des sozialen Systems hat, vergleicht Shmul N. Eisenstadt Altersgruppensysteme verschiedener Gesellschaften. Alle gehören primär drei Gesellschaftstypen an: primitiven Stämmen (Prärie-Indianerstämme), (semi)historische Gesellschaften (altes Rom u.a.), und verschiedenen modernen Gesellschaften[17]. Letzterem gilt die größte Aufmerksamkeit. In der modernen Industriegesellschaft stellt die Gleichaltrigengruppe oder auch ‚peer-group’, eine vermittelnde, nötig gewordene Instanz zwischen den ‚partikularistischen’ Verhaltensmustern der Familie( z.B. emotionales Fundament, nur einige, dafür sehr intensive Beziehungen, sprich Sympathie) und der universalistischen Orientierung der Gesellschaft (emotionslosere Beziehungen, Abstand, Gleichbehandlung, Berufsleben) dar. Diese altershomogene Gruppe ist sozusagen ein ‚erwachsenenfreier’ Ort der Sozialisation, der ermöglicht, dass die Jugendlichen wichtige soziale Erfahrungen machen können, da in ihr Konkurrenz, Kooperation, Regelbildung etc. unter Personen mit generell gleichen (sozialen) Status erfahren werden[18] und zudem erstmals heterosexuelle Kontakte erlaubt sind. Diese Erkenntnis erkläre, warum die ‚peer-group’ für jedes einzelne Subjekt im jugendlichen Alter zum Bedürfnis wird. Da die Gleichaltrigengruppe gleichermaßen die universalistischen Verhaltensmuster (siehe oben) vermittelt, die der Jugendliche für seine spezielle ‚Erwachsenen-Rolle’ und - im modernen Industriestaat vor allem - seine ‚Berufs-Rolle’ braucht, wird hiermit die systembezogene Funktion der altershomogenen Gruppe deutlich.[19] Die Sozialisation wird von Eisenstadt demnach als gelungen betrachtet, wenn der junge Erwachsene die universalistischen Wertmuster seiner (modernen Industrie-)Gesellschaft gelernt hat und sie erfolgreich im Beruf und öffentlichen Leben sytemgerecht anwenden kann. Eisenstadt verweist darauf, dass es auch Altersgruppen gibt, die den Integrationsprozess des Jugendlichen gefährden: Jugendliche Verbrecherbanden, Jugendorganisationen, aufrührerische Jugendbewegungen u.Ä. „verhindern die Übertragung des sozialen Erbes und die Kontinuität des sozialen Systems. In solchen abweichenden Altersgruppen besteht völlige Diskrepanz zwischen den Erwartungen und Bestrebungen der Jugendgruppe…und den Erwartungen, die an sie von den Erwachsenen gerichtet werden.“[20] Abweichungen entwickeln sich nach Eisenstadt, wenn zu starke Gegensätze und Unterschiede zwischen familiären und gesamtgesellschaftlichen Orientierungen bestehen.[21]
[...]
[1] Aus ‚Flyer’ der Kinderseelsorge des Klinikums Fulda
[2] Vgl. Tillmann 2000
[3] Hurrelmann1980, S. 51
[4] Internetseite: www.sign-lang.uni-hamburg.de
[5] Hurrelmann 1986, S. 29
[6] Erikson1966, S. 52f.
[7] ebd., S.150f.
[8] vgl. Erikson 1980, S.12
[9] Erikson 1966, S.18
[10] vgl. ebd., S.110
[11] ebd., S.111
[12] vgl. Hurrelmann1985, S.63
[13] Erikson 1966, S.56
[14] Erikson 1966, S. 112
[15] vgl. Schäfer 1976, S. 145; Tillmann 2000, S. 215f; Schlegel 1978, S.264f, 272; Hurrelmann 1985, S.199
[16] EXKURS: Parsons analysierte die Sozialisation des Heranwachsenden vor allem hinsichtlich der Übernahme und Ausdifferenzierung von Rollen, der Internalisierung von Verhaltenserwartungen und des Erwerbs von instrumentalen Fähigkeiten. Vgl. Rolff 1997, S.54
[17] vgl. Eisenstadt 1966, S.51
[18] vgl. Gudjons 2001, S.112
[19] vgl. Eisenstadt 1966, S,281
[20] ebd., S.318
[21] ebd., S.326
- Arbeit zitieren
- Hermann Schmidt-Nohl (Autor:in), 2003, Sozialisation des Jugendalters - Verbindung von Eisenstadts soziologischen und Eriksons psychologischen Konzept, München, GRIN Verlag, https://www.hausarbeiten.de/document/16504