Georg Büchner dokumentiert in seinem Drama Dantons Tod aus dem
Jahre 1835 das Scheitern der Ideale der Französischen Revolution durch
die Instrumentalisierung des Revolutionstribunals zur Ausschaltung
politischer Gegner. Vor dem Hintergrund der gnadenlosen
Hinrichtungspraxis des jakobinischen Terrorregimes zeigt Büchner das
Schicksal Dantons nicht etwa als Versöhnung von Natur und Geschichte
im Sinne einer dialektischen Verknüpfung von individuellem Untergang und
menschheits-geschichtlichem Fortschritt,1 sondern als exemplarischen Fall
in einer Verkettung unabänderlicher historischer Ereignisse. In seinem
Brief an die Braut schreibt er:
Ich studierte die Geschichte der Revolution. Ich fühlte mich wie zernichtet unter dem gräßlichen
Fatalismus der Geschichte. Ich finde in der Menschennatur eine entsetzliche Gleichheit, in den
menschlichen Verhältnissen eine unabwendbare Gewalt, Allem und Keinem verliehen.
(Büchner 1988: 288)
Der Umstand, dass Büchner diese fatalistische Einsicht seinem Danton
fast wörtlich in den Mund legt2, hat die Literaturforschung zum Teil zu der
Annahme verleitet, dass der Autor sich mit seiner Hauptfigur identifiziere
(vgl. Mayer 1972: 211f ; 222f). Schließlich bot der gescheiterte
Revolutionär Danton eine perfekte Projektionsfläche für den gescheiterten
Liberalen Büchner. Scheinbar. Tatsächlich ergreift Büchner weder für
Danton noch für seinen Gegenspieler Robespierre explizit Partei. Sein
dichterisches Selbstverständnis veranlasst ihn zur
Polyperspektivierung.Denn der Dichter ist für Büchner kein Lehrer der
Moral sondern eine Art Geschichtsschreiber, der „uns die Geschichte zum
zweiten Mal erschafft und uns gleich unmittelbar, statt eine trockene
Erzählung zu geben, in das Leben einer Zeit hineinversetzt [...]. [...]
1Vgl. die Gegenüberstellung von Büchners Dramenkonzeption und dem ästhetischen Konzept der klassischen
Historiendramen. In: Behrmann/ Wohlleben. Büchner: Dantons Tod. Eine Dramenanalyse. Stuttgart. 1980
2 DANTON: Es muß; das war dies Muß. Wer will der Hand fluchen, auf die der Fluch des Muß gefallen
[...]Puppen sind wir, von unbekannten Gewalten am Draht gezogen; nichts, nichts wir selbst! (II5)
Inhaltsverzeichnis
- Vorwort
- 1. Vorbemerkungen zur Terminologie der offenen Form
- 2. Die Darstellung von Handlung und Konflikt
- 2. 1 Die Überlagerung von Geschehen und Handlung
- 2. 2 Die dargestellten Konfliktebenen
- 2. 2. 1 Der Gegensatz zwischen den Dantonisten und den Radikalen
- 2. 2. 2 Vom Gewissenskonflikt zum existentiellen Konflikt Dantons
- 2. 3 Die dramaturgische Gestaltung der Vernichtungsintrige
- 2. 3. 1 Phase I - Vorbereitung durch Robespierre
- 2. 3. 2 Phase II - Durchführung im bürokratischen Tötungsverfahren
- 2. 3. 3 Zum Verhältnis der Phasen- und Akteinteilung
- 3. Die Darstellung von Raum und Zeit
- 3.1 Die Vielfalt von Raum und Zeit
- 3.2 Die Semantik des Raumes
- 3.3 Die Diskontinuität der Zeit
- 4. Thematische Korrespondenz- und Kontrastbezüge
- 4.1 Der soziale Kontext
- 4.2 Die Ebene der privaten Beziehungen
- 5. Sprachliche Verfahren der Szenenverknüpfung
- 5.1 Wiederholung, Variation, Kontrast
- 5.2 sprachliche Leitmotive
- 6. Schlussbemerkung
Zielsetzung und Themenschwerpunkte
Diese Arbeit untersucht die Dramaturgie der offenen Form in Georg Büchners Drama „Dantons Tod“. Der Fokus liegt dabei auf der formalen und inhaltlichen Gestaltung der Handlung, der Dramaturgie von Raum und Zeit, sowie auf den thematischen Zusammenhängen, die der formalen Disparatheit der Einzelteile entgegenwirken. Die Arbeit soll aufzeigen, wie die offene Formkonzeption die Komplexität der dargestellten Wirklichkeit adäquat wiedergibt und den Leser in die geschichtliche Situation des jakobinischen Terrors hineinversetzt.
- Die offene Form in „Dantons Tod“
- Die Darstellung von Handlung und Konflikt
- Die Dramaturgie von Raum und Zeit
- Thematische Korrespondenz- und Kontrastbezüge
- Sprachliche Verfahren der Szenenverknüpfung
Zusammenfassung der Kapitel
Das Vorwort führt in die Thematik des Dramas „Dantons Tod“ ein und stellt die zentralen Motive und Themen des Werkes vor. Kapitel 1 beleuchtet die Terminologie der offenen Form, die als Grundlage für die Analyse des Dramas dient. Kapitel 2 widmet sich der Darstellung von Handlung und Konflikt. Hierbei werden die Überlagerung von Geschehen und Handlung, die verschiedenen Konfliktebenen, sowie die dramaturgische Gestaltung der Vernichtungsintrige untersucht. Kapitel 3 behandelt die Darstellung von Raum und Zeit und analysiert die Vielfältigkeit, Semantik und Diskontinuität der dargestellten Dimensionen. Kapitel 4 befasst sich mit thematischen Korrespondenz- und Kontrastbezügen und untersucht den sozialen Kontext sowie die Ebene der privaten Beziehungen. In Kapitel 5 werden sprachliche Verfahren der Szenenverknüpfung wie Wiederholung, Variation, Kontrast und sprachliche Leitmotive beleuchtet.
Schlüsselwörter
Die Schlüsselwörter dieser Arbeit umfassen die offene Form, die Dramaturgie, Georg Büchner, „Dantons Tod“, die Französische Revolution, der jakobinische Terror, Handlung, Konflikt, Raum, Zeit, thematische Korrespondenz, sprachliche Verfahren, Szenenverknüpfung.
- Quote paper
- Katrin Dollinger (Author), 2002, Die Dramaturgie der offenen Form in Georg Büchners Drama "Dantons Tod", Munich, GRIN Verlag, https://www.hausarbeiten.de/document/16443