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Hausarbeit, 2000
13 Seiten
Geschichte Deutschlands - Nationalsozialismus, Zweiter Weltkrieg
Einleitung
1. NS-Vergangenheit - nur historisch relevant?
2. Abschluß der Entnazifizierung
3. Gesetzgeberische Maßnahmen zur Vergangenheitspolitik
4. Das Kriegsverbrecherproblem
5. Die Kollektivschuldfrage
6. Rechtliche Normsetzung in der Vergangenheitspolitik
7. Unbewältigte Vergangenheit
8. Die These Lübbes
9. Nachwort
10. Literaturverzeichnis
Diese Arbeit beschäftigt sich mit der Auseinandersetzung der Gesellschaft in der BRD mit ihrer nationalsozialistischen Vergangenheit. Es stellt sich dabei die Frage, ob diese Auseinandersetzung wirklich eine gelungene war oder nicht.
In der langen Zeit seit der Kapitulation des „tausendjährigen Reiches“ sind mehrere Theorien und Thesen entstanden, die über die Art und Weise, wie das Hitlerregime im Nachkriegsdeutschland betrachtet wurde, Reflexionen angestellt haben. Es ist nicht die Aufgabe des Autors, eine Beschreibung all dieser Thesen und ihrer zeitpolitischen Hintergründe zu liefern. Ein solches Ziel würde den Rahmen der Hausarbeit sprengen. Es geht hier nur darum, die wesentlichsten Maßnahmen darzustellen, die in der Frühzeit der Bundesrepublik bezüglich der Vergangenheitspolitik getroffen wurden. Dabei werden auch die wichtigsten Thesen geschildert, welche betreffs dieser Vergangenheit aufgestellt worden sind.
Im ersten Kapitel wird auf den Stellenwert eingegangen, den die Vergangenheits-bewältigung in der Geschichtsforschung einnimmt.
Die folgenden fünf Kapitel beleuchten die Schritte, die die Weichen für den Umgang mit der Nazi-Vergangenheit stellen. Es wird ein Blick auf die Gesetze von 1949, 1951 und 1954 geworfen, welche die Absicht hatten, den von den Alliierten ausgelösten Entnazifizierungsprozeß rückgängig zu machen. Auch die Kriegsverbrecherfrage wird nicht außer Acht gelassen und zusammen mit den juristischen Maßnahmen unter die Lupe genommen.
Im siebten Kapitel wird auf Mitscherlichs These von der „unbewältigten Vergangenheit“ eingegangen. Sie blieb nicht unwidersprochen. Den markantesten Herausforderer bekam sie Anfang der achtziger Jahre in der Gegentheorie Hermann Lübbes, welche im achten Kapitel zu behandeln sein wird.
Die Frage des Umgangs mit dem Nationalsozialismus und seiner Folgen wurde lange vor der Gründung der beiden deutschen Nachfolgestaaten gestellt und war von jeher umstritten. In der Bundesrepublik berührt ihre Beantwortung die Grundlagen eines Staates, der sich schon immer als eine Art Erwiderung auf die faschistische Herausforderung versteht.
Es ist deswegen. etwas verwunderlich, wenn festgestellt wird, daß dieses Thema bis vor kurzem kaum Gegenstand historischer Forschung war. Zwei Hauptgründe erscheinen als besonders einsichtig: 1. Die Geschichtsschreibung konzentrierte sich Anfang der siebziger Jahre auf die klassischen Gebiete der Institutionen- und Ereignisgeschichte. 2. Dieses Phänomen ist durch den Scheu zu erklären, welchen man vor der wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit einem Thema hatte, das noch unabgeschlossen schien und auch eine große politische Sprengkraft besaß. Eine frühzeitige empirisch-kritische Forschung der NS-Vergangenheitsbewältigung hätte schwerwiegende Komplikationen mit sich bringen können.
Solche Bedenken sind durch den schieren Zeitablauf entschwunden. Nunmehr rückt
der politische und intellektuelle Umgang mit den Überresten des
Nationalsozialismus immer mehr ins Blickfeld der Geschichtsforschung. Eine
zusätzliche Anregung empfing dieses Interesse durch die Wiedervereinigung 1989/90
und die damit verbundene „Bewältigung“ der DDR-Vergangenheit[1].
Um einen geschichtspolitischen Überblick für ein solch explosives Thema zu besitzen, ist es erforderlich den Verlauf der Ereignisse, die in der Frühgeschichte der Bundesrepublik stattfanden, näher anzuschauen.
Im Herbst 1949, sofort nach Eröffnung des Bundestages, begannen in allen Fraktionen Bemühungen um eine Beendigung, zum Teil sogar Rückgängigmachung der politischen Säuberung, wie sie die westlichen Besatzungsmächte seit 1945 durchgesetzt und wie sie die von ihnen erlaubten demokratischen Parteien zunächst auch mitgetragen hatten.[2]
In erster Linie ging es dabei um Strafaufhebungen und Integrationsleistungen zugunsten von Millionen ehemaliger Parteigenossen, die fast ausnahmslos in denselben sozialen, beruflichen und staatsbürgerlichen - nicht jedoch politischen - Status wie vor der Kapitulation versetzt wurden, den sie im Zuge der Entnazifizierung, Internierung oder der Ahndung „politischer“ Straftaten verloren hatten. In zweiter Linie ging es um die politische und rechtliche Distanzierung von den ideologischen Restgruppen des Nationalsozialismus.
Die Adressaten einer solchen Politik waren nicht die Opfer des Nationalsozialismus, sondern die Opfer der Entnazifizierung. Vor allem profitierten von der Vergangenheitspolitik die Beamten, welche im Rahmen der politischen Säuberung entlassen worden waren, und die große Zahl der Mitläufer. Aber auch den Zehntausenden ehemaligen Internierten und sogar den meisten von den Alliierten verurteilten Kriegsverbrechern kam die Vergangenheitspolitik zugute. Und weil mit ihrem Fortschreiten zugleich der moralische Schuldvorwurf an die Deutschen, welcher in der politischen Säuberung enthalten war, verblaßte, konnten sich am Ende auch die persönlich nie Beschuldigten symbolisch entlastet fühlen.
Zur Wirkung der kollektiven Entlastung trug ferner bei, dass einzelnen Gruppen von NS-Verfolgten teils schon seit der Besatzungszeit, teils dann in Koppelung mit den Maßnahmen der Vergangenheitspolitik Wiedergutmachungsleistungen gewährt wurden[3]. Die von den Besatzern auferlegte Beschäftigung mit der nationalen Vergangenheit, welche zunächst auch von vielen Deutschen für notwendig erachtet wurde, wurde jetzt zunehmend durch die Arbeit für die Zukunft abgelöst. Dabei waren die politische Amnestierung und die soziale Wiederintegration des Heeres der Mitläufer ebenso notwendig wie unvermeidlich. Mit solchen populären Maßnahmen versuchte sich die junge Demokratie politische Legitimation zu erkaufen. Eine Rückgängigmachung der verhaßten politischen Säuberung galt geradezu als Prüfstein für die Souveränität des neuen Staates.
Das Nachwirken der „volksgemeinschaftlichen“ Bindung zu Anfang der fünfziger Jahre, die Neigung großer Teile der Gesellschaft, Solidarität mit den „Entnazifizierungsgeschädigten“ zu demonstrieren, das noch weithin Unverarbeitete und Unaufgeklärte der faschistischen Vergangenheit und die vielerorts festgestellte Wahrnehmungsverweigerung erleichterten bestimmten Gruppen die Durchsetzung auch von Positionen, welche in ihre Radikalität und Skrupellosigkeit nicht im Interesse der Allgemeinheit lagen. Deshalb kam der veröffentlichten Meinung eine aktiv mitgestaltende Rolle zu.
Das Straffreiheitsgesetz von 1949 wurde innerhalb weniger Wochen beraten und, trotz beträchtlicher Einwände der Alliierten Hohen Kommission, aber mit Zustimmung des gesamten Bundestags, als eines der ersten Gesetze der neuen Regierung verabschiedet. Es amnestierte alle vor dem 15. September 1949 begangenen Taten, die mit Gefängnis bis zu sechs Monaten beziehungsweise bis zu einem Jahr auf Bewährung geahndet werden konnten[4]. Die Masse der rund 800 000 Personen, die davon profitierten, hatte sich wegen nichtpolitischer Vergehen aus der Schwarzmarktzeit zu verantworten. Doch die Amnestie galt natürlich ebenso für noch nicht verjährte Delikte aus der NS-Zeit, und sie begünstigte auch jene, die im Frühjahr 1945 eine falsche Identität angenommen hatten, um sich der Internierung und der Entnazifizierung zu entziehen.
Zehntausende von NS-Tätern dürften von der Amnestie profitiert haben. Da neben Delikten wie Freiheitsberaubung und Amtsvergehen auch minderschwere Fälle von Körperverletzung mit Todesfolge und von Totschlag einbezogen waren, ist denkbar, daß sogar Kapitalverbrecher davonkamen.
Die Öffentlichkeit erfuhr von solchen Details aber wenig, Stattdessen war in den Debatten nur von den „Wirrnissen“ der letzten Jahre die Rede, die es zu beenden gelte, und von der Notwendigkeit, „Vergessen über die Vergangenheit zu decken“[5].
Ein Grund für eine solche Reaktion war sicherlich auch, daß die Amnestie als eine politische Abrechnung mit der unbeliebten Entnazifizierung wahrgenommen wurde.
Auch das „Gesetz zur Regelung der Rechtsverhältnisse der unter Artikel 131 des Grundgesetzes fallenden Personen“ war zu einem großen Teil in diesem Sinne zu verstehen. Es sollte die Wiedereingliederung von mehr als 300 000 „verdrängten Beamten“ und ehemaligen Berufssoldaten in den öffentlichen Dienst bewirken. Sein einstimmiger Beschluß im April 1951 stellte jedoch insofern ein wichtiges Zeichen dar, als sich unter denen, die von diesem Gesetz profitierten, viele Zehntausende befanden, die im Dritten Reich nicht nur des „Mitläufertums“ bezichtigt werden konnten. Kaum einer von ihnen mußte fortan sich oder seinen Mitmenschen für das politische Versagen unter Hitler Vorwürfe machen.
Nun wurde der Begriff „Wiedergutmachung“ auch in Bezug auf die „131er“ angewendet und es machten sich Stimmen laut, die eine „Generalamnestie“ für die Kriegsverbrecher forderten.
Wenn man das Stimmungsbarometer in dieser Phase in der Bundesrepublik berücksichtigt, waren die vergangenheitspolitischen Aspekte des im Sommer 1954 (ebenfalls fast einstimmig) verabschiedeten zweiten Straffreiheitsgesetzes beinahe zurückhaltend. Es betraf diejenigen, die zwischen dem 1. Oktober 1944 und dem 3 1. Juli 1945 „in der Annahme eines Amts-, Dienst- oder Rechtspflicht, insbesondere eines Befehls“, Verbrechen begangen und im Falle ihrer Verurteilung mit bis zu drei Jahren Freiheitsentzug zu rechnen hatten[6].
Die Mehrzahl der sogenannten Endphase-Verbrecher hatte ab dieser Zeit keine Strafe mehr zu fürchten, und die Zahl der eingeleiteten Ermittlungsverfahren wegen NS-Straftaten sank 1954 auf 183 Fälle gegenüber noch rund 2500 im Jahr 1950[7].
Mitte der fünfziger Jahre mußte sich fast niemand mehr Sorgen machen, wegen seiner NS-Vergangenheit von Staat und Justiz strafrechtlich verfolgt zu werden. Denn nicht nur unter die Vergangenheit von 3,6 Millionen Entnazifizierten und Zehntausenden von Amnestierten war ein Schlußstrich gezogen. Es waren auch diejenigen herausgekommen, welche in den Nürnberger Nachfolgeprozessen und alliierten Militärgerichten zwischen 1945 und 1949 als Kriegs- oder NS-Verbrecher schuldig gesprochen waren.
Nur ein Teil von ihnen waren Soldaten, die wegen Verstößen gegen die Haager Konvention verurteilt worden waren, die Restlichen waren SS-Leute, Parteifunktionäre und Zivilisten, die für ihre Taten als KZ-Personal, als Kommandeure von Einsatzgruppen oder etwa als Rüstungsindustrielle (wegen der Verwendung von Zwangsarbeitern) Sühne leisten mußten.
[...]
[1] Siehe FREI, Vergangenheitspolitik, S. 8.
[2] Wie Adenauer erklärte, sei die Bundesregierung entschlossen, „Vergangenes sein zu lassen“. Nach FREI, Vergangenheitspolitik, S. 27.
[3] So hatte es in den westlichen Zonen schon vor 1949 mehrfach Amnestien und Straffreiheitsgesetze gegeben, um die Justizbehörden zu entlasten, Ebd., S. 29.
[4] Ebd., S. 31.
[5] So die Reden Justizminister Dehlers und der Rechtsexperten des Bundestages in der ersten Lesung des Gesetzes am 2. Dezember 1949. Vgl. hierzu FREI, Vergangenheitspolitik, S. 38f.
[6] Ebd., S. 116.
[7] Diese Rekordtief sollte bis Ende der siebziger Jahre anhalten, Ebd., S. 128.