In kaum einem zweiten Werk kommt die sprachliche Experimentierfreudigkeit eines Autors deutlicher zum Tragen, als in Raymond Queneaus Exercices de style. Die triviale Geschichte eines jungen Mannes im Bus, der zwei Stunden später vor dem Bahnhof Saint-Lazare wieder gesehen wird, wo ihm ein Freund rät, einen zusätzlichen Knopf an seinen Überzieher zu nähen, wird in unzähligen Versionen neu bearbeitet und macht Queneaus Leser zu „témoins d’un acte de création littéraire; à travers différents genres et styles littéraires, diverses voix narratives et de simples jeux langagiers […].“
Im Fokus der Betrachtungen bezüglich Queneaus Werk steht fast immer sein außerordentlicher Sinn für die Sprachentheorie. Ohne Zweifel ist er ein „hervorragender Kenner der fran-zösischen Gegenwartssprache […].“ In seinen 98 Varianten von Notations experimentiert Queneau mit Fachsprachen und Jargons, verwendet unterschiedliche rhetorische Figuren und variiert mithilfe wechselnder Vers- und Zeitformen.
Der Autor selbst rechtfertigt seine Vorliebe für sprachtheoretische Betrachtungen in Bâtons, chiffres et lettres. Hier schreibt er: „[…] [L]es formes subsistent éternellement.“ Außerdem seien in der Literatur alle möglichen Themen zur Genüge ausgeschöpft und „alles Sagbare [sei] schon gesagt.“ Aufgrund dessen könne man nur innovatorisch arbeiten, wenn die formale Komponente im Vordergrund stehe.
Queneau ist interessiert „à toutes les questions […] du langage en tant que jeu avec des règles, disons un jeu de raisonnement, ou un jeu de hasard avec un maximum de raisonnement.“ Sein ausgeprägter Sinn für regelhafte, von formalen Zwängen geprägte Literatur führt 1960 zur Gründung des Autorenkreises Ouvroir de Littérature Potentielle, kurz OuLiPo. Die Gruppe macht es sich zur Aufgabe, neue literarische Strukturen mathematischer Natur, mehr noch künstliche oder mechanische Verfahren, zu entwickeln, die die Inspiration der Schriftsteller sowie deren Kreativität fördern sollen. Sie widmet sich der sogenannten littérature potentielle, deren Vielfältigkeit in den Exercices de style in vollem Maße zur Geltung kommt.
Ein Beispiel hierfür ist die Variante Définitionnel, die in unseren weiteren Ausführungen näher analysiert werden soll.
Inhaltsverzeichnis
- Einleitung
- Queneau und die littérature potentielle
- Spracherweiterung durch formale Zwänge
- Die Verbindung von Spieltrieb und contraintes
- Sprachliche Analyse von Definitionnel
- La littérature définitionnelle
- Queneaus Definitionsweise
- Semantische und syntaktische Besonderheiten
- Deutung in Bezug auf das „néo-français“
- Fazit
Zielsetzung und Themenschwerpunkte
Die vorliegende Arbeit befasst sich mit Raymond Queneaus Exercices de style und untersucht insbesondere die sprachliche Gestaltung der Variante Définitionnel. Ziel ist es, die theoretischen Grundlagen der „littérature potentielle“, die von Queneau und der Gruppe OuLiPo entwickelt wurde, zu beleuchten und anhand der analysierten Textpassage zu verdeutlichen.
- Die „littérature potentielle“ als Konzept der Sprachkunst und ihr Einfluss auf Queneaus Werk
- Die Rolle von formalen Zwängen (contraintes) in der literarischen Produktion
- Die Analyse der sprachlichen Besonderheiten von Définitionnel im Kontext der „littérature définitionnelle“
- Die Bedeutung von Queneaus Definitionen für das Verständnis der Textstruktur und der sprachlichen Gestaltung
- Queneaus Konzept des „néo-français“ im Kontext der sprachlichen Experimente in Exercices de style
Zusammenfassung der Kapitel
- Einleitung: Diese Einleitung stellt Queneaus Werk Exercices de style vor und hebt die Bedeutung der sprachlichen Experimentierfreudigkeit des Autors hervor. Sie beschreibt die besondere Rolle der Sprachtheorie in Queneaus Werk und geht auf die Verwendung von Fachsprachen, rhetorischen Figuren und unterschiedlichen Vers- und Zeitformen ein.
- Queneau und die littérature potentielle: Dieses Kapitel beleuchtet Queneaus Interesse an regelhafter, von formalen Zwängen geprägter Literatur und stellt die Gründung des Autorenkreises Ouvroir de Littérature Potentielle (OuLiPo) vor. Es beschreibt die Ziele der Gruppe, die darin bestehen, neue literarische Strukturen mathematischer Natur zu entwickeln, um die Inspiration und Kreativität von Schriftstellern zu fördern.
- Spracherweiterung durch formale Zwänge: Dieses Kapitel erläutert das Prinzip der „littérature potentielle“ als Schaffung von Werken mit potentiellem Charakter. Es beleuchtet die Rolle von contraintes, also Regeln oder Zwängen, die als Grundlage für die Entstehung literarischer Werke dienen. Darüber hinaus wird die Verbindung von mathematischer Regelhaftigkeit und literarischen Strukturen als „künstliche literarische Bewusstheit“ interpretiert.
Schlüsselwörter
Die zentralen Schlüsselbegriffe der Arbeit sind „littérature potentielle“, „contraintes“, „Définitionnel“, „littérature définitionnelle“, „Queneau“, „Exercices de style“, „Sprachtheorie“, „néo-français“, „OuLiPo“ und „Definitionslehre“. Diese Begriffe repräsentieren die wichtigsten Themen und Konzepte, die in der Analyse von Queneaus Werk und der Untersuchung der sprachlichen Gestaltung von Définitionnel behandelt werden.
- Quote paper
- Susann Schrödter (Author), 2009, Sprachanalytische Betrachtungen zu "Définitionnel" aus Raymond Queneaus "Exercices de style", Munich, GRIN Verlag, https://www.hausarbeiten.de/document/162716